Читать книгу Italienischer Traum am Gardasee - Gabriele Raspel - Страница 8

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Am Montagmorgen saß Vincenzo trotz des strahlenden Spätherbstwetters übel gelaunt in seinem Büro. Stirnrunzelnd betrachtete er die Stellenanzeige, die er telefonisch aufgegeben hatte. Da waren ja wieder einmal die reinsten Trottel am Werk gewesen. Hatte er nicht deutlich gemacht, dass er die Anzeige mittig und fett gedruckt wollte? Und wenn er mittig sagte, dann meinte er die Mitte des Blattes. Aber nein, sie war an den Rand gesetzt worden und das in stinknormaler Normalschrift, so unterschied sich die Annonce in nichts von den anderen langweiligen, die es zur Genüge gab.

Er war gerade im Begriff, zum Telefon zu greifen, als es an der Tür läutete. Er wartete ungeduldig, dass man öffnete, bis ihm einfiel, dass er Eva dummerweise gekündigt hatte, bevor eine Neue ihre Stelle einnahm. Aber er hatte Eva definitiv nicht mehr ertragen können, diese Heulsuse. Es war ganz wichtig, dass er der Neuen von Anfang an klar machte, dass sie sich nicht in ihn zu verlieben hatte. Sonst würde er sie umgehend wieder feuern. Ein weiteres Tränenmeer würde er nicht noch einmal überstehen, es sei denn, er legte sich eine Ehefrau zu, eine fiktive, die es nur in seiner Fantasie gab – als Rettungsweste, um nicht zu ertrinken. Möglicherweise war eine erfundene Gattin ohnehin die beste Ehefrau der Welt. Jawohl, als Nächstes würde er sich einen Ehering kaufen, einen breiten, der würde jede Frau überzeugen, jedenfalls jede anständige, sinnierte er.

Diese wichtige Bedingung wollte er noch als Nachsatz handschriftlich mit in den Vertrag aufnehmen, den er bereits von Eva hatte schreiben lassen – und zwar, dass sie sich nicht in ihn zu verlieben hatte natürlich, und nicht, dass er bereits vergeben war. Nun musste lediglich der Name der neuen Person eingesetzt werden. Und natürlich das Gehalt. Denn immerhin bestand die Möglichkeit, dass sie seine angedachte Summe noch unterbot, wenn sie ihre Gehaltsvorstellung preisgab.

Knurrend erhob er sich von seinem Bürostuhl und ging zur Tür, durchquerte das elegante Büro seiner ehemaligen Sekretärin und öffnete die Flurtür.

»Guten Morgen«, wurde er freundlich begrüßt. »Ich bin Isabella de Saint-Martin und komme wegen der Annonce in der Sonntagszeitung.«

Vincenzo seufzte. Ach, du liebe Güte. Erst vor einer halben Stunde aus dem Bett gefallen, hatte ihn der graue Alltag schon wieder in der Kralle, wo er doch ohnehin morgens einen Hieb mit dem Vorschlaghammer benötigte, um topfit zu sein. Und nach einem Abend mit seinem Sohn Paolo und dessen Mutter Elisabetta, bei dem es hoch hergegangen war, fühlte er sich noch weniger fit als sonst am Morgen. Sie hatten sich nicht gestritten – diese Zeiten gehörten, Gott sei Dank, der Vergangenheit an –, sondern hatten gefeiert. Die Musikakademie in Salzburg hatte den glücklichen Paolo aufgenommen. Elisabetta, seine Ex, war zwar traurig, dass ihr Herzblatt sie nun verließ, aber natürlich auch sehr stolz, dass sich die Träume ihres achtzehnjährigen Sohnes erfüllten. Nein, Paolo kam ganz und gar nicht auf ihn, was sich sehr früh abgezeichnet hatte. Trotz der Trennung der Eltern vor fünfzehn Jahren war er sehr behütet aufgewachsen, und Vincenzo hielt sich zu Gute, dass zwischen ihnen trotz seiner beruflichen Umtriebigkeit ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis bestand. Er musste zwar einige Fehler in seinem Leben zugeben – unter anderem den, dass er Elisabetta kampflos gehen ließ, als sie ihr Herz an einen windigen Burschen verlor – doch mit seinem Sohn hatte er soweit alles richtig gemacht und seine musische Begabung nach Kräften unterstützt. Heute Morgen allerdings galt es erst einmal, seinen dicken Kopf zu wecken. Und zu allem Übel erschien jetzt vor dem ersten Schluck Kaffee – der Espresso zuvor zählte nicht, der war schlicht Medizin – die Neue, mit der er sich befassen musste. Sie kam ohne vorherige telefonische Anmeldung und sie kam zu früh. Minuspunkt für sie!

