Читать книгу Ich liebe Sie, mein Fürst! Fürstenroman Sammelband 3 Romane - G. S. Friebel - Страница 8
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ОглавлениеDas Bestreben des Fürsten ging dahin, sich so verhasst zu machen, wie es nur ging. Er sagte sich — und damit hatte er recht — wenn Fedor mich aus ganzer Seele zu hassen beginnt, dann muss er doch froh sein, wenn er aus meiner unmittelbaren Nähe verschwinden darf. Darauf hatte er seinen ganzen teuflischen Plan aufgebaut.
Zuerst einmal zog er in den Palast des Schwagers und waltete und schaltete, wie es ihm beliebte. Es vergingen kaum ein paar Tage, da Olga nicht zu zittern begann, wenn sie nur seine Schritte hörte, und Fedor in ohnmächtiger Wut dastand und die Hände ballte. Alles Zarte, Güte, was der Vater aufgebaut hatte, wurde brutal zerstört. Die einfache gute Seele des Knaben wurde aufs schändliche verärgert. Der Vater hatte nichts dem Zufall überlassen, und schon gar nicht die Erziehung seines einzigen Sohnes. Er hatte alles daran gesetzt, einen guten Menschen aus ihm zu machen. Er selbst hasste die rauen Sitten, die in seinem Lande üblich waren. Auch hatte er ihn dazu erzogen, immer rücksichtsvoll gegenüber dem weiblichen Geschlecht zu sein.
Was den jungen Fürsten am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass der Onkel gleich in die Gemächer des Vaters zog. Kaum lag dieser unter der Erde, hatte er sich dort eingenistet. Er ließ Fedor nicht lange Zeit, sondern beorderte ihn gleich zu sich, und zwar in das Zimmer, in dem der Vater gestorben war.
Fedor hatte es die ganze Zeit gemieden. Sein Schmerz war noch zu frisch. Er vermisste den Vater überall. So stand er nun auf der Schwelle und schluckte heftig. Noch immer sah er den sterbenden Vater vor sich.
„Komm näher, hierher!“, herrschte ihn barsch der Fürst an. „Hörst du nicht, Bursche? Ich sage nichts zweimal.“
Fedors Wangen glühten auf. Wenn er auch erst siebzehn Jahre alt war, so hatte er doch seinen Stolz.
„Ich bin kein Kind mehr”, erwiderte er trotzig. „Man spricht mit dem Sohne des Fürsten Tschernikow nicht auf diese Weise. Das verbitte ich mir!“
„Meinst du, du könntest das?“, höhnte der Onkel. „Meinst du wirklich, ich würde mich danach richten? Pah! Hast du vergessen, dass du nach dem Willen deines Vaters ganz in meine Gewalt gegeben bist? Meinst du, ich, dein Onkel und Vormund, werde mit dem Eigensinn eines verzogenen Buben Nachsicht haben? Das sind ja schöne Sitten, die dein Vater dir eingebleut hat. Weißt du nicht, dass man Respekt vor den Älteren haben muss? Für diese deine freche Antwort lass ich dich peitschen, damit du in Zukunft weißt, wie du mir entgegentreten musst.“
Fedor war schneeweiß geworden und starrte den Onkel entsetzt an. Nicht, dass er Angst vor einer körperlichen Züchtigung hatte, nein, er war sprachlos über die Frechheit, mit der sein Onkel sich hier aufspielte. Er, Fedor, war vom gleichen Rang, und das wusste der Fürst, und doch tat er, als wäre er nur eine niedrige Kreatur. Der Jüngling wusste, er musste dem Onkel gehorchen, und alle Welt wusste, dass er sein Vormund war. Solange er nicht volljährig war, musste er sich demütig fügen.
Der Fürst riss wie üblich fast die Klingelschnur, ab, und seine Diener stürzten in das Gemach.
Fedor drehte sich langsam um und sah sie starr an. Er kannte diese Männer nicht. Der Fürst hatte sie wohlweislich aus seinem Hausstand mitgebracht, denn die Diener des Fürsten Tschernikow hätten sich lieber entzwei schlagen lassen, als den jungen Fürsten zu schlagen.
„Peitscht ihn durch, er war ungehorsam“, höhnte der Fürst und verschränkte die Arme vor der Brust. Fedor atmete schwer. Man band ihm die Hände auf dem Rücken.
