Читать книгу Amélie - Wo Schatten ist - Genèvieve Dufort - Страница 5

Оглавление

Kapitel 2

»Da finde ich dich ja endlich!«

Amélie hob den Blick und sah einen Mann vor sich stehen.

Seine schwarzen Haare zeigten an den Schläfen bereits die ersten grauen Strähnen. Seine elegante Kleidung rundete er mit einem passenden schwarzen Spazierstock ab.

Unwillkürlich duckte sie sich, gerade so, als würde sie geschlagen werden.

Inès erwachte aus ihrem Dämmerzustand und blickte ihn an. »Ach, schau mal an, der Pierre ist wieder im Lande! Nein, das ist aber eine Freude!«

Der Mann lächelte dünn.

Inès sprang auf und hängte sich an seinen rechten Arm ein. »Na, Pierre, auf dich habe ich schon lange gewartet.«

»Wirklich?«, fragte er geschmeichelt.

Sie streichelte ihn über den Arm und die Brust.

Der lässt sich das wirklich gefallen, dachte Amélie erstaunt. Komisch, ich könnte das nicht haben, wenn Inès mich so streicheln würde.

»Soll ich dir das wirklich glauben?«

»Pierre, ich sage es dir, und wenn du willst, schreibe ich es für dich auch auf: Ich habe wirklich schon auf dich gewartet.«

Ihr Kunde schien sich tatsächlich geschmeichelt zu fühlen.

Für Inès war er nur ein Freier wie alle anderen. Wie schnell man dir doch was vormachen kann, dachte sie bei sich. Bist so ein feiner Pinkel, hast so viele Leute, die für dich arbeiten. Ja, du sollst ein ganz abgerissener Hund sein. Kommst du aber zu deiner Inès, dann bist du wie alle anderen Kerle. Aber mir soll das egal sein. Du bist wie eine Kuh, die man melken kann. Keiner ist so großzügig wie du. Da kann ich schon mal Honig um den Bart schmieren.

Der Mann sah Amélie an. »Ist das deine Schülerin?«

Inès lachte. »Bist du verrückt! So etwas brauche ich doch nicht!« Sie zwinkerte ihm mit ihren falschen Wimpern zu. »Was ist denn jetzt? … Gehen wir oder gehen wir nicht?«

»Nur, wenn sie mitkommt!« Immer noch fixierte er Amélie, die verschüchtert auf der Mauer saß.

Durch Inès ging ein heftiger Ruck. »Soll das heißen, du willst tatsächlich sie?«

Amélies Wangen röteten sich, als sie begriff, was der Mann wollte.

»Nein, Inès, dich will ich … Aber ich glaube, es wird noch schöner, wenn sie mit dabei ist. Es gibt mir dann so etwas Prickelndes. Es soll nicht zu deinem Schaden sein.«

»Du willst also mehr zahlen als üblich?«

»Ja, werde ich.«

Inès wandte sich Amélie zu, die sie perplex anstarrte. »Hast du nicht eben erzählt, dass du Geld verdienen willst?«

»Ja.«

»Tja, das kannst du jetzt!«

Amélie riss den Mund auf.

»Jetzt zier' dich nicht länger und komm' mit!« Inès kannte jetzt keine Zurückhaltung. Sie dachte auch nicht darüber nach, dass es für Amélie ein Schock sein könnte, wo sie schon seit langem nur ›besondere‹ Kunden bediente. In diesem Moment dachte sie jedenfalls nur an die schnell und leicht verdienten Scheinchen. »Wie heißt du noch mal?«

»Amélie.«

*

Unterwegs kamen sie an dem Eckladen vorbei.

»Gib mir mal einen Schein, ich bin gleich wieder zurück.« Inès hielt ihrem Kunden abwartend die Hand entgegen.

Der elegante Mann reichte ihr einen Zwanzig-Euro-Schein, mit dem sie direkt im Geschäft verschwand.

Als sie wenig später wieder herauskam, lächelte sie zufrieden – mit einer Flasche unterm Arm. »Na dann mal los!«, grinste sie Amélie an.

*

Inès lebte in einem der Hinterhofblöcke. Sie hatte das Zimmer wohl schon länger nicht mehr gelüftet, denn die Luft war zum Schneiden.

Ungefragt riss Amélie einen der Fensterflügel auf, ehe sie die Einrichtung betrachtete.

Sie lebte daheim ja schon recht schäbig, aber was sie hier vorfand, empfand sie als noch viel schlimmer. Es war ein heruntergekommenes Loch in dem nicht einmal ein Tier leben sollte. Es schüttelte sie. Ich gehe lieber, dachte sie. Das halte ich nicht aus.