Er betrachtete sie ungeniert. Vor ihm stand eine Person, die genauso groß war wie er selbst und seinem Blick nicht auswich. Pluspunkt oder Minuspunkt? Das stand noch nicht fest, vor allem, da sie nicht einmal errötete, als er ihr intensiv in die Augen schaute, was nicht gerade selten vorkam, denn er konnte mit Fug und Recht von sich behaupten, dass seine Blicke Frauen umwarfen wie der letzte Frühjahrssturm die Wälder in den Bergen. Also eher Pluspunkt in seiner jetzigen Situation.

Er senkte seinen Blick. Ihre Stiefel blitzten. Gott sei Dank. Nachlässige Kleidung konnte er tolerieren. Menschen jedoch, die in ungeputzten Schuhen durch die Gegend liefen, waren ihm ein Gräuel.

Sein Blick wanderte langsam hinauf. Teufel noch mal, war diese Person mager. Minuspunkt, schoss es ihm durch den Kopf, nachdem er bemerken musste, dass auch ihre Weiblichkeit eher an Kindlichkeit herankam, was natürlich auch nicht anders sein konnte. Er hatte selten eine überschlanke Frau in Händen gehabt oder auch nur eine gesehen, die einen anständigen Busen und einen gemütlichen Hintern vorweisen konnte. Wahrscheinlich ging sie jeden Tag in die Muckibude, damit die letzte Spur Weiblichkeit auch noch dem angestrebten Sixpack Platz machte. Doch das hatte ihn in diesem Fall nicht zu interessieren. Hauptsache, sie hatte keine Haare auf den Zähnen.

Er verkniff sich ein Lächeln. Gut, dass die künstliche Intelligenz noch nicht vollends überall in den Häusern als Monster-Computer durch die Gänge wackelte, oder schlimmer noch, sich in Brillen versteckte, mit der fragwürdigen Möglichkeit, Gedanken zu lesen, sonst würde ihm die Frau jetzt eins mit dem Nudelholz über den Kopf geben, angesichts seiner, wie ihm wohl klar war, frauenfeindlichen Gedanken.

Er blickte geradewegs in die Augen der Frau, sofern man die dunklen Schlitze Augen nennen wollte. Wieder zuckte sie mit keinem Wimpernschlag. Von Kindlichkeit keine Spur. Die Frau, die sich bei ihm bewerben wollte, war eine gestandene Erwachsene mit Erfahrung und Selbstsicherheit. Er schwankte, ob er das als Pluspunkt oder doch lieber als Minuspunkt geltend machen sollte. Er flog auf helle Kulleraugen. Eindeutig Minuspunkt!

Ihre – noch verbliebenen – Haare waren tiefschwarz. Das Wort Frisur konnte man sich bei dem Schnitt schenken.

»Kommen Sie rein.« Der Klang seiner Stimme ließ niemanden darüber im Unklaren, dass er hier der Chef und nicht etwa der Bürodiener war. Er drehte sich um und ging ihr voraus durch das Sekretariat in sein Büro. Es wirkte mit den stilvollen Regalen, dem dunklen Schreibtisch mit der grünen Schreibunterlage aus Leder auf dem rostroten Perserteppich, den duftigen Gardinen, die bis auf den Parkettboden reichten, und den schweren grünen Vorhängen, die die Hitze des Sommers und neblige Kühle des Lago ausschlossen, sowie der altmodischen Leuchte mit dem grünen Schirm, die die Lederoberfläche des Schreibtisches ausleuchtete, so behaglich, dass man hätte meinen können, sich im privaten Arbeitszimmer eines Signore zu befinden, statt im Büro eines Managers, der von hier aus einige luxuriöse Hotelanlagen auf der ganzen Welt befehligte. Okay, in einem Büro aus den Sechzigerjahren, schmunzelte er innerlich. Modischen Chic hatte er zur Genüge in seinen zahllosen Hotels. Hier bei sich zu Hause liebte er es gemütlich. Es tat gut, wenn sich wenigstens bei ihm nichts veränderte und die Zeit stehen geblieben schien.

»Danke«, sagte die Frau.

Die Piepsstimme, die er bei ihrer Magerkeit befürchtet hatte, fehlte zum Glück. Pluspunkt! »Setzen Sie sich!«

Die Frau gehorchte. Er ging nach nebenan, füllte Wasser in den elektrischen Kocher und stellte ihn an. Dann löffelte er Kaffee in den Filter und trug zwei Kaffeetassen in sein Büro. Zucker stand wie üblich bereits auf seinem Schreibtisch. »Mit Milch oder ohne?«

»Kaffee oder Tee?«, stellte sie die Gegenfrage.

»Kaffee. Tee ist, scheint’s, ausgegangen.«

»Schwarz bitte.«

Er ging erneut hinaus. Das Wasser kochte bereits, und er goss es in den Filter. Dann gab er Leitungswasser in zwei Gläser und trug sie in sein Büro.

Die Frau hatte sehr schöne Beine. Ihre Füße jedoch waren zierlich wie der Elefantenfuß hier in seinem Büro, den er hegte und pflegte wie die Mutter ihr Neugeborenes, was diese robuste Pflanze allerdings nicht nötig hatte, denn sie war anspruchslos.