„Der Fluch deines Vaters wird dich ereilen und treffen!“, sagte er. „Eines Tages wird alle Welt wissen, wie grausam und böse du bist. Dafür werde ich schon sorgen.“
Iwanow gab das Zeichen, und erbarmungslos ging die Knute auf den Rücken des Jünglings nieder. Sie riss ihm die Haut auf, und bald blutete er aus zahlreichen Wunden. Doch wenn der Fürst gedacht hatte, er würde ihn um Gnade anwinseln, dann irrte er sich. Fedor, der noch nie geschlagen worden war, erlitt Höllenqualen, doch sein Instinkt sagte ihm, dass er schweigen musste, und kein Laut drang über seine Lippen.
Sie schlugen ihn so lange, bis er ohnmächtig zu Boden glitt. Da erst gebot der Fürst Einhalt. Die Diener lösten die Fesseln und entfernten sich lautlos. Für einen Augenblick glaubte er, der Knabe sei schon tot, und schon wollte er frohlocken. Doch dann durchfuhr ihn ein eisiger Schreck. Wenn er hier in Petersburg starb, im Hause seiner Vaters, würde man ihn als Mörder erkennen.
Also goss er ihm einen Krug Wasser ins Gesicht, und endlich kam er wieder zu sich. Fedor stöhnte leicht auf und erhob sich schwerfällig. Hass glühte in seinen Augen, als der Fürst ihn anblickte.
„Nun hast du gesehen, wie weit meine Macht und Gewalt reicht. Hüte dich also, meinen Befehlen noch einmal Widerstand zu leisten! Und nun höre mich an. Ich bin gar nicht so schlecht, wie du vielleicht denkst. Ich will nur dein Bestes. Wenn ich dich jetzt züchtige, dann nur, um dir eine Lehre zu erteilen. Du bist noch jung, sehr jung, und musst viel lernen. Dein Vater war viel zu nachsichtig mit dir und hat aus dir einen Waschlappen gemacht. Sei dem Schicksal dankbar, dass ich jetzt für deine Erziehung zuständig bin. Ich werde einen ganzen Kerl aus dir machen.
Höre, was ich dir zu sagen habe! Ich eröffne dir die ehrenvolle Laufbahn des Kriegers. In deine eigenen Hände lege ich dein Geschick und deine Zukunft. An dir wird es liegen, ob du hochsteigst und zu höchstem Ansehen beim Hofe kommst, oder ob du ein Nichts bist. So halte dich also bereit, in wenigen Tagen schon wirst du nach Moskau abreisen!“
Fedor, der junge Fürst, hatte ihm schweigend zugehört. Er ahnte dunkel, dass der Onkel ihm nach dem Leben trachtete. Noch wusste er nicht den Grund.
„Ich gehe nicht fort von hier“, sagte Fedor. „Nie werde ich mich von Olga trennen. Ich muss für sie Sorge tragen. Sie ist meine Anverlobte, ich liebe sie. Ich will kein Krieger werden.“
„So? Du gehst nicht?“, sagte der Fürst lauernd. „Heißt das, du willst dich schon wieder widersetzen? Weißt du noch immer nicht, wie ich vorgehen kann?“
„Ich gehe nicht, und wenn Ihr mich zu Tode peitschen lasst“, sagte er mit bebenden Lippen. „Ich gehe nicht nach Moskau, das sage ich jetzt und hier und werde es immer wieder sagen. Zwingen könnt Ihr mich nicht. Noch habe ich genug Freunde in der Stadt, die mir beistehen.“
Der Fürst schrak einen Augenblick zusammen. Der Jüngling war stärker, als er gedacht hatte. Und Freunde hatte er auch. Nun, er musste schnellstens unterbinden, dass er mit diesen zusammenkam, oder sein Plan ging nicht auf. Der junge Gockel musste einfach fort, hatte er doch schon ziemlich tief in dessen Schatulle gegriffen und seine Gläubiger ausbezahlt.
„Gut“, sagte er kalt. „Ich werde dich nicht zwingen, aber dein Ungehorsam, deine freche Widerspenstigkeit soll und muss bestraft werden. Ich gebe dir Zeit zur Überlegung, und in acht Tagen werden wir uns wieder sprechen. Ich kann warten.“
„Ich brauche nicht zu überlegen“, sagte Fedor. „Sie können mich nicht ändern, und ich sage es noch einmal: Ich gehe nicht fort von Petersburg.“
Der Fürst maß ihn mit einem bösen Blick.