»Wenn es mir nichts ausmacht«, lächelte der in der Tür stehende Mann, »dann dürftest du dich hier auch wohlfühlen.«

Ungläubig starrte sie ihn an.

Inès hatte inzwischen hastig einen Cognac getrunken und seufzte zufrieden, als sie das Glas auf den wackeligen Tisch stellte. Dann drehte sie sich herum und fixierte den Freier. »Na, dann beginnen wir mal den Budenzauber!«, grinste sie. »Und du, Amélie, setzt dich dort drüben hin und rührst dich nicht von der Stelle.«

Sie war schon immer ein gehorsames Kind gewesen, um nur nicht anzuecken und tat wie ihr geheißen. Zwar konnte man sie mit ihren achtzehn Jahren wirklich nicht mehr als Kind bezeichnen, aber weil sie so hager war, wurde sie immer für sehr viel jünger gehalten – und das war bei Inès' Kunden vermutlich auch nicht anders.

Bei ihr zu Hause machte man sich nicht viel Mühe, etwas vor den Kindern zu verbergen. Ihre Eltern hatten sich immer ganz ungeniert benommen. Wenngleich sie selbst auch noch nie mit einem Mann geschlafen hatte, so hatte sie doch unwillkürlich des Öfteren bei den Eltern etwas mitbekommen. Für sie war das ganz normal, so wie Kinder auf dem Lande zusehen, wenn ein Kalb geboren wird. Aber nun bekam sie etwas zu sehen, was sie maßlos verblüffte.

Der Mann trat an den Tisch, legte sein Jackett ab und hängte es über die Lehne von einem der Stühle. Er schien sich bei seinem langsamen und bedächtigen Entkleiden in sich selbst zurückzuziehen, so als müsse er sich für etwas wappnen.

Amélie verstand nicht warum. Denn alles was sie bislang über Sex wusste, erklärte das nicht. Da war nichts von stürmischer Eile und Hast, und sie hatte eigentlich gedacht, dass Inès ihm beim Ausziehen behilflich sein würde.

Als er nun nackt mitten im Raum stand, wartete er auf deren Befehle.

Amélie sah wie jede Autorität, die er zuvor noch ausgestrahlt hatte, von ihm abfiel, und wie er zu einer Marionette seiner Bedürfnisse wurde.

Über mehrere Minuten ließ Inès ihn einfach nur mit gesenktem Kopf auf der Stelle stehend warten.

Auf Amélie machte es den Eindruck, als würde Inès die Situation und Macht, die sie in diesem Augenblick über ihn hatte sehr zu genießen. Sie bemerkte, wie sie förmliche aufblühte und in ihren Augen eine Art zufriedenes Leuchten erstrahlte.

»Wer hat dir erlaubt zu stehen, du Hund ...«, herrschte Inès ihn unvermittelt an.

Pierre fiel wie ein nasser Sack in sich zusammen und ging auf alle Viere. Er versank im Sumpf sklavischer Demut, die er brauchte, um seine Erfüllung zu finden.

»Und jetzt, Sklave?!« Direkt vor ihm stehend, hatte Inès ihre Hände in die Hüften gestemmt. »Du weißt, was ich von dir erwarte! Begrüße deine Maîtresse!«

Wortlos senkte er seinen Kopf und küsste ihr mehrfach mit kurzen Berührungen die Stiefelspitzen, bis sie ihn grob mit einem Fuß von sich stieß.

»Hast du denn schon alles verlernt?!«, fauchte sie ihn an. »Jetzt sind meine Stiefel nass geworden! … Du bist einfach zu nichts zu gebrauchen!«

Er fing sich sofort, rutschte wieder vor sie und verharrte in ergebener hündischer Haltung, auf seine Züchtigung wartend.

»Ich frage mich ernsthaft, warum ich mich mit dir abgeben sollte! Du kannst deine Maîtresse ja nicht einmal richtig begrüßen und ihr die Stiefel küssen!«

Auf Amélie wirkten ihre Worte gemein und verletzend. Sie fühlte sich zunehmend unwohler und wäre am liebsten davongelaufen, um der Situation zu entkommen. Aber die Aussicht auf gutes Geld ließ sie bleiben. Sie zog sich in die hinterste Ecke des Raumes zurück. Nach wenigen Minuten wandte sie sich ab und blickte aus dem Fenster hinter sich.

Pierre genoss sichtlich, dass sie während seiner ›Session‹ dabei war. Ihre Anwesenheit verdoppelte seine Empfindungen. Ihm gefiel, dass sie ihn und Inès beim Spiel beobachtete.