Das geschah alles, ohne dass er ein Gespräch in Gang setzte. Smalltalk am frühen Morgen war ihm ein Gräuel. Immer noch schweigsam, goss er die beiden Tassen voll.

»Was führt Sie zu so früher Stunde zu mir?«

»Ich komme wegen Ihrer Stellenanzeige.«

Er hob die Brauen. »Wieso, wenn ich fragen darf, erscheinen Sie dann unangemeldet? Ich hätte doch außer Haus sein können und dann wären Sie umsonst gekommen.«

»Ich las, dass Sie sofort jemanden benötigen. Sofort bedeutet bei mir sofort, und da bin ich«, erklärte sie mit sachlicher Stimme.

»Aber sofort bedeutet nicht zu nachtschlafender Zeit vor neun Uhr.«

»Der frühe Wurm fängt den Vogel.«

»Umgekehrt.«

»Pardon?«

»Der frühe Vogel fängt den Wurm. Ein blöder Spruch.«

»Natürlich.« Sie nippte am Kaffee.

Er schien ihr zu bitter, vermutete er, als sie einen Schluck Wasser hinzugab. Minuspunkt.

Ihre Hände waren im Gegensatz zu denen seiner früheren Sekretärin kräftig, dagegen gab es nichts zu sagen. Die Nägel waren kurz geschnitten und unlackiert, wie er es bevorzugte. Sie war mithin trotz ihrer Magerkeit nicht so ein ätherisches Geschöpf wie die Heulsuse. Von Neurotikerinnen hatte er wahrlich die Nase voll.

Wortlos maßen sich ihre Blicke. Sie blinzelte nicht, sie wich ihm nicht aus – Pluspunkt. »Was also wären Ihre Vorzüge?«

»Ich bin gut, um nicht zu sagen perfekt«, entgegnete sie, »ich meine als Ihre Sekretärin.«

Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, war präzise und klar. Ein weiterer Pluspunkt! Aber sie war ein bisschen zu arrogant und ein bisschen zu sehr von sich eingenommen. Minuspunkt!

»Worin sind Sie perfekt – ich meine einmal davon abgesehen, dass Sie nicht wissen können, was ich von einer perfekten Sekretärin erwarte.«

»Ich meine damit, ich bin perfekt in allem.«

Er hob ironisch die Brauen. Als er sah, wie sie errötete, zum ersten Mal an diesem frühen Vormittag, verbuchte er das als Plus für sie.

»Ich meine in allen Büroarbeiten und natürlich in sämtlichen gängigen Computerprogrammen«, setzte sie hinzu.

»Menschlich gesehen also sind Sie unperfekt?«

Sie hüstelte verlegen, wobei der Kaffee in ihrer Hand leicht über den Tassenrand auf den Unterteller schwappte. Pluspunkt.

Sie stellte die Tasse zurück auf den Tisch. »Menschlich – nun ja … Das … das habe ich so nicht gemeint.«

»Was haben Sie gemeint? Genauer bitte.« Mit Vergnügen bemerkte er, wie sie unmerklich ihre vollen, schönen Lippen aufeinanderpresste. Also war sie doch keine Eisprinzessin, wie sie den Anschein gab. Gut so. Ein Pluspunkt für ihn.

Sie nahm ihre Mappe, öffnete sie und legte einen Stapel Papiere auf den Tisch. »Ich bin gewieft in allen Arbeiten, die in einem Sekretariat anfallen. Wenn Sie bitte schauen wollen. Ich habe alles beigefügt. Sämtliche Zeugnisse von der Schule bis zu meinem letzten Arbeitgeber und den Extrakursen, die ich in Deutschland und England besuchte.«

»Nichts als Schall und Rauch.«

»Pardon?«

Noch einmal das affige Pardon und sie war aus der Tür, ehe sie Au revoir hervorgebracht hatte! »Zeugnisse kann man fälschen. Ich verlasse mich nur auf meine Augen und Ohren. Und meinen Verstand«, fügte er zufrieden hinzu. »Auf den zumindest kann ich mich verlassen.«

Sie zuckte mit keiner Braue, kein Muskel in ihrem Gesicht bewegte sich. Alles an ihr war glatt wie Carrara-Marmor, mit Ausnahme der Sommersprossen auf ihrem Zinken und der sprühenden Schlitze, bei denen es einen wunderte, dass sie mit ihnen überhaupt etwas sehen konnte. Ihre Beherrschung konnte er nur bewundern. Pluspunkt!

Er nahm seinen Stift und einen Block. »Also noch mal von vorne: Wie heißen Sie?«

»Ich bin Isabella de Saint-Martin.«

Ihre Stimme klang derart nasal, dass er sich zurückhalten musste, um nicht aufzuspringen und ihr die Tür zu weisen, damit sie verschwand. Er warf den Stift von sich. »De Saint-Martin? Sie wollen mir damit nicht sagen, dass Sie eine Adelige sind.«

Sie hüstelte erneut, und er unterdrückte nur mühsam einen unflätigen Ausruf.

