Читать книгу Die 15 beliebtesten Kinderbücher in einem Band (Illustriert) - Гарриет Бичер-Стоу, Гарриет Бичер-Стоу, K. McDowell Rice - Страница 136

Dreiundzwanzigstes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Jim fort! – Alte Erinnerungen. – Phelps Sägemühle. Eine Verwechslung. – In der Klemme.

Jim, mein alter Jim war also richtig fort, elend verkauft und verschachert. Der Junge, der mir die Auskunft gegeben, war längst weiter gegangen und ich stand immer noch da wie verdonnert und konnte keinen rechten Gedanken fassen. So laß ich mich denn unter einem Baum zu Boden fallen und sinn' und sinn' und denk' und denk' und kann doch nichts zusammendenken, als daß mein Jim fort ist und ich nun wirklich ganz allein bin. Mir kamen die Thränen, so einsam und verlassen fühlte ich mich. War ja all meiner Lebtag auf mich selbst angewiesen gewesen, es hatte ja nie jemand nach mir gefragt, außer mein Alter, wenn der Geld brauchte, aber Jim – der hatte mich gebraucht, hatte mich lieb gehabt, wirklich lieb gehabt, dem hatte ich auch was sein können – meinen Jim mußte ich wieder haben! Darüber hinaus kam ich nicht!

Eine Stunde von hier, in jener Richtung mußte Silas Phelps wohnen, so hatte der Junge gesagt. Ich besinn' mich nicht lange und lauf tapfer zu. Auf einmal aber schießt es mir durch den Kopf: was willst du denn eigentlich, wenn du dort bist, wo sie Jim hingebracht haben? Das machte mich stutzig – darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht und so schlich ich mich wieder zur Seite in den Wald, setzte mich unter einen Baum und überlegte.

Was wollte ich eigentlich? Ja, da lag's! Ihm jetzt noch einmal und diesmal wirklich zur Flucht verhelfen? Das erste Mal war er von selbst durchgebrannt und ich hatte ihn unterwegs getroffen. Jetzt aber müßte ich alles aufs Gewissen nehmen und würde die ganze Schuld auf mich fallen. Ich wäre vor Scham unter den Boden gesunken, wenn ich je wieder Tom Sawyer oder einen der andern gesehen hätte. Ach, es waren doch schöne Zeiten dort im alten, lieben Nest! Selbst bei der Witwe ließ sich's ertragen und Miß Watson meinte es doch auch nur gut. Und ich – zum Dank dafür wollte ich ihrem Jim zur Flucht verhelfen! So konnte nur ein ganz räudiges, verlorenes Schaf, wie ich denken. Wie? – wenn ich mich nun hinsetzte und schrieb' einen Brief: »Liebe Miß Watson, Ihr Nigger Jim ist hier in ...« ja so, den Namen wußte ich ja noch nicht, der ließ sich aber leicht erfragen, – also: »Jim ist hier bei Mr. Phelps und gegen die versprochene Belohnung können Sie ihn wieder haben – Huck Finn!« – Wenn ich so schriebe, dann wäre alles gut, mein Gewissen rein und Jim – ja Jim, der arme Kerl, der müßte eben dafür büßen.


Der arme Jim! Ach, er war so gut und so freundlich mit mir gewesen und hatte mich immer so lieb gehabt. Schon dort bei der Witwe und nun gar erst auf unserm lieben Floß. Wie oft hatte er für mich gewacht und mich schlafen lassen! Wie hatte er für mich gesorgt und ist stolz auf mich gewesen und so dankbar für alles! Und ich sollte ihn verlassen? Und sie schleppten ihn wieder zurück und Miß Watson verkaufte ihn aus lauter Wut weit weg von Weib und Kindern? Ich meinte Jims kummervolles Gesicht zu sehen! Nein, ich konnte, konnte nicht so treulos sein. Und wenn es Todsünde wäre und ich geradewegs zur Hölle müßte – na, dort war auch eher Platz für Huck Finn, den Schmierfink, als da oben in den glänzenden Himmelshallen bei den saubern Engelein! Ich konnte doch nichts Besseres verlangen – so ein armer, elender Teufel, wie ich einer war. Es war ja schrecklich, einem Nigger durchzuhelfen, das wußte ich; es war schlimmer als lügen und stehlen und rauben und morden, aber einerlei, ich konnte doch Jim nicht im Stich lassen! Als ich soweit einmal mit mir im klaren war, sprang ich auf, wanderte rüstig drauf los und dachte, alles Übrige – wie und auf welche Weise ich dem armen Jim würde helfen können werde sich schon finden, wenn ich erst einmal an Ort und Stelle sei und im stande, die Gelegenheit auszukundschaften.


