Читать книгу Wie tief kann ein Engel fallen? Teil 1 und 2: Zwei Romane: Redlight Street 64/65 Doppelband - G. S. Friebel - Страница 12

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Als Helga auch um zehn Uhr abends noch nicht zu Hause war, machte sich die Familie langsam Sorgen. Die Mutter schimpfte, und der Vater knurrte: »Wenn die nach Hause kommt, dann setzt es aber eine Tracht Prügel. Die soll sich bloß nicht einbilden, sie könnte mit uns tun und lassen, was sie will!«

»Bestimmt hockt sie mit einem Jungen irgendwo zusammen«, sagte Eva schadenfroh.

Egon, ihr Mann, sagte daraufhin ärgerlich: »Sie sind ja nicht alle so geil wie du.«

Daraufhin wurde sie schrecklich wütend, heulte und ging nach oben in die kleine Wohnung. Diese junge Ehe konnte man wirklich nicht glücklich nennen.

Der Zeiger der Uhr kroch immer weiter. Als wieder eine Stunde vorüber war, hielt es die Mutter nicht mehr aus. »Ich geh sie jetzt suchen. Bestimmt ist etwas passiert«, jammerte sie los.

»Ich geh mit«, sagte Egon. »Aber das sage ich dir jetzt schon, von mir fängt sie sich auch ein paar ein, wenn ich sie finde.«

»Hört doch endlich auf!«, sagte die Mutter zornig. »Sie ist kein Kind mehr. Alle hackt ihr auf ihr rum.«

Überall in der Nachbarschaft fragte man nach Helga, obwohl sich die Mutter sehr schämte; denn was sollten sie von ihnen denken. Um Mitternacht von Haus zu Haus zu gehen, um das Kind zu suchen, das machte wirklich keinen guten Eindruck. Aber im Augenblick war die Sorge doch größer. Aber wo sie auch fragten, man konnte keine Auskunft geben. Niemand schien Helga gesehen zu haben, auch die Freundinnen nicht, mit denen sie sonst zusammen war. Man holte sie eigens aus dem Bett. Verstört sahen sie Frau Wenda an.

»Sie war nicht bei uns. Wir haben ihr noch gesagt, sie soll mit zum Treff kommen, in die alte Schule. Sie wissen ja, dort sind wir immer. Aber sie ist nicht mitgegangen.«

»Hat sie denn auch nicht gesagt, wohin sie wollte? Irgendeine Andeutung gemacht?«

»Nein, gar nichts. Ich glaube, sie wollte nach Hause zurück.«

»Ja, richtig«, murmelte Frau Wenda plötzlich. »Egon, sie war ja bei uns. Erinnerst du dich? Es hat Krach gegeben, du weißt doch noch.«

»Herrje! Glaubst du wirklich, die hält sich deswegen irgendwo versteckt?«, fragte er zornig. »Das wird ja immer schöner. Man kann sich ja wohl mal die Meinung sagen, oder?«

Sie hatten das ganze Dorf abgeklappert, aber niemand hatte das Mädchen gesehen. So kamen sie müde nach Hause, in der Hoffnung, dass sie in der Zwischenzeit dort angekommen sei. Aber auch hier war sie nicht. Helga blieb verschwunden. Nun fühlten sie sich echt betroffen. Alle hatten auf einmal ein schlechtes Gewissen. Seltsam war das schon: Wenn jemand erst mal fort ist, dann fällt einem auf, dass man nicht richtig gehandelt hat, dass man vieles hätte anders machen können. Immer wenn es zu spät ist, will man auf einmal alles ändern.

»Was machen wir denn jetzt bloß?«, fragte die Mutter leise. »Wir können doch nicht einfach hier herumsitzen und warten.«

»Bis zum Morgen müssen wir schon warten. Dann gehen wir zur Polizei.«

»O du liebe Güte, das überlebe ich nicht«, seufzte die Mutter. »Mit der Polizei haben wir noch nie etwas zu tun gehabt. Das kann ich nicht.«

»Dann werden Vater und ich gehen.«

Egon ging nach oben. In der kleinen Schlafstube wartete seine Frau. Sofort wollte sie wieder über ihre Schwägerin herziehen.

»Na, wo hat sie denn gesteckt, die Prinzessin? Will jetzt wohl immer abgeholt werden, wie?«

»Eva, halt deinen Mund! Wir haben Helga immer noch nicht gefunden. Sie ist spurlos verschwunden, und morgen müssen wir zur Polizei.«

»Wirklich? Ich dachte, alles sei nur Spaß?«

»Nein, und du mit deiner ewigen Petzerei, du hast sie aus dem Haus geekelt!«

»Ach so!«, empörte sie sich. »Jetzt bin ich wohl an allem Schuld, wie? Immer ich! Du hast es wohl nicht gewollt, damals, wie? Das wird ja immer schöner!«

Egon hielt mit dem Ausziehen inne, blickte sie an und meinte sehr wütend: »Und du, Nutte, hast es sofort zugelassen.«

Eva warf sich in die Kissen und heulte wie ein Schlosshund. Er kümmerte sich nicht um sie und war kurze Zeit später eingeschlafen.

