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VISIONS-PROJEKT: DIE KARAWANE

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Mein Bruder Galkaan ist der Eltern Kind, und ich bin des Volkes Kind. Und so habe ich all die Jahre immer wieder an uns beide gedacht, die sonst einander immer nah geblieben sind wie Zwillingslämmer. Denn ich habe ständig hellwach darüber nachgedacht, was wird eines Tages aus unserem kleinen Volk werden? Und ich sah, der Untergang kam über uns, drohte uns auszulöschen. Die Menschen wurden immer weniger und weniger an der Anzahl, da sie unaufhaltsam auswanderten. Und ich habe mich jedes Mal darüber geärgert, habe tiefe Schmerzen in mir gefühlt, wenn ich hörte: wieder welche ausgewandert … drei Jurten, zehn Jurten … Ich wollte dieser Auswanderung ein Ende setzen. Eines Tages hatte ich dazu die Möglichkeit, ich hatte Geld genug, um eine Karawane zustande zu bringen. Und damit wollte ich den Gestrandeten in der Fremde nach Hause helfen. Das tat ich dann auch. Aber die Idee zu diesem Abenteuer ging ursprünglich aus einer Spielerei hervor. Ich saß in einem bayerischen Biergarten mit meinem Verleger in München und wir phantasierten beide, aneinander neckend. Zuerst fragte ich meinen Gastgeber nach seinem verlegerischen Plan, worauf er augenzwinkernd sagte, er werde seinen Verlag so gewaltig vergrößern, dass der damals noch lebende und herrschende Siegfried Unseld von dem Riesen Suhrkamp-Insel bei ihm als Pförtner angestellt sein werde. Und daraufhin gab ich an, nach meinem Vorhaben gefragt, ich würde mein zerstreutes Tuwavolk zurückholen, dabei selbst zum mächtigsten Mann der Mongolei werden. Und würde jedem, der zurückwolle, das nötige Geld auf die Hand legen, um daraufhin meinen gewalttätig ausgelöschten Landkreis endlich wiederherzustellen, ihn zunächst zu einem selbständigen Bezirk, später zu einem Fürstentum zu machen und selbst zum Fürsten zu werden. Und erzählte, dass ich vorerst jährlich zehn Familien zurückhole, indem ich den Transport der Jurten und ihrer Mitglieder voll selbst finanziere. Darauf sagte der Verleger: „Aber warum denn das, lieber Galsan? Davon erfährt doch die große Welt nichts! Mach es doch lieber so spektakulär, wie es nur geht! Am besten eine Karawane, die größte seit Dschingis Khan!“ Das war der Funken, den mein Geist brauchte. Ich sagte: „Halt!“ und überlegte. Und sagte Sekunden später: „Ja, ich mache sie!“



Das Geld hatte ich! Ja, plötzlich schienen mich die Auszeichnungen Entdeckt zu haben: Der Chamisso-Preis, der Puchheimer Leserpreis, der Dodererpreis usw. Hinzu kamen die Tantiemen der Bücher und Honorare meiner Lesungen, Vorträge und Seminare. Alles legte ich zusammen, legte alles an. Damals waren die Zinsen unglaublich hoch. Jeden Monat bis zu sieben Prozent Zinsen. Ich muss sagen, ich verwaltete mein Geld so schlau, obwohl ich von dem Finanzwesen eigentlich gar nichts verstand. Tags dachte ich an das Geld, nachts träumte ich davon. Und das liebe Ding vermehrte sich insektenhaft rasch, da ich von Monat zu Monat mit der ganzen Geldsumme immer zu der Bank lief, die die höchsten Zinsen versprach. Und am 01.03.1995 war es so weit. Zuerst kaufte ich einen lack- und ladenneuen 4-Tonner. Ihn fuhr Heme, der Älteste meiner drei Söhne, und der jetzt hier mit auf dem Grundstück wohnt, der war gerade 27 Jahre alt. Und der Beifahrersitz musste abmontiert werden, denn da wurden zwei pralle Säcke verstaut, das war alles Geld, mein Geld, 80 kg im Gewicht. Darüber war ein Mantel aus Wolfsfell ausgebreitet, in welchen ich eingehüllt darauf saß, also saß ich buchstäblich auf meinem Geld. Und hinter mir, oben, unter der Schutzplane, saßen acht junge Männer, alle 20–30 Jahre alt. Und die waren mit Schießgewehren ausgerüstet. Auch hatten wir einen schönen, großen Hirtenhund mit.

