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3. Gott spricht die Sprache der Liebe Nr. 2: Gemeinsame Zeit

Als ich einmal einen Vortrag über die fünf Sprachen der Liebe gehalten und erklärt hatte, wie wichtig es ist, seine eigene Liebessprache und die des Partners zu kennen und zu sprechen, kam Greta eilig auf mich zu. Wild herumfuchtelnd brachte sie aufgeregt hervor: „Wir müssen uns unterhalten.“ Greta hatte vor mir einen Vortrag gehalten – wir waren beide Gastredner auf einer überregionalen Frauenkonferenz in Los Angeles. Ich wusste nicht, worüber sie mit mir reden wollte, doch weil ich ihren Vortrag über Frauen und Spiritualität gehört hatte und ihr Temperament kannte, war mir klar, dass dieses Gespräch nicht langweilig werden würde! Wir einigten uns darauf, uns am nächsten Nachmittag in einer Pause zu treffen.

Da kam Greta dann ohne Umschweife zur Sache. „Ich will dir erzählen, was mir gestern Abend durch den Kopf ging. Ich finde das ja so spannend! Du weißt ja, dass sich mein Vortrag um die Spiritualität der Frau drehte. Also, nachdem ich deinen Vortrag gehört hatte, wurde mir plötzlich klar, dass Gott zu uns in unserer Liebessprache redet. Deshalb machen manche Menschen dramatische und bewegende Bekehrungserfahrungen.

Mein Mann zum Beispiel fand in einer Gemeinde zum Glauben, zu der ihn ein Arbeitskollege mitgenommen hatte. Als er das zweite Mal dort in den Gottesdienst ging, fragte ihn sein Freund, ob er nicht nach vorn gehen wolle, damit andere für ihn beten könnten. Weil er seinen Freund nicht kränken wollte, willigte er ein. Mehrere Männer stellten sich um ihn und begannen gleichzeitig laut zu beten. Mein Mann sagte, so etwas hätte er in seinem Leben noch nicht gehört. Innerhalb von fünf Minuten fing mein Mann an, heftig zu weinen und Gott um Vergebung zu bitten. Er sagte, es war, als ob Gott selbst ihn berührte. Als ob Ströme durch seinen Körper flössen. Hinterher fühlte er sich vollkommen rein.

Er kam nach Hause und erzählte mir davon, und ich wollte damit nichts zu tun haben. Für mich war das religiöse Gefühlsduselei, und ich konnte nicht glauben, dass er sich dazu hatte hinreißen lassen. Er ging weiterhin zu dieser Gemeinde und begann, mir Bücher mit nach Hause zu bringen.

Meine eigene Bekehrung war völlig anders als die meines Mannes. Bei mir geschah es durch Monate des Gebets und des Bibelstudiums. Ich wusste, dass meinem Mann seine geistliche Erfahrung viel bedeutete, und ich wollte mehr darüber wissen. Das war meine Motivation. Doch als ich anfing, in der Bibel zu lesen, war das, als ob Gott zu mir sprechen würde. Ich erkannte, dass das, was ich las, die Wahrheit war, und dass hinter der Wahrheit ein Gott stand, der mich liebte. Ich hatte kein dramatisches Erlebnis wie mein Mann, doch nach und nach wurde mir bewusst, dass ich eine Nachfolgerin Jesu wurde.“

Neun Monate, nachdem ihr Mann zum Glauben gekommen war, las Greta eines Morgens wie gewöhnlich in ihrer Bibel und ließ die Worte auf sich wirken. Sie stieß auf Offenbarung 3,20, wo Jesus sagt: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ Greta formulierte es so: „Es wurde mir so klar: Gott hatte in den letzten Monaten fortwährend an meine Lebenstür geklopft. So sagte ich an jenem Morgen wirklich zu ihm: ‚Komm herein. Ich möchte mein Leben mit dir teilen.‘ Ich weinte nicht. Ich war seelisch nicht aufgewühlt. Es war ein stiller, ruhiger Moment, in dem sich mein Herz öffnete und ich Gott erlaubte, in mein Leben zu kommen.“

