Читать книгу Benzinmieze Paula: Redlight Street #172 - G. S. Friebel - Страница 8

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Draußen quietschten Reifen, und ein Auspuff knatterte mörderisch. Für einen Augenblick lag eine dicke Staubwolke über dem Weg, und man konnte nichts mehr erkennen.

Emma war aus ihrem Schlaf hochgeschreckt. Carola stürzte gleich ans Fenster.

»Vielleicht sind zwei Autos zusammengestoßen«, flüsterte Emma. »Müssen wir nicht etwas tun?«

»Hier auf dem schmalen Weg? Hier lässt sich doch nie ein Auto blicken.«

»Aber es riecht nach Auto.«

»Das merk ich auch.«

Eine Tür wurde zugeknallt, die Staubwolke lichtete sich langsam, und dann gewahrten sie ein kleines Auto vor ihrem Haus.

»Ich bin sprachlos.«

»Ich denke, dein Freund kommt erst in vier Monaten aus dem Knast«, sagte Carola erstaunt.

Ma warf in diesem Augenblick verzückt die Arme in die Luft und watschelte dann, so schnell es ihre dicken Beine zuließen, zur Tür.

»Schätzchen, Mäuschen, Liebling, nein, welche Überraschung, Herrje, und ich hab‘ keinen Kuchen gebacken.«

Carola war verblüfft. Als sie aber ein zweites Mal einen Blick aus dem Fenster warf, da erkannte sie die Gestalt und stürzte auch aus dem Haus.

»Mensch, Paula, ich hab' gerade an dich denken müssen. Toll, dass du uns besuchen kommst.«

Paula, groß, schlank, zwanzig Jahre alt, etwas zu üppig mit Schminke und Tusche bedeckt, lachte schallend. Sie legte ihren Arm um die dicke Mama und gab ihr einen schallenden Kuss.

»Schön, euch mal wiederzusehen, ehrlich. Ist das toll bei euch. Hier riecht man noch den Frühling. Hab ich ganz vergessen, wie das ist.«

»Was?«, wollte Carola wissen.

»Der Frühling! Wenn man in der Stadt lebt, sieht man nur Häuser, und man merkt gar nicht, wie schön es draußen ist.«

Emma küsste sie ab und lachte und klatschte in die Hände. »Ich werd uns gleich ein paar Waffeln backen.«

»Ich hab' in der Stadt gegessen, Ma, ich hab' im Augenblick wirklich keinen Hunger.«

Carola blieb vor dem Auto stehen und starrte es mit aufgerissenen Augen an.

»Sag mal, gehört das vielleicht dir?«

Paula drehte sich lachend um.

»Natürlich«, sagte sie gönnerhaft.

»Was? Du hast ein Auto?«, staunte die Mutter.

»Aber ja doch. Da ist doch nichts dabei. In der Stadt, da wird man schnell reich. Das heißt, man muss Köpfchen haben.«

Emma und Carola starrten Paula ununterbrochen an. In ihren Augen war sie hochelegant. Und jetzt auch noch das Auto! Das war wirklich der Gipfel.

Deswegen war sie eigens hierhergekommen, um vor der kleinen Schwester und der Mutter anzugeben. Paula liebte es, bewundert zu werden. Und die beiden bemerkten in der Tat nicht, wie billig sie im Grunde genommen aufgemacht war. Und das Auto war auch eine klapperige Kiste. Aber für die beiden war es der Gipfel des Reichtums, und ehrfürchtig geleiteten sie Paula in die Baracke.

»Du musst uns alles erzählen, Mädchen, ja?«

»Gern, wenn ihr einen Schluck Kaffee für mich habt, dann leg ich gleich los.«

»Bleibst du jetzt für einige Zeit wieder bei uns?«, wollte Carola wissen.

»Tut mir leid, ich kann nur eine Nacht bleiben, dann muss ich wieder zurück. Will mich nur mal umsehen und schauen, wie es euch geht. Aber dann muss ich natürlich wieder ans Geldverdienen denken. Markus wartet ja schließlich auf mich.«

Emma wurde ganz aufgeregt.

