Читать книгу Italienischer Traum am Gardasee - Gabriele Raspel - Страница 7
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Isabella nahm von der köstlichen Schokolade mit Nuss, während ihre Augen die wenigen Stellenangebote überflogen. Im Februar wurde sie vierzig und war somit noch nicht alt, aber auch nicht mehr ganz jung. Momentan gab es für sie in jedem Büro die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu beweisen, und so war sie nicht gerade von Existenzängsten geplagt. Zu unnötigen Ängsten neigte sie ohnehin nicht. Schließlich lebten sie, wenn auch nicht in Saus und Braus, so auch nicht in nackter Armut, obwohl sie immer gezwungen gewesen waren, sich einzuschränken. Natürlich gab es in dem alten Gutshof, der er einmal gewesen war, einige Antiquitäten. Die jedoch waren alle in die Jahre gekommen und nicht sonderlich wertvoll. Wahrscheinlich war das Gemälde im Flur noch das Wertvollste, was sie besaßen: Le due madri, von Giovanni Segantini. Es zeigte eine Mutter mit Kind, gefolgt von einem Schaf und dessen Lamm, das besonders Chiara sehr am Herzen lag. Nun, dieses würde nur in der Not in fremde Hände fallen, ebenso wie ihr Rivaboot. Sie, Isabella, war eine Frau der Tat und würde alles daransetzen, spätestens im Januar eine neue Stelle anzutreten. Natürlich nur eine Festanstellung und die zu einem anständigen Honorar. Sie sah nicht ein, dass sie mit einer halben Stelle die gleiche Arbeit verrichten sollte wie eine Ganztagskraft, und dies dann zum halben Gehalt. Sie war doch nicht blöd! Blöd war sie vielleicht nur in der Liebe.
Sie atmete zweimal tief durch, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt, und es gelang ihr, die Tränen zurückzuhalten. Männer waren wichtig im Leben einer Frau. Dann und wann. Eine bezahlte Arbeit jedoch war überlebenswichtig. Immer. Somit galt es zu überlegen, wie sie ihre Bewerbung aufsetzen könnte. Sie hatte eine private Handelsschule besucht und konnte sich als Übersetzerin, Sekretärin und Auslandskorrespondentin bewerben. Wenn auch nicht als IT-Genie, so doch mit fundierten Kenntnissen in sämtlichen geläufigen Programmen. Sie beherrschte das Schreiben mit Zehnfingersystem blind und verfügte zudem sogar noch über ansehnliche stenografische Kenntnisse, da die Eilschrift ihr Hobby war und sie als junges Mädchen davon geträumt hatte, in Wettschreiben ihr Können mit anderen zu messen. Ihr mathematisches Verständnis konnte als ausreichend bezeichnet werden, und die Grundlagen der Buchhaltung machten ihr keine Probleme, schließlich kümmerte sie sich seit drei Jahren um die finanziellen Belange des Hauses, die ihre Eltern erleichtert in ihre Hände gelegt hatten. Mit anderen Worten: Alle Wege standen ihr offen – sofern sie nicht allzu weit wegführten. Denn das würde ihr erlauben, ihre Vespa zu benutzen und auf den Peugeot zu verzichten, der ihrem Vater, je älter er wurde, umso mehr ans Herz wuchs, hielt dieser Oldtimer ihn doch mobil und unabhängig. Manchmal dachte Isabella über den Verkauf des Wagens nach, denn wie sie im Internet entdeckt hatte, zahlte man mittlerweile für Automobile der alten Art stattliche Summen, was vielleicht die Reparatur des Daches ermöglichen würde. Doch sie wusste, dass dies nur der letzte Ausweg war und ihrem Vater das Herz aus dem Leib reißen würde.
Gestern erst hatte sie einen radikalen Einschnitt vornehmen und sich beim Friseur eine stylische Pixie-Frisur schneiden lassen, sehr zum Entsetzen ihres Vaters. Davor reichte ihr Haarwust bis weit über die Schultern. Ihr neuer Haarschnitt würde wahrscheinlich auch Emanuele in Ohnmacht fallen lassen. Ihr vormals langes, lockiges Haar hatte sie im Beruf immer hochgesteckt getragen, und diese Frisur saß auch nur nach Einsatz von drei Dosen Haarspray. Sie passte allerdings perfekt zu ihrem strengen Charakter, überlegte Isabella, schonungslos und offen zu sich selbst wie zu ihren Mitmenschen. Sie warf einen Blick in den verschnörkelten Wandspiegel. Mochten Emanuele und ihr Vater weinen – der Kurzhaarschnitt verjüngte, da biss die Maus keinen Faden ab. Insgesamt mochte sie ihr Äußeres, das natürlich einige Macken aufwies, aber wer hatte die nicht? Was an ihrer Nase zu viel war, fehlte an Größe ihren Augen, die dunklen Schlitzen glichen. Gut, einen Pluspunkt gab es noch: Wenn sie lachte, verlor sie alles Strenge. Dann sah sie wirklich lustig aus, was unter anderem auch an den Sommersprossen auf der Nase, die dort reichlich Platz fanden, und ihrem großen Mund mit den vollen Lippen lag, den sie wirklich mochte – schon aus praktischen Gründen. Ja, sie war ernsthaft und komisch zugleich, gerade in der richtigen Mischung, und betrachtete die Dinge gern von ihrer heiteren Seite – wenn sie nicht gerade unter Liebeskummer litt wie momentan, befand sie.
