Читать книгу Ein fremder Vogel im Revier: Redlight Street #171 - G. S. Friebel - Страница 8

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Als die beiden vom Einkaufen zurückkamen, stellte Dietmar fest, dass Jan Holder ausgezogen war. Das erfüllte ihn mit tiefer Befriedigung. Ein Kapitel seines Lebens war damit abgeschlossen. Wirkliche Freunde zu finden war also auch nicht einfach.

»Los«, feuerte ihn Helga an. »Nun ziehen wir dich an. Du meine Güte, das wird eine Gaudi werden.«

Dietmar zierte sich mächtig und wollte sich vor ihr nicht ausziehen. »Du meine Güte, ich hab schon tausend nackte Männer gesehen«, sagte Helga gereizt. Sei jetzt nicht so zimperlich. Außerdem kannst du deine Hose anbehalten.«

Wenig später stand er in einem hellblauen Slip vor Helga und lächelte etwas schief.

»Zuerst der BH! Der muss richtig sitzen, sonst merkt man sofort etwas.«

Sie zog ein schwarzes Spitzengebilde aus der Tüte. Es war mit Schaumstoff

gefüllt.

»Die Verkäuferin hat mich ganz schön angeglotzt«, kicherte Helga und zog ihm das Ding an. »Pass jetzt auf, wie man ihn zumacht, damit du dich nicht verhedderst. Ich gebe dir also einen Rat von Frau zu Frau«, setzte sie kichernd hinzu.

Dietmar besaß eine Menge Humor, und den brauchte er jetzt ganz nötig, um nicht vor Scham zu versinken.

»Na, betrachte dich mal im Spiegel. Hast du nicht eine umwerfende Figur?«

»Ich krieg ja kaum Luft«, japste er. »Das Ding drückt mir ja den Brustkorb zusammen. Wie ihr damit leben könnt!«

»Alles Gewohnheit«, lachte Helga.

Auf Damenwäsche verzichteten sie, denn er hatte ja nicht vor, einen Strip zu wagen oder sich vor den Kunden auszuziehen. Er wollte sich ja nur unters Volk mischen.

»So, und jetzt die Strümpfe, mein Lieber. Sei damit vorsichtig. Feile dir vorher die Fingernägel, sonst hast du einen zu großen Verschleiß. Heute zieh ich sie dir an.«

Als sie nun die hauchdünnen Strümpfe über seine dichtbehaarten Männerbeine zog, bekam Dietmar fast einen hysterischen Anfall. Es war einfach zum Verrücktwerden, so juckten die Dinger. Und dann noch als Strumpfhose, du meine Güte, das gab ja Komplikationen, an die er überhaupt nicht gedacht hatte. Aber dann fiel ihm zum Glück ein, dass viele große Schauspieler in Frauenkleidern ihre Rollen spielten und damit sogar berühmt geworden waren.

Mit den Schuhen war das auch so eine Sache. Helga hatte vorsichtshalber zu den hochhackigen Pumps noch ein paar sommerliche Leinenschuhe mit einem flachen Absatz zur Auswahl mitgenommen. Bei der Anprobe entschied sich Dietmar für die leichten Schuhe, da er mit den hohen Absätzen nicht zurechtkam.

Er zog einen giftgrünen Pulli an, doch Helga schüttelte den Kopf.

»Der ist oben herum zwei Nummern zu weit. Das geht nicht. Pullis müssen immer ganz eng sitzen. Wart mal, ich habe zur Vorsicht noch ein Kleid mitgenommen. Vielleicht passt das.«

Sie kramte in einer Plastiktüte und zog ein hellblaues Kleid heraus.

»Zieh das mal an!«, sagte sie. »Hoffentlich passt es zu den Schuhen. Eigentlich müsstest du doch hohe Absätze tragen.«

Dietmar hob abwehrend die Arme. »Ich breche mir bestimmt die Beine bei der Stöckelei.«

»Na ja«, resignierte Helga. »So siehst du wenigstens etwas braver aus. Vielleicht zieht das bei den Männern. So ein junges, unschuldiges Mädchen ...«

»Ich will doch nichts mit den Männern zu tun haben«, knurrte Dietmar.

Helga lachte laut auf. »Aber die bestimmt mit dir! Wart mal, jetzt werde ich dich so richtig süß herrichten. Aber zuerst musst du dich anständig rasieren.«

»Ich bin immer gut rasiert«, sagte Dietmar wütend.