»Du hast einen Freund? Wollt ihr bald heiraten? Warum hast du ihn nicht mitgebracht?«

Paulas Gesicht wurde mürrisch, und sie ärgerte sich im stillen, dass ihr der Name über die Lippen gerutscht war. Aber sie hatte die ganze Zeit an Markus denken müssen. Aus lauter Wut und Zorn war sie fortgefahren. Soll der ruhig schmoren, dachte sie wütend, ich lass mir nicht alles gefallen. Ich bin ja nicht so blöde wie die anderen. Die können ruhig katzbuckeln, aber ich mach das nun mal nicht. Ein Glück, dass ich ihm nie gesagt habe, wo ich herkomme, sonst wäre mir das Luder vielleicht noch gefolgt.

Markus war ihr Zuhälter. Einer von der kleinen Sorte. Und Paula verdiente ihr Geld auf dem Strich, sie war eine Automieze, und das Auto gehörte ihr auch nicht, das hatte ihr Markus nur

geliehen. Mit dem Auto konnte man mehr verlangen. Die ganz billigen Dirnen patrouillierten zu Fuß, aber mit dem Auto, da stellte man schon etwas dar.

»Nein«, sagte sie jetzt laut. »In der Stadt, da denkt man nicht so schnell ans Heiraten. Das Leben macht auch so viel Spaß. Warum soll man sich da mit einer Ehe belasten? Nee, Hauptsache, man hat genug Geld zum Leben, und damit basta.«

Emma stellte den Kaffee auf den Tisch und buk schon fleißig Waffeln, obgleich sie gerade erst zu Mittag gegessen hatten. Carola saß am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt, und blickte die Schwester ganz ehrfürchtig an.

Für sie war sie jetzt eine ganz große Dame, und sie empfand auf einmal ein wenig Scheu vor ihr. Paula genoss die Bewunderung der Schwester. Es tat ihr gut, die anbetenden Augen des jungen Mädchens auf sich ruhen zu fühlen.

Die Mutter wollte jetzt mehr wissen.

»Was machst du denn in der Stadt? Womit verdienst du denn dein Geld, Mäuschen?«

»Och«, sagte Paula gedehnt und nahm einen Schluck Kaffee, »das ist leicht gesagt. In der Stadt, weißt du, da ist alles ganz anders als hier auf dem Land. Wenn man nett zu den Männern ist... die wollen das, verstehst du, das gehört zum Geschäft, nette Kunden und so ...«

Die Mutter drehte sich um und blickte sie groß an. »Du liebe Güte, bist du etwa so eine Art Direktrice? Ich hab’ mal davon gelesen, in so einer Zeitschrift. Die stehen immer in diesen vornehmen Geschäften und empfangen die Kunden. Bist du tatsächlich so etwas?«

Paula schluckte: »Ja«, sagte sie mit etwas brüchiger Stimme, und dann angelte sie sich schnell eine Waffel.

»Aber warum hast du dann das Auto?«, fragte Carola neugierig.

Und jetzt sagte Paula einen Satz, den das junge Mädchen nicht so schnell vergessen sollte.

»Weißt du, Schwesterchen, in der Stadt, da muss man unbedingt motorisiert sein, sonst kommt man zu nichts. Wenn du zu dem Fußvolk gehörst, dann bist du sofort eine Niete, und so stufen sie dich auch ein. Nein, ein Auto muss man haben, wenn man vorwärtskommen will. Und eines Tages, das verspreche ich euch, komme ich mit einem dicken Mercedes hier angerauscht, und dann machen wir mal eine Fahrt damit.«

Diese Worte nisteten sich tief in Carolas Herz, und sie sollte sie nicht mehr vergessen.

»Mäuschen, wirst du jetzt wieder öfter zu deiner Mutter kommen?«

»Mal sehen. Natürlich geht der Beruf vor«, sagte sie hastig. »Ich will aber sehen, was sich machen lässt.«

»Die Stadt ist ja nur dreißig Kilometer entfernt. Und mit dem Auto bist du doch schnell hier.«

»Ich hab' doch gesagt, ich will sehen, was sich machen lässt. Ma, die Waffeln schmecken wirklich sehr gut.«

»Das freut mich.»