Ihre Figur umrissen jene, die nicht zu ihren Freunden zählten, kurz und knapp mit Bohnenstange. Sie gab ihnen recht, doch auch ihre magere Gestalt war nicht übel. Sie hatte eine Figur wie ein Model, besaß aber leider eben nicht deren traurige Riesenaugen, die jedes Männerherz zum Schmelzen brachten. Das Einzige, das sie aber wirklich gerne hätte ändern wollen, waren ihre kräftigen Hände und Füße, seufzte sie innerlich. Nein, trotz ihrer Magerkeit – ein zierliches, scheues Reh war sie nicht. Weder scheu noch Reh. Sie war nicht nur körperlich, sondern auch seelisch handfest und von Dauer, mutig obendrein.
Alles klar, dachte sie, wenn das mit der Assistentin nicht klappt, wirst du dich als Rausschmeißerin in einer Bar bewerben.
Gerade, als sie beschloss, sich hinzulegen und sich ihrer Trauer über den gleichgültigen Verlobten Emanuele hinzugeben, fiel ihr Blick auf eine der größten Anzeigen des Sonntagsblattes: Suche kompetente Privatsekretärin, mit sehr guten Computer-Kenntnissen, einschließlich guter Fremdsprachenkenntnisse in Deutsch, Englisch und Französisch, flexibel, reisebereit und unabhängig. Subito! Vincenzo Collani
Trotz ihres Kummers musste Isabella grinsen, als sie diese Annonce las. Man sah den Inserenten geradezu vor sich, kaum dass man die Zeilen zu Ende gelesen hatte – kurz, knapp, exakt in seinen Ausführungen. Ein Mann, der wusste, was er wollte. Ein Mann nach ihrem Geschmack. Allerdings klang er ein wenig hart. Doch war sie nicht soeben zu dem Schluss gekommen, dass sie hart im Nehmen war? Zur Rausschmeißer-Boxerin geboren? Na also. Nichts wie hin, zumal die Arbeitsstätte im nur knapp zehn Kilometer entfernten Limone sul Garda läge.
Mit vor Aufregung klopfendem Herzen trat sie an den Schreibtisch mit dem PC. Doch gerade, als sie mit dem Bewerbungsschreiben beginnen wollte, rief Elisa von unten zum Tee durch die altmodische Sprechanlage, die die Zimmer des Hauses miteinander verband.
»Ich komme«, rief Isabella zurück und verließ ihr gemütliches Wohnzimmer, die Treppe hinunter, dann rechts den kühlen Flur entlang in die Küche. Verführerischer Duft stieg ihr in die Nase und ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen.
In der Küche saßen wie jeden Tag um fünf ihre Eltern sowie Elisa und Paula.
»Elisa hat mal wieder den besten aller Teekuchen gebacken«, erklärte ihr Vater mit roten Wangen und strahlenden Augen. »Ich finde, dass er immer einen Tag später noch besser schmeckt.«
Morgens war er wie üblich am Sonntag nach dem Kirchgang mit Chiara gemächlich an der Seepromenade, die zu einer der schönsten am Lago zählte, hinein in die Arkaden geschmückte Altstadt spaziert, um den Rundgang in einem hübschen Café auf der Piazza III Novembre gleich am Hafen zu beenden, in dem man jetzt, nach dem Ende der Saison, weitere Einheimische antraf.
»Ja, Elisa, Papa hat recht.« Isabella lächelte, und ihre Mutter Chiara stimmte ihr nickend zu. Isabella atmete tief ein und aus. Ja, dies war ihr Hafen, mochte die See auch noch so schwer sein. Hier war sie geborgen. Sie liebte ihre kleine Familie und hatte nie den Wunsch gehabt, irgendwo anders zu leben.
