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Tiger mit Rasterzöpfen im Fenster
ОглавлениеAm Morgen habe ich keine Lust aufzustehen. Ich ziehe die dünne Decke hoch und fühle dem Gedanken nach, einfach im Bett zu bleiben. Mein Geist ist genauso schwer wie mein Körper. Draußen strahlt es weiß, drinnen im hohen Zimmer ist recht frisch, die Heizung nur lauwarm.
Wieso muss ich mich entscheiden? Aus welchem Grund darf ich nicht das tun, wozu ich hier und jetzt in der Lage bin? Nämlich gar nichts, mich zurückziehen, verstecken und ab und wann durch das Fenster blicken, auf das karge Feld und einen dunklen Streifen des Waldes in der Ferne. Vor mich hindösen. Nichts an mich heranlassen. Weder Schmerzen noch Gefühle. Und keine Gedanken. Endlich mir selbst entkommen.
Die Überlegungen haben leider einen grundsätzlichen Makel: sie lassen sich nicht weiter spinnen. Ich kann doch nicht unendlich lang im Bett liegen. Die Überreste der Logik in mir wissen es. Außerdem bin ich nicht allein im Zimmer. Irgendwann werde ich die unbequemen Fragen von Beata beantworten und mich hochrappeln müssen, das Triviale erledigen. Mein Körper zwingt mich früher oder später, ihn wahrzunehmen. Deswegen lautet die Frage nicht, aufstehen oder nicht, sondern nur wann. Der Schlaf verflüchtigt sich endgültig. Der Morgen wacht auf und geht zum Klinikalltag über.
Es sind selten die großen Entscheidungen mit dem lauten Tamtam eingeläutet, die die Weichen in unserem Leben stellen. Das Wesentliche verbirgt sich oft in unscheinbaren, unauffälligen Vorgängen, die wir nicht mal bewusst wahrnehmen, während sie geschehen. Wenn wir versuchen es aufzuspüren, ähnelt unsere Suche der Jagd auf den Heiligen Gral – niemand hat ihn gesehen, wonach also sollen wir fahnden?
Die wichtigen und die unwichtigen Dinge vermischen sich im Tiegel der Tage bis zur Unkenntlichkeit. Reicht diese Behauptung als eine Erklärung dafür, dass ich meist falsch mit meiner Einschätzung lag? Im Irrgarten des Lebens gibt es keine Wegweiser, dafür aber genug falscher Hinweise. Ich frage mich oft, an die Gabelungen meines Schicksals angekommen, was wäre aus mir geworden, wenn ich einen anderen Weg eingeschlagen hätte?
Noch liegend stecke ich mein Bein heraus. Alles in mir wehrt sich heftig, als ich den ersten Schritt aus dem Bett vollbringe, eine Leistung am heutigen Tag wie für andere das Erklimmen eines hohen Berges. Dabei fühle ich mich wie ein Stück Treibholz, das mitnichten eine Richtung vorgibt. Es wird wohin auch immer getrieben, nachdem es in den Fluss hineinstürzte.
Die Bewegungsmeditation findet am Dachboden statt. Ich hätte auch spazieren gehen können. Zwischen diesen beiden Eventualitäten dürfen und müssen Patienten wählen. Hauptsache, sie bewegen sich und verlassen ihre Zimmer. Ich entscheide mich für das Unbekannte.
Es ist acht Uhr. In dem langen Saal mit schrägen Wänden, sperrigen Säulen und grauem Teppich liegt noch düsterer Schatten als Frau Müller hereinschreitet. Was für eine Erscheinung in der Frühe! Zum Wachwerden! Ihre Gestalt übertrifft jegliche Erwartungen und fällt aus jedem Rahmen. Als ob man sie aus einem anderen Kontext herausgerissen – einem indianischen oder afrikanischen – und hierher gezaubert hätte, wirkt sie genauso exotisch wie ein bunter Papagei unter den Sperrlingen. Ihre gebundenen schwarzen Rasterzöpfe stehen zu Berge, dadurch erscheint sie noch größer und schlanker als sie ist; die grellen Farben ihrer Kleidung springen ins Auge und kontrastieren mit ihrem blassen Antlitz. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie plötzlich einen Federbusch aufsetzen und einen ekstatischen Tanz ausführen würde, oder eine Trommel herausholte, um afrikanische Rhythmen zum Besten zu geben. Stattdessen plumpst sie auf den Boden, schmeißt ihre Tasche links von sich, stellt ihre schwarze Musikbox mit zwei Lautsprechern rechts auf und streichelt flüchtig über das Foto eines Mannes darauf. Ihre langen Beine kreuzt sie zum Lotussitz, reißt ihre Stiefel herunter und zieht ihre zwei Socken in zwei verschiedenen Farben aus.
