Читать книгу Ein fremder Vogel im Revier: Redlight Street #171 - G. S. Friebel - Страница 6
1
Оглавление»Du bist verrückt.«
»Wirklich?«, spöttelte der Freund.
»In der Tat, entweder bist du verrückt, hast zu viel getrunken, oder du brütest irgendeine Krankheit aus und weißt es nur noch nicht!«
»Wirklich?«, kam unweigerlich die Erwiderung.
Jan Holder drehte sich um und starrte ihn fuchsteufelswild an.
»Hör damit auf!«
Dietmar Heber machte ein hochmütiges Gesicht.
»Du kannst wirklich froh sein, dass du mich zum Freund hast, sonst würdest du wirklich eine große Dummheit begehen.«
»Jetzt hast du selbst zweimal »wirklich« gesagt«, lachte Dietmar ihn aus.
Im Augenblick spürte Jan Holder den übermächtigen Wunsch in sich, diesem Kerl an die Gurgel zu springen und so lange zuzudrücken, bis er keinen Pieps mehr von sich geben konnte.
Dietmar schien irgendwie zu spüren, dass er seinen Freund gereizt hatte, und hüllte sich jetzt in tiefes Schweigen.
Jan stand gegen die Heizung gelehnt und musterte den Freund. Komisch, dachte er, als ich ihn kennenlernte, da glaubte ich, er bestünde aus Wachs, sei weich, nachgiebig, eines von diesen vielen Muttersöhnchen, die nur mit Milch und Weißbrot großgezogen worden sind. Dieser verfluchte Kerl wirkt tatsächlich so, als könne man ihn überall hinschubsen, ohne dass er daran denkt, sich zu wehren. Ja, gerade so wirkt er auf Leute, die ihn nicht kennen. Alles nur Tarnung, dachte er ärgerlich. Wenn man ein wenig tiefer bohrt, stößt man auf Granit, Der verfluchte Bursche hat eine Hartnäckigkeit an sich, dagegen ist man einfach machtlos.
Eigentlich hätte er sich doch über diese Tatsache freuen sollen. Denn als Jan ihm seine Freundschaft angeboten hatte, war das doch nur aus dem einen Grund geschehen, weil er ihm leid tat, er wollte nicht dass er vor die Hunde ging, dass die anderen ihn fertigmachten. Über die Tatsache, dass ihm Dietmar kostenlose Unterkunft und Verpflegung gewährte, ging er großzügig hinweg.
Festzustellen, dass man gar nicht gebraucht wird, ist wirklich nicht schön.
»Und wenn ich dir das Kreuz brechen muss«, murmelte er vor sich hin, »ich werde dich daran hindern.«
»Hast du etwas gesagt?«, fragte Dietmar zuckersüß und drehte sich auf seinem Drehstuhl herum.
»Du wirst es nicht tun«, sagte Jan noch einmal und machte ein sehr finsteres Gesicht. Vielleicht schreckte ihn das ein wenig ab. ,
»O doch«, sagte Dietmar sehr sanft.
»Und wenn unsere Freundschaft in die Brüche geht?«, murmelte Jan.
Dietmar blickte ihn skeptisch an. Er mochte Jan sehr gern, und seit er zu ihm gezogen war, verbrachten sie lustige Wochen. Jan hatte immer ein paar flotte Mädchen an der Hand, die er großzügig an Dietmar weitergab. Herrje, hatten sie schon feine Feste hier gefeiert. Und das sollte jetzt vielleicht alles vorbei sein? Bevor er in Selbstmitleid zu zerfließen begann, fiel ihm noch rechtzeitig ein, dass eigentlich alles immer auf seine Kosten stattgefunden hatte und Jan, dieser Parasit, nicht daran dachte, für die Unterkunft und zum täglichen Unterhalt etwas beizusteuern. Zum Teufel, dachte Dietmar unwillkürlich. Eigentlich wäre es wirklich nicht schlecht, wenn ich ihn dadurch loswürde. Dann hätte ich die Wohnung wieder ganz für mich. Abgelegte Mädchen sind mir ein Gräuel. Ich werde meine Schüchternheit überwinden und mir selbst ein Mädchen suchen, jawohl, das werde ich.