Was ein Ehepaar lernte

„Gott hat die Liebessprache meines Mannes gesprochen, die des Körperkontakts, und außerdem meine Liebessprache, die der gemeinsamen Zeit. So hat er uns beide dahin geführt, zu verstehen, dass er uns liebt“, sagte Greta. „Ich habe das Erlebnis meines Mannes nie ganz nachvollziehen können, und er wundert sich, dass meine Beziehung zu Gott von so viel Ruhe geprägt ist. Doch wir wissen beide, dass wir Nachfolger Jesu sind. Das hat unser Leben verändert.“

Dann fuhr Greta fort: „Und jetzt will ich dir sagen, was ich von deinem Vortrag gestern Abend halte. Ich erkannte, dass nicht nur Gott unsere Liebessprache spricht, um uns seine Liebe zu zeigen, sondern dass wir auch Gott gegenüber unsere Liebessprache verwenden, um Gott unsere Liebe zu zeigen. Mein Mann drückt sie durch das Singen von Anbetungsliedern aus. Er hebt beide Hände zu Gott hoch, schließt dabei oft die Augen und singt aus vollem Herzen. Manchmal sehe ich ihn weinen, während er singt. Er ist tief bewegt. Er sagt oft: ‚Ich habe die Gegenwart Gottes gespürt.‘ So etwas würde ich nie tun“, sagt Greta. „Das ist einfach nicht meine Art.“

„Wie zeigst du denn Gott deine Liebe?“, fragte ich.

„Natürlich dadurch, dass ich Zeit mit Gott verbringe“, erklärte sie. „Das hättest du mich nicht fragen brauchen, das wusstest du schon“, sagte sie lächelnd. „Mir macht es am meisten Freude, wenn ich in dieser Zeit mit Gott in der Bibel lese. Ich kann damit einen ganzen Morgen verbringen. Ich vergesse die Zeit. Nichts ist mir wichtiger als meine Zeit mit Gott. Meinem Mann dagegen fällt es schwer, länger als zehn Minuten in der Bibel oder einem Andachtsbuch zu lesen. Er wäre lieber in der Kirche und würde Anbetungslieder singen und ‚die Gegenwart Gottes spüren‘. Ich erkenne jetzt, dass er es so ernst meint wie ich – nur, dass wir zu Gott in verschiedenen Sprachen der Liebe reden.“

Nach meinem Gespräch mit Greta wusste ich: Sie hatte mir ein Beispiel für ein Buch über Gottes Liebessprachen geliefert. Zwei Jahre später traf ich Greta bei einem Eheseminar wieder. Sie stellte mich ihrem Mann Rod vor. „Dies ist der Mann, der mir beigebracht hat, dich zu lieben“, sagte sie zu ihrem Mann. Rod sah mich etwas irritiert an, bis sie erklärte: „Er hat das Buch Die fünf Sprachen der Liebe geschrieben.“

Jetzt lächelte Rod. „Unsere Ehe hat sich verändert“, sagte er. „Ich konnte es nicht glauben, als Greta plötzlich anfing, meine Sprache der Liebe zu sprechen. Es wird Sie freuen zu hören, dass wir jede Woche einen Abend zu zweit verbringen und uns jeden Abend fünfzehn Minuten ‚Ehezeit‘ nehmen. Ich sorge dafür, dass Gretas Liebestank gefüllt ist.“

Als ich mich erkundigte, wie sich das Konzept der Liebessprachen auf ihre Beziehung zu Gott ausgewirkt hatte, sagte Rod: „Oh, ich verbringe immer noch genauso viel Zeit in der Anbetung Gottes, und Greta vertieft sich wie früher in der Stille in die Bibel.“ Sie lachten beide und Greta sagte: „Das stimmt. Aber jetzt lassen wir einander die Freiheit, unsere Liebe für Gott verschieden auszudrücken.“

Gemeinsame Zeit mit Gott: Berichte in der Bibel

Im alten Israel und bei den jüdischen Patriarchen

Was Greta und Rod über die verschiedenen Wege lernten, Gottes Liebe zu erfahren, wird schon in der biblischen Überlieferung und in der Geschichte des Christentums deutlich. Das Alte Testament zeigt Gott, wie er gemeinsame Zeit mit Adam und Eva verbringt. In der abendlichen Kühle gingen sie im Garten Eden spazieren und redeten. Erst nach dem Sündenfall versteckten sich Adam und Eva vor Gott, in dem Wissen, dass sie sein Vertrauen in sie missbraucht hatten15.