Nach dem flinken Intermezzo ist sie bereit und lächelt uns an. Ich erhole mich allmählich vom dumpfen Staunen, wie jemand, vor dem sich auf der Wüste urplötzlich eine Oase auftut und der ein Weilchen braucht, um zu sich zu kommen.
Wie hast du es geschafft, so wie du bist, zu überleben? Was hat dich hierher verschlagen und wieso willst du dich mit uns, den Bescheuerten, abgeben? Sie spürt meinen aufdringlichen Blick und erwidert ihn - wie ich empfinde – sichtlich verschnupft. Meine Augen flüchten sofort, ich senke meinen Kopf, suche etwas, worauf sich mein Blick stützen könnte, finde nichts und hebe mein Haupt hoch zum schrägen Dachfenster. Der Himmel erhellt sich nur ein wenig. Es wird ein grauer Tag.
Die Neuen sollen nachmachen, was sie uns zeigt, sagt Frau Müller und kämmt über uns wachsam, ernste Miene, schwarzglänzende Augen. Wir folgen ihr auf Kommando widerstandslos. Gemeinsam begrüßen wir halblaut die augenblicklich nicht vorhandene Sonne, öffnen ein imaginäres Fenster und umarmen unsere Tiger! Ein Grüppchen Frauen schlägt ihre Arme übereinander und schaukelt ihr persönliches Raubtier. Ich schaukele es auch und komme mir ganz blöd vor. Das ist doch ein wahrer Kindergarten, pruste ich in mir und wehre mich vor der Lächerlichkeit des Mitmachens, das aus unerklärlichen Ritualen besteht.
Es sei ein chinesischer morgendlicher Gruß, erklärt Frau Müller und entfesselt in mir ein Bild von Unmengen Chinesen, die die imaginären Fenster aufreißen und ihre gefährlichen Gespenster in den Armen wiegen. Eine bizarre Vorstellung. Chinesen. Tiger. Rasterzöpfe. Tiger mit Rasterzöpfen? Das kann doch nicht wahr sein!
Die von uns begrüßte Sonne lässt sich nicht herauslocken. Der steingraue Himmel lugt grimmig auf unsere irrealen Tiger herunter. Nun, ich fühle den meinen überhaupt nicht. Wo bist du, mein Tiger? Habe ich dich jemals gehabt? Ich kann mich nicht mehr entsinnen. Wann verlor ich meine Krallen? Ich ängstige mich vor übermächtigen in meinen Augen Gegnern und zittere vor der nächsten Minute, Stunde, vor dem nächsten Tag. Ich verstecke mich vor den Menschen in der Ecke und ziehe die Decke über den Kopf. Nein, ich bin kein Raubtier. Ich bin ein Opfer.
Nach einer halben Stunde ist es vorbei. Ich kehre in den Gemeinschaftssaal zurück, trinke einen heißen Kaffee und versinke in den verwirrenden Eindrücken. Der Auftakt zum hiesigen Alltag lässt sich nicht einordnen, nur bestaunen. Ich hätte ihn als… hm… verrückt bezeichnet. Wenn die Verrückten verrückt treiben, heben sie dadurch ihre Verrücktheit auf?
In dem verglasten Wintergarten – ohne Blumen, stattdessen mit Verrückten - oder eher im Käfig, man kann es aber in guten Momenten auch als Schiff bezeichnen, ein Schiff, das in den Abend oder Nacht reinfährt, sitze ich allein am Tisch. Auf dem Sofa unweit von mir strikt vor sich hin bunte Wolle eine mollige Frau, die ich nicht kenne und die von mir keine Notiz nimmt. Meine Hände an dem Becher wärmend, konstatiere ich, dass mich die sogenannte Meditation für eine Weile von allem, was mich quält, abgelenkt hat.
