Читать книгу Edda – oder der faule Apfel im Zwischenraum - Gabriele Plate - Страница 3
Prolog
ОглавлениеEr lagerte allein auf Island herum. Zwischen dunkelgrauen Felsen und Pferdeäpfeln gebettet, schlief er in seinem kleinen, leuchtend gelben Iglu Zelt und berauschte sich an dem eventuellen Aufspüren der Berechenbarkeit des Unvorhersehbaren. Er stemmte sich mit Genuss dem starken Wind entgegen, ohne sich als Widerstand zu empfinden.
Ruben setzte sich niemals willkürlich einer Gefahr aus, er war kein Draufgänger, übermäßig mutig oder dem Heldentum zugetan. Er gab einfach nur dem Ungewöhnlichen die Gelegenheit ihn zu treffen, wobei er glaubte, auch hier den Maßstab setzen zu können. Aus diesen Zusammenkünften gewann er Kraft und Erkenntnis, die er in seine Abenteuer des Alltagslebens zu mischen wusste. Ruben war ein wortkarger Mensch, der selten verzieh und sich ungern erklärte. Er strahlte gesunde Einsamkeit aus, selbst wenn er sich mitten in einer großen Gesellschaft befand. Das war von Zeit zu Zeit der Fall, wenn er Vorträge auf internationalen Kongressen über seine Arbeit hielt. Hier handelte es sich um sachlichen Austausch, um Ergebnisse, die von ihm zur Weitergabe erlangt worden waren. Dafür schienen ihm Worte angebracht.
Er gab selten etwas aus seinem Herzen preis. Ruben lebte und erlebte bewusst, und er wusste Intrigen oder Psychoterror zu ignorieren. Ebenso unempfänglich war er für jede Art von Manipulation, er reagierte auf derartige Einrichtungen nicht. Er war hilfsbereit und aufmerksam und das Gegenteil, wenn man ihn dazu antrieb, wenn es von ihm erwartet wurde. Ruben war ungewöhnlich wach.
Er wurde auch geliebt, und jeder Liebende erfuhr schmerzhafte Grenzen, wenn er verlangte. Ruben kannte die Liebe, er verdrehte sie aber nicht, machte sich nicht zum Sklaven ihres Missbrauchs. Er war nicht greifbar, selbst wenn man ihn umarmte, besonders dann nicht. Und, er war eine jener seltenen Gestalten, welche Sehnsüchte in seinem Gegenüber weckten, ohne sich selber an dieser Art von Macht zu berauschen. Er verachtete solche Reflexionen auf ihn nicht, doch schien er sie auch nicht unbedingt zu befürworten. Er vermittelte das Gefühl, niemanden wirklich nötig zu haben, niemanden zu brauchen. Die Vorstellung jemanden zu beengen oder zu behindern war ihm unangenehm.
Er beklagte sich niemals, glaubte an sein Abenteuer auf der Welt zu sein, an seine Individualität und Freiheit. Er hatte weltliche Ziele, besaß eine konstruktive Neugier, kannte keine Langeweile, und, er pries den Fortschritt der Wissenschaft in jeglichem Bereich. Über alle Maße. Er vertraute dieser und seinem Verstand mehr als allem anderen, gab sogenannten wissenschaftlichen Erkenntnissen vor jeder Ahnung den Vorrang, er genoss sie bis in die Wurzeln der Poesie hinein. Das konnte Ruben, auch Poesie war für ihn logisch.
Die Mär vom vorherbestimmten Karma, belächelte Ruben, er glaubte sein Schicksal lenken zu können. Logik und stoffliches Bewusstsein waren seine Begleiter. Er gestand Nicht-Beweisbarem keinen Millimeter Lebensraum zu, doch es begeisterte ihn die Vorstellung, in einer Gleichung mit vielen Unbekannten zu leben, diese er zu lösen sein Leben widmete. Er war ohne Zweifel im Reinen mit sich selbst. Den einzigen Anflug von Furcht kannte er nur, aus dem Gedanken heraus, einer ihn vielleicht, eines Tages befallenden Demenz. Sonst war ihm das Gefühl von Angst fremd. Nicht vor Tod noch Teufel, diesen wichtigen Werkzeugen des Experimentes Leben. Das war seine Sicht, und er hielt sich mit Konsequenz daran. Ruben war sich treu, und er glaubte nicht zu lügen.
Dem allgemein üblichen Vorgang traumatischen Erlebnissen Raum im Unterbewusstsein zu gewähren, die Zügel somit einem unberechenbaren inneren Machthaber zu überlassen, verweigerte sich Ruben. Bei seinen erfolgreichen Bemühungen, das Unterbewusstsein zu überlisten, dem Vielleicht-Seelenkummer keinen Zugang zu gewähren, handelte er stets mit bewundernswerter Disziplin an sich. Doch damit konnte er sich letztlich nicht auch noch vor den Traumata seiner Mitmenschen schützen, sich ebenfalls gegen den Zugriff der Leichen aus fremden Kellern wappnen. Eine dieser sich plötzlich aufbäumenden Leichen sollte Ruben zum Verhängnis werden.