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Kapitel 4: Teamarbeit

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Am nächsten Morgen war Klaus schon um halb neun im Besprechungszimmer. Der Boss hatte ihm eine SMS geschickt und ihn aufgefordert, sich dort um halb neun einzufinden. Am länglichen Konferenztisch, an dessen Ende der Boss thronte, saßen Klaus und seine drei Assistenten. Waren sie wirklich seine Assistenten oder hatte der Boss schon beschlossen, Klaus zu deren Handlanger zu degradieren? Wie auch immer seine Rolle vom Boss definiert würde, Klause würde sich der Entscheidung fügen.

Als alle Anwesenden sich Kaffee eingeschenkt und Kekse auf ihre Tellerchen gelegt hatten, ergriff der Boss das Wort: „Wir haben in der Öffentlichkeitsarbeit ein Problem, das wir dringend einer Lösung zuführen müssen.“ Klaus horchte auf, denn er wusste, dass es ernst würde, wenn der Boss geschwollen daherredete. Aber dann beruhigte sich Klaus etwas, denn der Boss fuhr in seinem gewohnt schnoddrigen Ton fort. „Ein Möchtegernjournalist versucht uns in die Suppe zu spucken und uns madig zu machen. Bei unseren Gönnern und Kunden kommen die Einschläge immer näher. Der übereifrige Schnüffler verunsichert Politiker, Kunden und Mitstreiter. Seine Fragen verraten, dass er irgendwo ein Leck in unserem vernetzten Kreis ausfindig gemacht hat. Sonst ist nicht zu erklären, wie er an einige Informationen gekommen sein konnte, die er bei seinen Anfragen durchschimmern lässt. Jetzt verfolgen wir drei Absichten: Erstens versuchen wir herauszufinden, wo der Schnüffler Dreck am Stecken hat. Wenn wir etwas Saftiges aufdecken könnten, würden wir ihm das Maul stopfen. Zweitens bemühen wir uns das Leck zu finden. Finden wir die Ratte, die mit dem Journalisten plaudert, werden wir sie hart anfassen und ausschalten. Was das heißt, überlasse ich Ihrer Fantasie. Drittens werden wir, wenn alle Stricke reißen, nicht umhinkommen, den Journalisten auf die eine oder andere Weise zu beseitigen. Gibt’s Fragen? Wenn die ganze Angelegenheit jemandem von Ihnen zu brenzlig vorkommt, soll er sofort aussteigen und danach den Mund halten. Alles klar?“ Wie Klaus es erwartet hatte, meldete sich niemand zu Wort. Dann fuhr der Boss fort: „Sie wissen alle, dass Sie einige Aufträge ausgeführt haben, die, sagen wir mal verharmlosend, nicht ganz koscher waren. Darüber haben wir selbstverständlich belastende Unterlagen. Deshalb möchte ich Ihnen nahelegen, nicht auf dumme Ideen zu kommen. Ich gehe davon aus, dass ich mich klar genug ausgedrückt habe. Ist das bei jemandem nicht der Fall?“ Wie Klaus erwartete, meldete sich niemand. Wie oft hatte Klaus die Masche des Bosses schon erlebt, ohne dass irgendjemand es gewagt hätte, sich als widerborstig zu zeigen.

Nach einer Pause redete der Boss weiter: „Herr Müller wird allen anderen mitteilen, was er bis jetzt über den Schnüffler herausgefunden hat. Die weitere Observierung wird ab jetzt dadurch erschwert, dass Herr Müller bei seiner Beschattung des Journalisten aufgeflogen ist und der Schnüffler vorgewarnt ist. Sie müssen sehr vorsichtig vorgehen. Die Details überlasse ich Ihnen. Sie versuchen Belastendes über den Mann herauszufinden. Er wird bestimmt irgendwelche Leichen im Keller haben. Die haben wir alle. Außerdem versuchen Sie zu ermitteln, wie er mit der Ratte Kontakt aufnimmt. Vielleicht kommuniziert er nur auf elektronischem Weg mit dem Leck, aber unter Umständen treffen sie sich gelegentlich. So das war es. Ich verabschiede mich. Herr Müller wird Sie über das weitere Vorgehen unterrichten. Herr Müller, ich möchte alle zwei Tage einen Bericht über die Observierungsfortschritte erhalten, und zwar persönlich. Sie vereinbaren Termine mit mir per SMS.“