Um neun geht es weiter. Diesmal ist das keine Pflichtveranstaltung. Ich entscheide mich aber kurzerhand mitzumachen. Damit schließe ich mich einer Minderheit an. Die Mehrheit meidet die Klinik-Kür. Sie stricken, plaudern, rauchen draußen vor der Glastür oder verschwinden in ihren Zimmern. Keine der Alternativen kommt für mich in Frage: Ich flüchte vor mir selbst und will weder mich mit anderen unterhalten, noch den ganzen Tag allein im Zimmer hocken, meinen zersetzenden Gedanken ausgeliefert. Folgerichtig bleibt mir nichts anderes übrig, als mich beschäftigen zu lassen. Es ist eine Entscheidung, die zwar nach einem freien Willen aussieht, sich aber bei genauerem Hinschauen als eine erzwungene Handlung entpuppt. „Frei entscheiden“ klingt in diesen Umständen wie ein Hohn. Nichts ist frei in mir und um mich herum. Die Angst treibt mich auf den Gängen der Klinik vor sich hin.
Ich setze mich erneut auf dem Dachboden im Schneidersitz – in einer Position, in der meine Beine zu brechen drohen - im gleichen Raum mit gleicher Frau, die uns diesmal durch eine Stunde Yoga führen soll. Davon verspreche ich mir zwar nicht viel, dennoch interessiere ich mich für die Erscheinung von heute Morgen, für Frau Müller. Sie ist ein Rätsel und ein undefiniertes Versprechen.
Wir bilden wieder wie schon davor einen Kreis. Dieser Form misst Frau Müller eine große Bedeutung bei. Sie fischt aus der Tasche ein Buch heraus und liest irgendwelche Weisheit vor, dem heutigen Tag gewidmet, die ich überhöre. Ihre Worte rauschen an mir vorbei und versinken, bevor ich sie verstehe. Hinterher schaltet sie ihre Box an. Es ertönt ein monotoner Gesang. Stets wiederholte Vokabeln ähneln magischen Formeln: Gobinde… Mukande… Udare… Apare… Die bizarren Laute breiten sich aus und fesseln uns an sich.
Ich verstehe keine Silbe von dieser schamanischen Zauberei. Soll sie unsere quälenden Geister vertreiben? Dass die Worte überhaupt eine Macht haben, steht für mich außer Frage. Sie verkünden uns sowohl ein erbarmungsloses Urteil wie ein wohliges Lob. Nehmen wir als Beispiel die einsilbigen Bekundungen wie „Ja“ oder „Nein“, die uns auf den Gipfel heben, oder in den Abgrund stürzen. Handelt es sich in diesem Fall jedoch um die Kraft des Wortes oder des Menschen dahinter?
Die Worte besitzen dennoch eine eigenständige Existenz, die sie erringen, sobald sie unseren Mund verlassen. Manchmal werden sie, egal ob aufgeschrieben oder verlautet, weiter und weiter gereicht, bis sie die Menschen und die Welt verändern. Solche Worte gibt es bestimmt. Ich bezweifle jedoch, dass der ganze Hokuspokus dazugehört.
Der Klang wird eindringlicher, er fährt in mich hinein und erschüttert mich auf eine unbehagliche Art. Schmerzhaft. Ich sträube mich gegen die jaulende Musik, die an meinen Nerven kratzt. Wie Styropor an der Scheibe. Ihren musikalischen Wert kann ich im Nu überhaupt nicht einschätzen. Darum geht es auch nicht. Sondern was sie sozusagen von mir will. Ja, sie will etwas von mir. Sie übt einen Druck auf mich aus. Ich wehre mich dagegen! Damit kann ich nicht umgehen. Ich misstraue ihrer beschwörenden Intention, die mich in ihren Bann zu ziehen versucht. Aufhören! Bitte! Ich blicke zu Frau Müller. Merkt sie, wie es mir ergeht?
