Читать книгу Das Labyrinth der Medea - Gabriela Hofer - Страница 10
DAS ABENTEUER BEGINNT
Оглавление„Es ist stockfinster hier, verdammt noch mal, schon wieder diese Dornen!“ Leise vor sich hin schimpfend suchte sich George einen Weg durch die Dunkelheit. „Hab noch etwas Geduld! Prof. Prof. Scribble hat gesagt, wir sollen uns aus dem Camp schleichen und uns dann nach rechts wenden. Dass es hier so viele Dornen gibt, wird schon seine Berechtigung haben. Also unk nicht, sondern achte darauf, wohin du trittst.“ Gideon machte den Schluss und war auch nicht froh darüber, dass ihm dauernd die Äste ins Gesicht schlugen, die George losließ, doch er meckerte nicht. Plötzlich blieb Hope stehen, alle anderen prallten ziemlich unsanft gegeneinander. „Aua!“, rief Betsy. Sie hatte heftig Bekanntschaft mit Hopes Rucksack gemacht. „Warum bleibst du stehen?!“, fragte sie außer Atem. Hope machte noch ein paar Schritte nach vorne und trat dann zur Seite. „Sollen wir etwa mit diesem alten Vehikel fahren? Das ist ja uralt!“ Unterdessen waren die anderen drei aufgerückt und sahen, was Hope meinte. Vor ihnen auf einer kleinen Lichtung stand ein Oldie unter den Oldies. Hier handelte es sich um eines der ersten Produkte dieser Gattung. Es sah aus, als ob es nächstens auseinanderfallen würde, außerdem war es rundum offen. Die Kids fröstelte es schon jetzt. Bis sie das Hexenreich erreichten, würden sie schon halb erfroren sein.
George, das technische Genie, eilte natürlich gleich zu dem Oldtimer und inspizierte interessiert das Innenleben dieses Veteranen. Doch plötzlich klappte die Motorhaube zu und klemmte George in einer sehr unbequemen Haltung fest. „Auaaa! Scheiße! Helft mir hier raus!“ Gideon musste lachen. Es sah aber auch zu ulkig aus, wie Georges Beine zappelten und vom Rest nichts mehr zu sehen war. Schnell trat er hinzu, griff nach der Haube und versuchte sie mit Kraft hoch zu reißen. Da plötzlich begann doch dieses Ding tatsächlich zu kichern. Dieses Auto kicherte! Erschrocken ließ Gideon los und sprang zurück. Hope und Betsy hatten aufgeschrien und taten es ihm gleich. George erstarrte vor Schreck. „So ist es gut, Master George, ich lasse Sie jetzt frei, aber bitte kitzeln Sie mich nicht mehr!“ Die Haube sprang auf und George war frei. Schnell trat er zurück und rieb sich seinen malträtierten Rücken: „Wer spricht denn hier?“ Er sah sich suchend um. „Ich“, kam es aus dem Inneren des Autos. Sofort streckten alle die Köpfe hinein. „Wo sind Sie denn?“ — „Ich stehe ja vor Ihnen allen!“ Wieder kicherte das Auto.
„Sie wollen uns doch nicht weismachen, dass das Auto spricht? Wo ist der Computer?“
Die Scheinwerfer blinkten kurz auf: „Natürlich spreche ich als Auto, und ich verbitte es mir mich als Computer zu bezeichnen. Ich weiß nicht mal, was das ist, aber es klingt nicht sehr höflich! Mein Name ist Peterson, ich bin Prof. Prof. Scribbles Diener; im Moment erfülle ich die Funktion eines Transportmittels.“ Die Stimme klang leicht empört. Völlig verwirrt ließ sich George ins Gras sinken. Ein Auto, das sprach! Das fing ja gut an! Naja, schlimmer konnte es nicht mehr kommen ... Doch, es kam schlimmer: „Bitte steigen Sie ein, wir müssen bis heute Früh in Hagith-Dorf sein. Dr. Alexis Dummeros wartet schon auf uns.“ Die vier Türen sprangen auf. „Bitte sehr!“ Peterson meinte es also tatsächlich ernst. Die zwei Jungs stiegen vorne, die beiden Girls hinten ein. „Bitte anschnallen!“ Die Kinder taten wie geheißen, und die Türen klappten zu. Der Motor ertönte stotternd. Eine schwarze Rauchwolke, die aus dem knallenden Auspuff schoss, erstickte die Kinder beinahe. Hustend versuchten sie diese zu vertreiben. Dann setzte sich das alte Auto in Bewegung, doch - die Kids erstarrten und klammerten sich urplötzlich am nächstbesten Halt fest — es fuhr nicht los, nein, es flog! Senkrecht erhob sich das Vehikel, heftig hin und her schaukelnd. Als es über den Bäumen schwebte, hörte dieses Geschaukel schlagartig auf und es flog davon. „Sie können mich nun wieder loslassen. Sicher habe ich
morgen lauter blaue Flecken. Sie haben doch nicht etwa Angst?“ Alle vier schüttelten schnell den Kopf. „Dann ist es ja gut. Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie den Flug!“
Peterson flog eine Kurve und sie verschwanden in den Wolken. „Es wird einige Zeit dauern, bis wir in Hagith ankommen. Es wird dann schon dämmern.“
Betsy sprach leise aus, was alle dachten: „Hoffentlich überleben wir diese Katastrophe. Dieses Ding fällt ja nächstens auseinander.“ Das Auto machte einen wütenden Hopser: „Ich muss doch sehr bitten, Miss McMore! Ich mag zwar nicht mehr jung sein, doch bin ich noch durchaus in der Lage die mir auferlegten Aufgaben zu erfüllen!“ Betsy entschuldigte sich sogleich für ihren Ausrutscher. Stille senkte sich über die Kids. Sie waren müde, es war ein langer Tag gewesen und in der Nacht hatten sie auch beinahe keinen Schlaf bekommen. Dies machte sich nun bemerkbar. Langsam glitten sie in die Traumwelt hinüber.
