Читать книгу Benzinmieze Paula: Redlight Street #172 - G. S. Friebel - Страница 7
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ОглавлениеIn der kleinen, dunklen Küche saßen sie sich gegenüber und aßen schweigend,
Carola sagte nach dem Nachtisch: »In vier Monaten werde ich aus der Schule entlassen.«
Emma blickte sie verdutzt an.
»Wieso? Hast du was angestellt?«
»Nein, Ma, die Zeit ist vorbei, weißt du.«
»Ich verstehe dich nicht. Du musst zur Schule, das ist Pflicht. Lerne nur fleißig, Mäuschen, man weiß nie, wofür das mal gut ist. Du willst doch wohl nicht so dumm wie deine Mama werden?«
Carola leckte den Löffel ab und sagte mit einer Gemütsruhe, die durch nichts zu erschüttern war: »Ma, ich werd' entlassen. Aus der zehnten Klasse entlassen. Es ist vorbei, hörst du? Oder ich müsste zum Gymnasium gehen.«
»Wieso das denn? Ist unsere Schule denn nicht mehr gut genug?«
»Doch, ich mein ja nur, der Lehrer hat es mir gesagt. Ich soll eine verdammt gute Schülerin sein, Ma, und er meint, es wäre eine Sünde und Schande, wenn ich nicht weiter zur Schule ginge.«
»So, so«, meinte die Mutter bedächtig.
Carola schob den Kompottteller von sich.
»Hm, willst du denn auf diese Schule?«
»Nein«, sagte sie ruhig. »Der Lehrer kann sagen, was er will, ich hab' keine Lust mehr.«
Wieder langes Schweigen.
»Ich glaube, dann müssen wir wohl Arbeit für dich suchen, mein Täubchen.«
»Ja«, entgegnete Carola gelangweilt.
»Du überraschst mich, mein Kind. Warum kommst du so plötzlich damit?«
»Hast du etwa nicht bemerkt, dass ich fünfzehn geworden bin? Ich werde bald sechzehn.«
»Doch, doch, Schätzchen«, sagte Emma hastig. »Ich kann mich noch ganz gut an den Geburtstag erinnern. Ich schenkte dir einen wundervollen Ball, und wir sind mit Paula zum Jahrmarkt gegangen, und dir war furchtbar schlecht, als du mit der Achterbahn gefahren bist.«
»Ma, das war doch, als ich zehn wurde,« berichtigte die Tochter sie.
»Wirklich?«, staunte Emma. »Wie doch die Zeit vergeht.«
Carola blickte durch die kleinen Fenster. Das erste, was sie dachte, war: Ich muss mal wieder die Fenster putzen. Wenn es in dieser Baracke immer sauber aussah, dann nur, weil sich Carola darum kümmerte. Der zweite Gedanke war dann: Von Ma kann ich also keine Hilfe erwarten. Verdammt, wie sucht man sich denn überhaupt eine Arbeit? Ich will arbeiten und viel Geld verdienen, und eines Tages habe ich dann eine feine Wohnung mit einem gekachelten Bad und einem Spülklo.
»Ma, warum sind die Jungen so wild nach Busen?« fragte sie ganz plötzlich.
Emma war vom guten Essen ein wenig eingenickt und schrak jetzt hoch.
»Was hat du gesagt, mein Engelchen?«
»Kannst du mir vielleicht sagen, warum die Jungen so wild nach Busen sind?«
Emma sagte: »Das ist doch klar, weil sie selbst keinen haben und es lustig finden, damit zu spielen."
Carola runzelte die Stirn.
»Das versteh ich nicht.«
»Bist ja auch noch ein kleines Mädchen. Aber nun mal ein bisschen ruhig, ich war gerade dabei, ein Nickerchen zu machen.«
»Ich bin ja schon still«, sagte die Tochter, erhob sich und räumte das schmutzige Geschirr zusammen. Während sie es spülte, abtrocknete und in den wackeligen Schrank zurückstellte, dachte sie nach. Vielleicht sollte ich Frank mal danach fragen, vielleicht sagt er es mir? Oder vielleicht können mir Mia und Ingrid mehr sagen. Komisch, das sind wirklich blöde Gänse. Wie die jetzt immer kichern, wenn man sie anspricht.
Carola dachte an ihre Schwester. Solange Paula noch dagewesen war, war alles viel lustiger gewesen. Paula hatte die gleichen roten Haare wie sie, vielleicht noch etwas kräftiger im Farbton.
Wenn Paula hier wäre, dann könnte sie mir bestimmt sagen, was mit meinem Busen los ist, und sie würde mir vielleicht auch raten, was ich arbeiten könnte.
Das Geschirr war gespült und weggeräumt, und sie setzte sich ans Fenster und dachte weiter nach. Und wenn ich jetzt zum Arbeitsamt gehe? Neulich haben sie ja in der Schule darüber gesprochen. Lieber nicht, dachte sie, das ist auch so eine Behörde, und womöglich kommen sie dann wieder hierher, so wie damals die Fürsorgerin, die geglaubt hat, Ma würde nicht gut für uns sorgen. Bloß weil sie ein wenig anders ist, denken sie sofort, wir würden nicht anständig erzogen. Ins Heim wollte man uns damals stecken. Herrje, das war eine schlimme Zeit. Paula und ich mussten erst ausreißen. Da haben sie dann endlich eingesehen, dass wir mit Ma zusammenbleiben wollten, nicht in so ein blödes Heim.
Nein, Behörden waren nie gut, um die machte man am besten einen großen Bogen.
Kommt Zeit, kommt Rat, dachte sie.