„Es wird viel zu viel angestarrt – ihre Stimme vibriert vor Ärger, sie schaltet die Box aus und setzt zu einem längeren Redebeitrag an – Zu viel angestarrt und überrollt. Wohin Sie auch hingehen, merken Sie, wie Sie richtig angeglotzt werden. Die Menschen starren Sie schamlos an, als wären Sie ein Affe im Zoo. Wieso eigentlich? Hören Sie damit auf! Hören Sie auf, anzustarren! Das führt nirgendwohin! Kehren Sie zu sich zurück und bleiben Sie bei sich! Sie haben genug eigener Probleme. Arbeiten Sie daran und beschäftigen Sie sich nicht mit den anderen. Schließen Sie am besten ihre Augen.“
Während ihrer für mich vollkommen überraschenden Proklamation haftet ihr Blick Gott sei Dank nicht mehr an mir, ihre Augen springen von einer zu der nächsten Patientin und erfassen uns alle. Dennoch glaube ich, dass sie mich meint, mehr als die übrigen, und fühle mich schuldig. Schuldig nicht aus dem Grund, dass ich etwas angestellt hätte, aber weil ich zu schwach bin, um mich einem Verdacht zu widersetzen. Meine Schuld besteht demnach darin, nicht stark genug zu sein, nicht ebenbürtig, sondern undefiniert, erst im Entstehen, wie gefangen in einem Kokon, aus dem ich mich selbst nicht befreien kann. Sie dagegen verstrahlt jene Stärke, die mir fehlt. Und… Wut. Ich traue mich nicht mal, dieses Gefühl zu benennen. Der Begriff selbst erschüttert mich mit seinem Potenzial der Vernichtung, noch mehr die Vorstellung, dass sich die Wut gegen mich richtet. Eine aufbrausende Person jagt mir einen Schreck ein, unabhängig von Ursache und Anliegen. Ich verstehe mich dann als eine Zielscheibe oder eher ein Blitzableiter, der das Unheil auf sich zieht. Für einen Blitzableiter ist es seine Bestimmung, für mich ist die auf mich gerichtete Wut ein Höllenfeuer, in dem ich verbrenne.
Sie erschreckt mich und kränkt zugleich. Ihre Standpauke passt nicht in diesen Raum, in dem wir lediglich gemeinsam Yoga-Übungen ausführen sollen. Weder ist sie eine Mutter noch ein Priester. Sie verwischt Rollen und Regeln und fordert uns auf.
Ihr wütender Ton fordert uns auf.
Ihr glühender Blick fordert uns auf.
Wir müssen etwas tun. Oder unterlassen. So genau verstehen wir aber nicht, was sie meint. Wir erstarren wie Kaninchen vor der Schlange. Frau Müller schauen wir dabei nicht an. Sie hat dies doch verboten. Oder nicht?
Mit ihrer Wut entblößt sie sich vor uns. Und wir wohnen zwangsläufig ihrem Striptease bei. Sie reißt sich keine Kleider vom Leib. Was sie uns zeigt, sind ihre unverhüllten Gefühle. Sie zeigt uns ihre Gefühle in allen Facetten und verbirgt sich nicht hinter Masken und Floskeln; sie lässt uns im Entstehen des Erlebens teilnehmen. Wir - die stummen Voyeurinnen ihres Gemüts – sind demnach keine unbeteiligten Zuschauerinnen. Wir können nicht anders als in ihre pulsierenden Empfindungen einzutauchen. Weil wir nicht imstande sind, eine Distanz einzuhalten. Das ist unser Problem. Wir schwimmen in fremden Gefühlen, als wären sie unsere, und manchmal gehen wir unter.
Die Gefühlsmischung, die Frau Müller ausdünstet, verängstigt mich einerseits, anderseits bewegt mich zum Mitleiden. Das Mitleid erfasst alle Frauen um mich herum. Ich leide mit ihnen, obwohl ich nicht genau weiß, wie und was sie empfinden. Ähnlich einer Welle rollt mein Mitleid voran und verschluckt alles, was ihm im Wege steht. Mein Leid vermehrt sich mit jeder Person.
Ich fühle mich schrecklich müde, sodass ich auf der Stelle in den Schlaf versinken könnte. Ich schließe meine Augen. In der Dunkelheit wachen auf die sich aufdrängenden Gedanken oder eher unfertigen Gedankenansätze, die mich mit ihrer Unvollständigkeit provozieren und beunruhigen, und die weder Gobinde noch Mukande davonjagen schaffen. Trotz ihrer Unvollständigkeit verlieren sie nichts von ihrer Aggressivität. Sie wetzen ihre Krallen und greifen mich an. Udare… Apare… Ich stemme mich dagegen. Sie weichen nur ein wenig, aber sie sind immer noch da. Und ich in ihrer Macht. Meine Gedanken, das Produkt meines Geistes, nabeln sich von mir ab und obsiegen mich und meinen Widerstand. Was bleibt von mir übrig, wenn sich das, was einen Menschen als Menschen ausmacht, von mir entfremdet?