»So erbärmlich wie du dich anstellst, frage ich mich, ob du Hund überhaupt noch einen hochkriegst.« Sie lachte verächtlich auf. »Tja, wäre geil, wenn du dir von all deiner Kohle mal einen richtigen Schwanz kaufen könntest, nicht wahr?« Sie hatte sich eine Reitgerte vom Tisch genommen und betastete seine Männlichkeit abschätzend mit der genähten Lederspitze. »Als Gott die Schwänze verteilt hat, hast du wohl jeden vorgelassen und dich mit dem kümmerlichen Rest begnügt! … Meine Fresse! … Das ist aber auch mickriges Teil!« Gespielt angewidert schüttelte sie missbilligend den Kopf.

Mit jedem weiteren Satz, den sie ihm an den Kopf warf, steigerte sich seine Lust. Er spürte, wie sich das Blut in seinem Schritt sammelte und sein Glied langsam erigierte.

Aber auch damit zeigte sich Inès unzufrieden. »Wie kannst du es wagen, vor mir einen Steifen zu kriegen, du Schwein!«, schrie sie ihn an und schlug ihm mehrfach mit dem Paddel der Gerte gegen die baumelnden Hoden, worauf er schmerzhaft das Gesicht verzog. »Du widerliches Kriechtier hast kein Recht dazu! Habe ich dir das erlaubt?!«, fuhr sie mit gehässigem Unterton fort.

»Nein, Maîtresse!«, murmelte er kleinlaut. Dabei hob er kurz den Kopf und schaute, unbemerkt für Inès, zu Amélie, die in diesem Moment seinem Blick begegnete.

Amélie spürte, wie sie Mitleid mit dem Mann bekam. Viele hielten sie für lächerlich jung und unerfahren, verstoßen und ausgesondert, ein hässliches Geschöpf, um das zu kümmern sich nicht lohnte. Aber in ihr steckte so etwas wie eine tiefe Lebensweisheit. Ich kann es mir nicht erklären, aber er tut mir einfach nur leid ...

Inès war zu einem fast auseinanderfallenden kleinen Kleiderschrank gegangen und holte eine ›Chat-a-neufs-queues[2] heraus. Sie wusste, dass sie diese, bei ihrem reichen Kunden, nicht übermäßig stark einsetzen musste. Er mochte es nicht, blutig geschlagen zu werden, wie das bei vielen ihrer anderen Kunden der Fall war. Sie wollte ihn so schnell wie möglich wieder loswerden, um das verdiente Geld in Alkohol anlegen zu können.

Als er hörte wie sie das Schlaginstrument durch die Luft schwang und sich das eindeutige Geräusch im heruntergekommenen Zimmer verbreitete, erschauerte er vor Erregung.

»Los, aufs Bett mit dir und streck' deinen Arsch richtig raus!«, befahl Inès herrisch. »Ich glaube, ich muss dir mal wieder zeigen, wie der Hase hier läuft!« Sie wedelte mit der Spitze der Gerte, die sie in der linken Hand behalten hatte, in die Richtung der Schlafstätte und tippte mit einer Stiefelspitze ungeduldig auf den unsauberen Zimmerboden.

Er legte sich auf das nicht gemachte Bett und blendete aus, was vor ihm hier passiert sein mochte. Sein Wunsch nach Erlösung ließ ihn das ignorieren.

»Das ging aber schon mal bedeutend schneller, du Hund …!« Mit einem gezielten Schlag der ›Chat-a-neufs-queues‹ auf seinen nackten Hintern, trieb Inès ihn an, worauf er sich mit einem ersten lauten Stöhnen bei ihr bedankte.

Ich brauche das heute einfach ..., dachte er bei sich, als er den scharfen Knall des Schlages hörte und das Brennen auf seiner Haut spürte.

Amélie blickte durchs Fenster nach draußen, aber sie nahm nicht wirklich wahr, was sich ihr draußen zeigte. Der Mann ist nicht die dominierende Gestalt, nicht die Persönlichkeit, für die er sich ausgibt, stellte sie still fest. Im Grunde genommen ist der Mann nur ein Sklave seiner Gefühle. Er ist nun mal so geschaffen und muss sich diesem Zwang unterwerfen. Er kann sich nicht dagegen auflehnen. Frauen stehen hoch über ihm, weil sie seine Gefühle steuern können und nicht so wild und verbissen darum kämpfen müssen wie er. Dieser Mann muss immer wieder diese Bestätigung fühlen, egal wie und mit welchen Mitteln. Wenn es auf die normale Weise nicht mehr geht, muss er einen anderen Weg einschlagen. Eine Frau muss das sicher niemals tun. Als der Knall erfolgte, zuckte sie kurz zusammen und warf einen Blick über ihre Schulter.

Immer wieder heizte Inès ihm verbal ein und schlug mit der ›Chat-a-neufs-queues‹ zu. Inzwischen zierten rote, glühende Striemen die Haut seines Hinterns, die sich aber schnell wieder zurückbilden würden.

