Читать книгу Das Labyrinth der Medea - Gabriela Hofer - Страница 5

WIE ALLES BEGANN

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Wir schreiben das Jahr 1690. Für einige der Bewohner eines kleinen Dorfes in der Nähe von Stirling war dieses das schwärzeste Jahr ihres Lebens. Die Jagd nach Hexen war voll im Gange. Auch in diesem Dorfe waren schon einige Heilerinnen der Hetzjagd zum Opfer gefallen: Frauen, die niemandem etwas zuleide getan hatten, im Gegenteil, sie hatten nur helfen wollen. Viele hatten ihre ehemalige Heimat bereits verlassen in der Hoffnung, in Stirling untertauchen und irgendwann wieder einmal ein normales Leben fuhren zu können.

Der Mond war bereits aufgestiegen. Eine schöne junge Frau trat aus einer der hübschen im irischen Stil gebauten Hütten. Der Schnee knirschte unter ihren groben Schuhen.

Es war ein besonders kalter Januar. Wo blieb nur ihr Mann? Hoffentlich war er nicht in die Fänge des neuen grausamen Richters geraten. Da sie noch immer nicht ganz von ihrer Erkältung genesen war, ging sie wieder hinein. Aus einem Weidekörbchen vor dem Kamin drang ein Wimmern. Schnell ging sie hin, kniete nieder und betrachtete zärtlich ihre drei Monate alte Tochter Hope. Ihre Geburt war das Schönste in ihrem Leben gewesen. Tränen traten ihr in die Augen. Sie strich sanft über die flauschigen roten Härchen.

Sie seufzte tief „Ach Mutter, was habt du und der Hexenrat mit diesem unsinnigen Gesetz nur angerichtet?“ Keine ihrer Freundinnen hatte zurück ins Hexenreich fliehen können. Sie waren verbannt worden — und dies nur, weil sie einen Menschen zum Manne genommen hatten. Dina Marshall, so hieß die Frau, lauschte. In der Ferne hörte man aufgeregtes Gejohle. Sie erschrak. Leise stand sie auf, setzte sich an den Tisch, griff zu Feder und Papier und begann zu schreiben:

„Liebste Mama, wenn dir Irma diesen Brief überbracht hat, werden mein geliebter Gatte Gilroy und ich ... nicht mehr am Leben sein. Hier in der Menschenwelt geht Schreckliches vor. Wir werden bespitzelt und überwacht. Sollte der Verdacht auf- treten, dass eine von uns eine Hexe ist, wird sie inhaftiert und gefoltert, bis sie alles zugibt, danach wird sie verbrannt. Viele sind schon geflüchtet. Leider konnte ja keine mehr zu euch zurück. Gilroy und ich konnten noch nicht fliehen, da ich mit einer schweren Erkältung im Bett lag — und wir uns ja selber nicht heilen dürfen. Was ich dir nun sagen werde, muss unter uns bleiben, unbedingt! Dieses ganze Elend hat begonnen, als ein neuer Richter hier aufgetaucht ist. Leider habe ich ihn bis jetzt wegen meiner Krankheit noch nicht gesehen. Es wird aber gemunkelt, dass es gar kein Mensch ist, sondern jemand aus dem Hexenreich. Er ist groß, breit, hat schwarze Haare und einen schwarzen Bart. Vielleicht könnt ihr ja etwas mit dieser Beschreibung anfangen. Nun zum Wesentlichen (Ich muss mich beeilen, sie kommen immer näher ...!): Mama, du bist seit dem 31. Oktober Großmutter. Deine Enkelin heißt Hope und ist unser Ein und Alles. Sie kann ja nicht zu dir, und wenn es wirklich jemand von euch ist, der hier so viele Hexen tötet, dann ist sie sowieso gefährdet. Ich werde ihr jetzt all meine Hexenkraft übergeben und sie in die Zukunft zu Nachfahren von Gilroy schicken. Bitte hab immer ein Auge auf sie, bleib aber unsichtbar, bis es Zeit wird für meine Hope ihre Zauberlehre anzutreten. Sie wird im Jahre 1985 bei einer Familie Hopper aufgenommen und adoptiert werden. Bitte Mama, beschütze mein geliebtes Kind! Ich werde aus dem Jenseits auf sie herabsehen, auch wenn ich keine Kräfte mehr habe. Sie wird sie eines Tages brauchen. Mutter, ich liebe dich von ganzem Herzen ... Ich muss Schluss machen, sie kommen!!“