Ein dumpfer realer Schmerz bohrt sich in mein Hirn hinein. Ich strecke meine erschlaffene schmerzende Beine aus, knicke sie aber gleich erbarmungslos wieder, um nicht aufzufallen. Auch wenn ich am liebsten sofort rausginge, strenge ich mich an und traue mich nicht, aufzuhören. Es hätte im Endeffekt bedeutet, ganz allein mit mir selbst zu sein.
Yoga beeinflusst die Zeit, die sich ungemein zieht und nicht vergehen will. Ich zähle die zähen Sekunden und bete, dass ich diese Folter überstehe. Die Muskeln und Knochen, auch die, über die ich nicht mal wusste, dass ich sie besitze, bemerke ich auf einmal deutlich; sie drohen zu zerreißen, zu zersplittern. Der physische Schmerz übertönt nach und nach jede andere Empfindung, er breitet sich in mir wie ein Feuer im trockenen Wald aus und wütet in meinem Schädel.
Mein geschundener Körper versetzt mich in die früheren Epochen und in das Schicksal der Gefolterten. Ich verstehe im Nu die Bereitschaft der Malträtierten, alles zu gestehen, um die Qual zu beenden. Hätte mir jemand jetzt eine Frage gestellt, würde ich alles aussagen, was er hören will. Der allmächtige Schmerz erfüllt mich von Kopf zu Fuß und besiegt mein Leib und meine Seele. Er vernichtet schließlich die Zeit und den Raum und übernimmt die Alleinherrschaft über mich und die Welt.
Dennoch gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen den Folteropfern und mir: Niemand zwingt mich dazu! Ich quäle mich aus freien Stücken. Weder Frau Müller noch sonst jemand hat mir befohlen hierher zu kommen. Außerdem hätte ich aufstehen und durch die Tür ruhig herausgehen dürfen. Stattdessen bleibe ich wie zugenagelt sitzen im Ring der Verzweifelten und Fürchtenden, die immer noch hoffen. Weswegen sonst hätten sie sich das hier angetan?
Dennoch irrt gewaltig derjenige, der meint, ich sei eine wehleidige Mimose, die mehr zeigt, als sie tatsächlich leidet. Im Zusammenbeißen der Zähne hätte ich ziemlich große Chancen auf einen prämierten Platz. Eine der wenigen Disziplinen, in der ich vorne läge. Ich musste einiges einstecken, was weit über das durchschnittliche Maß hinausreichte; das Leben ging nicht besonders zimperlich mit mir um.
Die Stunde läuft scheinbar besonnen ab; rein äußerlich präsentiert sie sich friedvoll: eine stumme Gruppe von Frauen, die sich beugen und strecken zur bizarren Musik. Die Qual spielt sich sowohl unter der Haut auf der physischen wie auch auf psychischen Ebene und tastet sich an meine existenziellen Grenzen heran. Soll mich das Yoga schaffen? Ich schaue mich flüchtig um und forsche erfolglos nach Zeichen einer ähnlichen Verzweiflung. Später erfahre ich von Beata, dass sie genauso litt und in sich flüsterte in Richtung Frau Müller: „Ich bringe dich um“.
Es liegt nicht am Schweregrad der Übungen, sie sind in sich erträglich. Die Folter wird erst durch das unendliche Wiederholen oder das ewige Ausharren in einer Position erzeugt. Das ist die wirkliche Tortur. Ich werde zu einer Yoga-Fackel!
An der Schwelle zum Losbrüllen vor Schmerzen, kommt das erlösende Ende. Ich bleibe noch eine Weile sitzen, übermannt von einem beinahe Glücksgefühl, dass es endlich vorbei ist. Die Welt erscheint mir ein wenig erträglicher. Wenn ich diese Stimmung festhalten könnte! Sie fließt ins Herz und besänftigt seinen chaotischen Rhythmus. Ich stütze mich zittrig mit beiden Händen und hieve mich schwankend zum aufrechten Gang.