Mein Weg führte noch eine Strecke weit durch dichten Wald, dann erreichte ich ein frisches, grünes Thal, sah ein Gebäude von ferne, hielt drauf los, von einer Ahnung ergriffen, die sich als richtig herausstellte. Denn als ich mich näherte, konnte ich klar und deutlich lesen: ›Sägemühle von S. Phelps.‹ Da war ich also an Ort und Stelle und wollte nun das Schicksal gewähren lassen, wie es mich trieb.

Alles ringsum war wie ausgestorben, still wie am Sabbat, heiß und sonnig. Die Leute schienen alle im Feld bei der Arbeit, und in der Luft schwirrte und summte es von Käfern und Insekten und dieser Ton giebt einem immer das Gefühl, als ob alles vereinsamt, jedermann gestorben und begraben sei. Kommt dann ein leichtes Lüftchen und bewegt die Blätter leise, so meint man das Flüstern der Geister der Dahingeschiedenen zu hören und es läuft einem ordentlich kalt über den Rücken, und man wünscht selbst tot und begraben zu sein und erlöst von all dem Übel der Welt.

Silas Phelps' Farm war eine kleine Baumwollen-Anpflanzung, wie man sie zu Dutzenden trifft und die man im Traum beschreiben kann. Ein Zaun rings um den großen Hof, ein paar elende Grasplätzchen drin, sonst kahl und glatt wie ein abgeschabter Filzhut. In der Mitte ein großes Blockhaus für die Familie aus behauenen Holzblöcken und die Spalten dazwischen mit Speis und Mörtel zugeschmiert und vor Zeiten einmal getüncht. Dicht daneben eine Küche, durch einen breiten, großen, offenen, aber überdachten Gang mit dem Hause verbunden. Hinter der Küche die Räucherkammer. Jenseits derselben drei Negerhütten in einer Reihe, dann eine einzelnstehende weiter hinten gegen die Rückseite des Zauns zu, dann noch ein paar Wirtschaftsschuppen in derselben Richtung. Ein großer Kessel, um Seife zu sieden bei der kleinen, einzelnstehenden Hütte; vor der Küchenthüre eine Bank mit einem Wassereimer und Schöpfer drauf, ein Hund liegt davor ausgestreckt und schläft mitten in der heißesten Sonne. Im Hof zerstreut noch mehr Hunde, ebenso beschäftigt. In einer Ecke des Hofs ein paar Schatten spendende Bäume, am Zaun einige Johannisbeer- und Stachelbeerbüsche. Außerhalb des Zaunes ein Garten und ein Melonenbeet, dann die Baumwollenfelder und dahinter die Wälder.

Ich ging erst einmal rings herum und betrachtete mir das Ganze von allen Seiten. Dann kletterte ich hinten über den Zaun und ging direkt auf die Küche los. Kaum war ich ein wenig vorgerückt, so hörte ich das Summen eines Spinnrads, immer denselben kläglichen gleichmäßigen, einförmigen Ton und nun kam mir erst recht der Wunsch, tot zu sein, denn von allen Geräuschen der Welt ist mir dies das Unausstehlichste, es macht mich ganz traurig und melancholisch. Abhalten ließ ich mich aber nicht, sondern schritt kühn drauf los und hoffte, daß die gütige Vorsehung mir die rechten Worte zur rechten Zeit schon in den Mund legen würde; bis jetzt hatte sie's wenigstens noch immer im richtigen Moment gethan, wenn ich sie nur ruhig gewähren ließ.

Kaum war ich halbwegs bis zur Küche vorgerückt, als erst ein Hund sich kläffend erhob, dem alsbald ein zweiter folgte und im nächsten Moment war ich von ungefähr fünfzehn umgeben, wie die Achse eines Rades von den Speichen und alle hoben ihre Köpfe und Nasen nach mir und bellten und zeterten und heulten in allen Tonarten. Und wohin ich blickte, aus allen Ecken und Enden, hinter den Hütten hervor und über den Zaun herüber, kam noch neuer Nachschub angesegelt; ich stand ganz still dazwischen, rührte mich nicht und betrachtete mir die Meute.