»So, und jetzt erzählt mir mal, was es im Dorf Neues gibt. Und was ihr so alle Tage.macht.«

Carola sagte: »Ich bin die Beste in der Klasse, und der Lehrer will, dass ich das Gymnasium besuche. Ich soll das Abitur machen, hat er mir gesagt. Ich würde das spielend schaffen.«

Paula verschluckte sich bald und starrte ihre kleine Schwester entgeistert an. Bis zu diesem Augenblick war sie in ihren Augen immer das kleine Mädchen gewesen. Aber jetzt bemerkte sie zu ihrer großen Verwunderung, dass sie nicht mehr klein und mickerig war, im Gegenteil, sie war voll entwickelt und was noch verblüffender war, sie war bezaubernd schön. Weil sie nicht so aufgedonnert war wie die Schwester, wirkte sie jung, frisch und anziehend. Paula schluckte. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass ihre kleine Schwester sich zu einer vollkommenen Schönheit entwickelt hatte.

Wie die meisten Rothaarigen besaß sie eine feine, blass schimmernde Haut, doch im Gegensatz zu vielen anderen Mädchen in ihrem Alter hatte sie keinen Kummer mit Hautunreinheiten. Ihr Teint war klar und makellos. Und dazu als Kontrast dann die hübschen blauen Augen. Außerdem hatte sie einen Busen, der sich wirklich sehen lassen konnte. Etwas Pikantes, Spitzbubenhaftes ging von ihrem Gesicht aus.

Du meine Güte, dachte die Schwester bestürzt. Sollte die jemals bei uns auf der Straße aufkreuzen, dann hätten wir keine Arbeit mehr. Die Kerle würden sich um sie reißen. Herrje, warum ist mir das erst jetzt aufgefallen? War ich wirklich schon so lange nicht mehr zu Hause?

»Du sagst ja gar nichts«, meinte Carola erstaunt. »Ich hab' dich etwas gefragt.«

Paula zuckte zusammen.

»Ich hab’ gerade was überlegen müssen. Sag es noch mal. Ich hör jetzt auch zu.«

»Was meinst du? Soll ich es tun?«

»Was?«

»Zum Gymnasium gehen?«

Und die Schwester dachte jetzt blitzschnell: Wenn Carola zur höheren Schule geht, ist sie mir haushoch überlegen, dann kommt der Augenblick, wo sie mich nicht mehr kennt. Ich werde eines

Tages in der Gosse landen, und sie ist dann fein heraus, wird mal Ärztin oder so was Tolles. Und das meine kleine Schwester. Wilde Eifersucht und Neid nagten an ihrem Herzen.

»Bist ja wohl bekloppt«, erwiderte sie lachend. »Das dauert ja dann eine Ewigkeit, bis du mal Geld verdienst. Und willst du Ma wirklich so lange auf der Tasche liegen? Das find ich aber nicht anständig von dir. Mach es, wie ich es gemacht hab'. Wenn die Schule vorbei ist, such dir eine Arbeit. Dann kannst du für dich selbst sorgen.«

»Das hab' ich mir auch schon überlegt«, erklärte Carola. »Hab’ ich auch schon dem Lehrer gesagt. Und ich hab' auch nicht viel Lust, noch länger zur Schule zu gehen, weißt du. Aber ich dachte, du bist so klug, wenn du sagst, ich soll es tun. dann würde ich natürlich auf dich hören.«

»Nee, also wirklich, wir kommen nicht aus reichem Hause und haben kein Geld dafür.«

»Der Lehrer hat mir gesagt, der Staat würde alles für mich bezahlen, weil ich wirklich begabt bin.«

Paula legte den Kopf schief. »Sag mal, in welche Klasse gehst du denn?«

»In die zehnte!«

Paula dachte: Ich bin aus der achten 'rausgeflogen, weil ich zweimal pappengeblieben bin.

»Und deine Noten?«

»In den Hauptfächern zwei und in den anderen eins«, sagte Carola fast entschuldigend.

»Kannst du vielleicht auch Englisch? «

»Ja, und Französisch, und im letzten Jahr habe ich auch mit Latein angefangen, aber nur so zum Spaß. Das können wir an unserer Schule, für Schüler, die weitermachen wollen, weißt du.«

»Ich werd verrückt.«

Die Mutter mischte sich ein.