„Nun denn, mein lieber Freund“, sagte der Fürst süßlich. „Es soll mir nicht gesagt werden, dass ich meinen Neffen nicht sorgsam erzogen habe. Ich werde alles tun, um dein rüpelhaftes Benehmen aus dir herauszureißen. Wir sprechen uns wieder, ganz gewiss.“
Wieder wurde der Glockenstrang auf das Heftigste traktiert, und wenige Minuten später erschienen die gleichen Diener im Gemach des Fürsten und verbeugten sich tief. Fedor glaubte, dass er von Neuem geprügelt werden sollte und biss schon die Zähne zusammen. Er wusste, diesmal würde er nicht so lange still dulden können, war doch sein Rücken schon zerschunden.
Der teuflische Fürst hatte sich jedoch eine andere Strafe ausgedacht. Mit Prügel konnte er ihm nicht beikommen, das sah er ein. Aber er würde ihn bei Wasser und Brot einsperren lassen. Was sonst nur dem niedrigsten Leibeigenen zustand, das sollte nun er, ein Fürstenkind, erdulden.
Die Diener nahmen ihn und führten ihn fort. Unten im Keller waren mehrere Kammern. Der Vater hatte sie nie als Strafkammern benutzt. Sein Großvater mochte es getan haben. Fedor wusste es nicht. Ehe er sich versah, war er in eins dieser Löcher eingesperrt, und nur zur Mittagszeit erschien ein stummer Diener mit einem Krug Wasser und einem Stück Brot.
So sehr er diesen auch nach Olga und Wasil, den alten Diener, ausfragte, er erhielt keine Antwort. Gebrochen sank er auf sein fauliges Strohlager zurück und sann über seine Lage nach. Würde es von Nutzen sein, wenn er lange alles ertrug? Musste der Onkel dann nicht einsehen, dass er so nicht mit ihm umspringen konnte?
Fedor begann zu beten, nicht nur für sich, sondern auch für Olga, die er liebte.
Sieben Tage waren seither vergangen. Die Lage sah trostlos aus, und da Fedor kaum genug Wasser zum Trinken bekam, wurde sein Zustand erbärmlich. Am achten Tage endlich erschien der Fürst höchstpersönlich unten im Keller und maß den Jüngling mit einem höhnischen Blick.
„Na? Wie geht es uns denn so? Ist man zur Besinnung gekommen? Oder gefällt einem dies Leben so gut, dass man hierbleiben möchte, um es noch weiter genießen zu können?“
Fedor versuchte aufzustehen, doch der Boden war glatt, und er schlug hin. Der Fürst lachte dröhnend.
„So ist es recht, vor mir sollst du knien, um Gnade winseln sollst du, dass du endlich nach Moskau darfst. Meine Geduld ist bald zu Ende. Besinn dich, Knabe!“
„Niemals gehe ich fort“, sagte Fedor fest.
„Wohlan, mein guter Junge, von mir aus. Und du sollst auch nicht mehr so einsam hier dein Leben fristen. Ich will ja alles tun, damit es meinem Neffen an nichts gebricht. Gesellschaft wirst du bekommen, jawohl. Sehr nette Gesellschaft, mein Lieber.“
Fedor konnte sich nicht denken, was der Fürst nun wieder vorhatte. Als er ihm ins Antlitz blickte, sah er dort die helle Schadenfreude aufleuchten.
„Viel Spaß“, wünschte der Fürst ihm noch hohnlachend und verschwand.
Kurz darauf hörte der Jüngling Seidenröcke rauschen und sehnte sich nach einem heißen Bad sowie frischer Kleidung.
Für lange Zeit blieb es still, doch dann plötzlich hörte er seltsame Geräusche. Was sollte das denn nun schon wieder bedeuten?
Alle Häuser bis auf die Schlösser der Zarin waren aus Holz erbaut, so auch das der Fürsten Tschernikows. Und bald bemerkte der junge Fürst, dass an einer Seite seines Gefängnisses ein Loch gesägt wurde. Freudig dachte er an Befreiung und verhielt sich ganz still. Man hatte ihn also doch nicht vergessen. Bestimmt war es der alte Wasil, der ihm zu Hilfe eilte. Er sah einen dunklen Schopf und die scharfe Säge. Das Loch war sehr klein, Fedor hätte vor Enttäuschung weinen können. Da konnte er im Leben nicht durchschlüpfen. Ein Kind vielleicht, aber doch nicht er!
