Читать книгу Kinder der Dunkelheit - Gabriele Ketterl - Страница 44

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»Attenzione, Signora! Un bagno di questo periodo dell'anno non è raccomandato.«

Wie konnte sie nur so dämlich sein! Als wäre sie das erste Mal in Venedig! Solche Treppen waren im Sommer schon rutschig. Nur weil sie unbedingt die Gondeln genauer ansehen wollte, hatte sie überhaupt nicht nachgedacht. Unverbesserliche Träumerin! Es dauerte eine Weile, bis sie aufhörte, sich im Geiste auszuschimpfen und merkte, dass sie, halb auf den Stufen liegend, sich noch immer in den Armen des Italieners befand, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war und sie zurückgerissen hatte. Jetzt, nachdem sie ihn genauer betrachtete, durfte er sie aber gern noch ein Weilchen länger so halten. Lange schwarzbraune Haare, seine Augen erinnerten sie an Mokka, und sein Gesicht ließ den vom People Magazin aktuell erkorenen »Sexiest Man Alive« wie einen akneverseuchten übergewichtigen Teenager aussehen.

Im nächsten Moment schaltete sich der Rest von Sabines Vernunft ein und sie wand sich aus seinen Armen, rappelte sich auf und versuchte, die Kleidung vom Schmutz zu befreien und zu glätten.

»Äh, vielen Dank, das war sehr nett. Ach so, italienisch. Mille grazie. Molto gentile ...«

»Sie können gern Deutsch sprechen«, antwortete er überraschend in ihrer Sprache. »Ich habe wie viele Venezianer Deutsch gelernt. Aber kommen Sie jetzt ein Stück von dem Kanal weg. Sonst landen wir noch beide im eiskalten Wasser. Und wie ich bereits gesagt habe, ein Bad zu dieser Jahreszeit ist nicht sehr angenehm.«

»Sie haben recht.« Verlegen lächelnd zog sie sich zur Brücke zurück, dort konnte sie sich notfalls auch am Geländer festhalten. Irgendwie fühlten sich ihre Knie weich an.

»Sind Sie in Ordnung? Haben Sie sich verletzt?«

»Ja, es ist alles in Ordnung. Es ist wirklich nichts passiert!« So ein Unsinn! Es war sehr wohl etwas passiert. Sie hatte in diese tiefgründigen Augen geblickt und dieses strahlende Lächeln fühlte sich an wie heißer Zimtwein. Sie rief sich krampfhaft zur Ordnung, aber wenn sie anfing, an heißen Zimtwein zu denken, dann wurde das mit der Vernunft verflixt schwer.

»Ich bin übrigens Luca de Marco. Würden Sie mir die Freude machen, mir zu verraten, wen ich gerade im Arm halten durfte?«

Sabine spürte, wie sie zu allem Überfluss jetzt auch noch dunkelrot anlief, und schaffte es nur mit Mühe, in einigermaßen gleichmütigem Ton zu antworten: »Sabine. Ich heiße Sabine. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe. Ich denke, den Rest des Weges schaffe ich allein, ohne weitere Stürze.«

»Darf ich Sie trotzdem begleiten? Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, aber eine schöne Frau allein in der Nacht, das ist nicht ungefährlich.«

Sabine war viel zu erfreut über sein eigentlich abgedroschenes Kompliment, natürlich verbunden mit der üblichen Anmache, als dass sie hätte ablehnen wollen. Das zaghafte Gefühl von Leichtigkeit, das sie seit der Ankunft ergriffen hatte, verstärkte sich. Sie hatte noch nie einen Mann getroffen, der eine derartige Faszination auf sie ausübte. Warum eigentlich nicht? Es könnte ihr gut tun. Sie brauchte jetzt vieles, das ihr gut tat. Zwar wusste sie den direkten Weg zu ihrer Pension, doch gerade in diesem Moment war ihr nach enorm viel Bewegung an frischer, klarer Nachtluft.

An Lucas Seite spazierte sie durch die Gassen, lauschte seinen Erzählungen über bedeutende Plätze und Paläste, an denen sie vorbeikamen. Dass sie irgendwann im Kreis gelaufen waren und auf diese Weise das Zentrum Venedigs erkundet hatten, erkannte sie erst, als sie wieder im Studentenviertel auf der Hauptmeile ankamen. Luca lud sie zu einem Kaffee ein, den sie nur zu gern annahm und der wunderbar duftete und herrlich wärmte. Sie verspürte prompt den Anflug eines schlechten Gewissens, als sie sah, dass er nichts trank.

»Mögen Sie keinen Kaffee?«

»Oh doch, aber wenn ich jetzt noch einen trinke, finde ich später keinen Schlaf. Ganz unitalienisch, ich weiß.« Er grinste dabei so schelmisch, dass sie lachen musste. Noch immer lächelnd beugte er sich über den Stehtisch und bat sie, daran riechen zu dürfen.

»Ich liebe die guten Düfte dieser Welt, müssen Sie wissen, der Duft dieses Getränks gehört eindeutig dazu.«

Sabine hielt ihm die dampfende Tasse unter die Nase und lächelte ebenfalls, als er genießerisch mit geschlossenen Augen das Aroma einsog.

»Köstlich!«

Warum sie es tat, dafür fand sie im Nachhinein keine Erklärung. Wahrscheinlich lag es an seinen hypnotischen Augen, die anscheinend die Fähigkeit hatten, in ihre verwundete Seele vorzudringen und sich wie ein Umhang aus Samt darum zu legen. Und er besaß noch eine keineswegs selbstverständliche Gabe: er konnte zuhören. Also erzählte sie Luca von ihrer Flucht aus München, ihrer Angst und davon, wie verraten und gedemütigt sie sich fühlte.

Der Venezianer hörte ihr aufmerksam zu und als er ihr am Ende sagte, sie müsse fortan keine Angst mehr haben, denn La Serenissima würde sie schützen, verstand sie das zwar nicht, aber es fühlte sich gut an.

Und genau deswegen wollte sie jetzt aufbrechen, und Luca wollte sie noch bis zur Pension begleiten. Viel zu schnell kamen sie an, obwohl Sabine extra langsam gelaufen war. In ihr meldete sich ein wenig Angst, ihren attraktiven Retter vielleicht niemals wiederzusehen, doch das war unnötig. Kaum an der Tür angekommen, stellte er die ersehnte Frage.

»Sabine, ich möchte Ihnen nicht lästig werden, aber dürfte ich Sie für morgen Abend ins Theater einladen? Ich würde Sie gegen sieben hier abholen?«

Sie war von diesem Vorschlag so begeistert, dass sie Mühe hatte, nicht allzu enthusiastisch zu antworten – und so war sie sehr stolz auf das kühle, gefasste: »Ja, gern! Ich war hier noch nie in einem Theater. Mangels Sprachkenntnisse – aber trotzdem würde ich gern mal das italienische Theater besuchen.«

Über Lucas Gesicht zog ein erfreutes Lächeln. »Fein, dann bin ich morgen um sieben hier. Und versprechen Sie mir bitte, sollten Sie tagsüber Spaziergänge machen, nicht ins Wasser zu fallen, d’accordo?« Sein charmantes Lächeln war zu einem jungenhaften Grinsen geworden und Sabine musste unwillkürlich lachen.

»Ich verspreche es! Ich werde unversehrt sein, wenn Sie mich abholen!«

»Gut, bis morgen dann, schöne Sabine!«

Dass er zum Abschied ihre Hand geküsst hatte, bevor er im Dunkel verschwand, registrierte sie erst, nachdem sie auf ihrem Zimmer angekommen war.

Kinder der Dunkelheit

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