»Natürlich, aber jetzt bist du eine Frau, und wir haben keinen Bart, klar.«

Dietmar rasierte sich viermal, und dann war sein Gesicht so weich wie ein Babypopo. Helga sagte das jedenfalls. »Du musst selbst wissen, wie lange deine Schönheit anhält. Ein wenig kannst du mit Puder alles überdecken, aber sobald du etwas merkst, musst du aufhören und dich wieder rasieren, sonst fällst du sofort auf.«

»Ja, ich weiß.«

»So, und jetzt pass auf, wie man die falschen Wimpern anklebt. Das ist auch sehr wichtig.«

»Muss das sein?« Dietmar war schon ganz ausgehöhlt.

»Natürlich, das gibt dir erst den gewissen verworfenen Blick, kapiert? Du musst sie ankleben und dann tuschen.«

Helga klebte ihm die Wimpern, die wie Spinnenbeine aussahen, an. Dabei rollten ihm dicke Tränen über das Gesicht.

Als sie dann auch noch mit der Wimperntusche zu arbeiten anfing, fühlte er sich fast blind.

»Du wirst dich bald daran gewöhnt haben, Dietmar. Aller Anfang ist schwer«, tröstete sie ihn.

Dann puderte und schminkte sie ihn wie eine Diva, und als sie ihm zum Schluss noch die dunkelblonde Lockenperücke aufgesetzt hatte, ging sie ein paar Schritte zurück, um ihr Werk zu begutachten. Dabei wollte sie sich halb totlachen.

Dietmar tappte vorwärts, um sich in einem Spiegel zu betrachten. Dabei rollten ihm noch immer die Tränen über das Gesicht, und da er jetzt mit einem Busen behaftet war, hatte er das Gefühl, sein Gleichgewicht sei in Unordnung geraten. Vor dem Spiegel verschwamm alles, und instinktiv wischte er sich über die Augen. Natürlich sah er wenig später wie ein Zebra aus, und Helga schimpfte mit ihm.

»Also, wenn du das noch ein paarmal machst, müssen wir wieder in die Stadt, um neue Tusche zu holen«, rügte sie und machte sich daran, das Werk zu erneuern.

»Es ist furchtbar«, stammelte Dietmar.

»Quatsch, ich bewundere dich, wirklich, und jetzt musst du das auch durchstehen, klar?«

»Ja«, sagte er ganz schwach und tupfte sich mit einem Ziertüchlein die Tränen von den Wangen.

Endlich konnte er klar und deutlich sehen und prallte nun vor seinem eigenen Spiegelbild zurück.

»Weißt du, wie du jetzt aussiehst?«, kicherte Helga.

»Nein.«

»Wie ’ne anständige Nutte! Verdorben, aber doch noch irgendwie unschuldig. Um die Sache vollkommen zu machen, kriegst du jetzt Parfüm aufgespritzt. Nutten riechen nämlich meilenweit.«

Der Duft warf ihn beinahe um.

»Dddas ist ja schlimmer als Äther«, stammelte er.

»Ja, ich hab auch lange gesucht, um das Richtige zu finden«, lachte Helga.

»Noch was?«, murmelte er. Er fühlte sich schon ganz elend und verfluchte sich selbst.

»Nein, jetzt bist du vollkommen, Süße, jetzt müssen wir nur noch das Gehen lernen, und. die Sprache müssen wir auch vervollkommnen. Schließlich wirst du mit den anderen reden wollen, und da musst du wissen, was die Wörter bedeuten. Also fangen wir gleich mit dem Unterricht an. Also Butterballen heißt auch Busen, Heiermann, Blaue, halber Schein, das ist Geld. Einen Schein nassmachen, das heißt, sich betrinken. Handgeld, das bedeutet Geld vom ersten Freier und so weiter. Gesiebte Luft einatmen, das heißt, ins Gefängnis kommen. Ballermann ist eine Kanone oder Pistole. Kannst du dir das alles merken?«

»Kann ich! Aber woher kennst du all diese Ausdrücke?«

»Aus einem Buch! Das hat mir eine frühere Kollegin geliehen. Die wollte sich mal in diesem Gewerbe betätigen. Aber es kam nicht dazu, weil sie ihren jetzigen Mann kennenlernte. Nun studiert sie Psychologie.«

Dietmar lächelte. »In dem anderen Beruf hätte sie die Menschen auch kennengelernt.«

»Du meinst wohl die Männer«, spöttelte Helga und zeigte Dietmar, wie man als Dirne graziös ging und wie man mit dem Popo zu wackeln hatte.

»Das muss ich alles gleichzeitig machen?«, stöhnte er.

»Na klar, du wirst noch perfekt und wirst den Mädchen sämtliche Freier ausspannen«, lachte sie. »Du, die Sache macht mir langsam großen Spaß.«

»Mir nicht mehr«, brummte Dietmar. »Ich hab wirklich nicht gewusst, dass das mit Schwerstarbeit verbunden ist.«

Helga lachte nur.