»Gerade vorhin haben wir uns darüber unterhalten, was mit Carola werden soll. Weißt du vielleicht einen Rat? Wir kommen ja nie hier heraus.« Und dann legte sie den Kopf schief und meinte hoffnungsvoll: »Sag mal, könnte sie nicht fürs erste zu dir kommen? Vielleicht brauchen sie in deinem Geschäft so eine wie Carola? Frag doch mal. Du siehst jetzt, auf den Kopf gefallen ist sie nicht, und hübsch sieht sie ja auch aus, und arbeiten kann sie, sie ist sehr fleißig.«

Paula bekam einen tiefen Schreck. Nun hatte sie so angegeben, und jetzt wollte die Mutter ihr die kleine Schwester anvertrauen? Unmöglich, dachte sie bestürzt, sie ist ja noch ein Kind. Ich kann doch nicht Carola da hineinziehen, du meine Güte, nein, so schlecht bin ich auch wieder nicht. Wenn ich auch nicht will, dass sie mal reich und angesehen wird, aber eine Hure, nein. Schlimm genug, dass ich schon abgerutscht bin. Aber das ist auch nur Markus' Schuld. Dieser Kerl mit seinen vielen Schulden hat mich dazu gebracht.

Ich blöde Kuh hab' dem auch alles geglaubt. Als kleine Verkäuferin verdient man ja nicht so viel, und dann waren ewig seine Autos kaputt, außerdem hatte er angeblich keine neue Stelle bekommen, und Geld musste her. Von Luft zu leben, das hab' ich noch nicht gelernt. Und dann hat er mir den Vorschlag gemacht, abends noch etwas dazu zu verdienen.

Verdammter Mist, dass ich auf ihn gehört habe. Ich hab’ keine zwei Abende gestanden, wer muss da kommen? Unser Abteilungsleiter. Der hat ganz blöd geglotzt, und dann hat er mich angeschrien, mich eine gemeine Hure genannt und mir gesagt, ich solle mich bloß nie mehr im Geschäft blicken lassen. Und ich Angsthase hab’ es auch nicht mehr getan.

Markus war ganz schön sauer, der hat mir die Hucke vollgehauen und mich eine blöde Kuh genannt. »Mensch, der Kerl hatte doch die Hosen voll. Hast du das denn nicht bemerkt? Den hätten wir wie eine Weihnachtsgans ausnehmen können. Nur damit du kein Wort zu seiner Alten, oder zu eurem höchsten Chef sagst, hätte der bezahlt, das kannst du mir glauben. Und du dummes Ding lässt dich einschüchtern.« Jetzt noch, nach so vielen Monaten, musste sie bitter darüber lächeln. Einschüchtern, nein, dachte sie, damit hatte er unrecht. Damals, da hab' ich mich noch furchtbar geschämt. Am liebsten wär ich in den Boden versunken. Ja, so geschämt hab' ich mich, vor allem, als er mich dann noch eine Nutte genannt hat. Das war ich doch nun wirklich nicht. Ich hab' doch nur ein wenig Geld verdient, weil wir keins mehr hatten. Sollte ich es denn klauen gehen?

Ja, so rutscht man ab und landet in der Gosse. Ehe man es sich versieht. Und Markus, dieser verdammte Kerl, hat dann scheinheilig behauptet: »Jetzt kriegste auch keine Stelle mehr, jetzt kannste gleich die ganze Nacht stehen, dann kommt viel mehr Geld 'rein. Und wir können anständig leben.«

Ich hab’ natürlich auf ihn gehört. Und dann hat er mich den Führerschein machen lassen und hat mir diese Kiste da draußen besorgt. Mann, waren die anderen Tüllen sauer. Die mussten sich die Beine in den Bauch stehen, und ich konnte fein im Auto auf und ab fahren und mir die besten Brocken 'raussuchen.