Ein altes Negerweib kam jetzt aus der Küche angerannt und verscheuchte die Bestien mit einem Bratspieß, den sie kriegerisch schwang. »Wollt ihr wohl? du ›Tiger‹ und du ›Juno‹ fort mit euch!« schrie sie immerwährend und hieb bald dem einen, bald dem andern eins über. Die Getroffenen klemmten den Schwanz ein und machten sich davon, um im nächsten Moment wedelnd zurückzukehren und Freundschaft mit mir zu schließen. Ein Hund ist gar nicht so schlimm, wenn man ihn zu nehmen weiß!

Der Alten folgten noch ein kleines schwarzes Mädchen und zwei Niggerjungen in sehr spärlicher Bekleidung und sie hingen sich an ihrer Mutter Rock und blinzelten dahinter hervor nach mir, scheu und ängstlich wie junge Vögelchen – wie sie's immer machen, die kleinen schwarzen Bälge. Plötzlich stürzte aus der Thüre des Wohnhauses eine weiße Frau, ebenso wie die schwarze von ihrer Brut gefolgt, die sich ebenso benahm, wie ihre kleinen dunklen Vettern. Das ganze Gesicht der Frau strahlte von Freundlichkeit, ihr Mund war ganz breit gezogen, so lachte sie und freute sie sich. Schon von weitem rief sie mir zu:

»Also da bist du endlich! Bist du's denn wirklich?«

»Gewiß, ich bin's!« diese Antwort war heraus, ehe ich nur wußte, was ich that oder redete.

Sie riß mich an sich und preßte mich in ihre Arme, daß mir beinahe der Atem verging. Dann ergriff sie meine beiden Hände, und schüttelte und drückte sie, während ihr die Thränen aus den Augen stürzten. Sie konnte gar nicht fertig werden mit Schütteln und Umarmen und schluchzte fortwährend: »Ach, du siehst deiner Mutter gar nicht so ähnlich, wie ich dachte, aber das schadet nichts, lieber Junge. Gott, was freue ich mich, dich zu sehen, ich möchte dich ordentlich aufessen! Kinder, das ist euer Vetter Tom, gebt ihm die Hand und sagt ihm guten Tag!«


Die aber steckten die Finger in den Mund und ließen die Köpfe hängen und sie, ohne viel darauf acht zu geben, schwatzte immer weiter:

»Liese, tummel' dich, daß er 'was zu essen bekommt, Du wirst recht hungrig sein, Tom?«

Ich sagte, ich habe schon auf dem Boot gegessen und sei nicht besonders hungrig, was sehr gegen die Wahrheit war. So setzten wir uns denn nach dem Hause in Bewegung, sie führte mich an der Hand und die Kinder trotteten hinterher. Im Zimmer setzte sie mich auf einen Rohrstuhl, zog sich einen Schemel dicht heran und hielt immer meine beiden Hände fest. Lange sah sie mir ins Gesicht, dann rief sie:

»Endlich, endlich kann ich dich einmal nach Herzenslust betrachten, mein Junge, Gott, wie sich meine Augen darnach gesehnt haben seit Jahren und Jahren. Aber ich habe dich schon länger erwartet, seit ein paar Tagen schon. Was hat dich denn aufgehalten? Ist dem Boot was passiert?«

»Ja, Madam, – das Boot –«

»Aber, Junge, so sag' doch nicht Madam, sag' doch Tante Sally! Also was war's mit dem Boot und wo ist's passiert?«

Die letztere Frage war nun schwer zu beantworten und so ließ ich sie fallen, wußte ich doch nicht, aus welcher Richtung mein Boot erwartet wurde, sagte also einfach:

»Ja, es platzte eine der Dampfröhren!«

»Guter Gott, es wurde doch niemand verletzt?«

»O nein, niemand. Nur ein Nigger getötet.«

»Nun, das ist ein Glück, das hätte schlimm verlaufen können! Vor zwei Jahren, an Weihnachten, kam dein Onkel einmal von New-Orleans zurück auf der alten ›Lally Rook‹ und da passierte ganz dasselbe und ein Mann wurde schwer verletzt und starb, glaub' ich, bald drauf. Er war ein Baptist und dein Onkel wußte von einer Familie in Baton-Rouge, die seine Leute ganz genau kannte. Ja, ich erinnere mich jetzt ganz deutlich, er starb wirklich und wahrhaftig an den Verletzungen. Blutvergiftung kam noch dazu und er mußte amputiert werden, half aber alles nichts, er wurde schließlich blau am ganzen Körper und starb in der Hoffnung auf ein ewiges Leben. Es soll schrecklich zum Ansehen gewesen sein. Na, was ich sagen wollte, dein Onkel war beinahe jeden Tag drüben in der Stadt, um nach dir zu sehen. Gerade jetzt ist er wieder dort, schon seit einer Stunde, und muß jeden Augenblick wieder da sein. Hast du ihn denn nicht unterwegs getroffen, wie? Ein alter Mann mit einem –«