Er sprang auf und wollte endlich wissen, was das alles bedeuten sollte. Doch die Gestalt war verschwunden. Was er sah, war nur ein Gemach, wie er es bewohnte. Nicht schöner und hässlicher.
Und wieder hörte er Schritte auf dem Gang und blieb reglos stehen. Nebenan wurde die Tür geöffnet, dann wieder geschlossen. Als alles still blieb, ging er zur Öffnung und blickte hindurch Wie erschrak da er arme Jüngling.
„Olga!“, sagte er heiser, und seine Augen wurden feucht.
„Liebster!“ Das junge Mädchen hatte ihn entdeckt und eilte zu ihm.
Sie sahen sich lange stumm an. Nur die Hände konnten sie sich reichen. Das war also die Gesellschaft, und er Esel hatte an Befreiung gedacht.
„Was hat er mit dir gemacht, Liebste? Wie ist es dir ergangen? Bitte, erzähle mir alles! Wie sehr habe ich mich nach dir gesehnt. Waren wir doch immer beisammen und so fröhlich und voller guter Dinge. Endlich, endlich sehe ich dich wieder und darf deine Stimme hören und mich an deinem Anblick erfreuen.“
Die Augen der jungen Fürstin erstrahlten, und ein Lächeln spielte um ihre weichen Lippen. Sie war so jung, so liebreizend. Fedor schluckte.
„Ach, liebster Fedor, du kannst dich nicht so sehr nach mir gesehnt haben wie deine arme Olga sich nach dir. Ich war so einsam und verlassen. Niemand durfte sich um mich kümmern, nicht mal meine Dienerinnen, nur der Wasil, und er konnte mir auch nicht sagen, was mit dir geschehen war. Da wurde ich sehr traurig und habe den ganzen Tag geweint, bis endlich der Fürst wiederkam. Du musst wissen, er war auf einer Reise, und niemand wusste, wann er wiederkäme.“
Sie seufzte und wischte sich die Tränen fort.
„Als er nun wieder hier war“, erzählte sie weiter, „da warf ich mich vor ihm auf die Knie und bat ihn, mich zu dir zu lassen. Ich könne ohne dich nicht leben. Erst sträubte er sich und wollte nicht, bis er endlich nachgab unter der Bedingung, dass ich ganz und gar dein Los teilen müsse, deine Leiden und deine Entbehrungen, bis du verständig geworden wärest und dich nicht mehr eigensinnig gegen dein Glück sträuben würdest. Lieber Fedor, du warst doch sonst so gut und gehorsam, warum denn jetzt nicht? Sieh, ich bin zu dir gekommen, weil ich dich zur Vernunft bringen will. Du darfst nicht länger hier unten bleiben. Wie siehst du denn aus!“
Fedor lief in seinem Gefängnis auf und ab.
„Ja, weißt du denn nicht, Olga, was der Fürst von mir verlangt?“, rief er aufbrausend.
„Nein, er hat es mir nicht gesagt.“
„Nun, so will ich es dir sagen, und du wirst gewiss mir recht geben, dass ich diesmal eigensinnig bin. Sieh, der Fürst will, dass ich dich verlasse, mich vielleicht für viele Jahre von dir trenne und nach Moskau gehe, um Soldat zu werden. Ich will aber nicht. Erinnerst du dich nicht, dass ich unserem Vater noch wenige Minuten von seinem Tode versprach, dich nie zu verlassen?“
Olga, die junge Fürstentochter, wurde totenblass. Ihre kleinen Hände klammerten sich an Fedors fest, und sie flüsterte: „Nein, du darfst mich nicht verlassen, niemals darfst du dich von mir trennen. Unsere Väter wollten diese Verbindung und wir auch. Wir lieben uns doch, Fedor. Du hast es mir so oft gesagt, so oft!“
„Ja natürlich, und weil ich dich liebe, weil ich nicht will, dass du bei diesem schrecklichen Menschen allein zurückbleibst, darum widersetze ich mich ja auch und ertrage das alles. Liebste Olga, so weine doch nicht mehr!“
„Wie kann er nur so böse sein, Fedor? Ich bleibe so lange bei dir, bis man dich freilässt.“
„Er ist grausam und böse und hat mich von seinem Diener durchpeitschen lassen“, sagte Fedor düster.