Abraham wird später der „Freund Gottes“ genannt. Offensichtlich sprach Gott oft direkt mit Abraham. Als Gott einmal Gericht über die gottlose Stadt Sodom halten wollte, wo Abrahams Neffe Lot lebte, sagte Gott: „Wie könnte ich Abraham verbergen, was ich tun will?“16 Ja, Gott begann wirklich ein Gespräch mit Abraham. Dabei versuchte Abraham Gott zu überreden, wegen der guten, gerechten Bewohner Sodom und Gomorra zu verschonen und den Menschen zu vergeben. Es klingt wie ein orientalischer Handel. „Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen …?“, fängt Abraham an. Und als Gott sich überreden lässt, er werde die Stadt verschonen, wenn sich fünfzig gerechte Bewohner darin fänden, versuchte ihn Abraham allmählich he­runterzuhandeln. Am Schluss willigte Gott tatsächlich ein, die Stadt zu verschonen, wenn man in ihr wenigstens zehn gerechte Menschen finden könnte! (Leider gab es weniger als zehn. Als Gottes Gericht kam, verschonte er Abrahams Neffen Lot, indem er ihn aus der Stadt brachte, bevor sein Zorn die Bewohner traf.)

Die Psalmen sprechen häufig von Gottes Liebe für seine Geschöpfe und seinem Wunsch, ihnen nahe zu sein und gemeinsame Zeit mit ihnen zu verbringen, etwa: „Der Herr ist gerecht in allen seinen Wegen und gnädig in allen seinen Werken. Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn ernstlich anrufen“17. Gott sprach durch den Propheten Jesaja von seiner Liebe zum Volk Israel und versprach, dass er in Zeiten der Not bei ihm sein werde. „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen“18.

Ein Psalmbeter spricht von einer persönlichen Liebesbeziehung zu Gott, gegründet auf Gottes Bereitschaft, ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit zuzuwenden: „Ich liebe den Herrn, denn er hört die Stimme meines Flehens. Er neigte sein Ohr zu mir; darum will ich mein Leben lang ihn anrufen“19. Der Psalmbeter fühlte sich zu Gott hingezogen, weil Gott bereit war, in seiner Zeit der Not mit ihm zu reden. Im Neuen Testament spricht der Apostel Jakobus von einer ähnlichen Beziehung zu Gott, wenn er sagt: „Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch“20.

Bei den ersten Christen

Die Vorstellung, dass der ewige Gott gemeinsame Zeit mit seinen Geschöpfen verbringen will, ist etwas Einzigartiges im christlichen Glauben. Die Götter, die sich Menschen selbst ausgedacht haben, sind immer Götter fern der Lebenswelt des Menschen. Die mythischen Götter des alten Griechenlands und Roms mussten gefürchtet und besänftigt werden. Die Vorstellung von einer persönlichen Beziehung zu diesen Göttern existierte nicht.

Dagegen wies Jesus darauf hin, dass es der Wunsch Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ist, bei denen einzukehren oder „Wohnung zu nehmen“, die auf seine Liebe antworten21. Jesus versprach auch, seine Jünger nie alleine zu lassen, sondern für immer bei ihnen zu bleiben. Als er mit seinem Vater über seinen Auftrag auf der Erde sprach, sagte Jesus: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war“22. Es ist offensichtlich, dass Jesus sich gemeinsame Zeit mit all jenen wünschte, die seine Liebe erwiderten.