»Äh … warum fragen Sie?«, brachte sie, anscheinend endlich aus dem Konzept gebracht, heraus.

»Ich kann Adelige nicht leiden, diese affigen, reichen Snobs, die sich alle für was Besseres halten.«

»Pardon, nein, ich … Der Name de Saint-Martin ist der Name meines geschiedenen Mannes … äh … Ich werde natürlich meinen wieder ändern lassen.«

»Geben Sie mir Ihre Unterlagen.«

Sie ergriff hastig die Papiere, nahm rasch einige von ihnen aus dem Stapel und hielt sie vor die Brust, als wolle sie sie vor seinem durchdringenden Blick schützen.

Wortlos hielt er ihr die geöffnete Hand hin. »Ich meine alle Unterlagen.«

»Ich dachte, … meine Schulzeugnisse interessierten Sie nicht.«

»Jetzt schon.«

Widerwillig, wie er sehr genau registrierte, legte sie sie vor ihn auf den Tisch. Er nahm sie aus der Plastikmappe und ging sie wahllos durch. Täuschte er sich oder hatte ihre Stimme wirklich gezittert? In seinem langjährigen Geschäftsleben hatte er gelernt, auf solche winzigen Zeichen zu achten. Die Dame, die den Eindruck machte, als hielte sie einer Dampfwalze stand, hatte er tatsächlich mehr verunsichert als vermutet.

Irgendwas stimmte da nicht, aber das würde er schon herausfinden. Er ergriff die Schulzeugnisse, da segelte eines davon auf den Boden.

Sie erhoben sich gleichzeitig, um das Blatt aufzuheben, und stießen mit den Köpfen zusammen. Er nahm den Bogen in die Hand und griff sich mit der anderen an den Kopf.

»Sieger!«, rief er spöttisch aus. »Aber Ihr Schädel ist aus Granit.«

»Dafür kann ich nichts«, erwiderte sie mit heiserer Stimme. Sie hatte den Zusammenprall wenn auch mit hochrotem Kopf so doch ohne den kleinsten Mucks überstanden.

Er setzte sich wieder hin. Auch sein Gegenüber sank auf den Stuhl. Sie strich sich die Haare aus der Stirn, dabei bemerkte er, wie ihre Hände zitterten. Aha, also die Schulzeugnisse waren der Knackpunkt. Er blätterte sie schweigend durch, schaute genauer hin und da erkannte er, welchen Fehler sie begangen hatte.

Er warf die Zeugnisse lässig auf den Tisch, faltete die Hände und lehnte sich leicht zurück in seinen bequemen Schreibtischsessel.

»Hatten Sie eine Sondergenehmigung für Ihre kindliche Hochzeit?«

Sie antwortete nicht, doch er bemerkte, wie sich der Glanz in ihren Augen verstärkte.

»Mit acht Jahren bereits mit Herrn de Saint-Martin verheiratet, das nenne ich ein schweres Los. Soweit ich weiß, ist das selbst unter Adeligen nicht mehr Usus.«

Sie ergriff hektisch die Zeugnisse, raffte die anderen Papiere zusammen und stand vom Stuhl auf. »Ich denke, die Sache hat sich erledigt«, brachte sie wütend hervor. »Adieu.«

Erstaunt registrierte er, dass sie nicht etwa verlegen, sondern schlicht wütend war. Wieder einmal versetzte die Dame ihn in Erstaunen und das, wo sie sich doch erst so kurz kannten. Wobei kannten wohl zu viel gesagt war.

Sie ergriff ihre Handtasche, dabei segelten erneut einige Blätter auf den Boden. »Oh nein.«

Diesmal klang ihre Stimme so, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Dies galt es zu verhindern. Er hatte den Satz kaum zu Ende gedacht, da war er bereits um den Schreibtisch herumgestürzt und hatte die Zeugnisse eingesammelt.

»Flucht ist nicht immer der beste Ausweg«, bemerkte er süffisant und hielt ihr die Unterlagen hin.

Der Blick, den sie ihm zuwarf, verlangte ihm Hochachtung ab.

»Ich sehe, dass ich mit Ihnen nur meine Zeit verschwende.«

Ihre Stimme hatte die Fassung wiedererlangt. Gottseidank.