Olga schrie entsetzt auf, und helle Tränen rannen über ihr Gesicht.
„Gräme dich nicht darüber, es ist nun vorbei und vergessen. Du wirst sehen, wenn der Fürst erst einmal sieht, dass ich mich nicht beuge, dann wird er uns wieder freilassen. Und wenn ich erst mal das Haus verlassen darf, eile ich zu meinen Freunden und werde ihnen erzählen, wie schändlich man an uns handelt, und der Adel und die Zarin werden uns helfen, dass wir von diesem schrecklichen Onkel befreit werden.“
So sprachen sich die beiden Mut zu und wurden auch schon wieder etwas fröhlicher. Sie waren ja beieinander und konnten sich alles erzählen. So verging die Zeit viel schneller. Auch als der Fürst kam und sie hämisch fragte, ob man denn traulich turtele, schwiegen sie beide und sahen ihn nur stumm an. Auf keine seiner bösen Fragen bekam er eine Antwort. Fedor und Olga lebten wie zwei Gefangene und erlitten alles geduldig.
Vielleicht hätten sie auch den Widerstand des Fürsten durchbrochen, zumindest wären die Freunde selbst erstaunt gewesen, hätte sich der junge Fürst nicht mehr gezeigt. Aber es sollte anders kommen.
Fedor litt still, und er hätte es auch so weiter gemacht. Aber auf der anderen Seite wurde es von Tag zu Tag stiller. Olga wurde matt und welk, aber das war noch nicht das Schlimmste. Eines Morgens begann sie bös zu husten, und leise hauchte sie, sie habe Fieber, ihr wäre sehr heiß und sie könne nicht mehr aufstehen. Der bittere Winter und die eisige Kälte ließen die Gefängnisse zur Eisgruft werden. Das zarte, wohlbehütete Mädchen in den leichten Kleidern war das erste Opfer.
Er gab ihr durch das Loch seine Jacke, doch sie nützte nicht viel. Und niemand brachte wärmere Decken, so sehr er auch die Aufpasser darum bat. Er wusste, blieb sie noch länger hier, so würde sie sterben. Der Fürst kam und sah ihn düster an.
„Von der Minute an, wo du dich nicht mehr störrisch erweist, wird die Gute all das bekommen, was ihr zusteht. Stirbt sie hier, so bist du ihre Mörderin.“
Um das geliebte Leben zu erhalten, nickte Fedor. Sofort wurde Olga von ihren Dienerinnen abgeholt. Auch Fedor durfte wieder in seine Gemächer ziehen. Ärzte kamen und umsorgten Olga, und sie bekam alles, was einem Fürstenkind zustand. Nach einer Woche hatte man das böse Fieber besiegt und man wusste, Olga würde nicht sterben. Fedor hätte sich freuen müssen, doch schwer lag es ihm auf der Seele. Um welchen Preis hatte er sein Glück hergeben müssen!
Der junge Fürst stand am Fenster im zweiten Stock und blickte auf die Straße. Welch ein lustiges Leben herrschte dort draußen. Die Troikas mit den lustigen schnellen Pferdchen glitten schellenläutend an dem Haus vorüber. Und dann die Kosaken in ihren bunten Trachten, die Markt- und Bauersfrauen, und dort hinten lief ein vornehmes Fräulein in Pelz gehüllt. Sie alle zeigten lachende Gesichter. Der Schnee wirbelte in dicken Flocken vom Himmel. Die Kinder liefen lachend und kreischend durch die Menge, einige zogen primitive Schlitten hinter sich her, andere versuchten zu schlittern, purzelten hin und standen lachend wieder auf.
Fedor seufzte, als er all das gewahrte. Er lebte wie ein Gefangener in seinem eigenen Hause. Mochte es auch noch so prachtvoll sein, schöner und größer als alle anderen Häuser auf der Straße. Jetzt sah man zwar nicht sehr viel von den reich geschnitzten Dächern, den Altanen, und Vorbauten, denn alles war mit Puderzucker überzogen. Aus den Schornsteinen quoll Rauch in den klaren hellen Himmel.
Wie hatte er sich immer auf die Zeit in Petersburg gefreut. Wie hatte der Vater sich um ihn gesorgt, ihn zu kleinen Festen mitgenommen, ins Theater und Ballett. All die kleinen heiteren Abwechslungen hatten das Leben so liebenswert gemacht.