Wach wurden sie erst wieder, als das Schaukeln erneut begann. Verwirrt öffneten die Kids die Augen. Wo waren sie hier denn bloß? Schnell setzten sie sich auf, da kam die Erinnerung schlagartig zurück. Sie saßen ja in diesem alten Auto! „He, seht mal, wir sind hier mitten in einem Hexenmärchen gelandet.“ Mit großen Augen sah sich Hope um. Auch die anderen konnten sich nicht satt sehen. Um sie herum herrschte reges Treiben. Peterson stand wahrscheinlich mitten auf dem Dorfplatz. Es musste sich um eine Art Busbahnhof handeln, denn es stand rechts von ihnen ein ebenso altes Teil wie das, in dem sie saßen, allerdings handelte es sich da um einen Bus. Der sah aus wie ein englischer Doppeldecker, nur war dieser hier kürzer, aber dafür vierstöckig. Mann, musste die Aussicht oben toll sein! Der Fahrer war nicht anwesend. Vorne stand ein Schild mit der Aufschrift „Hagith-School“. Etwas abseits, links von ihnen, stand ein altes verlottertes Bushäuschen, daran hingen — ja, es sah tatsächlich aus, als hingen dort Steckbriefe! Oben am Bushäuschendach war eine große Tafel angebracht, auf der stand: „Banish — no return!“ Was dies wohl zu bedeuten hatte?
Dieser Teil sah auf jeden Fall sehr düster aus. Es stand auch niemand dort.
„Mr. Peterson, was bedeutet dieses Banish?“, fragte die immer neugierige Betsy.
„Es tut mir schrecklich leid, Miss Betsy, aber ich darf darüber nichts sagen. Dr. Dummeros wird Ihnen zu gegebener Zeit alles erklären. So viel aber kann ich Ihnen erzählen: Wir sind hier - wie Sie wahrscheinlich schon bemerkt haben — am Busbahnhof von Hagith-Dorf. Heute ist Markttag, da ist immer sehr viel los. Das Dorf ist nicht sehr groß, es hat aber sämtliche wichtigen Läden. Sie werden alles ansehen können, nachdem sie sich in der Registratur gemeldet haben. Ah, dort hinten sehe ich Dr. Dummeros. Sie spricht noch mit Mr. Bone, das ist der Busfahrer, der zwischen der Schule und hier hin und her fährt.“ Die Kinder reckten die Köpfe, um über all die vielen Stände und Leute sehen zu können. Tatsächlich, dort weit hinten war ein bekanntes Gesicht. Doch was war das für eine seltsame Gestalt neben Dr. Dummeros? Die vier Kids sahen sich an und prusteten los. Der sah ja wie ein Skelett aus, sehr viel Haut war nicht dran und dann diese Haare! Grasgrün und wirr vom Kopf abstehend. Er gestikulierte wild mit seinen langen klauenartigen Händen. Sein langes Gewand leuchtete in einer grellen grünen Neonfarbe. „Der sieht aus wie ein Skelett, das sich in die Punkerszene verirrt hat!“, brachte Gideon nach Luft japsend hervor. Wieder lachten alle vier schallend.
„Ich weiß gar nicht, weshalb Sie den armen Mr. Bone auslachen! Er ist ein sehr lieber Mann und außerdem ein sehr guter Busfahrer!“, echauffierte sich Peterson.
Hope, die sich als Erste wieder erholte, meinte: „Das glauben wir Ihnen sofort, Mr. Peterson, aber Sie müssen uns entschuldigen, so etwas gibt es bei uns zu Hause eben nicht.“ Dr. Dummeros hatte sie erblickt, verabschiedete sich von Mr. Bone und kam auf direktem Weg auf sie zu. Eigentlich war es erstaunlich, denn es herrschte ein riesiges Gedränge um die Stände herum. Überall standen Hexen und Zauberer in Gruppen zusammen, ins Gespräch vertieft oder um Waren feilschend.
Die vielen farbigen langen Gewänder ergaben ein frohes Bild, die großen Hexenhüte wippten lustig hin und her.
Obwohl alle irgendwie beschäftigt waren, wichen sie wie von unsichtbaren Fäden gezogen zur Seite, als Dr. Dummeros auf sie zukam. So dauerte es nur einen Moment, bis sie die Kinder erreicht hatte.
„Ah, Mr. Peterson, ich wusste doch, dass man sich auf Sie verlassen kann. Es ist gut, dass Sie wieder zurück sind, Prof. Prof. Scribble sucht, seit Sie weg sind, seine Hausschuhe. Er braucht sie dringend.“
„Ach du meine Güte! Das hätte ich mir ja denken können. Dabei stehen sie ja dort, wo sie immer stehen. Ich muss sofort zu meinem Herrn zurück. Steigen Sie bitte alle aus.“
Schnell öffneten sich die Autotüren und die Kids wurden ziemlich ruppig von unsichtbarer Hand hinausgeschoben. Sie verabschiedeten sich schnell von Mr. Peterson, und dieser erhob sich in die Lüfte. Bald war er nur noch ein kleiner Punkt am Himmel.