»Reden Sie keinen Unsinn. Setzen Sie sich hin und erklären Sie mir, was hier eigentlich läuft.«

Sie zog die Brauen zusammen und herrschte ihn an: »Ich kann nicht mit jemandem zusammenarbeiten, der solche Vorurteile gegen andere Menschen hegt.«

»Holla, da sind Sie aber die Erste, die mir das vorwirft.«

»Dann wurde es höchste Zeit.«

»Lady, wenn wir ins Geschäft kommen wollen, sollten Sie Ihren Ton zügeln«, entgegnete er scharf. »Und jetzt bitte ich Sie inständig, setzen Sie sich hin und lassen Sie uns vernünftig wie zwei Erwachsene verhandeln.«

»Ich bin vernünftig.«

»Sie hatten soeben vor, mich zu betrügen.«

»Ich betrüge Sie nicht, wenn ich Ihnen vorspiele, dass ich demnächst wieder meinen Mädchennamen annehmen werde.«

»Darüber kann man streiten.« Leicht genervt deutete er auf ihren Stuhl und tatsächlich gab sie sich die Ehre und nahm wieder Platz. »Ich finde, eine kleine Entschuldigung wäre zumindest angebracht«, sagte er und trat wieder hinter den Schreibtisch. Lässig sank er in seinen bequemen Arbeitssessel. »Und jetzt geben Sie mir bitte wieder Ihre Papiere.«

Sie folgte seiner Aufforderung diesmal kommentarlos, wie er zufrieden bemerkte. »Sie waren also verheiratet und tragen jetzt wieder Ihren Mädchennamen de Saint-Martin. Es ist der Name Ihres Vaters? Habe ich bis hierhin alles richtig verstanden?«

»Ja. Aber … aber er ist nur ein Seigneur, also ein Gutsherr, ein verarmter. Er hat aber kaum mehr Verbindung zu seiner eigenen Familie, nachdem er meine Mutter geheiratet hatte. Meine italienische Mutter. Das mit dem Namen meines geschiedenen Mannes ist Unsinn. Ich habe seinen Namen sofort nach unserer Scheidung abgelegt, die übrigens nicht erst im vorigen Jahr erfolgte, sondern bereits vor …«, sie zählte an den Fingern ab, »… vor einundzwanzig Jahren stattfand. Es fällt mir nicht leicht, es Ihnen zu gestehen«, gab sie mit waidwundem Blick von sich, »aber ich habe Sie belogen, weil ich unbedingt die Stelle haben möchte.«

»Die Zeugnisse Ihres letzten Arbeitgebers sind hervorragend. Ich hoffe, sie sind nicht gefälscht?«, konnte er sich nicht verkneifen hinzuzufügen.

Sie schnappte nach Luft. Dann sagte sie: »Meine Zeugnisse sind echt. Sie können sich ja bei meinem letzten Arbeitgeber erkundigen.«

»Haben Sie selbst gekündigt oder wurden Sie rausgeworfen?«

»Die Firma ging in Insolvenz, daher muss ich mir jetzt eine neue Arbeit suchen.«

Er nickte wortlos. »Wo wohnen Sie?«, fragte er und widmete sich erneut dem letzten Arbeitszeugnis, das sich als brillant erwies.

»In Riva.«

»Ich sehe, Ihre Sprachkenntnisse sind beachtlich. Das ist gut, denn ich spreche kein Französisch und nur wenig Deutsch und erst recht kein Spanisch.« Er nahm wahllos aus einem Stapel neben sich ein Schreiben an einen französischen Hotelier, zu dessen Übersetzung seine Exsekretärin nicht mehr gekommen war, und warf es mit einer spielerischen Gebärde vor sie auf den Tisch. »Übersetzen Sie!«

Sie übersetzte. Flüssig und fehlerlos. Doch dann passierte ihr ein Fauxpas, wenn man die Unverschämtheit so nennen wollte, der so rotzfrech war, dass ihm beinahe der Atem stockte, der sie ihm jedoch irgendwie auf Anhieb sympathischer machte.

»Und Sie, Monsieur«, endete sie in demselben phlegmatischen Tonfall wie sie die ersten Sätze des Geschäftsbriefs begonnen hatte, »sind ein entsetzlich ungehobelter Klotz, dem man unbedingt einmal beibringen müsste, wie man sich anständig benimmt! Mit freundlichen Grüßen von mir, die auf eine Stelle wie die Ihre pfeift.«

Aha, die Dame konnte auch anders. Minuspunkt oder Pluspunkt, keine Ahnung. »Was bedeutet rustaud?«

Peng! Dieser Schuss hatte sie zum ersten Mal komplett aus den Latschen katapultiert. Bravo.

»Rustaud bedeutet ungehobelt, also ungehobelter Klotz«, kam es heiser nach einer winzigen Sekunde über ihre Lippen – hübsche Lippen, wie er erneut feststellte.

»Dieser ungehobelte Klotz könnte Ihnen immerhin eine Stelle anbieten, nach der sich andere Frauen die Finger lecken. Und ich versichere Ihnen, dann und wann bin ich durchaus in der Lage, mich zu benehmen«, sagte er mit hochmütiger Stimme.

Mit Vergnügen registrierte er, wie sie puterrot wurde. Die Stille, die eintrat, genoss er ebenso und er hatte nicht vor, sie von sich aus zu beenden.

