Читать книгу Amélie - Wo Schatten ist - Genèvieve Dufort - Страница 8
ОглавлениеKapitel 5
Amélie hatte das Rotlichtviertel fast verlassen, als sie plötzlich von einer männlichen Stimme angesprochen wurde. Ruckartig blieb sie stehen.
»Hier bin ich!«, machte der Mann sie auf sich aufmerksam.
Sie versuchte ihn auszumachen, aber es war so dunkel, dass sie seine Umrisse kaum erkennen konnte.
»Komm' näher!«, rief er ihr zu und trat ein Stück von der Wand weg, an die er sich gedrückt hatte.
Sie zögerte und wusste nicht genau, wie sie reagieren sollte. Ein schneller Blick die Straße entlang, sagte ihr das niemand in der Nähe war. Sie spürte, wie ihr Herz heftig in der Brust schlug. »Ja?«, fragte sie unsicher.
»Na, nun komm' schon näher!«, forderte er sie erneut auf. »Ich will nicht so laut reden müssen!«
Sie machte zwei Schritte auf ihn zu.
»Und? Erkennst du mich wieder?«, fragte der Mann lächelnd.
»Pierre?«, flüsterte Amélie ungläubig.
»Ja, so nennt mich die alte Inès immer«, schmunzelte er und gestand: »Aber in Wirklichkeit heiße ich anders.«
»Ach so!«, reagierte sie ungewollt einsilbig. Was willst du nur von mir?, fragte sie sich still. Willst du dein Geld zurückhaben? … Oh, nein! Das bekommst du nicht. Dann laufe ich gleich ganz schnell davon! Und wenn du mir nachrennst, dann schreie ich so laut ich kann. So laut, dass man es noch am Strich hört! »Was wollen Sie von mir?«, stotterte sie.
»Bist du allein?«, wollte er wissen und ließ ihre Frage unbeantwortet.
Sie schwieg.
Er erkannte an ihrem unsteten Blick, dass sie kurz davor war zu flüchten. »Ich möchte nur mit dir reden«, erklärte er deshalb schnell.
»Mit mir?« Sie starrte ihn verwirrt an. »Aber warum denn?«
»Ich möchte dir einen Vorschlag machen« Er versuchte so beruhigend wie nur irgend möglich zu sprechen. »Kann ich mir dir reden?«
»Ja«, meinte sie darauf zögernd. »Also?«
»Nicht hier.« Er schaute sich um. »Kennst du ein Lokal, in das wir gehen können?«
»Nein.«
»Dachte ich mir schon«, nickte er. »Du bist wohl noch sehr jung, wie?«
Amélie schwieg.
»Komm' mit.« Er ging die Straße entlang und bog in die nächste Gasse ein. Dabei drehte er sich nicht um und wusste dementsprechend nicht, ob sie ihm auch tatsächlich folgte.
Amélie war so verwirrt, dass sie einfach mitging. Ich kann ja immer noch abhauen, wenn es mir nicht gefällt, dachte sie. Ich kenne mich gut in diesem Viertel aus, bin hier ja aufgewachsen. Ehe er sich versieht, springe ich über eine Mauer und bin weg.
*
Dann standen sie vor dem ›La Goutte‹ und Pierre öffnete die Tür der Bar.
Als Amélie ihm folgen und eintreten wollte, starrte der Rauswerfer sie finster an.
»Verschwinde! Aber ganz schnell, ehe ich dir Beine mache!« Er deutete unmissverständlich nach draußen.
Amélie zuckte zusammen und schämte sich ihrer schmutzigen Kleidung.
»Sie gehört zu mir!«, ließ Pierre ihn wissen.
Der Rauswerfer runzelte die Stirn. »Ach so!«, knurrte er, nachdem er ihn gemustert und im düsteren Licht dessen Bonität positiv beschieden hatte.
