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Kapitel 2: Einladung zum Frühstück

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Am nächsten Morgen stand Klaus vor allen anderen Familienmitgliedern auf. Er musste früh zu einem der Bosse nach Hause fahren, ihn abholen und zum Flughafen befördern. Der Boss hatte in Neapel einen Termin mit Lieferanten. Klaus wollte gar nicht wissen, was sie lieferten. Er wusste nur allzu gut, dass es sich nicht immer um Olivenöl und Pizzateig handelte. Ein weißes Pulver wurde gelegentlich auch geliefert. Auf diese Praxis war der schnüffelnde Journalist anscheinend gekommen. Man hatte das Leck noch nicht gefunden. Wer hatte geplaudert? Klaus war es auf jeden Fall nicht. Eigentlich sollte Klaus nicht wissen, was sich im Inneren der Köfferchen verbarg, die er ab und zu von den Gaststättenbesitzern abholte, aber er schloss aus den Bemerkungen der Bosse, dass Geld transferiert werde, Schwarzgeld. Klaus war inzwischen zu einer Art Möbelstück oder Werkzeug geworden. Man benutzte ihn, als habe er weder Augen noch Ohren noch ein Gehirn im Kopf. Er war eben bei Bedarf zur Stelle, funktionierte nach Wunsch und blieb immer unauffällig im Hintergrund.

Kurz vor dem Haus des Bosses rief Klaus über Smartphon den Boss an und kündigte an, er werde in zehn Minuten vorfahren. So hatte der Boss es gern. Als Klaus das Auto vor der Villa zum Stehen brachte, verließ schon der Boss sein Haus und lief schnellen Schrittes durch den Vorgarten zur Straße. Klaus hatte kaum Zeit, aus dem Auto auszusteigen, um den Kühler herumzulaufen und die Wagentür zu öffnen. Als der Boss nach einer knappen Begrüßung eingestiegen war, lief Klaus zurück zur Fahrertür, stieg ein, ließ den Motor an und fuhr los.

„Na, Herr Müller, wie geht es uns heute Morgen?“, hörte Klaus die Stimme des Bosses aus dem Fond. „Wesentlich besser als gestern Abend. Im Schneegestöber in der Stadt herumzuirren; das war recht anstrengend. Der helle Sonnenschein und das Tauwetter heute Morgen kommen mir gerade recht.“ „Und was hat unser Schnüffler gestern so alles getrieben? Ging er ins Bordell? Bestellte er sich irgendwelche Kinderpornos?“ „Sie haben vielleicht Humor. Ich glaube, er lebt nur für seine Arbeit. Bislang konnte ich nicht einmal eine heimliche Geliebte ausfindig machen. Gelegentlich geht er mit seiner Frau in ein kleines, aber feines Lokal in seiner Nachbarschaft, aber das scheint die einzige Ablenkung zu sein, abgesehen von seinem Sportfimmel natürlich. Bei dem schlechten Wetter der letzten Tage konnte er nicht im Park seine Runden laufen. Ich nehme an, er hat einen Trainingsraum im Keller. Ich habe einmal gesehen, dass beim schlechten Wetter um halbsechs in der Früh ein Kellerlicht eingeschaltet wird und ungefähr 75 Minuten lang leuchtet, bis es ausgeschaltet wird. Das entspricht in etwa der Dauer seines Langlaufs draußen, wenn das Wetter halbwegs genießbar ist.“ „Sehr gewissenhaft, Herr Müller. Einfach am Ball bleiben. Sie werden bestimmt bald über etwas stolpern. Der Bursche wird aber zu einem echten Problem. Er stellt immer mehr Fragen. Einige Kontakte haben uns wissen lassen, dass die Fragen, die er ihnen stellt, eindeutig zeigen, dass er immer mehr Informationen sammelt, die uns schädigen können. Wenn wir kein kompromittierendes Wissen über ihn bekommen, mit dem wir ihn erpressen können, müssen wir ihm eine großzügige Abfindung für sein Stillschweigen anbieten. Ich glaube jedoch nicht, dass das bei ihm verfangen würde. Er würde ein solches Angebot publik machen um uns zu schaden. Er würde aber nichts beweisen können.“