Sie handelte, wie er es vorausgesehen hatte. Mit hektischen Bewegungen ergriff sie ihre Handtasche und stand auf. »Ich bitte um Entschuldigung.«

Sie hatte beinahe schon die Tür erreicht, da rief er sie zurück. »Pardon, Madame. Eine perfekte Sekretärin übersteht auch eine solche Situation mit Contenance«, sagte er ironisch. »Außerdem haben Sie Ihre Bewerbungsunterlagen vergessen.«

Schweigen.

»Jetzt kommen Sie zurück. Ich bin mir sicher, so ein Lapsus wird Ihnen in Zukunft nicht so schnell wieder passieren.« Da war er sich allerdings gar nicht sicher.

Sie antwortete immer noch nicht, doch ihr Schritt verzögerte sich.

Er verdrehte ungeduldig die Augen. »Jetzt machen Sie schon. Zeit ist Geld, und ich habe heute Morgen noch nicht gefrühstückt.«

Endlich drehte sie sich mit einer unschlüssigen Bewegung um. Auf ihren Wangen hatten sich hektische rote Flecken gebildet, als sie an den Schreibtisch zurückkehrte. Aus ihren Augenschlitzen schossen Feuersalven.

Er hob die Hand und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. »Voudriez-vous prendre place? Je vous en prie!«, fügte er mit samtener Stimme hinzu.

»Sie dürfen ruhig weiter mit mir Italienisch reden, ich weiß ja nun, dass Sie Französisch können«, sagte sie, während sie seiner Bitte nachkam, sich setzte und ein Bein über das andere schlug, wieder ganz die selbstbewusste Dame, die vor wenigen Minuten sein Büro betreten hatte. »Was Sie bisher leugneten«, äußerte sie kühl, nun beinahe wieder kontrolliert wie zu Beginn, wenn auch mit einer Spur Trotz in der Stimme.

»War gelogen«, grinste er.

Die Stille, die eintrat, war erneut so spannungsgeladen, dass man meinte, das Wasserglas vor ihr müsse gleich zerbersten, wie bei einem Sänger, der das hohe C meisterhaft in die Welt schmetterte.

Aber dann tat sie etwas, das ihm nicht nur Spaß bereitete, sondern auch Respekt abverlangte, und er eindeutig als Pluspunkt vermeldete: Sie fiel in herzhaftes Gelächter, wobei sich ihre Augenschlitze noch mehr verengten und die tanzenden Sommersprossen auf ihren Wangen ihrem Gesicht einen koboldartigen Ausdruck verliehen.

Er konnte nicht anders und fiel brüllend in ihr Gelächter ein. Bei diesem Anblick purer Lebensfreude würden sich auf der Stelle bei jeder noch so hartnäckigen Konkurrenz die Gegenargumente in Luft auflösen, sofern diese immer noch vorhanden wären und sie sie nicht schon vorher präzise Punkt für Punkt zerlegt hätte. Ja, diese Frau würde die Gegner aufs Kreuz legen. Genau das, was er brauchte!

»Ich bitte nochmals um Entschuldigung«, sagte sie nach einer Weile und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.

Er überlegte, ob sie sich bisher überhaupt zu einer Entschuldigung hatte hinreißen lassen. »Geschenkt.«

Wieder erschien ein flüchtiges Rot auf ihren Wangen. »Aber ein wenig mehr Höflichkeit dürfte man wirklich erwarten«, sagte sie mit fester Stimme, das Kinn erhoben.

»Was hab ich denn falsch gemacht in Ihren Augen?«, erkundigte er sich neugierig.

»Da gäbe es so einiges.«

Er hob interessiert die Brauen. »Was?«

»Nun ja, hier in Ihren Büroräumen ist es nicht sehr warm. Trotzdem bietet man einer Dame zu Beginn eines Gesprächs an, sich ihres Mantels zu entledigen.«

»Capito. Noch mehr?«

»Si.«

»Nun machen Sie schon, mir knurrt der Magen«, brummte er.

»Zum Zweiten bietet man einer Dame den Stuhl an und befiehlt nicht mit Kommandostimme, sich zu setzen.«

Er stellte das Glas Wasser zurück, ohne einen Schluck getrunken zu haben. »Wie anders, zum Teufel, soll ich einer Dame denn bedeuten, sich zu setzen?«, fragte er konsterniert.

»Ohne jetzt auf Ihr zum Teufel einzugehen, könnte man zum Beispiel sagen: ›Bitte nehmen Sie Platz‹, und dann weist man auf den Stuhl, auf dem die Person Platz nehmen soll. Und wenn man sich in einem Restaurant befindet und kein Kellner in der Nähe ist, der einen zum Tisch geleitet, rückt man ihr freundlich den Stuhl zurecht, auf den sie sich dann setzen wird.«

Gott, diese Frau war schlimmer als eine Gouvernante. Zudem vielleicht doch eine Mimose! Wie hatte er sich nur dermaßen in ihr täuschen können? Die war ja schlimmer als Eva. »Sonst noch was?«

»Also wenn Sie so fragen, dann würde ich ganz allgemein den Befehlston etwas abmildern«, entgegnete sie.