»Ich will eine versteckte Nische«, forderte Pierre. »Wir wollen den Gastraum nicht betreten!«
»Na, darum möchte ich auch gebeten haben«, grinste der Türsteher und wurde etwas zugänglicher, als eine Banknote den Besitzer wechselte. »Ich gebe Ihnen sofort Bescheid. Warten Sie hier bitten einen Augenblick, Monsieur le Grand!«
Amélie starrte Pierre an. »Was hat er gesagt?«, flüsterte sie.
»Mein liebes Kind, gebe jemandem ein großzügiges Trinkgeld und er nennt dich Kaiser.« Er lächelte dünn.
»Aha!«
Der Rauswerfer kam wieder zurück. »Ich werde Sie führen.«
Amélie hatte noch nie eine Bar von innen gesehen. Raphael hatte ihr schon Wunderdinge darüber erzählt. Wenn seine Taschen voll waren, besuchte er sie der Reihe nach, bis er auch den letzten Cent ausgegeben hatte. Sie folgte den beiden und schlich an spärlich beleuchtetem rotem Samt vorbei und vernahm die gedämpfte Musik. Dann fand sie sich in einem sehr kleinen Raum wieder, in dessen Hintergrund eine breite Liege stand – auch sie war mit Samt bezogen. Vor Staunen bekam sie den Mund nicht mehr zu.
Pierre bedeutete ihr, sich an den kleinen Tisch zu setzen, und kaum hatte sie sich auf dem Stuhl niedergelassen, erschien wie aus dem Nichts ein Kellner.
»Was möchtest du gern haben?«, erkundigte sich Pierre freundlich.
Ich habe Hunger, dachte sie, und wenn er mich schon so direkt fragt, warum soll ich es ihm dann nicht sagen? »Kann ich etwas zu essen haben?«
Er nahm die Speisekarte, studierte sie einen Augenblick und gab dem Kellner seine Anweisungen.
»Ganz wie Sie wünschen, Monsieur«, dankte der Bedienstete und verschwand zwischen den roten Vorhängen.
Am liebsten hätte sie einen Blick dahinter geworfen, denn die Musik reizte sie und auch das Stimmengemurmel. Aber sie traute sich nicht. Das ist alles nur ein Traum, dachte sie. Wirklich, ein sehr schöner Traum. Aber gleich wache ich auf, und dann liege ich wieder in meinem Bretterverschlag. Ich muss später Raphael fragen, ob ich richtig geträumt habe, das darf ich nicht vergessen.
»Du wunderst dich wohl, dass ich dich hierher mitgenommen habe, wie?« Pierre schaute sie lächelnd an.
Sie hatte einen trockenen Mund bekommen. Als sie bejahen wollte, brachte sie keinen Ton heraus, weshalb sie schnell nickte.
»Wie alt bist du?«, fing Pierre ein anscheinend unverfängliches Gespräch an.
»Bin gerade achtzehn geworden.«
»Ich habe dich für jünger gehalten.«
»Das tun alle, weil ich nach nichts aussehe ...«, stellte sie düster fest. »Ich bin eben eine Vogelscheuche, verstehen Sie?«
»Na ja, so würde ich mich aber nicht ausdrücken. Mir gefällst du, Kleines.«
Fassungslos sah sie ihn an. »Wie bitte?«, fragte sie irritiert, ohne zu verstehen.
»Ja, du hast das gewisse Etwas«, nickte er. »Ich kann es nicht genau in Worte fassen, aber da ist etwas Besonderes an dir.«
Amélie spürte, dass sie einen hochroten Kopf bekam. Vielleicht …, dachte sie, vielleicht will er mich einfach nur ins Bett bekommen? Ach, du meine Güte, daran habe ich ja noch gar nicht gedacht. Ich werde verrückt! Sollte es heute soweit sein? Werde ich jetzt erfahren, wie es ist, wenn man mit einem Mann schläft. Ein Glück, dass es hier so dunkel und schummerig ist. Da kann er wenigstens meine erbärmliche verschlissene Unterwäsche nicht sehen ... Was er mir wohl dafür zahlt?