Am 01.03.1995 zur Mittagsstunde verließen wir die Hauptstadt. Und dann fuhren wir in die Wüste Gobi. Um 500 Kamele zu kaufen, 500 Kamele! Ich meinte, da unten gibt es genügend Kamele. Und ich wollte alle Familien, die zurückwollten, mitnehmen. Das Auto fuhr gut, und es trug uns mitsamt dem Geld. Was ich noch nicht wusste: Hinter dem Geld fuhr die Inflation mit. Wir kamen da mit der Summe Geld an, die für die damalige Zeit unvorstellbar war. Und dies bewirkte wohl, dass jedes Kamelwesen über Nacht dreimal so teuer wurde, wie es noch gestern gewesen war. Doch was half es, ich wollte es so. Meine Händlertätigkeit dauerte zwei Wochen. Nun aber hatte ich am Ende 140 Kamele anstatt der anfangs beabsichtigten 500. Dabei habe ich alles, alles ausgegeben, was ich bei mir hatte, habe zuletzt sogar meine Silberschale angeboten, die ich bei mir hatte, weil mein Geld alle war. Meine schöne, geschichtsträchtige Silberschale und meinen großen, generationenalten Häuptlingsdolch. Gott sei Dank haben die Gobi-Bewohner anscheinend keine direkte Beziehung zu solchen Wertsachen, also wollte mir keiner dafür seine Kamele abgeben, sodass sowohl die Silberschale als auch der Edelstahldolch mit dem ganzen Zubehör aus weichem Weißsilber in meinem Besitz blieben.


VERLEIHUNG DES BUNDESVERDIENSTKREUZES DURCH FRAU DR. ANTJE VOLMER, LEIPZIG, 05.12.2002

Doch 140 Kamele, das sind ja keine 140 Hühner, das ist schon ein unübersehbar großes Volk. Und als wir mit der Herde so unterwegs zum Ausgangsort der Karawane waren, ach, da sind wir von so vielen Menschen mächtig bewundert worden. So viele Kamele in einer Herde schienen die Menschen hierzulande noch nie gesehen zu haben. Und die anderen Tiere, die nie Kamele gesehen hatten, Pferde wie Rinder, die wurden sofort panisch und rissen vor uns aus, vor Angst. Ja, sie schienen vor Kamelen mehr Angst zu haben als vor Wölfen. Das war eine sehr wichtige Erfahrung! Dann begann die Karawane. Ich gab jeder Familie fünf Kamele, schenkte sie ihnen. Und dann mietete ich noch etliche LKWs, deren Fahrer waren knallharte Geschäftsleute. Gut nun, ich gab, was sie von mir verlangten. Denn ich brauchte sie ja schließlich, genauso wie ich Kamele bitternötig brauchte. Und schließlich gab ich jedem der Karawanenführer eine feste Summe Tagesgeld. Das tat ich einfach, um sie bei Laune zu halten. Dazu muss ich sagen, dass dies meine Brust mit einem gewissen Stolz erfüllte: Andere wollen haben, haben und nochmals haben, Geld und Reichtum aufhorten, ohne zu wissen, wofür. Ich aber gab mein liebes, schwer verdientes Geld aus! Und was soll ich es verheimlichen, dabei kam ich mir irgendwie freigiebig, ja, edel vor. Wie ein Sohn, der seinen Eltern diente. Wie ein Vater, der seine Kinder ernährte. Des Volkes Sohn, wie meine Rolle mir zusagte. Und nun von dieser Sohn-Rolle zu einer Vater-Rolle. Volksvater. Volksführer. Retter meines armen untergehenden Volkes, von Nachbarn gehänselt, vom Staat vernachlässigt. Die Realität, die diesem selbstverliebten Wahn folgte, war rau. Mit manchen ernüchternden wie auch enttäuschenden Details. Die ganze Karawane dauerte 105 Tage und Nächte. Sie kostete viel Schweiß, genauso, wie sie viel Geld gekostet hat. Ich fror, schwitzte, litt Hunger wie Durst. Viele Nächte schlief ich nur zwei bis drei Stunden, andere Nächte gar nicht. Aber ich merkte dabei eine Sache: Ich wurde fester sowohl im Körper als auch in meiner Anschauung. Ich wuchs, wurde mehr, nahm insgesamt zu. Also, die Karawane verlieh mir Gewicht und Umfang. Meine Gedanken drehten sich nun nicht nur um das kleine Volk der Tuwa, sie erfassten auch andere Völker, verbreiteten sich auf größere Flächen. Auf die ganze Mongolei, auf das Schicksal des größeren Mongolen-Volkes. Aber auch das war nicht das Ende, als ich dann anfing, noch dies und jenes zu unternehmen. Da begannen sich die Gedanken schon um die Menschheit und deren Wohnort, den Planeten Erde, zu drehen. Das ist der Grund, weshalb ich einen Artikel „Der Planet Erde ist meine Heimat und die Menschheit ist mein Volk“ geschrieben habe. So arbeite ich heute für die Mongolei, pflanze Bäume und versuche auch noch, Regen zu erzeugen. Aber was heißt hier Mongolei? Im Grunde stehen dahinter auch der ganze Planet Erde und die ganze Menschheit. Ich bin also ein Mitglied der Menschheit und ich bin ein Bewohner des Planeten Erde.

Ohne die Tat ist alles nur Geplapper

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