Gemeinsame Zeit – auf die Art von Jesus

Wie Jesus seinen Dienst auf der Erde gestaltete, veranschaulicht, dass er das Konzept der gemeinsamen Zeit für seine Liebe gebrauchte. Zu den Menschenmengen predigte er, doch mit zwölf Männern verbrachte er viel gemeinsame Zeit. Mit den Worten des Evangeliums: „Und er setzte zwölf ein …, dass sie bei ihm sein sollten“23. Später ernannte er sie zu Aposteln, um seinen Dienst fortzuführen. Zur Vorbereitung schenkte er ihnen gemeinsame Zeit, um sie von der Liebe Gottes zu den Menschen zu überzeugen.

Indem er die Liebessprache der gemeinsamen Zeit sprach, wandte Jesus diesen zwölf Männern seine Aufmerksamkeit zu. Jesus versuchte nicht, seinen Dienst so breit wie möglich anzulegen, sondern so tief wie möglich. Er wollte, dass diese Männer seine Liebe so tief wie möglich erfahren sollten.

Jesus war mit den Jüngern dreieinhalb Jahre zusammen, die volle Zeit seines öffentlichen Wirkens. Sie teilten ihr Essen, ihre Erfahrungen, durchwanderten das Land und führten ausgedehnte Gespräche. Die Menschenmengen lehrte Jesus in Gleichnissen, doch den Zwölfen gab er auf ihre Fragen hin ausführliche Erklärungen der Gleichnisse. Es ist klar, dass Jesus den Zwölfen, die er als Apostel wählte, eine intensive gemeinsame Zeit einräumte.

Die Liebessprache der gemeinsamen Zeit sprechen

Zwei Schwestern

Natürlich verbrachten auch andere Menschen gemeinsame Zeit mit Jesus. Einmal reisten Jesus und seine Jünger zum Dorf Betanien. Eine Frau namens Marta lud sie ein, bei ihr und ihrer Schwester Maria Gast zu sein.

Nach der Begrüßung war Marta in der Küche beschäftigt, um ein Essen für Jesus und seine Jünger zuzubereiten, während sich Maria zu den Jüngern setzte, fasziniert von Jesu Lehre. Marta störte es, dass ihre Schwester ihr nicht bei den Essensvorbereitungen half. Sie regte sich so darüber auf, dass sie tatsächlich ins Zimmer ging, Jesus unterbrach und ihn bat, ihre Schwester doch bitte dazu aufzufordern, ihr zu helfen.

Jesus verurteilte Marta nicht dafür, dass sie die praktische Hilfe einforderte. Auch verurteilte er Maria nicht dafür, dass sie ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zuwandte. Jesus kannte das Herz beider Schwestern. Marta wollte unbedingt das in der damaligen Kultur Angemessene tun. Ich vermute, dass Martas Liebessprache die praktische Hilfe war und Marias Liebessprache die gemeinsame Zeit – beides hat ja seine Berechtigung als Ausdruck der Liebe zu Gott.

Bei diesem Anlass scheint Marta jedoch die Versorgung wichtiger gewesen zu sein als die Beziehung. Sie stellte das „angemessene Verhalten“ über die Person Jesu. Sie tat, was in ihrer Natur lag – übte praktische Hilfe –, doch sie war nicht mit dem Herzen bei Jesus. Genauso können Menschen, deren Liebessprache Anerkennung ist, leere religiöse Formeln sprechen, ohne dabei wirklich an Gott zu denken. Alle wahrhaftige Liebe, alles Vertrauen zu Gott strömt aus einem Herzen, das ihn ehren will.

Georg Müller

Auch aus späterer Zeit erfahren wir immer wieder von Menschen, deren Liebessprache die gemeinsame Zeit war und die ihre Liebe zu Gott zeigten, indem sie außergewöhnlich viel Zeit mit Beten, Lesen der Bibel, christlicher Meditation und ungeteilter Aufmerksamkeit für Gott verbrachten. Georg Müller war einer von ihnen. Er wurde 1805 geboren. Mit zwanzig stellte er sich ganz in den Dienst Gottes. Zu der Zeit war er Theologiestudent an der Universität Halle und lernte dort fünf Sprachen, Latein, Griechisch, Hebräisch, Französisch und Englisch.