In dem Augenblick hielt Klaus das Auto vor dem Abflugterminal an, stieg rasch aus, lief um das Auto und riss die Hintertür auf, damit der Boss aussteigen konnte. „Also bis heute Abend, Herr Müller. Halten Sie die Augen auf und die Ohren steif.“

Klaus stieg wieder ins Auto und fädelte es in den Verkehr ein. Dann fuhr er in die Nachbarschaft, wo der Journalist zu Hause war. In der gehobenen Wohngegend zu wohnen, das konnte sich der Schnüffler wohl nur deswegen leisten, weil seine Frau Studienrätin war und gut verdiente. Ob sie sich Kinder wünschten? Vielleicht hatten sie keine Zeit für Kinder. Fürs Kinderkriegen waren sie wahrscheinlich zu beschäftigt. Wenn alle Stricke reißen sollten, müssten sie vielleicht die Frau entführen und den Schnüffler so unter Druck setzen. Nein, das würde nicht funktionieren. Sobald die Frau freigelassen wäre, würde der Schnüffler erst richtig zum Angriff blasen. Klaus erschrak. Mein Gott, er fing an so zu denken wie die Bosse. Denken war nicht Klaus‘ Aufgabe. Das musste er sich immer vor Augen halten. Nur Befehle ausführen, mehr nicht.

Trotzdem dachte Klaus immer wieder darüber nach, was den Journalisten antrieb: Ruhm, Ansehen, mehr Geld, Aufstieg in der Zeitungsredaktion oder Prinzipien. Klaus konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendjemand heutzutage aus Prinzipientreue handelte. War das in der Geschichte der Menschheit je der Fall? Klaus wusste es nicht. Er wusste nur, dass es sich nicht lohnte, darüber nachzudenken.

Als Klaus das Haus des Schnüfflers erreichte, war es schon acht Uhr. Der Journalist musste sein Trainingsprogramm schon beendet haben. Klaus war sicher, dass der Fitnessfreak heute Morgen im Keller trainiert haben musste, denn der Untergrund war zu rutschig zum Laufen. Als Klaus im Auto saß und darüber nachdachte, hörte er ein Klopfen an seinem Fenster. Als er hinschaute, blickte er in das Gesicht des Journalisten. Unwillkürlich ließ Klaus das Fenster herunterfahren. Dann hörte er zum ersten Mal die Stimme des Journalisten aus der Nähe: „Kommen Sie mit hinein. Ich lade Sie zu einem zweiten Frühstück ein. Meinen Sie nicht auch, dass es endlich Zeit ist, einander richtig kennenzulernen, wo Sie doch fast immer in meiner Nähe sind?“ Was konnte Klaus erwidern? Einfach davonfahren, das ging nicht. So stieg er aus. „So ist’s richtig. Sie werden sehen, ich bin harmlos und recht freundlich. Außerdem freue ich mich immer auf Gespräche mit netten Menschen. Sie sind ein netter Mensch, oder? Sie sehen zumindest recht nett aus. Kommen Sie, kommen Sie. Ich tu Ihnen nichts.“

So folgte Klaus dem schlanken Journalisten zu seiner Haustür. Als er eingetreten war und seinen Mantel hingehängt hatte, wollte sich Klaus die Schuhe ausziehen, wie es in jedem ordentlichen Haushalt üblich war, aber der Journalist bedeutete ihm, die Schuhe anzubehalten. Alle Fußböden seien gefliest und sehr pflegeleicht, sagte er. „So, nehmen Sie bitte da am Küchentisch Platz. Ich frage Sie nicht nach Ihrem Namen, denn das könnte Ihnen unangenehm sein und ich will Ihnen jede Unannehmlichkeit ersparen. Ich gehe davon aus, dass Sie meinen Namen kennen. Meine Frau hinterlässt mir immer frischen Kaffee, wenn Sie das Haus verlässt. Wir schaffen es nicht immer, zusammen zu frühstücken. Übrigens, Sie können sich ruhig Notizen machen, wenn irgendwelche Informationen Ihnen nützlich erscheinen. Meine Frau weiß, dass ich nach meinem Sportprogramm viel Hunger habe. So, ich stelle die Wurst- und Käseplatte auf den Tisch. Möchten Sie zwei Scheiben Toast?“ „Ja, bitte.“ „Nehmen Sie zum Kaffee Milche, Zucker oder Süßstoff?“ „Nur schwarz, bitte.“ „Lassen Sie es sich schmecken!“