Die Milde in ihrer Stimme, die jedoch nicht den unbezwingbaren Willen verstecken konnte, der dahinter lauerte, ließ auf der Stelle das Bild seiner Großmutter väterlicherseits vor seinen Augen erscheinen. Teufel noch mal, dieses Weib könnte ihre Tochter sein, genauer, ihre Enkelin.

Er fixierte sie durchdringend und wieder hielt sie seinem Blick stand. Ihr Gehabe brachte ihr Minuspunkte, mehr als genug. Eindeutig. Sie waren doch hier nicht im Kindergarten. Andererseits, so ein bisschen war vielleicht dran an ihrem Getue. Er hatte vor allem zu Beginn seines beruflichen Aufstiegs tatsächlich manches Mal auf dem gesellschaftlichen Parkett feststellen müssen, wie einige der staubtrockenen Ladys – vor allem in England und Frankreich – die Nase rümpften, wenn er sich augenscheinlich daneben benommen hatte – was ihm erst später bewusst geworden war. Und eigentlich vermeinte, überwunden zu haben. Aber schließlich war er nicht auf irgendeinem pompösen Schloss groß geworden, wie wahrscheinlich ihr Herr Papa, sondern in einer Limonaia, wo man mit seiner Hände Arbeit die Früchte erntete, von Sträuchern, die man mit Liebe über den Winter gebracht hatte. Eine Arbeit, die ihn zutiefst befriedigte und die er so oft vermisst hatte. Das Speisen in eleganten Hotels, überhaupt die ganze vornehme Welt, waren erst später hinzugekommen. Und außerdem sollte die feine Gesellschaft sich bloß zurückhalten: Das ungehörige Auftreten mancher Reicher war ihm zutiefst zuwider. Im Vergleich zu denen war jeder Arbeiter in einer Limonaia kultivierter als diese Herrschaften. Das Getue um die Reichen hatte unter anderem zu dem Entschluss geführt, seine Lebenssituation ab jetzt von Grund auf zu verändern. Und dazu benötigte er eine brauchbare Sekretärin. Eine wie diese Frau, wie er unwillkürlich zugeben musste.

Er bemerkte, wie sie die Pflanze auf dem breiten Fensterbrett anschaute. »Ein prächtiger Elefantenfuß«, sagte sie mit Bewunderung in der Stimme.

»Richtig. Findet man eigentlich selten«, erwiderte er.

»Ich weiß. Ich habe auch einen, aber Ihrer ist noch um einiges älter«, stellte sie mit einiger Begeisterung fest.

Pluspunkt. »Den hat mir meine Schwester Edina vor Jahren nach einem heftigen Streit geschenkt. Er erinnere sie an mich, fand sie«, grinste er.

»Wieso das?«, kam die erstaunte Rückfrage, die jedoch gespielt war, wie er sofort erkannte.

»Der Fuß … Sie ahnen, warum.«

»Äh … nicht direkt. Okay, ja«, gestand sie dann lachend.

»Exakt. Der Elefant im Porzellanladen.«

»Aber … Haare besitzen Sie ja eigentlich noch genug.« Augenzwinkernd wies sie auf die dichten, schmalen, überhängenden Blätter.

»Das will ich meinen«, sagte er streng und fuhr sich mit den Fingern durch die tatsächlich dichte Pracht. »Nein, die Blätter, meint sie, wären meine Antennen. Ich bin ziemlich empfindsam, auch wenn man es mir nicht auf den ersten Blick anmerkt.«

»So, so.«

So, so! Wieder eine Antwort, die ihm nicht so recht behagte, schon gar nicht der Hauch von Ironie, der darin mitschwang. Etwas mehr Gefühl könnte man sich wohl wünschen. Aber egal. Sie beide waren keine Betschwestern, sondern hier ging’s ums Geschäft.

»Ich würde vorschlagen, wir gehen jetzt nach nebenan und essen einen Happen. Und dann sehen wir weiter.« Mit diesen Worten erhob er sich und wandte sich zur Tür. Sie folgte auf dem Fuße. »Mais je vous en pris, après vous«, sagte er charmant, öffnete die Tür und ließ sie vorausgehen. Sie trat an ihm vorbei zur Bürotür, die er wiederum für sie öffnete. Er schnappte sich seine Jacke und dann eilte er ihr voraus auf die schmale Straße.

Sie blieben stehen. »Es ist immer wieder wunderschön.« Seine zukünftige Assistentin – da war er sich plötzlich vollkommen sicher – breitete die Arme aus und bemerkte mit Andacht in der Stimme: »Der Lago und sein Licht – unvergleichlich. Gerade jetzt im Spätherbst muss man lange suchen, um einen solch herrlichen Flecken Erde zu finden. Und der entzückende Blick auf Limones Altstadt – ich war viel zu lange nicht mehr hier. Und dann die Olivenhaine und die Limonaie – diese tollen Gewächshäuser kenne ich nur von hier.«

»Ja, und das ist auch der Grund, weswegen ich mich beruflich verändern werde«, nickte er.

