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Оглавление2. „Volk Gottes“ in der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils
2.1 Der „Volk Gottes“-Begriff in der Entstehung von „Lumen gentium“
Durch die neuen Ergebnisse der theologischen Forschung wie auch die Entwicklungen in den verschiedenen Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche und der daraus hervorgehenden Neubeschäftigung mit dem kirchlichen Ort der Laien sind wichtige Grundlagen für eine Rezeption des „Volk Gottes“-Begriffs auf dem bevorstehenden II. Vatikanischen Konzil gelegt. Dennoch bedarf es noch eines langen und facettenreichen Prozesses, bis der Begriff zu seiner herausragenden Stellung innerhalb der Kirchenkonstitution gelangen kann. Aus der komplexen Entstehungsgeschichte der Konstitution sollen im Folgenden einige Etappen dargestellt werden. Sie zeigen, welche Entwicklung der „Volk Gottes“-Begriff von der vor-vorbereitenden Phase ab 1959 bis zur Verabschiedung von Lumen gentium am 21. November 1964 genommen hat.
2.1.1 Die erste Etappe: Von der Ankündigung des Konzils zum Vorbereitungsschema „De ecclesia“
Nach der Ankündigung des Konzils durch Papst Johannes XXIII. am 25. Januar 1959 und der Einsetzung der vor-vorbereitenden Kommission unter der Leitung des damaligen Staatssekretärs Kardinal Domenico Tardini und des eingesetzten Sekretärs Pericle Felici259, werden ab dem 18. Juni desselben Jahres die Bischöfe, Ordensoberen, die römischen Prälaten und die katholischen Universitäten um die Einreichung von Themenvorschlägen für das bevorstehende Konzil gebeten. Das von Tardini verfasste Schreiben lässt den Antwortenden dabei weitgehende Freiheit und schlägt lediglich zur Orientierung vor, dass es sich bei den einzureichenden Themen um Fragen der Lehre, Fragen bezüglich der Kleriker und des Kirchenvolks sowie um aktuelle Probleme im Schnittfeld zwischen Kirche und Welt handeln könnte.260
Aus den rund 9000 thematischen Vorschlägen, die bis Februar 1961 eingehen,261 erstellt das Sekretariat der Kommission eine inhaltlich gegliederte Übersicht, den „Analyticus Conspectus.“262 Auch wenn dieses Arbeitsinstrument aus heutiger Sicht hinsichtlich seiner Methodik anfragbar ist263, bietet es Aufschlüsse über die von den zukünftigen Konzilsteilnehmern als vorrangig zu behandelnden Themen, sowie ihren theologischen Fragehorizont. Hinsichtlich des Wesens der Kirche im Allgemeinen finden sich 50 Eintragungen264, von denen lediglich drei die Einbeziehungen alternativer biblischer Bilder neben dem des „Leibes Christi“ fordern (z.B. „Braut Christi“, „Familie Gottes“, „Reich Gottes“). Der Begriff „Volk Gottes“ wird an dieser Stelle ebenso wenig erwähnt wie in den folgenden Kapiteln mit 41 Eingaben265 zur möglichen Weiterentwicklung der Lehre vom „mystischen Leib Christi“. Lediglich ein Eintrag verweist auf die Notwendigkeit der Rezeption neuer ekklesiologischer Forschungsergebnisse, ein weiterer auf die Notwendigkeit der Klärung des Verhältnisses von Kirche und „Reich Gottes“. Insgesamt herrscht der Wunsch nach einer offiziellen Bestätigung der Ekklesiologie von „Mystici Corporis“ vor. Deutlich ist jedoch das Anliegen zu vernehmen, das Konzil möge die Rolle der Laien innerhalb der Kirche besser definieren und erklären.266 Dieser Frage ist ein eigenes Kapitel mit 59 Einträgen gewidmet.267 Neben den rund 2000 Eingaben, die zu verschiedenen Themen des Klerus eingereicht werden, nimmt sich aber auch dieser Fragenkomplex vom Umfang her eher bescheiden aus.