Dr. Dummeros klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit der vier auf sich zu lenken: „Ich bitte Sie, mir zur Registratur zu folgen. In einer guten Stunde fliegt der Bus zur Schule ab. Während der Fahrt haben Sie dann die Möglichkeit, die anderen Erstklässler kennen zu lernen. Also bitte, gehen wir.“ Bevor noch einer der Freunde etwas einwenden konnte, lief sie den Weg, den sie gekommen war, wieder zurück. Abermals hatte sie freie Bahn durch das Marktgetümmel. Die Kinder achteten darauf, dicht bei ihr zu bleiben, sie hatten Angst, sich sonst zu verlieren. Viele interessierte Blicke folgten ihnen. Die Kids waren froh, als sie den Marktplatz hinter sich gelassen hatten. Nun schritt Dr. Dummeros schnellen Schrittes auf der nun vor ihnen liegenden schnurgeraden Straße dahin. Links und rechts der Straße erhoben sich wunderschöne alte Riegelhäuser. Vor einigen hingen schwere gusseiserne Schilder oder Gebilde, die genau darstellten, um welchen Laden es sich hier handelte. Zum Beispiel die Bäckerei: Diese erkannte man an einer großen über dem Eingang aufgehängten Brezel — oder die Metzgerei, dort hing ein Schild in Form eines Schweins. Die großen Laternen vor den Eingängen gaben den Häusern etwas Romantisches. Langsam ging den Kindern die Puste aus. Hoffentlich war es nicht mehr so weit bis zu dieser Registratur. Tatsächlich erschien vor ihnen schon bald ein großes villenähnliches Gebäude. Es war vierstöckig, links und rechts des großen Doppelportals erhoben sich zwei korinthische Säulen. Das Haus war eigenartig asymmetrisch, denn am linken Villenteil war noch eine Art Turm angebaut, der mit einem Kuppeldach endete. „Wow! Sieht krass aus!“ George musste den Kopf in den Nacken legen, um das ganze Gebäude in Augenschein zu nehmen. Auch die anderen waren beeindruckt.
Dr. Dummeros scheuchte die Kids weiter, die drei Treppen zum Portal hoch. Dieses öffnete sich wie von Geisterhand und sie traten in eine große Halle, die ziemlich düster war.
Die Freunde mussten zuerst ein paar Mal blinzeln, bevor sie alles deutlich sehen konnten. Auch innen war das Haus sehr imposant. Weit oben hing ein 20-strahliger Kristalllüster. Der Boden zeigte eine Anordnung von Platten in Schachbrettform in den Farben schwarz und rot. Die ganze rechte Seite wurde von einem hohen schwarzen Tresen eingenommen. Alle zwei Meter ragte eine Trennwand bis zur Decke. Hinter jedem Schalter stand eine riesengroße Gestalt. Alles an diesen Wesen schien zu groß geraten zu sein, die Hände, die Ohren, sogar die Nase. Alle hatten lange schwarze Haare und schwarze Augen. Links der Türe führten drei Türen in andere Räume, und ganz hinten schlängelte sich eine Wendeltreppe in die nächste Etage. Vor den Schaltern herrschte ein reges Treiben. Dr. Dummeros stellte sich mit den Kindern beim zweiten Schalter an. Keiner der Freunde sprach bis jetzt ein Wort. Die vielen neuen auf sie einstürzenden Eindrücke mussten zuerst verdaut werden.
Als Dr. Dummeros endlich an der Reihe war, trat sie dicht an den Tresen und stieg auf eine Art Podest, damit sie überhaupt darüber hinwegsehen konnte. Je nach Größe des Kunden fuhr dieses Ding hinauf oder hinunter, und dies automatisch, ohne dass jemand etwas einstellte oder drückte. „Verrückt!“, dachte George und schloss irritiert einen Augenblick die Augen.
Die Gestalt hinter dem Tresen lächelte Dr. Dummeros an: „Oh, schön Sie zu sehen, Alexis. Wie geht es in der Schule und Ihrer Schwester?“
Dr. Dummeros übergab der Frau vier Zettel: „Es geht allen sehr gut, danke, Mrs. Polly. Ich habe hier noch vier Nachzügler. Bitte registrieren Sie sie so schnell wie möglich, denn sie müssen noch mit dem Bus mit. Ich gehe unterdessen schon mal nach oben. Ich hole die Kleider nachher ab, ist das in Ordnung?“ — „Sicher, Alexis, kein Problem. Das rothaarige Mädchen ist bestimmt Professor Pax’ Enkelin.“ Dr. Dummeros nickte mit dem Kopf: „Ja, da haben Sie Recht, Martha.“ Mrs. Polly hatte bereits begonnen alle Angaben einzutragen. Sie meinte: „Sie müssen nicht mehr hier vorbeikommen, denken Sie an Prof. Eifilis. Er beansprucht auch noch etwas von Ihrer kargen Zeit. Ich werde die Kleider in die Schule bringen lassen.“ Dr. Dummeros zeigte sich sehr erfreut über ihr Hilfsangebot. Sie verabschiedete sich un d scheuchte ihre kleine Schar weiter, die Wendeltreppe hoch. Endlich siegte bei Betsy doch die Neugier. Ihr Stimmverlust hatte also nicht lange gehalten: „Dr. Dummeros, werden wir bestimmte Kleider tragen? Also so eine Art Schuluniform?“
„Ja, Miss McMore, in Hagith wird Uniform getragen: die Girls einen dunkelblauen Faltenrock und eine weiße Bluse, dazu einen schwarzen Umhang, schwarze Strümpfe und bequeme flache braune Schnürschuhe. Bei den jungen Herren sieht es so aus: schwarze lange Hosen, weißes Hemd, schwarzer Umhang und ebenfalls die gleichen Schuhe wie die Mädchen. Es muss also nicht schön, aber funktionell sein.“
Betsy schluckte laut. Dies klang ja nicht gerade vielversprechend! Sie sah an Hopes Gesichtsausdruck, dass sie dieses Outfit auch nicht sehr sexy fand. Die Jungs schienen mit ihren Uniformen zufrieden zu sein.