Sein gequältes Stöhnen erfüllte den Raum. Es wurde intensiver, lauter und zog sich mehr und mehr in die Länge.

Mit einem letzten, harten Schlag trieb ihn Inès über die Grenze seiner Lust, was er mit einem animalischen Aufschrei quittierte.

Augenblicklich sackte er auf dem Bett in sich zusammen. Er fühlte sich erleichtert und irgendwie von einer schweren Last befreit.

Reglos hatte Amélie ihnen zugewandt dagestanden. Er tut mir leid, ging es ihr durch den Kopf. Eigentlich müsste ich wirklich Mitleid mit ihm haben. Er kommt, weil er das braucht und Inès spielt ihm alles nur vor. Sie interessiert sich nur für sein Geld, ansonsten ist er ihr völlig gleichgültig. Und ihm bleibt kein anderer Weg … Das muss bestimmt schrecklich für ihn sein, so seinen Zwängen unterworfen zu sein. In diesem Moment kamen Zweifel in ihr auf, ob sie solch ein Leben als Prostituierte und Kunden wie ihn wirklich wollte.

Sie fühlte sich unwohl und peinlich berührt, als sie den reichen Mann so auf dem Bett liegen sah.

*

Eine Viertelstunde später stand Pierre wieder angezogen vor ihnen. Kühl und gelassen zückte er seine Brieftasche. Er reichte Inès einige Scheine und drückte auch Amélie einen in die Hand.

»Ist das wirklich für mich?« Fassungslos starrte sie die orangefarbene Banknote an. Nie zuvor hatte sie einen Fünfzig-Euro-Schein besessen, geschweige denn in der Hand gehalten.

»Klar!«, lachte Inès.

»Dann bis zum nächsten Mal«, lächelte Pierre zufrieden und ließ sich von Inès zur Tür bringen.

Noch immer starrte Amélie den Geldschein an.

»Pierre ist mein nobelster Kunde«, meinte Inès, die neben sie getreten war.

»Aber ich habe doch gar nichts getan«, murmelte Amélie leise.

»Ich weiß auch nicht, warum er das so wollte.« Inès zuckte die Schultern. »Er hat einfach seine Macken. Die muss man nicht verstehen.«

»Sind die denn alle so?« Amélie schaute sie mit großen Augen an.

»Nein, die sind alle verschieden und doch irgendwie auch wieder gleich gestrickt«, erwiderte Inès lächelnd. »Einige wollen mir einfach nur auf meine bestrumpften Füße oder die Stiefel spritzen, andere soll ich mit einem Dildo in den Arsch ficken, damit sie zum Höhepunkt kommen.« Sie lachte kurz auf. »Ich hab' sogar einen, der kann nur, wenn er Damenwäsche trägt und man ihn wie ein Mädchen behandelt … Die meisten wollen angeschrien und beschimpft werden. Und natürlich die Peitsche spüren.«

»Aber warum?«, fragte Amélie erschrocken. »Ich würde mich wehren, wenn mich jemand auspeitschen wollte, wirklich.«

»Tja, ›Ma Petit‹, das ist so eine Sache. Die brauchen das einfach«, erwiderte Inès lapidar.

»Hast du nie weiter darüber nachgedacht?«, hakte sie nach.

»Nein, wozu auch?«

Amélie stand auf. »Ich muss jetzt gehen.«

»Willst du es denn immer noch machen? Ich meine nachdem …« Inès verschluckte den Rest und deutete stattdessen aufs Bett, leicht ihre Gerte schwingend.

»Ich muss mir über Vieles klar werden, denke ich«, entgegnete Amélie ausweichend.

Inès, die ihre Gerte und ›Chat-a-neufs-queues‹ beiseite gelegt hatte, kam wieder näher. »Ich mache dir einen Vorschlag, ›Ma Petit‹ ... Wenn du dich wirklich dazu entschließen solltest, … nun, dann würde ich dich anlernen.« Sie trat einen Schritt zurück und schaute an ihr herab. »Machen wir uns nichts vor. Für die normale Tour kannst du dich ja nicht anbieten, dafür bist du einfach nicht hübsch genug. »Aber für meine Kundschaft bist du genau richtig. Wenn wir das richtig aufziehen, dann kannst du damit dein Geld machen. Versprochen!« Sie machte es ihr so schmackhaft, wie sie konnte und ließ Amélie nicht ahnen, dass es auf Ausbeutung hinauslaufen würde. »Na, was meinst du zu meinem Vorschlag?«

»Ich werde jetzt erst mal gehen.«

Inès lächelte vielsagend. »Du weißt ja, wo du mich findest, und wenn du es dir überlegt hast, dann komm' halt zu mir.«

»Ja.«

***

Amélie - Wo Schatten ist

Подняться наверх