Auch wenn die Ekklesiologie insgesamt als wichtiges Thema der Lehre und Disziplin angesehen wird, das kommende Konzil in Fortführung des I. Vatikanums hier auch noch unerledigte Aufträge, vor allem hinsichtlich des Bischofsamtes zu erfüllen hat, ist doch die Gruppe derer, die angeregt durch die neuen theologischen Ansätze in Deutschland, Frankreich und Belgien und die Impulse der Katholischen Aktion, der Liturgischen Bewegung und anderer Bewegungen zu einem neuen ekklesiologischen Aufbruch drängen, eher klein.268
Einige Vertreter dieser Linie finden sich etwa im niederländischen Episkopat. Hier hat in einem konfessionell gemischten und in vielen Teilen bereits säkularen Umfeld eine Rezeption der neuen theologischen Impulse aus den Nachbarländern bereits stattgefunden. Zudem werden weite Bereiche der Kirche durch ein hohes Engagement von Laien geprägt.269 So findet sich in der Rückmeldung des Erzbischofs von Utrecht, Bernard Alfrink, die Forderung nach der Aufnahme des „Volk Gottes“-Begriffs zur Beschreibung des Wesens der Kirche. Aus der Perspektive des „Volkes Gottes“ und der Teilhabe aller seiner Glieder am gemeinsamen Priestertum sollen die Aufgaben und Dienste der Laien in der Kirche neu bedacht werden.270 Auch in den Rückmeldungen der deutschen Bischöfe finden sich deutliche Hinweise auf eine neu zu beschreibende ekklesiologische Grundlegung, die sich an den Begriffen „Mysterium“ bzw. „Sakrament“ sowie einer Vielzahl anderer, u.a. „Volk Gottes“, ausrichtet.271
Mit dem Motu Proprio „Superno Dei“ vom 5. Juni 1960272 leitet Papst Johannes XXIII. die vorbereitende Phase des Konzils ein. In ihm wird die Errichtung von 10 Sachkommissionen unter dem Vorsitz der jeweils zuständigen Kurienkardinäle festgelegt. Außerdem wird die Zentralkommission unter Vorsitz des Papstes, bzw. eines von ihm benannten Delegaten eingerichtet, zu der neben den Vorsitzenden der Sachkommissionen auch einige Kardinäle und Bischöfe des Weltepiskopats gehören. Der Theologischen Kommission (CT)273 unter der Leitung des Sekretärs des „Sacrum Officium“, Kardinal Alfredo Ottaviani, wird durch die Vorbereitungskommission die Behandlung des Themas „Kirche“ zugewiesen. Auf Anweisung Ottavianis fertigt der Sekretär der Kommission, der niederländische Jesuit Sebastian Tromp, Professor für Fundamentaltheologie an der Gregoriana und einer der Verfasser von „Mystici Corporis“, erste Skizzen für das zukünftige Schema „De ecclesia“ an.274 Die Unterkommission, die zur Vorbereitung des Schemas eingerichtet ist, tagt am 28. Oktober 1960 zum ersten Mal.275 Zu ihr gehört neben verschiedenen Vertretern der römischen neuscholastischen Schule276 auch Gerard Philips, der für die Ausarbeitung des Laienkapitels im Schema „De ecclesiae“ verantwortlich sein wird.277 Von den Mitgliedern, die eine Offenheit hinsichtlich der „nouvelle théologie“ zeigen, ist etwa Carlo Colombo, Professor an der theologischen Fakultät in Mailand und Vertrauter Kardinal Giovanni Battista Montinis zu nennen, zudem der niederländische Jesuit Johannes Witte, der schließlich Yves Congar zur Studienwoche der Unterkommission vom 15.