»Nein, ich hab' niemand gesehen, Tante Sally. Gleich nachdem das Boot angelegt hatte, machte ich mich auf den Weg hierher. Da es aber so heiß war, legte ich mich ein wenig in den Wald und muß bald eingeschlafen sein. Beim Gerassel eines Wagens fuhr ich in die Höhe und ging weiter. – Vielleicht saß gerade der Onkel in dem Wagen?«

»Da magst du recht haben! Wie lang ist es wohl her?«

»Ja, das weiß ich nicht so genau, vielleicht eine Stunde.«

»Ei, wo hast du denn dein Gepäck? Soll es jemand holen?«

»Weil es so heiß war, hab' ich mein Bündelchen im Wald liegen lassen: ich hab's gut versteckt, und kann's an einem Zeichen beim Weg wieder finden.«

»Ja da mußt du freilich selber hin,« sagte sie.

Mir aber war's allmählich so unbehaglich geworden, daß ich kaum mehr hören und sehen konnte. Mein Kopf glühte mir nur so und für mein Leben gern hätte ich einmal die Kinder beiseite genommen, um ordentlich herauszufinden, wer ich denn eigentlich sei. Aber daran war nicht zu denken. Frau Phelps schwatzte und schwatzte und schwatzte wie ein Mühlrad immerzu. Auf einmal lief mir die reine Gänsehaut über den ganzen Leib, als ich sie sagen hörte:

»Da schwatzen wir aber immer drauf los und du hast mir noch kein Wort von der Schwester und allen dort erzählt. Na, ich stell' meine Mühle ab, leg' du mal los, Junge, und berichte mir von allem und jedem, hörst du? Sag' mir, wie's ihnen geht, was sie thun und treiben, was sie dir für mich aufgetragen haben, jedes kleinste Wort, an das du dich erinnern kannst. Na, Junge!«

Da saß ich nun fest – und schön fest! Bis hierher hatte mir die gütige Vorsehung durchgeholfen, nun schien sie mich schmählich im Stich lassen zu wollen. Ich schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und zermarterte mein Hirn nach einem einigermaßen praktikablen Ausweg. Wie ich eben den Mund aufthun will, um mir mit ein paar kleinen, unschuldigen Flausen erst Luft zu verschaffen, eh' ich weiter in dies gefährliche Fahrwasser tauche, kriegt sie mich hastig am Arm zu fassen, zerrt mich hinters Bett, steckt mich dahinter und flüstert:

»Da kommt er! Wie, zieh' doch deinen Kopf ein bißchen ein, – noch tiefer, so ist's recht, nun kann er dich nicht sehen. Daß du dich nicht verrätst, hörst du? ich will ihn einmal ordentlich anführen. Kinder, ihr sagt mir kein Wort von Vetter Tom, sonst giebt's was!«

Ich saß gut in der Klemme, aber bange machen galt nicht, ich mußte eben stille halten und abwarten und höchstens einstweilen probieren, den Kopf einzuziehen, damit ich vorbereitet war, wenn der Blitz niederfuhr.

Ich konnte gerade noch einen flüchtigen Blick auf den alten Mann werfen, der nun ins Zimmer trat, ehe ihn das Bett verdeckte. Frau Phelps springt auf ihn los und:

»Ist er da?« schreit sie.

»Nein!« sagt der Mann.

»Herr, du mein Gott,« jammert sie auf, »was in aller Welt ist aus dem armen Jungen geworden?«

»Ja, das ist mehr, als ich sagen kann,« – und der alte Herr zuckt die Schultern – »ich muß sagen, ich fange ernstlich an, mir Sorge zu machen.«

»Sorge?« schreit sie auf, »Sorge? Mir kostet's nächstens den Verstand! Er muß ja da sein, gewiß hast du ihn nur unterwegs verfehlt, Alter, ja, ja, so wird's sein, ganz gewiß – mir sagt's etwas, daß es so ist!«