»Hörst du mir eigentlich zu?«, riss er sie aus ihren Gedanken.
»Wie? Was?« Sie war völlig durcheinander.
In diesem Moment öffnete sich wieder der Samtvorhang und der Kellner kehrte mit einigen köstlich duftenden Dingen an den Tisch zurück.
»Wir bedienen uns schon selbst«, ließ Pierre den Kellner wissen, nachdem dieser etwas auf die Teller vorlegen wollte.
»Wie Sie wünschen, Monsieur«, verbeugte er sich und ließ sie wieder allein.
Pierre nahm das Besteck und legte ihr etwas auf ihren Teller.
In Amélies Augen leuchtete es auf. »So etwas Feines habe ich noch nie bekommen.«
»Wenn du magst, dann kannst du das jeden Tag haben!«, schmunzelte ihr Gastgeber.
Amélie lächelte ihn an und wieder war da dieses hübsche Lächeln auf ihrem Gesicht, das sie viel zu selten zeigte. »Wollen Sie mich jetzt jeden Tag hierher einladen?«
»Nein, ganz sicher nicht«, lachte er.
»Habe ich doch gewusst.« Der helle Schein in ihren Augen erlosch.
»Nun iss dich erst einmal satt, und erst dann erzähle ich dir alles«, forderte er sie mit sanfter Stimme auf.
Amélie bemühte sich, manierlich zu essen. Zu Hause hatte man ihr dergleichen nie beigebracht. Aber Miss Dupont, ihre Nachbarin, besaß einen Fernsehapparat und dort schaute sie oft zu. Dort hatte sie auch gesehen, wie vornehme Leute essen und wusste, dass die ihr Essen nicht wie Wilde herunterschlangen. Sie ließ es sich munden und bemerkte nicht, wie er sie die ganze Zeit über lächelnd beobachte.
Er studierte sie genau und er schien zufrieden mit dem, was er sah. Ein Juwel unter einer rauen Schale, dachte er bei sich. Ich habe es gewusst. Mein Instinkt hat mich nicht betrogen. Aber noch weiß ich nicht, was genau es ist … was an ihr mich so anzieht. Sie hat etwas Wissendes an sich, so als könne ihr so leicht niemand etwas vormachen. Und dann dieses kurze aufblitzende Lächeln. Sie sollte wirklich mehr lächeln. Es steht ihr ausgezeichnet ... Geschickt fragte er sie während des Essens aus.
Es fiel Amélie nicht auf, dass sie ihm binnen einer Viertelstunde ihre ganze Lebensgeschichte erzählte.
Pierre war mit dem Gehörten zufrieden. Erst als sie ihm stolz erzählte, dass sie jetzt bei Inès in die Lehre gehen würde, runzelte er die Stirn. »Nun, da scheine ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen zu sein«, stellte er fast schon düster fest.
»Warum?«
»Nun, Amélie, das möchte ich dir ja jetzt alles erzählen.« Er schaute sie an und blickte dann auf ihren Teller. »Bist du satt geworden?«
»Ja, ich kann ich nicht mehr«, dabei strich sie über ihren Bauch. »Schade, es ist noch so viel da.«
»Du hast wohl oft Hunger?«
»Ja«, gestand sie mit gesenkten Lidern.
»Wenn du auf meinen Vorschlag eingehst und tust, was ich dir sage, wirst du nie wieder Hunger haben«, lockte er sie.
»Nein?«
»Du kannst dich darauf verlassen.«
»Kann ich noch etwas zu trinken haben?«
»Später!« Er schaute sie ernst an. »Erst einmal möchte ich mir dir reden. Nicht, dass es am Ende heißt, ich hätte dich betrunken gemacht und du hättest von nichts auch nur die geringste Ahnung gehabt.«
Jetzt wird er mich wohl verführen, dachte sie und atmete tief durch. Jetzt wird es soweit sein. Ob ich anfangen muss? Soll ich mich gleich ausziehen? Nach dem guten Essen bekomme ich bestimmt kein Geld mehr von ihm. Das ist schon so viel wert gewesen, mehr kann ich bestimmt nicht verlangen.