Aber mit dem feinen Leben ist es nicht so weit her. Dieser verdammte Kerl versäuft und verspielt das Geld schneller, als ich es verdienen kann. Und wenn ich ihn dann frage, warum ich denn noch auf den Strich gehen soll, ob ihm das denn nichts ausmache, dann heuchelt er mir Liebe vor. Und die brauch ich nun mal, sonst geh ich wirklich vor die Hunde.

Ich weiß schon längst, dass ich eine Hure bin, aber das schwör ich dem Kerl: Wenn ich jetzt wieder zurückkomme, dann wird alles anders gemacht. Jetzt kriegt er nicht mehr meinen ganzen Lohn, nein, und ich will nicht mehr unten bleiben, ich krabbel mich wieder hoch. Ich will nicht mein ganzes Leben eine Hure sein. Man soll wieder stolz auf mich sein. Jawohl, und wenn ich mich ganz fest anstrenge, dann schaff ich das auch bestimmt, ich muss es einfach. Und wenn dann Carola zu mir in die Stadt kommt, nehmen wir zusammen eine kleine Wohnung. Sie wird arbeiten gehen, und ich werde mir auch wieder eine anständige Arbeit suchen. Wir machen uns dann ein lustiges Leben. Wenn Carola erst mal bei mir ist, dann ist das Leben auch nicht mehr so traurig und trist, und dann kann mich kein Kerl mehr verführen. Wir halten fest zusammen. Jawohl!

Auf einmal sah sie alles klar und deutlich vor sich und glaubte wirklich, alles sei so leicht, sie brauche es nur zu wollen.

»Wann kommst du denn aus der Schule 'raus?«

»In vier Monaten«, sagte Carola.

»Fein!«

»Soll das heißen, dass ich wirklich zu dir kommen darf?«, rief sie ganz aufgeregt.

Paula legte die Stirn in Falten. »Hör zu, Kleines, im Augenblick hab’ ich nur ein kleines Zimmer. Aber ich werde mich sofort auf die Strümpfe machen und für uns eine kleine Wohnung suchen. Dann kommst du zu mir, und wir machen es uns so lustig wie hier, klar?«

»Du bist die beste Schwester auf der ganzen Welt«, sagte Carola überschwänglich. »Und ich hatte schon ein wenig Angst, vor der Zukunft und so.«

»Keine Sorge, Kleine, ich bin ja bei dir.«

»Und was soll ich dann arbeiten, Paula?«

»Darüber mach dir keine Sorgen. Wir finden schon was. Lern du nur fleißig, und dann sehen wir weiter. In einer Großstadt, da gibt es so viele Möglichkeiten. Wir werden schon etwas finden.«

»Herrje, da werden die Mädchen in der Schule sich aber wundern, wenn ich denen sag, dass ich nicht hierbleibe. Die wollen ja alle von daheim fort, aber die meisten haben ja einen Hof, oder ein Geschäft im Dorf, und deshalb müssen sie daheim bleiben und mithelfen. Aber ich komme in die Stadt, und dort ist es bestimmt nicht so langweilig, wie wir es hier im Dorf haben. Und Paula«, sie wurde immer aufgeregter, »gerade vorhin, da hab' ich noch darüber nachgedacht. Eines Tages werde ich eine feine Wohnung mit gekacheltem Bad und schönen Möbeln haben und nicht mehr so mistig leben wie hier. Dann beginnt das tolle Leben. Du, ich freu mich schon schrecklich darauf.«

Ja, dachte Paula, davon hab' ich auch geträumt, damals, als ich von der Schule abging und mir eine Stelle suchen musste. Ma hat sich ja um nichts gekümmert. Sie ist nicht wie andere Mütter, sie ist zufrieden, wenn man sie nicht belästigt. Ein feiner Kerl ist sie, klar, aber sonst! Nein, dachte sie bitter, ich darf jetzt nicht die Schuld auf Ma wälzen, das wäre gemein. Wir haben trotz allem eine feine Jugend gehabt, und ich hab' sie noch immer ganz schrecklich lieb, weil sie eben so ist. Andere Mädchen sind furchtbar wütend auf ihre Mutter, aber ich nicht. Und ich weiß, ich kann immer zu ihr kommen, und sie würde auch nicht mit der Wimper zucken, wenn ich jetzt sagen würde: Ma, ich bleib für eine Weile hier, ich hab' aber kein Geld. Nein, Ma würde mich weder ausfragen noch schimpfen. Sie würde sich riesig freuen und mit der gleichen Fröhlichkeit kochen und plaudern wie immer. Und wenn auch das Geld nicht reichen würde, irgendwie würde sie es schaffen. So ist Ma!