Auf dem gusseisernen Herd an der Wand, in dessen Backofen ein komplettes Schwein gepasst hätte, kochte und buk Elisa. Gleichzeitig spendete er der Küche und dem angrenzenden Speisezimmer wohlige Wärme. Allerdings wurde er aus diesem Grund natürlich nur im Winter benutzt. Zudem war der warme Steinboden darunter einer der Lieblingsschlafplätze Barneys. Im Sommer hingegen genoss der Kater die angenehme Kühle des Natursteins.
Dem altmodischen Herd stand jedoch seit Neuestem eine überwältigende Konkurrenz zur Seite: ein ultramoderner Elektroherd mit allem Pipapo, einschließlich selbstreinigendem Backofen mit integrierter Mikrowelle, gekrönt von einer Induktionskochplatte. Dieser war schon zu Beginn der Renovierungsarbeiten auf Elisas schüchternen Wunsch erstanden worden, noch bevor Isabellas Bad in Angriff genommen wurde – was jedermann akzeptierte, denn was gab es Schöneres als Elisas Hochgenüsse? Zudem musste man eine exzellente Köchin wie sie hegen und pflegen, befanden sie einhellig. Diesen Rolls Royce unter den Öfen zu bedienen, hatte allerdings allen Familienmitgliedern, mit Ausnahme Isabellas, höchste Konzentration und einiges an Nervenkraft abverlangt, doch Elisa hatte darauf bestanden.
In der Küche nahmen zwei große Buffets die Porzellansammlung mehrerer Jahrzehnte auf, und natürlich führte eine Tür zum Nutzgarten, neben der ein mächtiger Doppelspülstein die Gartenernte anschließend zum Putzen aufnahm.
»Mama, wie geht’s deinem Rücken?«, erkundigte sich Isabella.
»Ist noch dran«, antwortete ihre Mutter gleichmütig und nahm genießerisch einen Schluck Darjeeling, den sie immer dem aromatischen italienischen Kaffee vorzog.
»Und du, Paula? Ist deine Bronchitis besser geworden?«
»Spür ich nix mehr von.«
»Und die Schwäche? Hat sich dein Kreislauf mittlerweile gebessert?«
»Bis jetzt bin ich jedenfalls noch nicht aus den Pantoffeln gekippt.«
»Papa, und du? Nimmst du auch täglich deinen Blutverdünner, wie es dir der Arzt angeraten hat?« Sie blickte ihn mit ernster Miene aufmerksam an. Natürlich lag jetzt ein rosiger Schimmer auf seinen Wangen, schließlich hatte er gemeinsam mit Paula eben noch Laub gekehrt, sodass seine hellblauen Augen blitzten. Sein weißer Haarschopf stand ihm wie üblich nach allen Seiten ab. In den letzten Monaten hatte er ein wenig abgenommen, aber nur dank Elisas strikter Diätgerichte am Abend, die sie trotz der Proteste Chiaras und Thibaults, die beide gerne gut aßen und zur Rundlichkeit neigten, vor allem auf Anraten des Doktors durchgesetzt hatte.
»Kannst du mir mal sagen, was deine Fragerei soll?«, stellte Thibault die Gegenfrage.
»Ich sorge mich eben um euch. Also, hast du oder hast du nicht?«
»Er nimmt sie, wenn ich sie ihm auf den Teller lege«, antwortete Chiara an seiner Stelle.
»Aha, dacht ich’s mir doch«, rief Isabella. In der Tat war sie immer noch ein wenig besorgt um ihren Vater. Am Anfang des Jahres war er nach der Gabe eines starken Antibiotikums gegen eine Blasenentzündung so schwer erkrankt, dass sie sich ernste Sorgen machen mussten. Nicht nur körperlich erfolgte ein totaler Zusammenbruch, sondern ebenfalls ein seelischer, der sich in besorgniserregenden Angstzuständen zeigte, die er erst nach langem Klinikaufenthalt überwand. »Wenn ich nicht an alles denken würde.«
»Oder wir«, bemerkte Paula spitz, und selbst Elisa, die normalerweise nichts leicht auf die Palme brachte, presste die Lippen fester aufeinander.
»Natürlich, Paula, entschuldige. Aber ich frage nur, weil ich heute in der Zeitung eine interessante Stellenanzeige gelesen habe. Ich wollte mich bewerben und denke, dass meine Chancen sehr gut stehen.«
Elisa blickte hoch und sah sie lächelnd an. Sie war eine Frau, der man nicht nur dank ihrer Vitalität, sondern auch angesichts ihrer faltenfreien Haut ihre sechzig Jahre kaum glauben mochte. Was sie, nach eigener Einschätzung, zum einen ihrem ausgeglichenen Wesen und zum anderen ihrem erfüllten Zusammenleben mit den anderen Hausbewohnern verdankte. Und wohl auch der Tatsache schuldete, dass sie die Sonne, Alkohol und Zigaretten mied wie der Teufel das Weihwasser, während Paula die Schneewittchenhaut der Freundin lediglich den guten Genen zuwies.