Am nächsten Morgen kamen sie alle unten in der Küche zusammen. Von Helga noch immer keine Spur. Der Vater hatte schon ein Bild von seiner Tochter hervorgesucht.

»Die Polizei muss doch wissen, wie sie aussieht. Darum nehme ich das Bild mit.«

»Tja, dann wollen wir mal gehen.«

Beide fühlten sich nicht ganz wohl in ihrer Haut. Auf der Polizeistation waren sie noch nie gewesen. Als sie dann wenig später vor dem Beamten saßen, stotterten sie sich einiges zurecht, und er hatte Mühe zu verstehen, was sie wollten.

»So, eine Vermisstenanzeige wollen Sie aufgeben. Wie alt ist denn das Mädchen?«

»Siebzehn.«

»So, aha, ist wohl freiwillig fort von zu Hause? Ausgerissen, sozusagen, wie? Da können wir nicht sehr viel machen, Herr Wenda. Wir nehmen eine Vermisstenanzeige auf, und jede Polizeistation erhält eine Nachricht, dass Ihre Tochter gesucht wird. Wenn wir sie aufgreifen, bringen wir sie nach Hause zurück. Mehr können wir leider nicht tun. Meistens kommen die Mädchen in wenigen Tagen von allein nach Hause zurück – wenn sie merken, dass es woanders auch nicht besser ist – wenn das Geld alle ist und der Hunger zu nagen anfängt.«

»Aber suchen Sie sie denn nicht?«

»Ich sagte doch schon: Wir halten die Augen offen. Jeden Tag laufen an die tausend junge Leute von zu Hause fort. Da können wir nicht mehr groß suchen. Wenn es ein Kind wäre, ja, dann würden wir sofort eine Suchmannschaft zusammenstellen. Aber so? Ich sagte ihnen ja schon, es liegt nicht mal ein Verbrechen vor. Denn Sie sagen doch selbst, dass sie immer wieder gesagt hat, sie wolle von zu Hause fort.«

»Wir haben immer gedacht, sie meint später«, sagte der Vater erschrocken. »Doch nicht so! Wir dachten halt, wenn sie erwachsen ist.«

»Herr Wenda, Ihre Tochter ist schon erwachsen. Mit siebzehn ist man kein Kind mehr.«

»Ja«, sagte er leise. »Sie haben recht. Vielleicht haben wir doch vieles falsch gemacht.«

Sie wollten zur Tür hinaus, aber der Beamte hielt sie noch einen Augenblick zurück: »Und was ich Ihnen noch sagen möchte: Wenn Ihre Tochter heimkommt, seien Sie nett zu ihr, ja? Sie hat es verdient. Dann besonders.«

Egon dachte bei sich: Das wird ja immer schöner! Wir sollen ihr womöglich die Füße küssen, wie? Aber wohlweislich schwieg er, und der Vater auch. Der Beamte dachte sich auch sein Teil, und

als sie verschwunden waren, kam ein Kollege ins Zimmer. Mit ihm sprach er kurz über diesen Fall.

»Die Kleine tut mir jetzt schon Leid. Ich kann mir wohl denken, wie sich alles abgespielt hat. Und wenn sie jetzt tatsächlich wieder nach Hause geht, dann merken sie noch nicht einmal, welch ein Glück sie trifft. Nein, sie werden noch über sie herfallen und sie ausschimpfen und ihr das Leben zur Hölle machen. Und das nennen sie dann christlich. Aber ein bisschen Verständnis, das ist wohl zu viel verlangt, wie?«

»So sind sie nun einmal hier, aber woanders gibt es diese Typen auch. Darüber rege ich mich schon gar nicht mehr auf.« Er nahm das Bild zur Hand und betrachtete es lange Zeit.

»Übel sieht sie wirklich nicht aus. Über den Durchschnitt hübsch, und wenn sie dann noch intelligent ist, na, ich weiß nicht.«

»Was glaubst du? Wo mag sie sein? Ob sie einen Freund hat, zu dem sie gezogen ist?«

»Das glaube ich nicht. Das hätten sie längst spitz gekriegt. Nein, sie ist auf und davon.«

»Also nach Köln, um das große Glück zu finden?«

«Ganz bestimmt.«

»Das habe ich mir auch gedacht. So werde ich mal gleich ein Fernschreiben aufsetzen und das Foto nachsenden. Sollen die Kollegen dort die Augen offenhalten.«

»Die werden sich bestimmt darüber freuen.«

Wie tief kann ein Engel fallen? Teil 1 und 2: Zwei Romane: Redlight Street 64/65 Doppelband

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