Schnell rollte sie das Papier zusammen, rief: „Irma!“

Eine Eule kam geflogen, setzte sich auf die Stuhllehne und beäugte sie mit schräg geneigtem Kopf. Zärtlich strich Dina über ihr weißes Gefieder. „Irma, nimm diesen Brief und flieg

sofort zu meiner Mutter nach Hagith — und dann bleib dort! Komm nicht mehr zurück!“

Die Eule schrie protestierend. Dina legte sich schnell den Finger auf den Mund: „Schsch! Sei leise, das Baby! Ich befehle es dir, du bleibst bei meiner Mutter, klar?“

Sie hielt Irma den Brief hin. Diese nahm ihn zögernd, rieb noch einmal ihren Schnabel an Dinas Gesicht und flog zum offenen Fenster hinaus. Dina legte einen Moment ihren Kopf auf den Tisch. Tränen rannen ihr durch die Hände. Nun kam der schwerste Teil, sie musste sich beeilen. Sie konnte nicht mehr länger warten. In wenigen Minuten waren sie hier.

Sie stand auf, stellte das Körbchen mit Hope und ihren wenigen Habseligkeiten auf den Boden, zog mit Kreide einen Kreis um ihr Baby herum und schritt schnell dreimal um den Kreis. Dann hob sie die Hände gegen den Himmel und sagte: „Mouno greofso tund douno. Koho firs en ounon endorn irs.“

Das Körbchen hob sich in die Luft, drehte sich schnell um sich selbst und war plötzlich verschwunden. Auch der eingezeichnete Kreis verschwand.

Dina sank auf ihre Knie, hielt beide Hände vor das Gesicht und schluchzte bitterlich.

Da wurde mit aller Gewalt die Türe aufgestoßen und ein wie ein Richter gekleideter großer Mann stand im Türrahmen. Dina sah hoch und ein ungläubiger Ausdruck erschien auf ihrem verweinten Gesicht: „Du? Du bist für all dieses Elend hier im Dorf verantwortlich, aber warum nur?!“ Ein grausames Lachen erklang. Der Mann trat zu Dina und riss sie auf die Füße: „Nun, Cousinchen, ich will alles, verstehst du? Du stehst mir im Wege. Wo ist deine süße Tochter?“

Ein verschlossener Ausdruck trat auf Dinas Gesicht: „Ich habe keine Tochter.“

Der Richter schüttelte sie durch: „Lüg nicht! Dein treuer Gatte hat geredet. Ich muss sagen, Respekt, er hält viel aus. Doch auch bei ihm war mal Schluss. Nun, du wirst ihm bald in das Jenseits folgen.“

„Nein!! Gilroy ist nicht tot!“ Wieder dieses höhnische Lachen: „Aber sicher doch — und du wirst die Nächste sein, aber zuvor will ich wissen, wo deine Tochter ist“

Tränen der Verzweiflung über den Verlust der beiden Menschen, die sie außer der Mama am meisten liebte, liefen über ihre Wangen. In ihr reifte ein Entschluss. Wenn ihr geliebter Mann am Ende die Kraft nicht mehr hatte seine Tochter zu schützen, würde sie sie wahrscheinlich auch nicht haben, sie musste verhindern gefoltert zu werden. Unvermittelt riss sie sich los. Die Verzweiflung gab ihr eine unwahrscheinliche Kraft. Sie war tatsächlich frei. Sie rannte zurück ins Haus. Nach kurzer Überraschung folgte ihr Maurice-Luc, so hieß ihr Cousin, fluchend. Bevor er sie erreichen konnte, hatte sie schon ein Messer gegriffen.

„Du wirst keine Gelegenheit haben etwas von mir zu erfahren! Du wirst mein Kind nie bekommen!“ Mit diesen Worten stieß sie sich das Messer in den Bauch ...

Das Labyrinth der Medea

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