»Ein neuer Job?«, rief Chiara. »Wunderbar. Erzähle!«
Und das tat Isabella. »Obwohl ich mich ja erst noch bewerben muss, aber ich bin guten Mutes.«
»Und wieso sorgst du dich dann um unsere Gesundheit?«
»Wenn ich möglicherweise einmal auf Geschäftsreise bin, müsste ich sichergehen, dass hier alles in Ordnung ist«, antwortete Isabella mit zusammengekniffenen Brauen.
»Na hör mal, meinst du, der Laden hier läuft nur dank deiner Hilfe?« Elisas braune Augen, die normalerweise so sanft schauten, funkelten gefährlich.
Und auch Paulas Zornesfalte auf ihrem ohnehin schon recht runzeligen Gesicht vertiefte sich.
Isabella legte rasch die Hand auf den Arm der Älteren. »Um Gottes willen, nein, ich sorge mich halt nur um euch.«
»Wir sind zwar nicht mehr taufrisch, aber auch noch lange keine alten Knacker. Wir kommen sehr gut ohne dich klar«, wies ihr Vater sie zurecht.
»Exakt«, knirschte Paula. Sie war fast einen Kopf größer als Elisa und viel zäher, was sie natürlich ihrer Gartenarbeit in der frischen Luft und ihrem Sport im Winter zuschrieb. Im Gegensatz zu Elisa, deren Gesicht rund war wie die Tomaten, die sie jährlich in Überzahl aus ihrem Garten ernteten, war ihres kantig und viereckig wie der kurze Bob mit Pony, den sie seit über fünfzig Jahren trug. Das Bemerkenswerteste an ihr war der große Mund. Und ihr herzhaftes Lachen. Leute, die dieses Lachen zum ersten Mal hörten, erschraken meist. Ihre Stimme war stets ein wenig zu laut und sehr tief. Seit fast zwanzig Jahren rauchte sie nicht mehr, trotzdem klang sie immer noch heiser, als hätte sie die Nacht durchgezecht. Keine Seele konnte den Blick von ihr wenden, wenn die Fröhlichkeit aus ihr herausplatzte. Dann gab es niemanden, den ihre pralle Heiterkeit nicht in seinen Bann zog. Was man allerdings auch erleben konnte, wenn ihr Zorn aus ihr herausbrach.
»Ihr seid also der Meinung, ich sollte mich tatsächlich bewerben?«, versicherte Isabella sich.
»Mais oui«, sagte ihr Vater, der immer ins Französische fiel, wenn ihn etwas stark erregte.
»Aber unbedingt«, stimmte ihm Chiara mit ihrer melodiösen Stimme zu.
»Ich bin ja mal gespannt, wie der Mann aussieht. So, wie die Annonce sich anhört, könnte er ein ebensolcher Grantler wie mein alter Chef sein.«
»Und wenn«, sagte ihre Mutter optimistisch. »Dem hast du doch auch recht bald die Flötentöne beigebracht.«
»Sicher. Aber er war seit dreißig Jahren verheiratet und hatte gelernt, zu schweigen und gute Ratschläge von uns Frauen anzunehmen.«
»Ein Blick von dir, so wie du mich manchmal ansiehst, wenn ich es wage, zu schwer zu tragen, und der Mann hält seine Klappe, sollte ihm sein Leben lieb sein. Da bin ich mir ganz sicher«, dröhnte Paula.
Alle lachten. »Ich werde ihn ausnahmsweise strahlend anlächeln, und dann wird er mir zu Füßen liegen«, grinste auch Isabella.
»Ich freue mich, dass du so zuversichtlich bist«, sagte ihr Vater. »Denn die einzige Bewerberin bist du sicherlich nicht.«
»Nein, aber die beste vielleicht«, entgegnete seine Tochter, gesegnet mit dem Optimismus ihrer Mutter und deren bärenstarken Nerven. »Außer, es käme eine Jüngere, Hübschere daher, dann stünden meine Karten nicht so gut«, warf sie ein.