Nachdem der Boss den Raum verlassen hatte, teilte Klaus den anderen das Wenige mit, das er in Erfahrung hatte bringen können. Die anderen drei waren erfahrene Beschatter. Nachdem sie sich die Bilder angeschaut hatten, die Klaus ihnen per WhatsApp zugeschickt hatte, organisierten sie ihre Observierungsschritte. Dann kam Klaus eine geniale Idee. Er zögerte sie zu äußern, denn, wie er wusste, war es nicht seine Aufgabe zu denken, sondern Aufträge auszuführen. Dann überwand er sich doch: „Da der Schnüffler mich sowieso kennt, könnte ich ihn zu Hause aufsuchen und die Rolle des umgedrehten, reumütigen Beschatters spielen, ein paar erdachte Einzelheiten einer Observierungsaktion ausplaudern und darauf hoffen, dass der Journalist mich ins Vertrauen zieht.“ „Klär das zuerst mit dem Chef, Klaus, bevor du eigenständig eine Nebenaktion lostrittst“, sagte der Älteste der übrigen drei, der Dietmar hieß. „Da hast du recht. Ich versuche ihn nachher zu erreichen.“

Alle vier Männer verließen das Gelände. Klaus sollte als Schaltzentrale fungieren und Einsätze bei Bedarf koordinieren. Die Idee, einfach bei dem Journalisten zu Hause aufzukreuzen, ließ Klaus nicht los. Er war sich sicher, dass der Boss ein solch kühnes Vorgehen nie genehmigen würde. Vielleicht sollte Klaus auf eigene Faust handeln. Wenn nichts dabei herauskäme, brauchte der grantige Boss nie etwas von seinem Vorstoß zu erfahren. Wie könnte er jedoch mit dem Journalisten Kontakt aufnehmen, ohne dass die Beschatter davon erführen? Da musste Klaus noch nachdenken.

So fuhr Klaus in die Innenstadt und stellte sein Auto in einer Parkgarage ab. Spontan beschloss er in ein Café zu gehen, das ungefähr 200 Meter von dem Redaktionsgebäude des Journalisten entfernt war. Klaus war auf jeden Fall in der Nähe, wenn einer der Beschatter Unterstützung benötigte. Allerdings konnte sich Klaus nicht vorstellen, welche Art von Unterstützung sie brauchen könnten. Ja, Klaus kam sich ziemlich überflüssig vor. Die Serviererin brachte Klaus sein Kännchen Kaffee und ein Croissant. Brigitte hatte recht. Er musste dringend seine Ernährung umstellen und irgendwie mit einem Bewegungsprogramm beginnen.

Klaus wollte gerade sein Croissant in seinen Kaffee tunken, als er eine laute Stimme vernahm: „Ich glaube es nicht. Da sitzt mein Beschatter.“ Als Klaus nach oben blickte, schaute er in das Gesicht des Schnüfflers. „Darf ich Ihnen meine Mitarbeiterin, Frau Gabriela Schmidt, vorstellen. Vielleicht wollen Sie auch sie beschatten. Sie haben sicherlich nichts dagegen, wenn wir uns zu Ihnen setzen.“ „Seien Sie bitte leise!“, zischte Klaus. „Wir werden observiert. Ich versuche mit Ihnen Kontakt aufzunehmen“, flüsterte er, „obwohl das schwierig sein wird, ohne beobachtet zu werden. Übernehmen Sie bitte meine Zeche. Ich muss verschwinden.“ Damit stand Klaus auf und lief in die Richtung, in der er die Männertoilette vermutete.

Klaus betrat den Toilettenraum und lief auf eine leere Kabine zu. Er ging hinein, schloss die Tür hinter sich ab und atmete tief durch. So ein blödes Pech! Hoffentlich hatten die anderen nichts von der Begegnung mitbekommen. Wie könnte er aus dem Café herauskommen ohne gesehen zu werden? Die anderen werden bestimmt denken, er hätte sich mit dem Journalisten verabredet. Sie könnten sogar annehmen, Klaus sei die Ratte. Dann wären seine Tage, was heißt Tage, dann wären seine Stunden gezählt. So stand Klaus hängenden Kopfes in der Toilettenkabine und überlegte fieberhaft. Er musste die Flucht nach vorn ergreifen.

Er holte sein Smartphon hervor und rief Dietmar an. Klaus wusste, dass er den Journalisten in der Nähe der Redaktion observieren sollte. „Dietmar“, sagte Klaus leise. „Ich bin’s Klaus. Ich befinde mich in dem Café gegenüber vom Parkhaus. Ich wollte mir gerade etwas bestellen, als der Journalist mit einer Frau hereinkam. Ich flüchtete auf die Toilette und bin jetzt in einer abgeschlossenen Toilettenkabine. Überwacht ihr den Hinterausgang? Gibt es überhaupt einen zweiten Ausgang aus dem Café?“ Dann hörte Klaus einige Sekunden zu. Darauf sagte er: „Vielleicht hat der Journalist etwas mit der Frau, etwas, was wir ihm anhängen können. Es gibt noch eine andere Möglichkeit: Vielleicht will er sich hier in aller Öffentlichkeit mit der Ratte treffen. Das wäre etwas, womit niemand rechnen würde.“ Dann horchte Klaus wieder einige Sekunden lang. Dann sagte er: „Ich muss in dieser verdammten stinkenden Kabine ausharren, bis der Journalist und seine Begleitung das Café verlassen haben. Er kennt mich doch. Das heißt, er weiß, dass ich ihn beschatte. Ich glaube allerdings nicht, dass er weiß, wie ich heiße. Könnt ihr mich anrufen, wenn er das Lokal verlassen hat?“ Danach lauschte Klaus wieder den Worten Dietmars, bevor er schließlich sagte: „Ja, das ist richtig. Vielen Dank.“ Dann wartete er.