Dann war Olga zu ihnen gezogen, seine heiß geliebte kleine Braut. Er wünschte sich nichts sehnlicheres, als schon erwachsen genug zu sein, um sie zu heiraten. Dann konnte er sie vor aller Welt beschützen und sie lieb haben, und sie brauchten sich nie mehr zu trennen.
Auch als sie wegen der Trauer um Olgas Vater nicht gleich wieder auf Feste und Bälle gehen konnte, so hat der gute Vater es doch verstanden, ihnen stets eine kleine Freude zu machen.
Fedor dachte sehnsüchtig an seine vielen Freunde, mit denen er so manchen Ritt durch die Wälder unternommen hatte. Auf Jagden waren sie auch schon gewesen. Warum kamen sie nicht zu ihm, um ihn zu befreien und zu trösten? Wenn sie wüssten, wie gemein der Onkel zu ihm war, würden sie bestimmt alle Welt davon in Kenntnis setzen. Doch Fedor wusste ganz genau, sie kamen nicht, weil er in Trauer war. Der Vater war tot, und sie hielten sich fern, damit er erst einmal zu sich selbst zurückfand. Das war der Grund, warum sie sich jetzt nicht bei ihm meldeten.
Und anfangs hatte er gedacht, wenn er erst mal wieder aus dem schrecklichen Verlies raus wäre, dann würde er auch das Haus verlassen können. Doch der Onkel ließ ihn scharf bewachen, und die Diener wussten, würde ihnen der junge Herr entwischen, er würde sie alle totschlagen. Nein, sie ließen ihn nicht aus den Augen. Er konnte schon froh sein, dass er Olga besuchen durfte, das war auch alles. Sonst saß er tatenlos herum und starrte die Wände an. Und so verging über eine Woche, und der junge Fürst glaubte schon, der Onkel habe ihn vergessen.
Wasil, unser treuer Freund, wo ist er?, dachte er oft. Wasil muss doch wissen, wie es um mich steht. Warum kommt er nicht, um mir zu helfen? Oder hat der Onkel vielleicht auch ihn eingesperrt? Bei dem Gedanken, der greise Mann möge auch dort unten in der eisigen Gruft sein, durchschauerte es ihn.
Wie sehr hasste er den Onkel. Wenn er nur gekonnt hätte, auf der Stelle hätte er ihn mit seinem Degen durchbohrt.
Da ließ dieser ihn eines Morgens zu sich rufen. Schweren Herzens schickte Fedor sich an, vor ihm zu erscheinen. Mit kaltem, finsterem Gesicht empfing ihn der Fürst und sagte: „Fedor, die Zeit ist gekommen. Ich kann es nicht länger dulden, dass du deine Tage in trägem Müßiggang verträumst. Halte dich bereit, nach Ablauf einer Stunde abzureisen. Du kannst inzwischen von deinem Bräutchen Abschied nehmen. Du siehst, ich bin gütig, wenn du meinen Befehlen gehorchst. Geh, und sei dankbar für meine Gnade, die du, wie du dir selbst sagen musst, nicht verdienst.“
Die Röte schoss dem jungen Fürsten ins Gesicht ob dieser schamlosen Rede. Er ballte die Hände hinter seinem Rücken. Und doch, er musste ein bescheidenes Gesicht machen und noch bitten.
„Fürstlicher Onkel, ich will dein Diener sein, ein willenloses Werkzeug in deinen Händen, ich will dir gehorchen, nur reiße mich nicht von Olga, die ja die einzige Freude meines Lebens ist! Ich kann ohne sie nicht leben. Und was sollte aus Olga werden? Sie wird dahinsiechen, wenn ich nicht bei ihr bleibe.“
„Es kann nicht sein“, erwiderte der Fürst. „Geh und mach dich fertig! Mein Entschluss ist gefasst, du musst nach Moskau!“
„Und wenn ich lieber sterben als gehen will?“, rief er leidenschaftlich.
„So stirb und verdirb Olga mit dir“, höhnte der Onkel.
Fedor sah, dass nichts mehr für ihn zu hoffen war. Ohne noch einen Versuch zu machen, das erbarmungslose Herz des Fürsten zu rühren, wandte er sich um und ging aus dem Gemach. Als er in das Gemach seiner Braut trat, war er bleich wie ein Toter, aber er lächelte. Doch Olga sah sofort, dass er litt.