Unterdessen hatten sie die obere Etage erreicht. Verblüfft blieben die Freunde stehen. Mit offenem Mund sahen sie sich um, während Dr. Dummeros unbeirrt weiterging bis zu einem Typen, der beinahe so aussah wie der Busfahrer, nur waren seine Haare gelb! Als er Schritte hörte, drehte er sich um: „Ah, Alexis, es ist schön, Sie mal wieder zu sehen. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Dr. Dummeros lächelte ihm zu: „Ich freue mich auch. Wie Sie sehen, habe ich noch vier neue Schüler, die einen Zauberstab brauchen. Ich würde so gerne mit Ihnen plaudern, leider reicht die Zeit nicht. Der Bus fliegt schon bald ab, und ich muss noch zu Professor Eifilis.“ Er schob schnell die Schublade zu und wandte sich an die Freunde: „Sie wollen also auch Hexen und Zauberer werden? Sie sind also die Neuen aus der Menschenwelt. Dann wollen wir mal sehen, welcher Zauberstab sich zu wem hingezogen fühlt. Sie sehen hier drei Wände mit Regalen bis zur Decke mit vielen Schubladen; in diesen Schubladen liegen Zauberstäbe. Auf der linken Seite finden Sie die leicht zu beherrschenden Stäbe, hier, wo ich jetzt stehe, sind die etwas schwerer zu führenden Zauberstäbe und rechts von mir liegen die ausgesprochen dominanten. Es tritt nun jeder einzeln vor und stellt sich auf das Podest vor der entsprechenden Seite. Wir beginnen immer mit der leichten, also linken Seite. Wenn keine Reaktion von einem der Zauberstäbe erfolgt, geht man eine Stufe weiter. Also, wer möchte beginnen?“ Als niemand reagierte, trat schließlich Betsy nach vorne. Das Beinahe-Skelett nickte ihr aufmunternd zu: „Junge Lady, wie ist Ihr Name?“ Schüchtern — eine Emotion, die Betsy sonst bei sich überhaupt nicht kannte — nannte sie ihn. „Ein hübscher Name für eine hübsche Lady. Bitte steigen Sie auf das Podest.“ Betsy befolgte den Befehl zögernd. Nichts geschah. Sie ging weiter zum nächsten, wieder nichts. Erst beim dritten Podest geschah es. In einer der Schubladen begann es zu rumpeln und rütteln. Ein Blitz zuckte aus der sich öffnenden Lade und ein roter Zauberstab schwebte langsam hinaus direkt zu Betsy hin, die erschrocken den Kopf eingezogen hatte, als der Blitz erschien. Zögernd ergriff sie ihn. Einer nach dem anderen tat es ihr gleich. Erstaunlicherweise bekamen alle einen dominanten Zauberstab, bei Hope war es sogar noch interessanter: Ihrer hatte als Einziger eine goldene Farbe. Mr. Voodux, so hieß der Meister der Zauberstäbe, erklärte ihr wieso. Es war der Stab, der ihrer Mutter gehört hatte. Seit ihrem Tode wurde er nie mehr gebraucht — bis heute.
Ein Blick zur Uhr veranlasste Dr. Dummeros ihre Schäfchen schon wieder zur Eile anzutreiben. Sie bedankte sich noch einmal bei Mr. Voodux, die Kids winkten ihm zu und schon ging es die Treppe wieder hinunter ins Erdgeschoss. Diesmal jedoch blieben sie auf der Seite, wo die Türen waren. Bei der letzten vor dem Portal blieb Dr. Dummeros stehen.
„Wohin gehen wir denn jetzt noch?“, fragte diesmal nicht Betsy, sondern Hope. Neugierde schien also doch eher ein weibliches Attribut zu sein. Auch diese Türe schwang wie durch Zauberhand auf. Dr. Dummeros trat hindurch, bevor sie antwortete: „Wir müssen noch die letzte amtliche Stelle aufsuchen. Wir gehen jetzt zur Besenausgabenstelle. Diese befindet sich im von außen zu sehenden runden Anbau. Für das reibungslose Ablaufen dort ist unser Professor Eifilis zuständig. Er ist gleichzeitig auch noch Lehrer in Hagith und selbstverständlich für die Besenlehre zuständig. Er gilt als Genie auf seinem Gebiet und wird von den Schülern sehr geliebt, da er als absolut fair gilt.“ Während dieser Worte durchquerten sie einen kurzen schmalen Gang, der abrupt vor einer Türe endete. An dieser Türe lehnten auf beiden Seiten zwei normale Reisbesen, die Stiele auf dem Boden. Als die fünf an sie herangetreten waren, veränderten sie sofort ihre Position. Sie versperrten blitzschnell den Zugang in die Besenhalle und — sie sprachen tatsächlich! „Guten Tag, bitte weisen Sie sich aus!“ Dr. Dummeros klaubte ein Dokument aus den unsichtbaren Taschen ihres Gewandes und hielt sie den Besen vor den Borstenkopf. Nach einem kurzen Moment: „Sie können passieren, Dr. Dummeros, die Damen und Herren auch. Wir wünschen Ihnen einen schönen Tag.“ Mit diesen Worten nahmen die Besen wieder ihre ursprüngliche Stellung an und die Doppeltüre öffnete sich. Dr. Dummeros bedankte sich und trat durch die Türe. Die ihr sprachlos folgenden Kids brachten vor lauter Staunen ihre Münder nicht mehr zu. Mit einem Lächeln in den Augen drückte sie Gideon gegen den Unterkiefer: „Bitte, machen Sie doch den Mund zu, Mr. Marshall! Es wäre besser, wenn Prof. Eifilis Sie alle nicht so sehen würde.“ Immer noch völlig durcheinander antwortete er: „Aber ... aber diese Besen haben gesprochen! Wie ist das möglich?!“ Ihre Augen suchten den riesengroßen runden Raum ab. Wo war nur Prof. Eifilis? Während sie noch eine Erklärung abgab, sah sie den Professor plötzlich. Er saß auf einem Besen und kettete gerade einen sehr widerspenstigen Besen in seinem Fach los. Geholfen wurde ihm von einem seiner Helfer, alles ausgebildete Flieger, vom Aussehen her ähnlich wie Prof. Prof. Scribble, jedoch ohne Bart und mit normalen Ohren, dafür mit einer großen gebogenen Nase. „Mr. Marshall, das ist hier bei uns absolut normal.“ Endlich, Prof. Eifilis hatte gemerkt, dass er Besuch bekommen hatte. Gekonnt landete er neben Dr. Dummeros. Er war ein Riese von einem Mann, athletisch gebaut, schwarze halb lange Haare, dunkle Augen, und ein schön gepflegter Bart bedeckte den unteren Teil seines Gesichtes. Er war ganz in Schwarz gekleidet.