»Du wirst auf keinen Fall mehr zu Inès gehen, hörst du, Amélie!?«, ermahnte er sie.
»Aber ich will doch Geld verdienen!«
»Verrätst du mir, was du mit dem Geld anfangen willst?«
»Was ich damit anfangen will? Das kann ich dir wohl sagen. Als aller erstes möchte ich mir etwas zum Anziehen kaufen. Kleider und dergleichen, was man halt so braucht. Und natürlich Schuhe, schicke, herrliche Schuhe!« Mit einem Lächeln auf den Lippen träumte sie von einer strahlenden Zukunft.
»War das schon alles?«, hakte er schmunzelnd nach.
»Nein, ... wenn ich dann richtig gut Geld verdiene und etwas zurücklegen kann, dann möchte ich mir eine eigene Wohnung nehmen. Für mich ganz allein, das ist mein Traum. Mit einem Badezimmer, einer extra Küche und einem herrlich großen, weichen Bett. Da werde ich dann leben und glücklich sein. Und ganz sicher darf mich niemand von der Straße dort besuchen. Ich möchte so gern eine Dame sein.« Etwas verlegen über ihre, für ihn vielleicht so alberne Wünsche, stieg ihr die Röte in die Wangen.
»Das muss dir nicht peinlich sein«, bemerkte er sanft.
»Wissen Sie, da auf der Straße, da haben wir eine Edeldirne, die ist eine echte Dame. Also, die hat richtig schicke Klamotten und reich … reich ist sie auch. Sie kann sich alles leisten und Manieren, die hat sie auch. So wie Lena möchte ich einmal werden. Nicht wie Inès. Bei der will ich ja bloß lernen, mehr nicht. Wenn ich alles weiß, dann hau' ich ab. Ja, das habe ich vor.«
»Und wie hat dich Inès dazu gebracht, bei ihr in die Lehre gehen zu wollen?«
»Sie hat mir gesagt, für den normalen Strich sei ich zu hässlich. Aber die anderen Kerle, na ja, wie Sie einer sind, Pierre … Also, die brauchen ja auch die Frauen, und das verstehe ich gut. Wie sehr ihr die Frauen braucht, das habe ich heute kapiert. Und dann werde ich für Männer wie Sie da sein. Ich werde sie für eine bestimmte Zeit glücklich machen und sie werden mit mir zufrieden sein. Inès sagt, die komischen Typen, die sehen die Nutten gar nicht richtig an, die denken nur an das andere, und da könne man ruhig hässlich sein.«
»Na ja, ganz so stimmt das dann aber auch nicht«, erwiderte er mit einem Lächeln.
»Ich werde das machen«, beteuerte sie.
Sie biss sich leicht auf die Unterlippe, und in diesem Augenblick wirkte sie auf ihn richtig rührend, wie sie so vor ihm saß – so schmal und unheimlich zerbrechlich, mit ihren dünnen Schultern, dem spitzen Gesicht und strähnigem Haar. Willst du das wirklich?, fragte er sich. Ist es nicht ein wenig verrückt und naiv? Es gibt doch schon so viele von dieser Sorte hier in der Gegend. Warum ausgerechnet du, du kleines, verdrecktes Ding? Aber sie hatte ihm auf Anhieb gefallen. Dort bei Inès – da waren ihm ihre intensivblauen Augen aufgefallen. Die ganze Zeit hatte er an diese Augen gedacht, in denen er sich wieder versenken wollte. Inès, die alte Schlampe, denkt doch die ganze Zeit über immer nur ans Geld, und es ist ihr völlig gleichgültig was ihre Kunden dabei empfinden. Aber dieses süße, kleine Ding hier, das hat mich anders gesehen, auch wenn es die ganze Zeit versucht hat aus dem Fenster zu schauen. Er wollte es einfach wagen. Wenn es nicht so klappte, wie er es sich vorstellte, dann konnte er sie immer noch wegschicken. Was habe ich denn schon zu verlieren? Nichts! »Ich würde dir alles geben«, sagte er lächelnd.