Paula hatte fast Tränen in den Augen, als sie jetzt die Mutter musterte. Sie saß im Sessel am Fenster, war müde vom Waffelnbacken und war eingenickt.

»Wo ist ihr Freund?«, fragte Paula leise.

»Im Knast, kommt aber bald wieder. Aber ich weiß nicht, ob Ma ihn noch will!«

Paula lächelte.

»Sie wird ihn so lange mögen, bis ein anderer auftaucht.«

»Meinst du, dass noch einer kommen wird? Ma ist doch schon so alt«, sagte Carola.

»Wenn Ma auch hundert Jahre alt ist, es wird immer noch einer kommen, Carola. So ist Ma!«

Carola stützte ihren Kopf in die Hände und sagte nachdenklich: »Die Frau des Pfarrers hat mal zu mir gesagt, meine Mutter sei verworfen und kein gutes Beispiel für mich. Sie könne es einfach nicht verstehen, wieso die Behörden zuließen, dass ich noch bei ihr wäre.«

Paula wurde ganz wütend.

»So lässt man sie noch immer nicht in Ruhe?«

»Mir ist das gleich«, sagte das Mädchen. »Ich hör einfach gar nicht hin.«

»Und deine Freundinnen, was sagen die denn?«

»Nichts, aber eigentlich habe ich gar keine richtigen, nur in der Schule, weißt du! Und Freunde?«

Carola wurde plötzlich rot. In diesem Augenblick musste sie an die Begebenheit auf dem Schulhof denken.

»Na, was ist? Mir kannst du es doch ruhig sagen. Wer ist es denn?«

»Wie meinst du das?«

»Bestimmt hast du doch einen Freund. Die Buben müssen doch ganz wild auf dich sein, oder sie müssen allesamt bescheuert sein, wenn sie nicht sehen, wie verteufelt hübsch du bist.« Carola errötete noch mehr.

Paula lachte auf. »Nun, erzähl doch schon. Ist doch nichts dabei, bestimmt kann ich dir noch einen Tipp geben. Ich bin doch deine große Schwester. Vor mir brauchst du dich doch nicht zu genieren. Red schon.«

»Nun ja, also, Paula, kannst du mir mal sagen, warum die Jungen so wild auf Busen sind?«

»Nur auf den Busen? Sag mal, hat dein Macker nicht alle Tassen im Schrank? Wieso, das musst du mir schon näher erklären.«

»Das weiß ich eben nicht, das möchte ich ja so gern von dir erfahren«, sagte Carola mit unglücklicher Stimme. »Wenn ich es wüsste, brauchte ich doch nicht zu fragen.»

Paula hatte das Gefühl, auf Glatteis zu stehen. Zuerst einmal verstand sie überhaupt nichts.

»Nun erzähl mal der Reihe nach. Was ist passiert, und was hat der Junge gesagt? Es war doch ein Junge?«

»Ja. aus unserer Klasse», sagte Carola zögernd. Und dann berichtete sie, was sich in der Pause zugetragen hatte.

Paula hielt für einen Augenblick die Luft an. »Sag mal, mehr war nicht?«

»Nein!«

Sie wäre bald geplatzt vor Lachen. Aber dann spürte sie doch, dass die Schwester es todernst meinte und sie tatsächlich verzweifelt war. Sie bekam einen leichten Schreck. Sie hat doch wohl noch alle Tassen im Schrank?, dachte sie.

Jetzt wusste Paula, dass sie sehr vorsichtig fragen musste.