Kurz in die Hände geklatscht und ein Helfer übernahm seinen Besen Hector. Der Professor wandte sich Dr. Dummeros zu und — tatsächlich: Er küsste ihr die Hand! „Alexis, welcher Glanz für meine bescheidene Hütte. Womit kann ich Ihnen dienen?“
Dr. Dummeros Wangen überzog ein leichtes Rot: „Oh, Marcus, galant wie immer. Wie Sie sehen, brauchen diese jungen Leute noch einen Besen.“ Das Kichern verging den Freunden schnell, als ein fester Blick sie traf. Er musterte jeden von ihnen genau. Er winkte Hope zu sich: „Sie sind sicher Miss Hopper. Entgegen Ihrer Haarfarbe ist Ihr Temperament nicht sehr ausgeprägt. Erst wenn Ihnen etwas ungerecht scheint, werden Sie aktiv. Ich habe genau den passenden Besen für Sie. Superbus ist ziemlich übermütig, gehorcht nur, wenn man ihm alles lang und breit erklärt und braucht eine ruhige Hand.“
Nun war Betsy an der Reihe. Schmunzelnd betrachtete er die junge zappelige Dame: „Oho, hier sitzt jemand wie auf Kohlen. Sie, Miss McMore, haben dafür umso mehr Temperament. Da können wir mal sehen, wie viel diese Aussagen wert sind. Ihnen ist die Freundschaft sehr wichtig, was ein absolutes Plus Ihrer Charaktereigenschaften ist. Nur Ihre zu ausgeprägte Neugier könnte Sie mal in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Ich gebe Ihnen Focundus. Er hat ähnliche Eigenschaften wie Sie, er ist treu, immer in Bewegung und ist noch viel neugieriger als Sie es je sein werden.“
George wurde dies alles langsam unheimlich. Wie konnte dieser Typ wissen, wie sie hießen und wie sie tickten? Er war sich nicht bewusst, dass er sich langsam zurückzog. So erweckte er sogleich Prof. Eifilis’ Aufmerksamkeit: „Halt, dageblieben, Mr. Parker. Wo wollen Sie denn hin? Ich weiß, dass Sie mit dieser Situation hier völlig überfordert sind. Mit Zauberei können Sie von den Vieren hier am wenigsten etwas anfangen. Ihre Welt ist die Technik, Hardware, Software. Ja, da staunen Sie, auch ich weiß ein bisschen darüber Bescheid. Sie sind ein chronischer Zweifler, deshalb bekommen Sie unseren Pessimisten Dubitatio. Sie werden sich bestens verstehen. Er ist noch viel schlimmer als Sie, glauben Sie mir.“ George wollte gar keinen Besen. Was sollte er denn damit wohl anfangen? Etwa fliegen? Das würde er ganz bestimmt nicht tun. Zuletzt wandte sich Prof. Eifilis an Gideon: „Man sieht, Sie sind ein richtiger Marshall. Für Sie gibt es nur Schwarz und Weiß. Vergessen Sie aber nicht, dass es auch Grautöne im Leben gibt. Sie sind ein Superfreund, der leider die irrige Meinung hat, dass er alles und jedes vor Unheil bewahren muss. Das ist sicher sehr anstrengend, man hat immer das Gefühl, für alles, was falsch, gelaufen ist, die Verantwortung übernehmen zu müssen. Ihre Stärke ist sprichwörtlich. Deshalb ist Robur genau der richtige Besen für Sie, stark im Charakter und immer bestrebt bei Streit zu vermitteln.“
Dr. Dummeros hatte während des ganzen grandiosen Auftrittes von Prof. Eifilis geschwiegen, nun trat sie zu ihm heran. Lächelnd die Hand ausstreckend meinte sie: „Sie überraschen mich immer wieder mit Ihrer schnellen und korrekten Einschätzung der Schüler. Ich danke Ihnen. Leider müssen wir uns beeilen, sonst fliegt der Bus ohne uns los. Wir sehen uns ja nachher in der Schule.“ Wieder neigte sich der Professor über die kleine Hand. Seine Handküsse waren sehr beliebt bei den Hexen.
„Danke für das Kompliment, Alexis. Ich werden mit den Besen sprechen und sie sofort in die Schule fliegen lassen. Auf Wiedersehen.“ Er ging schnellen Schrittes zurück zu seinen Helfern, schon wieder mit seinen Besen beschäftigt.