Bald ging er nach England. Von Beginn seines Dienstes an weigerte sich Müller, Lohn für seine Arbeit anzunehmen oder um Spenden für die Aufgaben und Einrichtungen zu bitten, die er ins Leben rief. Er verließ sich ganz auf Gott und auf die Kraft des Gebets, um versorgt zu werden. Sein Dienst umfass­te das Verteilen von Bibeln und anderer christlicher Literatur, die Einrichtung christlicher Tagesschulen für die Armen und vor allem die Gründung von Waisenhäusern, in denen 1875 schließlich über zweitausend englische Kinder beherbergt, ernährt und unterrichtet wurden. Mit diesen Waisenhäusern verfolgte er zwei Ziele, die er so formulierte:

„Sicher wollte ich aus ganzem Herzen von Gott gebraucht werden, um diese armen Kinder, die beide Eltern verloren hatten, leiblich zu versorgen und ihnen auch in anderer Hinsicht mit Gottes Hilfe in diesem Leben Gutes zu tun. Ich sehnte mich vor allem danach, von Gott dazu gebraucht zu werden, die lieben Waisen in der Furcht Gottes zu unterweisen. Doch es war und ist immer noch das oberste und wichtigste Ziel der Arbeit, dass Gott dadurch geehrt werde, dass die Waisen unter meiner Obhut all das bekommen, was sie brauchen, und zwar nur durch Gebet und Glauben, ohne dass ich oder meine Mitarbeiter jemand anders darum bitten – damit sichtbar werde, dass Gott immer noch treu ist und immer noch Gebete erhört“24.

Schon bevor Müller Waisenhäuser gründete, war sein Lebensstil von ausgedehnten Zeiten mit Gott geprägt. Das geht aus den folgenden Tagebuchauszügen hervor:

•18. Juli 1832: „Heute verbrachte ich den ganzen Morgen in der Sakristei, um Stille zu haben. Wegen meiner vielfältigen Verpflichtungen ist dies schon seit einiger Zeit der einzige Weg, Zeit fürs Gebet, das Lesen der Bibel und das Nachsinnen darüber zu finden.“

•19. Juli 1832: „Ich war von halb zehn bis ein Uhr in der ­Sakristei. Hatte tiefe Gemeinschaft mit dem Herrn. Der Herr sei gelobt, der mir in den Sinn gab, die Sakristei als Rückzugsort zu nutzen!“

•25. Juni 1834: „Die letzten drei Tage hatte ich wenig echte Gemeinschaft mit Gott, war deshalb geistlich sehr schwach und habe mehrere Male gemerkt, dass ich gereizt bin.“

•26. Juni 1834: „Durch die Gnade Gottes hatte ich die Kraft, früh aufzustehen, und vor dem Frühstück verbrachte ich fast zwei Stunden im Gebet. Ich fühle mich heute Morgen deshalb viel wohler.“

•29. September 1835: „Gestern Abend, als ich mich von meiner Familie zurückzog, hatte ich den Wunsch, mich sofort zur Ruhe zu legen, denn ich hatte zuvor eine kurze Zeit gebetet, und weil ich mich körperlich schwach fühlte, verführte mich die Kälte der Nacht dazu, das Gebet zu beenden. Doch der Herr half mir in der Tat, auf meine Knie zu fallen, und sobald ich angefangen hatte zu beten, leuchtete er in meine Seele und schenkte mir eine so tiefe Gebetszeit, wie ich sie schon seit Wochen nicht mehr erlebt hatte. In seiner Gnade belebte er wieder sein Werk, das er in meinem Herzen begonnen hatte. Ich genoss diese Nähe Gottes und die Innigkeit des Gebets für über eine Stunde, denn meine Seele hatte sich viele Wochen schon danach gesehnt. … Ganz und gar glücklich ging ich ins Bett und wachte an diesem Morgen in großem Frieden auf, stand früher auf als sonst und hatte wieder, über eine Stunde, tiefe Gemeinschaft mit dem Herrn vor dem Frühstück. Möge er in seiner Barmherzigkeit seinem unwürdigsten Kind diese Herzenshaltung bewahren!“25