Nach zwei gefühlten Ewigkeiten vibrierte Klaus‘ Smartphon. Als er den Anruf annahm, hörte er schweigend zu. Dann sagte er: „Gut, ich treffe dich in zehn Minuten auf der ersten Ebene des Parkhauses bei der Treppe.“ Dann steckte Klaus sein Smartphon in seine Jackentasche, zog seine Krawatte zurecht und verließ die Kabine. Fünfzehn Minuten später saßen Klaus und Dietmar in Klaus‘ Auto. „Und da war überhaupt nichts Verfängliches im Café zu beobachten?“, fragte Klaus. „Absolut gar nichts. Die beiden plauderten und scherzten miteinander, aber ohne jegliche Körperberührungen. Das ist kein Liebespaar. Die Frau ist anscheinend irgendeine Kollegin aus der Zeitungsredaktion.“ „Und die beiden haben nicht versucht, mit irgendjemandem im Lokal Kontakt aufzunehmen?“ „Ich betrat schon zwei oder drei Minuten nach ihnen das Café und hatte sie die ganze Zeit im Blick. Da war nichts.“ „So ein Mist!“, sagte Klaus, „wir müssen dem Boss bald etwas liefern.“ „Vielleicht solltest du deinen Plan in die Tat umsetzen“, schlug Dietmar vor. „Ich will nicht, dass der Boss mir den Kopf abreißt. Er ist schon jetzt ärgerlich und enttäuscht, dass der Journalist mich als Beschatter erkannt hat. Nein, ich warte, bis ich übermorgen die Idee mit ihm besprochen habe. Sind die beiden zurück in das Gebäude der Zeitung gelaufen?“ „Ja, und Matte ist an ihnen dran. Ich muss ihn gleich ablösen.“ Damit stieg Dietmar aus und lief zum Treppenhaus.

Klaus informierte die anderen, dass er eine Mittagspause einlegen wolle. Dann rief er Brigitte an und fragte sie, ob sie in ihrem Lieblingsspeiselokal in dem Viertel mit ihm zu Mittag essen möchte. „Klaus, was ist los mit dir? Hat der heiße Sex neulich etwas in dir ausgelöst? Natürlich will ich mit dir zu Mittag essen. Wann soll ich bereit sein?“ Klaus teilte ihr mit, dass er sie in 40 Minuten abholen werde.

Neunzig Minuten später saßen Brigitte und Klaus im Restaurant an einem Tisch einander gegenüber. „Klaus, das werte ich als gutes Zeichen, dass du heute zu Mittag einen großen Salat isst und dazu kein Bier, sondern Mineralwasser trinkst. Hast du dir vorgenommen, gesünder zu leben?“ „Ja, das habe ich. Ich will dir nicht vor der Zeit wegsterben. Ich könnte es nicht ertragen, aus dem Jenseits herunterzublicken und zuschauen zu müssen, wie du es mit balzbereiten Böcken treibst.“ „Klaus, nicht so laut. Die anderen werden gucken.“ „Wir haben die Abstellkammer im Keller. Die hat ein Fenster und einen Heizkörper. Ich werde uns einen Crosstrainer kaufen und da aufbauen und jeden Tag mindestens 30 Minuten trainieren. Am Anfang werde ich wohl den inneren Schweinehund überwinden müssen. Aber es muss sein. Entweder werfen wir die Tiefkühlpizzen in den Müll oder die Kinder können sie essen.“ „Du willst doch nicht die eigenen Kinder vergiften, oder?“ „In der Jugend steckt man so einen Fraß weg, aber nicht in meinem Alter.“ „Klaus, ich kenne dich nicht mehr. Was hat den Sinneswandel ausgelöst?“ „Du hast auch etwas davon. Wäre es nicht schlimm, wenn ich das krumme Ding nicht mehr hoch bekäme?“ „Klaus, nicht so laut. Die anderen gucken schon!“ „Lass sie gucken. Wirst du die Anschaffung genehmigen? Dank der Überstunden werde ich in diesem Monat bestimmt einen Bonus bekommen.“ „Natürlich bin ich damit einverstanden, Klaus. Wenn du gesünder lebst und wir wie heute mehr Zeit zusammen verbringen können, bin ich überglücklich.“

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