-23. November 1961 einlädt.278 Congar hatte bereits im September 1960 ein Memorandum zu den Vorentwürfen der Schemata verfasst, ihren defensiven, apologetischen Geist bemängelt sowie eine neue, missionarisch-heilsgeschichtliche Sicht auf die Kirche vorgeschlagen.279 Zum Zeitpunkt seiner Mitwirkung in der Unterkommission steht diese allerdings bereits unter hohem Zeitdruck. Die fertigen Entwürfe sollen im Februar 1962 an die Koordinierungskommission weitergegeben werden. Das Tagebuch Tromps vermittelt den Eindruck einer teilweise hektischen und unkoordinierten Arbeit der „De ecclesia“-Arbeitsgruppe, die zudem durch ständige personelle Veränderungen erschwert wird.280 Der Endentwurf ist daher in Inhalt und Aufbau wesentlich Tromp zuzuschreiben, der u.a. für die Schlussfassung des ersten Kapitels zum Wesen der Kirche verantwortlich ist.281
„De ecclesia“282 beginnt im ersten Kapitel „De ecclesia militantis natura“ mit einem Prolog, der die Kirche mit dem Heilswirken Gottes in Christus in Verbindung bringt. Christus, der sich selbst als reines Opfer dem Vater darbringt, reinigt und heiligt sein Volk, das durch den Ratschluss des Vaters aus der Vielzahl der Völker als königliche Priesterschaft und neues Israel (1 Petr 2, 9–10) erwählt wurde (Nr. 1). Der zweite Artikel beginnt mit der Ausführung des Heilsplans: Christus, der als „neuer Adam“ zum Haupt der Menschheit eingesetzt ist, als Priester, König und Prophet über das „Volk Gottes“ regiert und es heiligt, setzt die Vorsteher unter der Leitung des Petrus ein, damit das Volk nicht in Verwirrung gerät und als dichtgefügte Heerschar („agmen“) in Einheit für alle Ewigkeit zusammensteht (Nr. 2). So wie Mose das Volk durch die Wüste geführt hat, führt Christus die Kirche auf ihrem irdischen Weg der Vollendung entgegen (Nr. 3). Auch hierfür nennt das Schema die Notwendigkeit des Petrusdienstes. Es verweist zusätzlich auf andere biblische Bilder (u.a. „Reich Gottes“, „Haus Gottes“, „Herde“, „Schafstall“) um dann in Nr. 4 das Bild des „mystischen Leibes Christi“ im Sinne von „Mystici Corporis“283 als das wichtigste zu bestimmen und näher auszuführen (Nr. 5–7). Der „Volk Gottes“-Begriff wird in Kapitel VI über die Laien wieder aufgenommen. Hier spricht das Schema über die Berufung der Laien zum Volk Gottes, ihre Zusammenarbeit mit dem Klerus (Nr. 20) sowie die Teilhabe am gemeinsamen Priestertum (Nr. 21).284 Zudem wird eine Definition der Laien gegeben: Sie sind die Mitglieder der Kirche, die durch die Taufe zum „Volk Gottes“ gehören, in der Welt zu Hause sind, nach den Regeln des christlichen Lebens leben und nicht zum Weihe- oder Ordensstand gehören (Nr. 22).285
Insbesondere im ersten Abschnitt des Schemas erscheint das „Volk Gottes“ als „passive Größe, das die Gnaden der Erlösung durch die kirchlichen Vorgesetzten erfährt“286. Die heilsrelevanten Funktionen werden den Amtsträgern zugeschrieben.287 In einer generell eher gesellschaftlich-juridischen Sicht der Kirche sind die heilsgeschichtlichen Anklänge in Nr. 1–2 kaum hörbar. Ebenso kommt die in Nr. 4 erwähnte Vielzahl biblischer Metaphern für die Kirche unter der Dominanz des „Leib Christi“-Bildes nicht zur Geltung. Das Kapitel über die Laien stellt sowohl dem Inhalt als auch dem theologischen Ansatz nach eine gewisse Neuerung dar.288 Trotz der Bemühungen um eine positive Bestimmung des Laienstandes und der Aufnahme des „Volk Gottes“-Begriffs, um die Gemeinschaft der Gläubigen zu beschreiben, geht „De ecclesia“ dennoch insgesamt von einer Unterordnung der Laien unter das geistliche Amt aus.289