Dietmar dachte: Mir wäre entschieden wohler, wenn sie bei mir wäre, dann könnte sie mir heimlich Tipps geben und auf mich aufpassen, dass ich auch nichts verkehrt mache. Aber ich kann wohl schwerlich von ihr verlangen, dass sie mit mir auf den Strich geht.

Und Helga dachte: Stille Wasser sind tief, das sieht man jetzt mal wieder. Also die anderen Jungs, die ich kenne, die hätten niemals den Mut zu so etwas. Ich finde ihn einfach toll, wirklich, und ich wünsche ihm, dass er eine erstklassige Story daraus machen kann. Das ist ja so wichtig für ihn.

Sie blickte auf die Uhr und sagte erschrocken: »Du liebe Güte, nun muss ich mich aber wirklich sputen. Wir haben ja heute noch eine Vorstellung. Also, Dietmar, ich wünsch dir viel Vergnügen, und pass auf dich auf, ja!«

»Werde ich machen!«

Helga war etwa fünf Minuten weg, als es klingelte. Er blickte zur Vorsicht durch den Spion. Es war aber nur Helga, und so öffnete er die Tür.

»Hast du was vergessen?«, fragte er.

Helga brach in schallendes Gelächter aus. »Willst du so auf den Strich gehen?«

»Natürlich! Du hast mich doch so hergerichtet. Stimmt etwas nicht? Ach ja, ich weiß, es müsste alles etwas graziöser abrollen«, sagte er und stellte sich in Positur. Dabei versuchte er Helga süß

anzulächeln.

Helga wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.

»Ja, ja«, sagte sie, »du bist ein gelehriger Schüler, aber schau doch mal in den Spiegel. Glaubst du, dass eine Dirne mit zwei Fotoapparaten auf Männerjagd geht?«

»Degradiere nicht meine Kameras«, wehrte sich Dietmar. »Die habe ich aus Jux dazugehängt. Ich nehme nur den Fotoapparat mit.«

»Aber bitte nicht um den Hals hängen«, bat Helga und begann schon wieder zu lachen. »Steck ihn in deinen Buko. Da hast du ihn auch jederzeit griffbereit.«

»Wohin soll ich den Apparat stecken?«

»Na, in deine Handtasche! Die nennt man in der Dirnensprache Buko. Deshalb bin ich doch zurückgekommen, um dich daran zu erinnern, sie mitzunehmen.«

»Ich muss sagen, du bist ganz schön beschlagen auf diesem Gebiet. Das ist mir bis jetzt noch nicht aufgefallen.«

»Tja, man tut, was man kann«, sagte Helga betont würdevoll.

»Aber das nutzt alles nichts«, meinte Dietmar, während er versuchte, den Fotoapparat in die Tasche zu quetschen. »Der Apparat passt bestimmt nicht in den Buko.«

»So macht man das«, erklärte Helga und nahm ihm alles ab. Ehe Dietmar etwas sagen konnte, war der Apparat in der Tasche verschwunden.

»Wie willst du dich eigentlich nennen?«, fragte Helga dann.

»Hm«, machte Dietmar und fragte dann etwas unsicher: »Was hältst du von Dietlinde?«

»Auf jeden Fall wirst du den Namen nicht so schnell vergessen«, lachte sie. »Also wirklich, du siehst umwerfend aus. Wäre ich ein Mann, ich würde sofort auf dich fliegen.«

»Vielen Dank für alles«, sagte er. »Du bist ein prima Kumpel.«

Helga lachte. »Was anderes wäre mir lieber. Aber ich bin ein genügsamer Mensch. Wenn du mich noch brauchen solltest, ruf mich ruhig an. Ich komme sofort«

Als Dietmar wieder allein war, hängte er sich die Tasche um und schaute in den Spiegel.

»Nein, mit so einem dicken Ding lauf ich nicht herum«, brummte er vor sich hin.

Kurzentschlossen zog er den Apparat wieder aus der Tasche und hängte ihn um den Hals.

»Sieht doch ganz passabel aus. Warum sollen Dirnen nicht fotografieren wollen. Frauen haben keine Ahnung!«

Nach diesem Selbstgespräch war es für Dietmar eine beschlossene Sache, dass er den Apparat entweder um den Hals hängen, oder in der Hand tragen wollte. Er sollte auf jeden Fall sofort griffbereit sein.

Dann setzte er sich vorsichtig auf eine Stuhlkante, um Helgas prachtvolles Werk nicht zu ruinieren, und wartete, bis es dunkel wurde. Langsam hörten auch die Augen auf zu tränen.

»Morgen habe ich bestimmt Karnickelaugen.«

Ein fremder Vogel im Revier: Redlight Street #171

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