»Sag mal, du bist doch aufgeklärt und so?«

»Ja, natürlich. Aber ich verstehe dich nicht, was soll das heißen?«

Paula hielt es nicht mehr aus. »Sag mal, hast du noch nie mit einem Jungen geschlafen?«

»Nein, warum auch?« Carola errötete von neuem. Und dann stieß sie wild hervor: »Jungen sind schrecklich. Sie reden blödes Zeug, und überhaupt, die sind alle übergeschnappt.«

Jetzt wusste Paula endlich Bescheid. Die kleine Schwester war noch Kind und doch schon Frau. Sie war noch nicht geweckt, war aber schon unruhig, spürte instinktiv, dass es da noch etwas gab. Und weil sie Angst davor hatte, kapselte sie sich immer mehr ab und baute eine Mauer um sich herum.

Komisch, dachte die junge Dirne, wie verschieden Geschwister doch sein können. Damals, als ich so alt war wie jetzt Carola, Himmel, da hab' ich mit einer ganzen Menge Jungs schon im Kornfeld gelegen, und wir haben unsere Spielchen getrieben. O ja, ich erinnere mich noch gut. Und die Jungen brüsteten sich, und jeder wollte es besser können als der andere. Natürlich waren sie noch keine Männer, und ich habe mich insgeheim über sie amüsiert.

Ich war damals ganz scharf darauf, alles über die Liebe zu wissen. O ja, und dann haben wir den dummen Gerd mitgenommen, der nicht ganz klar war. Elke und ich, wir haben ihn hinter der Scheunentür verführt. Du meine Güte, der konnte es wirklich. Das Dumme war nur, Gerd war dadurch auf den Geschmack gekommen und wollte es jetzt immer wieder. Ich bin dann ja fortgegangen, in die Stadt. Elke musste dann herhalten, damit Gerd sie nicht verpetzte. Ja, und dann hatte sie plötzlich ein uneheliches Kind und verließ das Dorf. Ob das Kind wohl von dem Gerd war? Komisch, jetzt muss ich plötzlich daran denken. Wie doch die Zeit vergeht, und ich bin doch auch erst zwanzig.

Vielleicht bin ich von Grund auf verdorben, vielleicht war es mein Schicksal, dass ich Markus kennenlernte und der mich dann zum Strich schickte. Hat er nicht selbst einmal gesagt: Du bist dafür wie geschaffen. Was anderes kannst du gar nicht mehr machen. Freier bedienen und Geld einkassieren, dafür bist du geboren. Und jetzt hau ab und bring die Mäuse 'ran.

Damals war sie furchtbar wütend auf ihn gewesen und hätte ihm am liebsten die Augen ausgekratzt. Aber jetzt, wo sie Carola vor sich sah, da fühlte sie sich schmutzig, schäbig und gemein und hatte den Wunsch, sich zu duschen. Aber mit Seife und Wasser konnte sie sich nicht mehr reinwaschen. Nie mehr.

»Was soll ich denn tun?«, fragte Carola etwas hilflos.

Paula steckte sich eine Zigarette an und zog sich einen Aschenbecher heran.

»Ich kann dir nur einen Rat geben, lass die blöden Jungs laufen. Und wenn sie dir noch mal zu nahe kommen, dann gib denen eine saftige Ohrfeige. Du wirst sehen, sie lassen dich dann in Ruhe.«

»Man sagt schon, ich sei zurückgeblieben, frigide und all so was. Warum sagen sie das?«

»Damit du wild wirst, und alles tust, was sie von dir wollen. Aber nimm dich in acht, man kann sich nur einmal fortwerfen.«

Carola blinkte aus dem Fenster.

»Paula, hast du schon mit einem Mann geschlafen?«

Paula wurde nervös.

»Warum willst du das wissen?«

»Ich dachte, vielleicht könntest du mir helfen. Ich meine, irgendwann muss ich es ja auch mal tun, nicht?«

»Verdammt noch mal, ich hab' dir doch gesagt, lass dir Zeit.«

Carola lächelte.

»Gut, wenn ich erst mal in der Stadt bin, dann sehen wir uns ja jeden Tag, und wenn es dann soweit ist, dann kann ich dich noch immer fragen. Du lässt mich nicht im Stich, nicht wahr?«

»Nein.«

Carola musste sich jetzt an die Schularbeiten machen. Die Mutter erwachte und begab sich gleich wieder an den Herd.

Benzinmieze Paula: Redlight Street #172

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