Für Georg Müller stand die gemeinsame Zeit mit Gott im Zent­rum seines Lebens. Gerade dann spürte er ganz tief die Gegenwart und den Frieden Gottes. Ohne diese gemeinsame Zeit empfand er eine Distanz zwischen sich und Gott. Er warnte seine Mitgläubigen, dass „gerade die Arbeit für den Herrn oft eine Versuchung sein kann, uns von der Gemeinschaft mit ihm abzuhalten, die doch so wesentlich für das Heil unserer Seelen ist“26. Nachdem er drei Monate krank gewesen war und seinen Dienst nicht ausüben konnte, schrieb er am 14. Januar 1838: „Ich habe heute mehrere Stunden im Gebet ­verbracht und auf meinen Knien gelesen und zwei Stunden über Psalm 63 gebetet. Gott hat meine Seele heute reich gesegnet. Was meinen Gesundheitszustand angeht, ist meine Seele nun soweit, dass ich mich über den Willen Gottes freue“27. Müllers ge­meinsame Zeit mit Gott war eindeutig kein Ritual, sondern tief und persönlich. Sie wirkte sich auf sein ganzes Leben aus und bildete das Herzstück seiner Beziehung zu Gott.

Am 7. Mai 1841 schrieb er: „Jetzt sah ich, dass das Wich­tigs­te, das ich zu tun hatte, war, mich dem Lesen des Wortes Gottes und der Meditation darüber hinzugeben. So würde mein Herz getröstet, ermutigt, gewarnt, zurechtgewiesen, gelehrt werden, so dass durch das Wort Gottes, während der Meditation, mein Herz in eine vorläufige Gemeinschaft mit dem Herrn gebracht werde“28. Es war diese „vorläufige Gemeinschaft mit dem Herrn“, die Müller zu seinem Dienst befähigte.

Im Rückblick auf Müllers Leben vor über hundert Jahren loben viele Menschen ihn vor allem für seine Arbeit unter den Waisen und für die Gründung von Schulen für die Armen Englands. Heutige Christen sind begeistert, dass er diese Arbeit ohne Spendenaufrufe bewältigte, wo heute doch die meisten gemeinnützigen Vereine davon Gebrauch machen. Für Müller erwuchs dies alles jedoch einfach aus seiner gemein­samen Zeit mit Gott. Gemeinschaft mit Gott zu haben war in seinen Augen weitaus wichtiger, als sich um die Armen zu kümmern. „Ich glaube fest daran“, schrieb er einmal, „dass keiner erwarten sollte, dass etwas Gutes aus seiner Arbeit in Wort und Lehre entspringen kann, wenn er sich nicht ganz dem Gebet und dem Nachsinnen über Gottes Wort hingibt“29.

Auch wenn sein Leben von praktischer Hilfe und Worten der Ermutigung für andere geprägt war, war Müllers Liebessprache die gemeinsame Zeit. Sie half ihm, seine Liebesbeziehung zu Gott zu vertiefen.

Gemeinsame Zeit mit Gott schenkt Perspektiven und Energie

Vielen Menschen damals wie heute erscheinen solche ausgedehnten Zeiten der Gemeinschaft mit Gott unverständlich. Manche sagten, dass Müller ein „Superheiliger“ war, davon getrieben, Gott zu gefallen. Andere versuchten, seinen Lebensstil durch die Gesellschaft, in der er lebte, zu erklären. Vor hundertfünfundsiebzig Jahren war das Leben einfacher. Man lebte in einem langsameren Rhythmus. Es gab mehr Zeit für Stille und Gebet.