Dr. Dummeros drängte ihre Schützlinge Richtung Ausgang. Es blieb ihnen wirklich nicht mehr viel Zeit. Als sie in das Sonnenlicht traten, mussten sie einen Moment geblendet die Augen schließen. Betsy platzte schon ein Weilchen beinahe vor Neugierde. Nun konnte sie nicht mehr länger warten: „Dr. Dummeros, heißt das, dass wir tatsächlich lernen, auf Besen zu fliegen?“
Schon wieder die Straße zurücklaufend antwortete sie: „Ja, sicher. Miss McMore. Das gehört zur allgemeinen Ausbildung, genau wie das richtige Umgehen mit Zauberstäben und Zaubersprüchen, das Bekämpfen böser Kräfte et cetera Hexe oder Zauberer zu werden ist nicht einfach, aber sehr spannend!“ Keiner der Freunde sagte mehr etwas, aber jeder machte sich so seine Gedanken. Hope war hin und her gerissen. Besenfliegen, musste man da nicht Angst haben, dass man runterfiel? Würde sie ihre Großmutter enttäuschen? Was war, wenn sie versagte und absolut kein Flair zur Hexe hatte? Fragen über Fragen, die nur beantwortet werden konnten, wenn sie sich der Herausforderung stellte. Betsy hatte da schon weniger Probleme. Sie fand das Ganze einfach nur interessant. Sie wollte alles einmal ausprobieren, auch Hexen und Besenfliegen!
Bei Gideon waren die Gefühle ebenfalls zwiespältig. Er war ja eigentlich nur wegen Hope hier. Wobei die Aussicht auf einem Besen zu reiten doch etwas Faszinierendes hatte und er ehrlich gesagt gerne mal seine Kräfte mit einem Tier der Unterwelt messen würde. Der Adrenalinschub wäre sicher riesig. Der Einzige, der absolut gar nichts toll fand hier, war natürlich unser Computer-Fan. George bereute unterdessen schon, je mitgekommen zu sein. Er würde aber bleiben. Schlimmer konnte es ja nicht mehr kommen und seine Freunde ließ er nicht im Stich.
Sie kamen wieder beim Markt an. Es waren nicht mehr viele Käufer unterwegs. Es ging ja schon gegen Mittag hin.
„Gehen Sie doch schon mal zum Bus vor. Die anderen Schüler sind bestimmt schon dort. Ich muss noch schnell für die Dekanin in die Bäckerei, bevor sie schließt. Machen Sie sich einfach mit den anderen bekannt. Ich bin bald wieder bei Ihnen.“ Dr. Dummeros lächelte alle aufmunternd an und verschwand in der Menge. Die Freunde schauten ihr verdattert hinterher. „He, was soll denn das? Lässt uns hier einfach stehen wie die Esel vor dem Berg.“ Kopfschüttelnd sah Hope der Lehrerin hinterher. Betsy fragte ein bisschen bange: „Sollen wir wirklich alleine zu diesen fremden Wesen gehen?“
Gideon schaute die beiden Mädchen erstaunt an: „Fremde Wesen? Das sind doch keine Aliens. Seht ihr dort hinten? Das sind Jungs und Girls wie wir. Seit wann seid ihr denn so schüchtern? Los, kommt, gehen wir hin. Die werden uns schon nicht fressen; außerdem kommt Dr. Dummeros ja gleich wieder zurück.“ Er schlug George aufmunternd auf die Schulter und ging zum Busbahnhof hinüber. Zögernd folgten ihm die anderen.
Als sie näherkamen, sahen sie, dass es sich um ziemlich viele Schüler handelte, alle trugen bereits die Schüleruniform, alberten, lachten oder sprachen miteinander. Schlagartig wurde es still, als die „Einheimischen“ die vier Freunde bemerkten. Das Starren konnte man schon beinahe als unhöflich bezeichnen. Gideon flüsterte George zu: „Sag mal, sehen wir so viel anders aus als sie?“ George schüttelte den Kopf: „Sicher nicht, aber vielleicht sind es die Klamotten. Vielleicht tragen hier die Girls prinzipiell keine Jeans. An uns Jungs kann es ja nicht liegen.“ Unterdessen waren sie bei den anderen Schülern angekommen. Nun standen sich die beiden Parteien stumm gegenüber. Jede Seite musste eine genaue Musterung ertragen. Hope holte tief Luft, irgendjemand musste wohl den Anfang machen. Sie trat vor und streckte dem ihnen am nächsten stehenden Mädchen die Hand entgegen: „Hi, ich bin Hope.“ Das Mädchen ergriff zögernd ihre Hand: „Ebenfalls hi, mein Name ist Amelia. Seid ihr die Schüler aus der Menschenwelt?“ Amelia war ein hübsches Mädchen mit langen, zu einem Zopf geflochtenen kastanienbraunen Haaren, die bis über den Po fielen, und großen grauen Augen. Sie war ziemlich groß und etwas zu dünn. „Ja, das sind wir. Dies hier“, sie zog Betsy neben sich, „ist meine beste Freundin Betsy, und die beiden Jungs heißen George und Gideon.“ Alle drei grüßten die Schüler. Amelias Augen wurden groß, als Hope Gideon vorstellte. „Mensch, ist dieser Junge attraktiv! Diese blauen Augen sind irre!“, dachte Amelia. Nun sprach er auch noch mit einer bereits sehr männlichen Stimme: „Es ist toll hier, für uns allerdings noch ein bisschen verwirrend, aber das wird sich schon geben.“ Er zeigte sein umwerfendes Lächeln. Amelias Wangen liefen rot an. Verlegen sah sie zu Boden. Betsy verdrehte die Augen. Gideon der Mädchenschwarm.