»Na, Sally, verfehlt! Das ist auf dem Wege ja rein unmöglich.«

»Aber, ach, du allmächtiger Herr im Himmel, was wird die Schwester sagen! Was wird sie sagen? Er muß ja gekommen sein, – du mußt ihn verfehlt haben! Er –«

»Na, Alte, mach' mich nicht toll, ich weiß so kaum, was ich denken soll, ich bin wahrhaftig am Ende meiner Weisheit und die Geschichte ist mir unbegreiflich! Gekommen aber ist er nicht, soviel steht sicher, denn ich kann ihn nicht verfehlt haben. Ach, Sally, es ist schrecklich – schrecklich – aber ich fange wahrhaftig an, zu glauben, daß dem Boot etwas passiert sein muß!«

»Wie, Silas, sieh' doch einmal dahin – zum Fenster hinaus – kommt dort nicht jemand daher?«

Er sprang ans Fenster und starrte angestrengt hinaus, dem Zimmer den Rücken kehrend, und das war's, was sie wollte. Flink bückte sie sich nach mir und faßte mich am Rockkragen; ich kroch hinter dem Bett hervor und wie sich der alte Herr wieder umdrehte, stand sie strahlend und leuchtend und glühend da, wie eine ganze Feuersbrunst, und ich daneben, erbärmlich wie ein begossener Pudel mit hängenden Ohren und hängendem Schwanze. Mir brach der Angstschweiß aus allen Poren.

»Na, wen haben wir denn da?« ruft er und starrt mich an.

»Wen meinst du wohl?« fragte sie schlau.

»Woher soll ich das wissen? Ich hab' keine Ahnung! Wer ist's denn?«


»Ei, Tom Sawyer ist's, Männchen!«

Mir war's, als zuckte ein Blitzstrahl vom Himmel und schlüge neben mir ein. Tom Sawyer! – Aber ehe ich noch Atem schöpfen konnte, hatte mich schon der alte Mann bei der Hand und drückte und schüttelte sie und schüttelte und drückte sie wieder. Und seine Frau tanzte um uns herum wie ein Indianerhäuptling und lachte und weinte und beide feuerten zwischendurch eine ganze Salve von Fragen auf mich los über Tante Polly und Sid und Mary und die übrigen alle.

Ihre Freude aber, so groß sie auch sein mochte, war nichts gegen die meine. Ich fühlte mich wie neugeboren, wußte ich doch endlich, wer ich eigentlich sei! Und daß ich mich als solch' guten alten Bekannten entpuppte, das, nein, das – ich kann gar nicht sagen, wie mir zu Mute war! Eine ganze Stunde lang bestürmten mich nun die beiden mit ihren Fragen, und meine Redewerkzeuge waren endlich so müde, daß sie beinahe den Dienst versagten. Ich hatte ihnen aber auch mehr über meine Familie, d.h. die Familie Sawyer, erzählt, als sechs Familien in sechs mal sechs Jahren erleben können. Und dann sprach ich von meiner Reise, dem Boot, der geplatzten Zylinderröhre, dem Schreck, der Aufregung dabei und sie hingen an meinem Munde und verschlangen sozusagen jedes Wort.

Ich fühlte mich nun so wohl und munter wie ein Fisch im Wasser und plätscherte und schwamm im Strom meiner Beredsamkeit lustig drauf los. Es gab nichts lustigeres und behaglicheres, als Tom Sawyer vorstellen zu dürfen, und ich hatte mich bereits bestens in die Rolle eingelebt, als ich mit einemmal ein Dampfboot den Fluß daher keuchen hörte. Da erst kam mir der Gedanke, wenn nun Tom, der wirkliche Tom, mit dem Boot angekommen ist, auf einmal zur Thüre herein tritt und ruft meinen Namen, noch ehe ich ihm einen Wink geben kann, und alles ist verraten und verloren? Die Angst packte mich ganz siedend heiß! Nein, das durfte nicht sein, das mußte ich verhindern um jeden Preis! Ich mußte ihm entgegen eilen und ihm auflauern. So sagte ich denn, ich wolle zurück und nach meinen Sachen sehen, sonst könnten sie mir am Ende doch noch abhanden kommen. Der alte Mann wollte mich durchaus begleiten, ich aber dankte und sagte, ich könne gut allein, er dürfe mir das Pferd ruhig anvertrauen, ich freue mich drauf, allein zu fahren, und er möge sich um alles in der Welt meinetwegen nicht noch einmal in der Hitze so weit bemühen. Das sah er denn endlich ein und ließ mich gewähren.

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