Auch wenn das sicher stimmt – Müller war einer der am meisten beschäftigten Männer seiner Zeit. Stellen Sie sich vor, wie viel Zeit es kostete, zahlreiche Waisenhäuser an ver­schiedenen Orten und viele Schulen für arme Stadtkinder zu verwalten! Müllers Zeit wurde genauso stark in Anspruch ­genommen wie die eines heutigen Managers. Es scheint mir einleuchtender, dass Müller die Liebe Gottes am tiefsten spürte, wenn er gemeinsame Zeit mit Gott verbrachte. Von dort bezog Müller nicht nur seine Perspektiven und Ziele, sondern auch seine Kraft. Gerade in diesen Zeiten der Stille konzentrierte er sich darauf, auf die Stimme Gottes in der Bibel zu hören, und dadurch gewann er die Energie, den Dienst, zu dem er berufen war, weiterzuführen.

Wenn die Liebessprache eines Menschen die gemeinsame Zeit ist, empfindet er ungestörte Gemeinschaft mit Gott nicht als schwierig, sondern als freudebringend, nicht als belastend, sondern als befreiend. Wie Müller sagte: „Die erste große und vorrangige Aufgabe, um die ich mich jeden Tag kümmern muss, ist, meine Seele glücklich im Herrn zu wissen. Ich muss nicht als Erstes dafür sorgen, wie ich dem Herrn dienen kann, wie ich ihn verherrlichen kann, sondern wie meine Seele glücklich werden kann und wie mein innerer Mensch ernährt wird“30.

Die Sprache der gemeinsamen Zeit lernen

Müller und tausend andere sprechen die Liebessprache der gemeinsamen Zeit. Es ist für sie der natürlichste Weg, die Liebe Gottes zu erfahren und zu erwidern.

Kürzlich sagte mir eine Frau: „Ich fühle mich Gott am nächsten, wenn ich meine tägliche Stille Zeit mit ihm habe. Das ist der wichtigste Teil meines Tages. Wenn ich es versäume, mir diese Zeit zu nehmen, erscheint mir mein ganzer Tag leer und ich fühle mich Gott nicht mehr so nahe. Gerade in diesen persönlichen Zeiten mit ihm spüre ich seine Liebe. Ich weiß, dass er mich liebt, auch wenn ich meine Stille Zeit verpasse, doch dann spüre ich seine Liebe nicht.“ Das trifft nicht auf jeden zu, doch sicher auf die Menschen, deren Muttersprache der Liebe die gemeinsame Zeit ist.

Ihre Haltung drückt der folgende Choral „Im Garten“ von C. Austin Miles aus – in einer sinngemäßen Übersetzung:

„Ich betrete den Garten allein,

während der Tau immer noch die Rosen benetzt,

und die Stimme, die ich höre, die mein Ohr erreicht,

ist die des Sohnes Gottes.

Er spricht, und der Klang seiner Stimme

ist so süß, dass die Vögel aufhören zu singen,

und die Melodie, die er mir gab,

klingt in meinem Herzen weiter.

Und er geht mit mir, und er spricht mit mir,

und er erzählt mir, dass ich zu ihm gehöre,

und die Freude, die wir teilen, während wir dort verweilen,

hat niemand je gekannt.“

Die Menschen, die intensive Zeit mit Gott verbringen wollen, werden lernen, dass er immer darauf wartet, ihnen zu begegnen. „Gemeinsame“ oder „wertvolle Zeit“ ist eine der großartigen Liebessprachen Gottes.

Fragen zum Weiterdenken

1.Kennen Sie jemanden, von dem Sie glauben, dass seine (oder ihre) erste Liebessprache die Sprache der gemeinsamen Zeit ist? Was bringt Sie zu dieser Überzeugung?

2.Jeder Mensch, der an Gott glaubt, verbringt normalerweise Zeit mit ihm. Was, denken Sie, könnte Christen, deren erste Liebessprache die Sprache der gemeinsamen Zeit ist, von anderen Gläubigen unterscheiden?

Die fünf Sprachen der Liebe Gottes

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