»Ach, ja?«

»Ja.« Er deutete auf die gewaltige Anlage, wo sich die Terrassen, die sogenannten Còle, den Hang hinaufzogen, mit dem Geräteschuppen, dem Casèl, in der Mitte. »Die Limonaia gehört uns, vielmehr meinem Vater, aber ich werde sie im nächsten Jahr übernehmen, um die Tradition am Leben zu erhalten. Er beherbergt in seinem Garten tolle, sehr große Pflanzen von Zitronen, Zitronatzitronen, Bitterorangen, Clementinen und Kumquats. Ich habe schon mit einigen Restaurants Kontakt aufgenommen. Man wird künftig alle unsere Früchte beziehen. Und das zu unserem Preis. Einem stolzen Preis, den der Normalsterbliche heute nicht mehr bereit ist, zu zahlen. Mein Vater weiß noch nichts von seinem Glück«, schmunzelte er. »Es wird mein Weihnachtsgeschenk für ihn. Außerdem muss ich mich erst noch von meinem alten Leben verabschieden, wozu ich Ihre Hilfe benötigen würde – falls ich mich für Sie entscheide«, konnte er sich nicht verkneifen, hinzuzusetzen.

Sie schüttelte den Kopf. »Auch wenn Sie sich nicht für mich entscheiden sollten – was ich für einen Fehler halte …« Ihre Augen blitzten ihn einen Moment schelmisch an, »… so bedauere ich es nicht, hergekommen zu sein. Allein der kleine Hafen ist einen Besuch wert. Mein Vater hat ihn oft gemalt, aber nichts kommt der Natur gleich.«

Er wies auf den großen Garten den Hügel hinauf. »Kennen Sie sich aus mit den Gewächshäusern?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, nicht besonders. Ich weiß nur, dass Limone nicht wegen der Zitronen seinen Namen erhielt, mehr aber auch nicht.«

Er nickte. »Diesen Irrtum begehen viele. Man geht heute davon aus, dass Limone eigentlich dem Wort ›Limes‹ entstammt, da hier früher die Grenze zwischen der Republik Venedig zu Österreich verlief.« Als er fortfuhr, leuchteten seine Augen und seine Leidenschaft für die Limonaia war deutlich zu erkennen: »Charakteristisch für die Limonaie, also die Zitronengewächshäuser, sind die Mauern, Pfeiler, Treppen, Eingänge und Balken, die wir von November bis März mit Bretterabdeckungen und Glasscheiben verkleiden. Die Orangerien wurden ja gebaut, um vor allem die Zitronenbäume im Winter zu schützen. Die Gewächshäuser mussten früher regelmäßig im Winter beheizt werden, was heute durch den Klimawandel wegfällt. Allerdings verschließen wir immer noch die Gewächshäuser, um die Pflanzen vor winterlichen Winden und der Witterung zu schützen. Auch wenn sich das Klima wandelt: Die Bedürfnisse der Pflanzen sind heute die gleichen wie vor hundert oder zweihundert Jahren. An erster Stelle stehen die Vorteile der kühlen Überwinterung bei geringem Licht. Und optimal ist die natürliche Wärmeführung in der Hanglage. Hier steigt die warme Luft auf. Wenn die Pflanzen vor einer Rückwand stehen, kommt es zum Wärmestau, der ihr Gedeihen unterstützt. Ähnlich ist es, wenn Pflanzen unter einem Terrassendach stehen, das nur eine oder zwei offene Seiten hat, wie wir es neben unserem Haus vorfinden. Wenn man diese in kühlen Frühjahrsnächten noch schließen kann, verlängert das die Wachstumszeit.« Er spürte, wie sich seine Begeisterung steigerte, je länger er sprach.

»Seit wann gibt es diese Art des Zitronenanbaus?«, erkundigte sich seine zukünftige Sekretärin.

»Seine Geschichte geht bis auf die Renaissance, vermutlich das fünfzehnte oder sechzehnte Jahrhundert zurück. Die Zitronen am Gardasee waren vor allem für die Mitte Europas bestimmt, und als nördlichstes Anbaugebiet hatte Limone den kürzesten Weg in die Metropolen des Nordens. Dort fanden Zitronen als Statussymbol und Genussmittel, Grundstoff für Parfums und andere Aromen, reißenden Absatz. Allerdings dauerte diese Blüte nur bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Neue Transportmöglichkeiten machten es erschwinglich, günstiger produzierte Zitrusfrüchte aus dem Süden Italiens gen Norden zu bringen. Außerdem wurden Zitronenaromen und auch -essig zunehmend künstlich hergestellt. So gerieten die Limonaie am Gardasee in Vergessenheit, viele verschwanden ganz. Aber ich werde neue Wege gehen und freue mich auf meine zukünftige Arbeit.«

Italienischer Traum am Gardasee

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