Amélies Augen wurden ganz groß. »Wie?«, flüsterte sie. »Was willst du mir alles geben?«
Er lehnte sich zurück. »Hör zu, Amélie! Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen. Wenn du damit nicht einverstanden bist, bien, dann trennen wir uns, und du hast einen schönen Abend verbracht.«
»Ein Geschäft?«, wiederholte sie unsicher. »Ich habe so etwas noch nie gemacht. Oder nennt man das in der feinen Gesellschaft vielleicht so?«
Jetzt war es an ihm, verblüfft zu sein. »Was meinst du denn jetzt?«
»Wollen Sie denn nicht mit mir schlafen?«, fragte sie naiv. »Haben Sie mich denn nicht deswegen mitgenommen und mir das Essen spendiert?«
»Ach so, jetzt verstehe ich was du meinst!« Er versuchte nicht lauthals zu Lachen, um sie nicht zu verschrecken. »Nein, Amélie. Du weißt doch, dass ich so etwas gar nicht will. Diesbezüglich kannst du ganz beruhigt sein.«
»Für krumme Sachen lasse ich mich aber nicht anheuern, das habe ich Raphael auch schon gesagt. Nein, so etwas mache ich nicht!«, kam es ihr laut und kraftvoll über die Lippen. »Ich sollte einmal Schmiere stehen. Nein, mit der ›Police Nationale‹ will ich nichts zu tun haben! Also, dafür bin ich nicht zu haben, das sagte ich gleich! Alles, ja, … aber keine krummen Sachen, Monsieur Pierre!«
Er schmunzelte breit. »Sehe ich wirklich so aus, als würde ich krumme Sachen anstellen?«
»Sie haben das wohl nicht nötig, wie?«
Jetzt lachte er schallend. »Nein, Amélie, das habe ich wirklich nicht nötig. Ich bin recht vermögend, verstehst du? Wenn ich möchte, dann kann ich dich kaufen.«
Empört blickte sie ihn an. »Mich kann man nicht kaufen!«
»Nun, wer weiß? Vielleicht doch?!«
»Menschen kann man nicht kaufen!«
»Weißt du, Amélie, wenn man den richtigen Preis nennt, dann kann man alles kaufen. Da kennst du das Leben noch nicht richtig und bist ja auch noch sehr jung. Aber du wirst das alles noch lernen.« Er schaute sie musternd an. »Jetzt lass' uns mal zur Sache kommen, einverstanden?«
Sie nickte. Wenn ich doch nur wüsste, was er von mir will, dachte sie, was er wirklich von mir will! Wenn ich doch nur einen Menschen hätte, dem ich mich anvertrauen könnte. Er sieht so schlau aus. Sicher hat er was Schlimmes vor, und ich dummes Huhn soll dafür meinen Kopf hinhalten.
»Du hörst mir schon wieder nicht zu, Amélie!«, tadelte er sie nun leicht.
»Jetzt höre ich.« Sie sah ihn mit einem entschuldigenden Gesicht an, was sie sehr viel Überwindung kostete.
»Du kannst all das bekommen, was du möchtest. Sofort!«
»Alles was ich mir wünsche?« Ihrem Gesicht sah man an, dass sie an seinen Worten zweifelte.
»Ja, eine kleine Wohnung mit Bad. Du darfst dir die Möbel aussuchen. Hübsche Kleider ebenfalls und auch Geld für den Unterhalt bekommst du. Urlaub, wenn du möchtest. All das kannst du jetzt gleich haben, Amélie.«
»Alles?«
»Aber ja doch«, nickte er lächelnd.
