Читать книгу Eine mysteriöse Entführung - Gabriele Schillinger - Страница 4
Der Unfall
ОглавлениеAls Helene im sechsten Monat schwanger war und gerade mit dem Einkauf nach Hause fuhr, übersah ein Lkw-Fahrer seinen Nachrang. Er prallte Helene mit großer Geschwindigkeit in die Fahrerseite. Die Feuerwehr musste die eingeklemmte Frau aus dem Auto schneiden. Helene war nicht bei Bewusstsein. Mit schweren Verletzungen wurde sie ins Krankenhaus gebracht. Eine Notoperation rettete ihr das Leben, eine weitere ihre Beine. Es war Glück, dass sie den Unfall überlebte.
Helene musste aufgrund ihrer großen Schmerzen in ein Koma versetzt werden. Ein Arzt teilte Karl inzwischen den Tod des Babys mit und dass Helene in Zukunft keine Kinder mehr bekommen konnte. Die Verletzungen im Bauchraum waren zu schwer und die Ärzte mussten ihr, um die inneren Blutungen in Griff zu bekommen, die Gebärmutter entfernen.
Obwohl Karl froh war, seine Frau bei dem Autounfall nicht verloren zu haben, lag diese Nachricht schwer auf seiner Seele. Als Helene aus dem Koma erwachte, musste er ihr die schlechte Nachricht vorsichtig beibringen. Karl legte seinen Kopf in Helenes Handfläche und sie weinten beide. Er murmelte immer wieder: „Wir schaffen das, wir schaffen das, …“.
Einen Monat später durfte Helene endlich wieder nach Hause. Karl kam, um sie abzuholen. Während der Autofahrt herrschte Stille. Es war einfach nicht mehr wie zuvor.
Karl sperrte die Haustüre auf, stellte seiner Frau die Tasche ins Wohnzimmer, küsste sie auf die Stirn und ging wieder. Helene schaute ihm traurig nach. Wollte er einem Gespräch über die Zukunft aus dem Weg gehen, oder konnte er Helenes Nähe nicht ertragen?
Das Haus fühlte sich irgendwie fremd an. Früher war es immer ein Ort der Geborgenheit und Wärme, doch nun strahlte es Kälte und Leere aus. Helene ließ sich weinend auf das Sofa fallen.
In den nachfolgenden Tagen vermied Karl weiterhin, lange mit seiner Frau alleine in einem Raum zu sein. Manchmal blieb er sogar die ganze Nacht über weg. Seine Abwesenheit begründete er mit Arbeit. Es wäre zurzeit einfach viel zu tun und manche Geschäftsleute bevorzugten beim Abendessen über diverse Vertragsinhalte zu reden. Da dies zwar die Abende erklärte jedoch nicht die Nächte, vermutete Helene, eine andere Frau hinter sein Fernbleiben. Bald darauf bemerkte sie unbekannte Damendüfte auf seiner Kleidung.
Als sie Karl damit konfrontierte, stritt er es nicht ab. Er meinte, dass sie derzeit ihren Ehepflichten nicht nachkommen konnte und er die Lücke mit anderen Frauen füllen musste. Obwohl er Helene versicherte, sie nicht weniger als zuvor zu lieben und er die Frauen nur für sein sexuelles Verlangen hatte, konnte sie dies nicht willigen. Karl legte aber noch nach. Er machte seiner Frau klar, dass er sie nicht um Erlaubnis fragen würde. Er hätte sie lediglich informiert, damit sie sich keine Sorgen machte, wenn er nachts nicht nach Hause kam.
Helene konnte es nicht fassen. Kränkte sie mehr das Wort „Ehepflichten“, oder weil er erwartete, sie würde seine Seitensprünge so einfach tolerieren? Helene verstand schon, dass er Bedürfnisse hatte, doch sollten Eheleute Entscheidungen dieser Art nicht vorher miteinander besprechen?
Helene verfiel in eine schlimme Depression.
Sie lag den ganzen Tag über im Bett, hatte keine Lust mehr aufzustehen. Nachts geisterte sie im Haus herum und überlegte, was ihr Ehemann gerade machte. Dann kamen die Vorwürfe, weil sie damals hochschwanger mit dem Auto einkaufen fuhr. Obwohl sie den Autounfall nicht verursacht hatte, gab sie sich trotzdem die Schuld daran. Ebenso stellte sie ihr ganzes Dasein in Frage und schließlich sehnte sie sich nach dem Tod.
Der Hausarzt machte sich Sorgen, verschrieb ihr Tabletten gegen die Depression und beauftragte Karl, einen Termin bei einem Gesprächstherapeuten auszumachen. Anfangs ging man von einer Hormonstörung aus, die noch von der abrupt beendeten Schwangerschaft her rührte, doch nachfolgende Untersuchungen bestätigten dies nicht.
Es lag an Karls Verhalten, seinen Frauengeschichten, die sachlichen Begegnungen mit ihm und der dominante Vertrauensmissbrauch. All dies nagte, neben dem Verlust des Babys, an Helenes Zustand. Die Therapeutin versuchte ihr bewusst zu machen, dass Karl bislang immer ihr Fels in der Brandung war und sie sich zu sehr darauf verließ, dass es immer so sein würde. Sein Verhalten nach der letzten Fehlgeburt war zwar nicht richtig, aber auch er litt unter den vielen Rückschlägen. Erst nach vielen Therapiestunden realisierte Helene, dass sie ihren Ehemann nie mehr so zurückbekommen würde, wie er einmal war.
Mit dem Schicksalsschlag fiel ein Verhaltensschalter bei ihm hinunter, der nicht mehr aufzuheben war.
Immer wieder war sie am Rande ihrer Kräfte, lag Lebensverneinend den ganzen Tag lang im Bett. Dann wiederum strotzte sie vor Energie, wollte alles ändern, bis sie erneut leer in den Raum starrte. Selbst der Kontakt zu Freunden gestaltete sich als kompliziert. Helene weinte viel und mit diesem Zustand konnten die meisten nicht gut umgehen. Bald stellte sich heraus, dass ihre Freunde eher Bekannte waren, die sich vor Schicksalsschlägen anderer gerne abwanden.