„Oh Liebster, was ist dir?“, flüsterte sie angstvoll.
„Nichts, meine liebe Olga, mich drückt nur der Schmerz.“
„Du willst mich verlassen?“, hauchte sie.
„Olga“, sagte Fedor, und seine Lippen zitterten bei der Anstrengung, nicht seine wahren Gefühle zu zeigen. „Olga, ich bin kein Knabe mehr, ich kann nicht immer so untätig hier herumsitzen. Ich will Soldat werden und, das wünscht Fürst Iwanow auch. Ich selbst sehne mich danach. Wir müssen uns also trennen, liebste Olga.“
„Fedor“, rief das junge Mädchen bestürzt. „Mich willst du verlassen? Nein, nein, das wirst du mir nicht antun, ich habe doch nur noch dich auf dieser ganzen weiten Welt.“
„Weine doch nicht, liebe Olga, sieh, wenn es mir doch so viel Freude macht! Und gewiss werden wir uns bald wiedersehen, Moskau ist ja nicht so weit!“
Olga blickte ihn ruhig an. Sie las aus seinen trauervollen Zügen, was er ihr verbergen wollte. „Fedor, du lügst“, sagte sie heftig.
Fedor schüttelte den Kopf. Das Herz wollte ihm fast brechen. Er konnte die zarte Olga nicht leiden sehen.
„Ja, er lügt, Olga“, sagte in diesem Augenblick eine bebende Stimme hinter ihm. „Er lügt, aber nur seine Liebe zu dir zwingt ihn zur Lüge!“
Wasil stand in der Tür und streckte die zitternden Hände nach ihnen aus. Fedor sprang auf und umarmte ihn stürmisch.
„Geht es dir gut, Alter? Warum kommst du erst jetzt?“
„Man hat mich nicht zu euch gelassen. Fedor, ich weiß alles“, fuhr er flüsternd fort. „Meine Augen sind noch nicht blind,.und ich kann noch sehr gut hören. Glaube ihm nicht, Olga! Der Fürst zwingt ihn, sich von dir zu trennen. Ich kenne ihn! Sein böser Wille ist stark, und seine Macht reicht weit!“
Da konnte Fedor nicht mehr an sich halten. Er umschlang Olga heftig und küsste sie.
„Nein, du Gute, du Liebe, nein, nicht freiwillig verlasse ich dich! Der Fürst ließ mir die Wahl zwischen deinem Tod und meinem Elende, und da weißt du wohl, welches Los ich erwählte. Niemals hätte ich freiwillig mein Schicksal von dem deinigen getrennt!“
„Und glaubst du, Fedor, dass ich nun, wo ich alles weiß, mich von dir trennen werde? Nein, Fedor, wir werden zusammenleben, zusammen leiden und wenn es Gott will, zusammen sterben. Du darfst nicht von mir gehen, Fedor, du darfst mich nicht verlassen! Ich kann ohne dich nicht leben.“
„Er muss“, sagte der alte Diener. „Mache ihm das Herz nicht schwer, Olga! Die Zeit der Vergeltung wird kommen, und sie ist vielleicht näher, als wir denken. Die Pläne des Bösen sind auf Sand gebaut, und ein einziger Windhauch kann sie zerstören. Ihr seid jetzt in des Fürsten Gewalt, und darum müsst ihr euch seinem Willen beugen, damit er nicht noch Schlimmeres an euch tut, als er in seinem bösen Trachten beabsichtigt. So scheidet denn, aber scheidet mit einem Herzen voll Hoffnung, voll treuer Liebe, die alles erträgt und alles überwindet!“
Olga weinte still vor sich hin. Immer wieder umarmte sie den Liebsten. Das blauschwarze Haar löste sich und umhüllte Fedor wie ein Mantel. Immer und immer wieder küssten sie sich.
„Ich werde dir jeden Tag schreiben, Liebster. Ich werde für dich beten, ich werde jede Minute an dich denken.“
Fedor nahm ihr zartes Gesicht in seine Hände und sah ihr lange in die Augen. Wie jung sie doch noch ist, dachte er erschüttert, und doch so reif. Ach, wäre ich doch älter, viel älter!
„Meine Liebste, meine Liebste!“, sagte er zärtlich.
Helle tränen liefen über ihr Gesicht. Er küsste die zuckenden Lippen. Wann würde er sie wiedersehen? Wann?