»Aber … da ist doch ein Haken.« Ihre Unterlippe zitterte, weil sie seinem Angebot nicht traute. »Was muss ich denn dafür tun?«
»Du musst für mich da sein, Amélie.«
»Für Sie da sein? … Wie soll ich mir das vorstellen?«
»Ich will nicht mehr auf Inès zurückgreifen müssen, verstehst du? Du wirst meine Freundin sein, Amélie. Ich halte dich aus. Du wirst nur für mich da sein … und eventuell für ein paar gute Freunde von mir. Das ist meine Bedingung.«
Ihr Gesicht wirkte jetzt noch spitzer. Sie strengte ihren Kopf an. »Für Sie da sein? Soll das heißen ...?«
»Ja«, bestätigte er mit fester Stimme. »All das, was Inès mit mir getan hat, das wirst du dann tun, verstanden? Ich werde in Abständen zu dir kommen, und dann du wirst mich bedienen. Klar?«
Amélie schloss für einen Augenblick die Augen. Ihre Gedanken wirbelten mit unvorstellbarer Geschwindigkeit in ihrem Kopf umher. »Dann brauche ich also nicht bei Inès in die Lehre zu gehen?«, fragte sie fast flüsternd.
»Wenn du noch einmal zu Inès gehst, dann will ich dich nicht mehr, Amélie. So wie du bist, so will ich dich haben.«
»Ab sofort?«
»Ja, ab sofort! Jetzt, auf der Stelle!«, nickte er ihr lächelnd zu. »Eine passende Wohnung für dich habe ich schon. Wenn du möchtest, kannst du sie dir gleich ansehen. Wir können auch eine Art Vertrag machen, damit du siehst, dass ich es ehrlich mit dir meine.«
Sie holte tief Luft. »Das ist ja wie im Märchen!«, erwiderte sie nach einer Weile leise. Ganz langsam begann sie daran zu glauben, dass das gerade nicht alles nur ein Traum war.
Pierre lächelte. Man kann wirklich alles kaufen, dachte er bei sich. Ich habe es ja gewusst! Er erhob sich und sah sie geduldig fragend an. »Wie sieht es aus? Sollen wir fahren?«
»Ja, einverstanden«, stimmte sie inbrünstig zu und erhob sich von ihrem Stuhl. »Oh ja, ich würde die Wohnung sehr gern sehen, und dann werde ich mich entscheiden.« Sie war so schrecklich aufgeregt, dass sie hin- und herlief und es kaum abwarten konnte, bis er die Rechnung bezahlt hatte.
*
Draußen gingen sie durch die kleinen Gassen und an all den Prostituierten vorüber, die sich nicht im Geringsten für Amélie interessierten und sich deswegen auch nicht nach ihrem Begleiter umsahen. Das war der Grund, warum niemand etwas mitbekam, wie ›Souriceau‹ aus ihrem Viertel verschwand.
*
Weit außerhalb des Rotlichtviertels stand eine große, dunkelfarbene Limousine. Auf seinen Chauffeur hatte er verzichtet, denn zu seinen Treffen mit Inès fuhr er stets selbst. »Na, dann komm' und steig' ein«, lächelte er, während er ihr den Verschlag auf der Beifahrerseite öffnete.
In diesem Moment fühlte sich Amélie fast schon wie eine Dame und lächelte verzückt, als er ihr beim Einsteigen behilflich war.
Es entging Pierre nicht. »Lass' dir nie wieder einreden, du wärst hässlich, denn das stimmt ganz und gar nicht!«, bemerkte er schmunzelnd. »Du solltest einmal in den Spiegel schauen, wenn du lächelst.«
»Sie müssen mir keine Komplimente machen, ehrlich«, erwiderte sie und seufzte. »Ich weiß das viel besser.«
»Aber ich meine es wirklich ernst«, beharrte er und strich ihr behutsam eine Strähne aus dem Gesicht.
»Ich bin sicher, du bist nur ein hässliches Entchen, und ehe ich mich versehe, verwandelst du dich in einen wunderschönen Schwan, Amélie.«
»Nein, nein! Ganz sicher nicht!«, wehrte sie errötend ab.
***