Chiara stellte so energisch die zarte Tasse von Spode – ihr bestes und teuerstes Porzellan – ab, dass Isabella befürchtete, sie würde auf dem Unterteller zerbrechen. »Wieso hübscher? Du ziehst dein gutes hellgraues Kleid mit dem kurzen Jäckchen an. Das macht dich elegant und gediegen. Da kommt kein hübsches Kleinmädchengesicht gegen an.«
Isabella zögerte. »Aber Hosen stehen mir viel besser.«
»Hör einmal nur auf den Rat deiner Mutter. Beim ersten Gespräch macht sich ein Kleid oder ein Rock besser. Glaub mir«, befahl Chiara kategorisch. »Außerdem mildert es etwas deinen neuen radikalen Haarschnitt. Ich könnte dir auch ein Kostüm von mir leihen, wenn du nichts Gescheites besitzt.«
Alle grinsten.
Isabella enthielt sich eines Kommentars. Sie hatte die sehr schlanke Figur ihres Großvaters geerbt, hingegen Chiara zu ihrem großen Bedauern die Fülle ihrer Mutter. Das Graue war ihr Kleid für alle Fälle gewesen, vor allem für formelle Einladungen im Beruf. Sie besaß es seit fünf Jahren und es stand ihr. Es machte sie nur ein wenig langweilig. Was aber vielleicht gerade für das Bewerbungsgespräch einen Vorteil bedeutete. »Du hast recht. Das werde ich anziehen.« Oder mir ein billiges neues kaufen, sinnierte sie.
Jetzt bereute sie es, dass sie Emanueles Angebot zu ihrem Geburtstag, ihr ein neues Kleid zu schenken, ausgeschlagen hatte. Aber sie ahnte, dass er mit ihr nur vor seinen Freunden hatte angeben wollen, und das hatte sie gereizt, abzulehnen. Schämen musste man sich mit ihr trotzdem nicht.
»Unsinn, was brauchst du ein neues Kleid. Dieses ist doch noch gut genug. Trage das rote Seidentuch und die schwarzen Stiefel dazu, und du bist eine Wucht!«
»Genau«, stimmte ihr Vater zu, der auf die Frage, wie das Kleid denn ausschaue, kaum eine Antwort hätte geben können.
Damit war das Thema erledigt. Isabella seufzte innerlich. Sie liebte das familiäre Beisammensein, doch manchmal war ihr die Heftigkeit, in der ihre Lieben mit guten Ratschlägen auf sie einwirkten, doch zu überwältigend. Auch Ratschläge waren Schläge, wer hatte diesen sinnigen Spruch nur in die Welt gesetzt? Aber, dachte sie innerlich grinsend, das bringt mich nicht aus der Fassung, schließlich bin ich im Laufe der neununddreißig Jahre nervlich gestählt.
Nach einer Viertelstunde ging Isabella zurück in ihr Zimmer, öffnete das Schreibprogramm vom PC und begann zu tippen. Sie stellte ihr Licht nicht unter den Scheffel. Ihr Arbeitszeugnis war exzellent, ihre Schulzeugnisse samt und sonders ebenso. Sie wusste aufzutreten und sich ihrer Figur gemäß zu kleiden. Sie besaß Stil und Feingefühl. Diskretion hatte sie mit der Muttermilch aufgenommen, konnte schweigen und war integer – die perfekte Privatsekretärin eben! Und abkömmlich wäre sie auch sofort. Wohin auch immer.
Sie hielt inne. Ihre Lieben hatten sich alle Mühe gegeben, sie davon zu überzeugen, dass sie ohne sie gut zurechtkämen. Aber taten sie das wirklich? Sie waren alle noch sehr rüstig, doch wer wusste, wie lange?
Sie schüttelte den Kopf. Egal. Heute ging es ihnen blendend, und alle konnten gut und gern ein paar Tage ohne sie auskommen, schließlich waren sie zu viert. Warum sich um eine Zukunft sorgen, die niemand vorausschauen konnte?
Voller Freude schrieb sie ihre Bewerbung zu Ende. Ein Foto scannte sie nach längerer Überlegung mit ein. Es zeigte sie als Endzwanzigerin, mit langen Haaren, doch sie fand, dass sie dank der kurzen Frisur so viel älter nicht aussah. Und wenn, es flunkerten doch alle mit ihren Altersangaben. Zufrieden druckte sie die Seiten aus.
Sie steckte die Unterlagen in den Umschlag, um sie zum Briefkasten zu bringen. Vielleicht war Signor Collani so altmodisch wie ihr Vater und schaute zuerst in die Post anstatt ins E-Mail-Konto. Doch dann besann sie sich anders. Ihr hoffentlich zukünftiger Chef wollte sie sofort – er sollte sie bekommen. Auf der Stelle. Gleich morgen früh würde sie sich auf den Weg machen und ihn in Limone aufsuchen.