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Kapitel 1: Ärger in der Schule – drei Monate zuvor in Hannover

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Roman Renken lief durch die Schulstraße und war froh, dass er an diesem Tag nur noch eine Stunde zu unterrichten hatte. Das Wochenende stand bevor und Roman freute sich auf etwas Entspannung. In seiner Freistunde musste er jedoch zum Direktor und er wusste nicht, was der Direktor von ihm wollte. Sollte er wieder bei der Referendarausbildung eingespannt werden? Davon hatte Roman die Nase voll. Die Entlastungsstunde, die man für die zusätzliche Arbeit erhielt, reichte nach seiner Überzeugung als Kompensation nicht aus.

Als Roman das Sekretariat erreichte, musste er warten, bis die Schulsekretärin einige Schülerinnen und Schüler abgefertigt hatte. Als sich die Sekretärin am Ende der Pause Roman zuwandte, sagte sie, er könne das Direktorenzimmer betreten. So klopfte Roman an und vernahm ein lautes „Herein!“. Der Direktor forderte Roman auf, vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Nachdem er sich selbst gesetzt hatte, fragte der Direktor, wie Roman mit dem Schüler Felix Mayer zurechtkomme. Felix Mayer war in Romans Deutschleistungskurs und störte regelmäßig den Unterricht, indem er zu spät zum Unterricht erschien. Roman erwiderte: „Felix scheint nicht unintelligent zu sein, aber er ist äußerst undiszipliniert: Er erscheint häufig zu spät zum Unterricht und gibt Hausaufgaben selten rechtzeitig ab. Bei der ersten Klausur hat er nur vier Punkte bekommen.“ Der Direktor schaute Roman an und sagte dann: „Felix‘ Vater hat sich bei mir über Sie beschwert. Er behauptet, Sie piesackten seinen Sohn und beraubten ihn jeglicher Motivation. Was sagen Sie dazu?“ „Ich stelle ihn selbstverständlich zur Rede, wenn er zu spät zu meinem Unterricht erscheint. Erst gestern teilte ich ihm mit, dass ich im Falle weiterer Verspätungen eine Konferenz seiner Fachlehrer einberufen würde, damit disziplinarische Maßnahmen verhängt werden könnten, denn durch sein verspätetes Erscheinen störe er den Unterricht. Nachdem er sich dreimal verspätet hatte, rügte ich ihn jedes Mal, wenn er sich wieder einmal verspätete. Das ist nach meiner Überzeugung nicht Piesacken, sondern angemessenes Lehrerverhalten, das der Aufrechterhaltung eines geordneten Unterrichtsgeschehens dient.“ „Glauben Sie nicht, dass Sie durch ein wenig pädagogisches Fingerspitzengefühl Felix in einem Einzelgespräch dazu bringen könnten, sein Verhalten zu ändern?“ „Das habe ich schon vor Wochen versucht. Nach einer Doppelstunde besprach ich in dem Lehrerzimmer zwischen B2 und B3 sein Verhalten mit ihm und erklärte ihm ruhig, aber mit Nachdruck meinen Standpunkt. Dabei hob ich hervor, dass ich für einen reibungslosen Ablauf des Unterrichts verantwortlich sei und wiederholtes Verspäten nicht dulden dürfe. Darauf erwiderte er, ich verhielte mich wie ein engstirniger, kleinbürgerlicher Buchhalter. Mein Eindruck, dass er ein verwöhntes Kind ist, dem man nie zugemutet hat, perspektivisch zu denken und Grundregeln rücksichtsvollen Verhaltens zu beachten, verfestigt sich immer mehr.“ „Sie scheinen tatsächlich gegen Felix voreingenommen zu sein. Warum?“ „Ich bin keineswegs gegen ihn voreingenommen. Ich möchte lediglich erreichen, dass er pünktlich zu meinem Unterricht erscheint.“

Der Schuldirektor schwieg einen Augenblick und hob wieder an: „Sie wissen wohl, dass Felix‘ Vater ein Rechtsanwalt ist und im Stadtrat die Mehrheitsfraktion vertritt. Er hat eine wichtige Stimme bei Entscheidungen, welche die Ausstattung unserer Schule betreffen. Die Bewilligung weiterer finanzieller Mittel für unsere Schule hängt von seiner Einstellung zu uns ab. Wir dürfen ihn gegen uns nicht aufbringen.“ „Heißt das, dass sein Sohn sich jegliches Benehmen in der Schule erlauben kann?“ „Natürlich nicht! Drehen Sie mir nicht die Worte im Mund herum! Ich möchte Sie lediglich darum bitten, das Problem mit Felix geräuschlos zu lösen.“ „Wie die Amerikaner früher zu sagen pflegten: It takes two to tango.“ „Dann führen Sie den Jungen auf ein Tanzparkett, das ihm so verlockend erscheint, dass er sein Tanzbein zu Ihrem Takt schwingen will. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“ „Ich werde darüber nachdenken, was ich tun kann.“ „Das ist ein Wort. Ich danke Ihnen für Ihre Kooperationsbereitschaft, Herr Renken.“

Nach seiner letzten Stunde an diesem Tag holte Roman seine leichte Jacke aus der Garderobe des großen Lehrerzimmers und lief zu dem Fahrradstand der Lehrkräfte. Das Wetter war für Anfang April ungewöhnlich heiß und Roman wünschte, er hätte seine Jacke zu Hause gelassen. Er schob sein Fahrrad über den Schulhof zum Ausgangstor, das tagsüber immer offen stand. Als er die Straße erreichte, sah Roman, dass auf dem Parkplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Gruppe Schüler stand. Er glaubte Felix Mayer zu erkennen, aber Roman war sich nicht sicher, dass die Gestalt, die schnell hinter einen großgewachsenen Jungen getreten war, tatsächlich Felix Mayer war. Auf einmal hörte Roman eine Stimme, die laut schrie: „Hat dir der Direktor heute gehörig den Kopf gewaschen?“ Darauf lachten die Jungen. Dann ertönte der Anfeuerungsruf: „Felix, Felix, Felix!“ Roman beachtete die Jungen nicht, die Felix‘ Namen skandierten. Er stieg einfach auf sein Fahrrad und fuhr davon. Unterwegs nach Haus überfiel Roman ein Erschöpfungsgefühl, obwohl das Ende der Osterferien nicht weit zurücklag. Vielleicht war er lediglich frustriert, da er sich immer wieder über das offenkundige Unvermögen des Schulleiters ärgerte. Er würde sich, so hoffte er zumindest, am Nachmittag rasch erholen.

Wie ein Wildtier gejagt

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