Bevor Amelia eine Antwort stottern konnte, drängte sie ein großer kräftiger Junge zur Seite. Er baute sich direkt vor Gideon auf und warf sein bis auf die Schultern reichendes dichtes schwarzes Haar nach hinten. Provozierend meinte er: „Wisst ihr was, Menschenkinder, geht wieder in eure doofe Welt zurück. So etwas wie euch können wir hier nicht gebrauchen. Ihr habt ja von nichts ’ne Ahnung!“ Uber diese offene Feindseligkeit erschrocken, brachte Gideon erst einmal kein Wort über die Lippen. Auch die anderen wichen entsetzt zurück. Mit einer solchen Abneigung hatten sie nicht gerechnet. Hope fasste sich als Erste wieder. Sie tippte dem Jungen auf den Arm: „Hör mal, du Namenloser, zuerst einmal hast du ganz bestimmt keinen Anstand, sonst hättest du dich zumindest vorgestellt, und zum anderen: Deine Meinung interessiert uns nicht. Wir wollen hier etwas lernen, genau wie ihr — und wer es besser kann, das werden wir noch sehen.“ Der Junge wandte sich ihr zu. Er brachte sein Gesicht ganz nah an ihres: „Mein Name ist Homer, Homer Dobson, und mein Vater ist einer der Minister. Wir brauchen hier keine Fremden, die alles durcheinanderbringen.“ Einige der anderen Schüler stimmten ihm lautstark zu.
Nun mischte sich auch Amelia wieder ein: „Homer Dobson, du bist und bleibst ein Stinkstiefel! Lass sie in Ruhe! Sie haben dir wirklich nichts getan.“ Höhnisch betrachtete er das empörte Mädchen: „Natürlich, genau die Richtige setzt sich für diesen Abschaum ein. Auch du dürftest eigentlich gar nicht hier sein. Kinder von Verbrechern gehören nicht an diese Schule.“ Amelia wurde kreidebleich, Tränen traten ihr in die Augen. „Mein Vater ist keinVerbrecher!“, rief sie. Homer lachte scheinbar amüsiert auf: „Nein, sicher ist er keinVerbrecher. Er ist nur ein Säufer und Mörder — oder willst du vielleicht bestreiten, dass er im Suff einen der Minister im Hinterhof erstochen hat? Er wurde auf jeden Fall verurteilt. Das Banish ist um einen Mörder reicher. Wenn man es genau betrachtet, bist du eine Mördertochter!“ Teilweise ertönte grölendes Gelächter. Andere wieder fanden es gemein, wie sich Homer gegenüber Amelia benahm. So bildeten sich schnell zwei Lager.
Amelia fing nun endgültig zu weinen an. Tränen bei Mädchen konnte Gideon wiederum nicht ertragen. Er tippte seinem ebenbürtigen Gegner ziemlich heftig gegen die Brust: „Hör mal, du Scheißer, so spricht man nicht mit einem Mädchen. Sie hat dir nichts getan, also entschuldige dich bei ihr, verstanden?“ Hope, Betsy und George versuchten zu vermitteln, doch vergebens. Ein Wort gab das andere, bis Homer mit folgenden Worten das Fass zum Überlaufen brachte: „Weißt du was, fahr zur Hölle, du Blindgänger!“ Gideon knurrte wütend und warf sich auf Homer. Auch unter den anderen Schülern brach ein Tumult aus. Innerhalb weniger Sekunden brach die schönste Prügelei los.
Betsy, Hope, George und die immer noch weinende Amelia waren die Einzigen, die sich nicht daran beteiligten. Sie versuchten verzweifelt, die Kampfhähne wieder zur Vernunft zu bringen, jedoch ohne Erfolg. Langsam wurde Hope rechtschaffen wütend auf Gideon. Wie konnte er sich nur so auffuhren, sich wie ein Gassenjunge prügeln?!
Da nahte auch schon Hilfe. Der Busfahrer und Dr. Dummeros kamen angerannt. „Aufhören! Sofort aufhören!“, rief sie. Mr. Bone packte die am nächsten Stehenden am Kragen und riss sie auseinander. Alexis Dummeros bediente sich weniger drastischer Mittel. Sie schwang einfach ihren Zauberstab ziemlich schnell im Kreis herum, immer schneller, bis ein Wind entstand, der eine solche Wucht entfachte, dass es sämtliche Streithähne von den Füßen riss.
Verdattert saßen sie nun auf ihrem Hosenboden, nicht wissend, wie ihnen geschehen war.
Das war so ein lustiges Bild, dass Hope, Betsy, George und sogar Amelia lauthals lachen mussten. Sogar Mr. Bone schmunzelte. Er hatte sich vor der Windattacke in Sicherheit gebracht. Dr. Dummeros hatte die Hände vor der Brust verschlungen und sah die Schüler wütend an: „Was bitte hätte das geben sollen? Sie wissen alle ganz genau, dass keine Prügeleien geduldet werden. Dies wird Konsequenzen haben. Sie alle müssen bereits jetzt schon, bevor das Schuljahr überhaupt begonnen hat, mit Minuspunkten in Ihrem Benimmheft rechnen!“ Sie musterte die beiden Jungs, die sich ganz alleine abseits der anderen geprügelt hatten: „Ich muss wohl nicht fragen, wer hier das Ganze angezettelt hat, nicht wahr, Mr. Dobson? Und Sie, Mr. Marshall, enttäuschen mich doch sehr. Ich habe geglaubt, Sie hätten schon eine gewisse Reife. Anscheinend habe ich mich geirrt.“ Sie wandte sich von den beiden nun betreten zu Boden schauenden Jungs ab und den vier einzigen zu, die sich nicht beteiligt hatten: „Es freut mich, dass wenigstens ein paar Verstand genug besitzen sich nicht wie Neandertaler zu verhalten. Sogar ein Junge ist mit dabei, mein Kompliment. Warum wurde eigentlich gestritten, Miss McMore?“
Betsy erzählte es ihr. Vor Empörung wurde Dr. Dummeros Rücken ganz steif. Sie zitierte Homer zu sich: „Mr. Dobson! In dieser Schule sind alle, ich betone, alle willkommen. Sie