»Von mir aus«, gab er träge zur Antwort.
Jan zuckte zusammen. »Soweit ist es also mit uns gekommen, nein wirklich, Dietmar, du bist kein bisschen dankbar.«
Das war wirklich die Höhe. Doch leider war er ein friedliebender Mensch und hasste Krach, sonst hätte er ihm jetzt eine passende Antwort gegeben.
»Du kannst mich nicht umstimmen, und wenn dir nicht passt, was ich vorhabe, dann kann ich nichts daran ändern.«
»Du bist verrückt.«
»Nein«, sagte er fest.
»O doch, kapier doch mal endlich, Dietmar, so etwas macht man nicht. Wirklich nicht. Das ist einfach unmöglich, du wirst dich lächerlich machen.«
Dietmars Augen glitzerten. Je mehr der Freund sich dagegen auflehnte, um so mehr begann ihm die Sache Spaß zu machen. Eigentlich hatte er ihn nur damit ein wenig necken wollen, hatte es gar nicht wirklich vor. Aber, beim Teufel, er würde es tun. Ja, um ihm zu beweisen, dass er Mumm in den Knochen hatte, dass er nicht schüchtern war, dass er was ganz Großes tun wollte.
»Du wirst in Schwierigkeiten geraten, und dann wirst du nach mir winseln.«
»Das werde ich nicht tun. Außerdem würdest du es gar nicht hören.«
»Was?«
»Wenn ich winsele!«
»Wie komisch!«
Dann starrten sie sich eine Weile schweigend an. Jan senkte als erster die Augen.
»Es ist doch wirklich nichts dabei«, sagte Dietmar lachend. »Du tust ja so, als wolle ich mit einem Spielzeuggewehr auf eine Löwenjagd gehen.«
Dem Freunde sträubten sich langsam die Haare. »Ob nichts dabei ist, wenn du dich als Nutte verkleidest und auf den Strich gehst, nur um dieses Milieu zu studieren? Wirklich, da ist überhaupt nichts dabei. dass ich nicht lache.«
»Ich bin Schriftsteller«, sagte Dietmar würdevoll. »Und ich habe mir vorgenommen, über diese Sorte Mädchen einen Bericht zu schreiben. Ich bin immer dafür, dass alles wirklich echt ist. Außerdem habe ich den Ehrgeiz, die dazu passenden Fotos selber zu machen.
»Ausgerechnet du«, sagte Jan Holder. »Bis jetzt hast du es nur mit Blumen und Tieren versucht«
»Aber gut, das musst du zugeben. Schließlich sind diese Mädchen auch nur Bienen.«
»Als nächstes wirst du noch im Ozean tauchen, um besser über die Taucher schreiben zu können, wie?«
»Nein, das werde ich nicht tun«, sagte Dietmar ganz entschieden.
»Wohl Angst vor den Haien, wie? Pass nur auf, dass du nicht von den Bienen gestochen wirst.«
»Nein, ich kann nicht schwimmen. Und wenn man selbst eine Biene ist, werden sie sicher nicht stechen.«
Jan Holder lachte schallend. Der Kerl war wirklich unmöglich. »Hör zu, Dietmar, du hast wohl noch nie was vom Strich gehört, warst auch bestimmt noch nicht als Kunde dort, wetten?«
»Nein«, sagte er schwach. »Bis jetzt hatte ich es auch nicht nötig.«
»Weil ich dich immer mit frischer Ware versorgt habe«, erinnerte der Freund.
Darauf schwieg Dietmar.