Nachdem sich der schlanke Journalist hingesetzt hatte, schaute er Klaus an und sagte: „Wissen Sie, ich wollte schon immer einen Beschatter kennenlernen. Sie machen das aber nicht richtig hauptberuflich, oder? Ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten, aber Sie fallen auf. Ihr Auto ist gut, aber Sie müssen Leute zu dritt oder zu viert beschatten und einander abwechseln. Aber für mich ist Ihre jetzige Methode ganz angenehm. Ich habe mich an Ihr Auto und an Ihr Gesicht gewöhnt. Ich fühle mich irgendwie geborgen, wenn Sie in der Nähe sind.“

Nach einer Pause fragte der Journalist: „Sind Sie immer so schweigsam? Müssen Beschatter ein Schweigegelübde ablegen? Oder ist Ihnen die Situation peinlich?“ „Eher peinlich, denke ich“, erwiderte Klaus. „So ist es richtig. So kommen wir ins Gespräch. Übrigens, an Hand des Nummernschildes kann man leicht ermitteln, wem das Auto gehört, das Sie fahren. Ihnen gehört es nicht. Wohl ein Firmenwagen, oder? Ihrer Firma wäre es wahrscheinlich unangenehm, wenn in der Zeitung stünde, man habe mich mit dem Firmenwagen beschattet, meinen Sie nicht auch?“ „Das würde wohl der Fall sein“, antwortete Klaus. „Das lässt sich wohl vermeiden. Ich will Sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Ihre Vorgesetzten wären wohl aufgebracht, wenn sie erführen, dass ihr Beschatter mit seiner Zielperson, so heiße ich wohl, in vertrauter Atmosphäre frühstückt. Ist es nicht so?“ „Das ist anzunehmen“, antwortete Klaus.

Dann schwiegen beide eine ganze Weile. Dann sagte der Journalist: „Sie werden wohl mitbekommen haben, dass ich selten mit einem Auto fahre. Lieber mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich habe eine Idee. Wir können zusammen zu der Zeitungsredaktion fahren. Davon hätten wir beide etwas. Sie blieben eng an Ihrer Zielperson dran und ich brauchte nicht zur Bushaltestelle zu laufen. Was halten Sie davon? Dabei können wir darüber plaudern, wie es mit uns weitergehen soll. Kommen Sie mit ins Wohnzimmer. Während Sie sich die Nachrichten im Fernsehen anschauen, räume ich in der Küche auf. Schon vor Ihrem Erscheinen heute Morgen hatte ich mich geduscht und umgezogen, wie Sie sehen. Es dauert nur zehn Minuten.“

Zwanzig Minuten später saßen Klaus und der Journalist schweigend nebeneinander im Auto. „Ich finde es bedauerlich, dass es mir nicht gelungen ist, mit Ihnen richtig ins Gespräch zu kommen. Sie scheinen sehr solid zu sein.“ Dann brach es aus Klaus heraus: „Seit einer Stunde verarschen Sie mich nach Strich und Faden. Und mir ist klar, dass ich das verdient habe. Trotzdem ist die ganze Sache mir sehr unangenehm.“ „Können Sie sich vorstellen, dass es sehr unangenehm ist, beschattet zu werden? Vor allem, wenn man weiß, dass die Kreise, in deren Auftrag man beschattet wird, skrupellos und gefährlich sind.“ Dann schwiegen beiden wieder.

Als Klaus vor der Zeitungsredaktion das Auto anhielt, sagte der Journalist: „Ich werde unsere Unterhaltung nicht ausplaudern. Wie Sie damit umgehen, bleibt Ihnen überlassen. Allerdings werde ich Sie künftig freundlich grüßen und Ihnen zuwinken, wenn ich Ihrer ansichtig werde.“ Dann stieg der Journalist aus dem Auto aus.

Der Kurier des Todes

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