haben hier nicht das Sagen und somit auch keinen Kommentar abzugeben, ist das ein für alle Mal klar?“ Leicht mürrisch bestätigte er es. Er getraute sich nicht mehr zu widersprechen, sonst würde er schon bald im Banish enden. Dr. Dummeros war nämlich eindeutig sauer, oh ja, ziemlich sauer. Verstohlen wischte er das Blut seiner offenen Handknöchel an seinen Hosen ab. „Okay, dann steigen Sie in den Bus ein und verhalten Sie sich ruhig, bis wir das Schloss erreichen. Ich werde im Bus alle noch einmal genau darüber informieren, wie es in der Schule läuft respektive was toleriert wird und welches Verhalten Minuspunkte gibt.“
Mr. Bone setzte sich hinter das Steuer. Nachdem alle eingestiegen waren, startete er den Motor und schloss die Türen. Während sich der Bus ohne jegliches Schaukeln in die Luft erhob, begann sie mit ihren Erklärungen: „Beinahe alle hier wissen, dass es in Hagith bestimmte Regeln gibt, bei Verstößen werden in Ihrem Benimmheft Minuspunkte eingetragen. Es gibt 5, 10 oder 15 Punkte, je nachdem, wie der Lehrerrat die Schwere des Vergehens bewertet. Das, was Sie soeben geboten haben, bringt Ihnen sicher die ersten 15 Punkte ein. Wer in einem Jahr die 150-Punktegrenze übersteigt, der wird nicht in das nächste Jahr versetzt und muss für einen Monat ins Banish. Selbstverständlich steht ihm oder ihr dort ein Helfer bei. Folgende Vergehen geben Minuspunkte: Prügeleien! Stehlen! Mobbing von Mitschülern! Verlassen des Schulgeländes mit dem Besen und wenn die Nachtruhe nicht eingehalten wird. An dieser Schule befinden sich über hundert Schüler, da müssen einfach gewisse Regeln gelten. In etwa zehn Minuten werden wir Hagith erreichen. Ach ja, noch etwas sehr Wichtiges! Rund um das Schloss führt ein Labyrinth. Das zu betreten ist absolut untersagt! Wer zuwiderhandelt und diesen Abstecher überlebt, wird sofort ins Banish geschickt — und zwar für immer! Also bitte, seien Sie vernünftig und halten Sie Ihre Neugier zurück. Die wenigen Unvernünftigen, die es versucht haben, hatten nicht mehr das, Vergnügen“ das Banish kennen zu lernen. Sie kamen nämlich nie zurück! Schauen Sie jetzt doch nach vorne. Dort können Sie schon die Schule erkennen.“
Tatsächlich erhob sich am Horizont ein stolzes Schloss. Viele Türmchen und Zinnen gaben dem Ganzen etwas Verspieltes. Ein großer Turm überragte alles. Dieser befand sich rechts hinten. Eine riesige gelbe Fahne flatterte im Wind und zauberte ein interessantes Schattenspiel auf die den Turm umgebende Fensterfront. Dort oben befanden sich das Büro und die Privaträume der Dekanin, wie Dr. Dummeros erklärte. Als sie nun immer näherkamen, sah man zwei Anbauten links und rechts der Schule. Auf der Seite mit den gelben Fensterläden befanden sich die Zimmer der Schülerinnen, auf der mit den blauen Läden die der Schüler. Die Anbauten konnten vom Schlosshof oder von innen her über die Eingangshalle erreicht werden. Rund um das Schloss war englischer Rasen angepflanzt, der von Parseus Wilson, dem Hausmeister, liebevoll gepflegt wurde. Hinter dem Schloss befand sich ein großer Sportplatz mit riesigen Tribünen auf drei Seiten. Dieses geheimnisvolle Labyrinth war nicht als solches ersichtlich. Man sah nur spärliche Hecken, als sich der Nebel zwischendurch lichtete. Das Ganze machte einen unheimlichen Eindruck. Trotz Sonnenscheins hing diese schwere Nebeldecke rund um das Schloss und verdeckte somit den Blick von oben in das Labyrinth. Die Schlossmauer konnte man nur ahnen, aber nicht sehen. Hope versteifte sich innerlich immer mehr. Sie war sehr nervös, denn bald würde sie endlich ihre Großmutter kennen lernen. Betsy schien Hopes Nervosität zu spüren, denn sie lächelte sie beruhigend an: „Es wird schon schief gehen. Schau mal da rüber. Diese Amelia himmelt Gideon mit richtigen Hundeaugen an. Wenn sie sich weiter nach vorne neigt, fällt sie vom Sitz!“
Amüsiert betrachtete sie die Versuche des Mädchens Gideon auf sich aufmerksam zu machen. Sie hatte sogar Gideons Hand ergriffen und sprach nun auf ihn ein. Diesem war das alles ziemlich unangenehm. Bald hatte er sich von Amelia befreit, stand auf und kam zu den anderen hinüber.
„Puh, ist dieses Mädchen eine Klette!“ Er ließ sich neben Hope auf den Sitz fallen. Diese warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Für sie hätte er sich nie so eingesetzt. „Du bist selber schuld, wenn diese Amelia romantische Gefühle für dich entwickelt. Schließlich hast du dich für sie zum Affen gemacht, also jammere uns jetzt nicht die Ohren voll!“ Hope drehte ihm den Rücken zu und sah aus dem Fenster.
Gideon schaute sie perplex an. Na hallo, was sollte denn das gerade gewesen sein? Er sich zum Affen machen, ja wie kam sie denn auf diese Idee? Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch ein warnender Blick von George und ein Kopfschütteln von Betsys Seite hinderten ihn daran. Verstimmt über so viel Ungerechtigkeit — seiner Meinung nach - verschränkte er die Arme vor der Brust und drehte sich ebenfalls zur Seite.
Dr. Dummeros war aufgestanden. Sie bat um Ruhe: „Danke. Sie können sich langsam bereit machen, in zirka drei Minuten landen wir auf dem Schlosshof.“