»Es wird verdammt gefährlich werden, hör doch auf mich, Dietmar. Das ist kein Sonntagsausflug, begreife das doch endlich. Wenn man dich wirklich für eine Nutte hält, dann fürchten sie die Konkurrenz, merken sie aber, dass du ein Mann bist, dann halten sie dich möglicherweise für einen Spitzel der Bullen, und dann hast du nichts zu lachen.«
»Ich will weder nach Hamburg noch nach Köln«, sagte Dietmar. »Hier in unserer Stadt will ich das Milieu studieren, und da kann mir bestimmt nichts passieren, denn hier ist doch nie etwas los. Nur Straßenstrich und so.«
Jan dachte: Warum rede ich mir eigentlich die Seele aus dem Leib? Der ist doch bekloppt. Aber ich habe ihn gewarnt, mehr kann ich nicht tun.
»Mach doch, was du willst«, sagte er ärgerlich.
Wütend stapfte er aus dem Zimmer, warf wenig später die Haustür krachend ins Schloss, und dann war es sehr still in der Wohnung.
Dietmar ließ seinen Bleistift auf den Schreibtisch fallen und stürzte zum Fenster. Unten auf der Straße sah er seinen Freund. Ausgebeulte Hosen, die Hände tief in den Taschen vergraben, strubbelige Haare.
Dietmar seufzte. Er hielt soviel auf Körperpflege, war immer adrett angezogen, duschte sich jeden Morgen und roch angenehm, und doch hatte er Schwierigkeiten mit den Frauen. Er war zu ernst, er wollte nicht den leichten Flirt, er wollte etwas Festes, ein Mädchen für immer. Aber auch kein Hausmütterchen, die hasste er wie die Pest Da brauchte er nur an seinen Bruder zu denken, der wurde sogar jeden Tag von seiner Frau von der Arbeit abgeholt. Er hielt das für ganz große Liebe und merkte nicht, wie er unter dem Pantoffel stand.
Dietmar biss sich auf die Lippen. Vielleicht gab es die Sorte Frau, nach der er suchte, gar nicht. Sie musste ihn lieben, natürlich, aber dann auch ein toller Kumpel sein. Man musste mit ihr Pferde stehlen können. Herrje, dann würde das Leben schön werden. Aber leider hatte er bis jetzt noch nicht so ein Mädchen gefunden, und so war er mittlerweile sechsunddreißig geworden und hatte die Hoffnung aufgegeben.
Er war mittelgroß, hatte ein gut geschnittenes Gesicht, dunkle Augen und dunkles Haar, war immer sehr gut angezogen, stellte also etwas dar. Dietmar konnte mit seinem Äußeren sehr zufrieden sein.
Wie er noch so am Fenster stand und sich selbst diagnostizierte, wurden ihm plötzlich die Knie weich.
Der Streit mit Jan!
Er hatte gesagt, er würde es tun! Wenn er einmal etwas sagte, dann stand er auch zu seinem Wort. Auf sein Wort konnte man bauen. Aber musste man jetzt vielleicht auch? Dietmar schloss für Sekunden die Augen. Er hatte sich hinreißen lassen. Jan hatte ihn geärgert, und so hatte er sich mitreißen lassen.
»Ich muss es tun«, murmelte er leise vor sich hin. »Wenn ich jetzt kneife, hält er mich für alle Zeiten für einen Waschlappen, und gerade das will ich ja nicht. Ich will ihm doch beweisen, dass ich mehr kann, dass ich Mut habe.«
Nervös zündete er sich eine Zigarette an und blickte dem Rauch nach. Nach einer Weile begann er zu grinsen. »Das wird meine beste Story, und die Verleger werden sich die Finger danach lecken. Und wenn ich dann noch sage, wie ich es geschafft habe, so packend zu schreiben, dann werden sie mich für den größten Schreiber dieses Jahrhunderts halten.«
Ihm wurde richtig schwindelig.
»Zuerst einmal ein Schnäpschen, und dann gut überlegen, was ich jetzt tun muss«, murmelte er und schlenderte zum Barschrank.