Das Schema „De ecclesia“ trägt maßgeblich die Handschrift der römischen Schultheologen. Es orientiert sich in besonderer Weise an den ekklesiologischen und apologetischen Lehrschriften der vergangenen Jahrzehnte, vor allem an „Mystici Corporis“.290 Das Schema ist von Beginn an umstritten. Parallel zur Arbeit der Unterkommissionen erarbeitet das Sekretariat für die Einheit der Christen unter der Leitung Kardinal Augustin Beas eigene Gutachten zu zentralen Fragen des Konzils unter ökumenischem Gesichtspunkt. In den Texten des Einheitssekretariats findet sich, auch begünstigt durch die personelle Zusammensetzung291 dieser Einrichtung, ein alternativer, stärker biblisch fundierter, heilsgeschichtlicher und dialogoffener theologischer Ansatz.292 Der im April 1962 erarbeite Text zum Thema „Kirche“ spricht von dieser als „Mysterium“ und „Volk Gottes“ in der heilsgeschichtlichen Kontinuität zu Israel, das sich in der Kraft des Heiligen Geistes auf dem Weg zur Vollendung befindet. Mit Blick auf den ökumenischen Dialog geht das Dokument von einer bereits in der Taufe gelegten fundamentalen Einheit der Christen aus, die in den Charismen und Ämtern ihren strukturellen Ausdruck findet.293 In einer Stellungnahme zum Thema der Laien äußert sich das Einheitssekretariat zudem zugunsten einer positiven Neubewertung des gemeinsamen Priestertums als ein „wahres“ und nicht bloß metaphorisches Priestertum.294
Auch in der Diskussion der von der Unterkommission erarbeiteten Entwürfe melden sich bereits früh kritische Stimmen. So fordert Ignaz Backes bereits am 24. Januar 1961 die Theologische Kommission zur Ergänzung des Bildes vom „Leib Christi“ durch den Begriff „Volk Gottes“ auf, in ähnlicher Weise auch Michael Schmaus im Februar 1962.295 In der Vollversammlung der Zentralkommission äußert sich am 8./9. Mai 1962 der Unmut der Bischöfe über die vorgelegten ersten sechs Kapitel des Entwurfes.296 Diese Unzufriedenheit schlägt sich auch in den im Nachgang eingereichten Verbesserungsvorschlägen der Mitglieder nieder, die insgesamt 43 Seiten füllen.297 Aufgrund der knappen verbleibenden Zeit wird das kritisierte Schema „De ecclesia“ in der dafür zuständigen Unterkommission für Verbesserungen an einem einzigen Tag, dem 17. Juli 1962 der nochmaligen Revision unterzogen und dann an die zentrale Vorbereitungskommission weitergegeben. Diese bestätigt in so gut wie allen Punkten das vorhandene Schema.298 Bereits am 9. Juli werden die ersten vorbereitenden Schemata des Konzils an die Bischöfe geschickt.299 Das Schema „De ecclesia“ erreicht die Bischöfe erst in einem weiteren Versand am 23. November 1962, also nach der Eröffnung des Konzils.300
2.1.2 Die zweite Etappe: Kritik und Neufassung des Schemas
Bereits vor der Veröffentlichung und der Diskussion des Kirchenschemas auf dem Konzil, das sich zunächst seit dem 11. Oktober 1962 mit der Bildung seiner Struktur und dem Liturgie- und Offenbarungsschema befasst, kommt es im Kreis derer, die mit der Vorlage unzufrieden sind, zu reger Aktivität. Kardinal Suenens erteilt, wahrscheinlich auf Anregung des Kardinalstaatssekretärs Cicognani, am 13. oder 14. Oktober Gerard Philips den Auftrag zur Abfassung eines alternativen Entwurfes für eine zukünftige Kirchenkonstitution. Er soll diesen Entwurf mit Yves Congar und anderen Theologen seiner Wahl vorbereiten.301 Philips Idee ist es, eine Vorlage zu verfassen, in deren Mittelpunkt die Lehraussagen über die Bischöfe stehen. Um diese Aussagen herum sollen sich die weiteren ekklesiologischen Aussagen angliedern. Seine ersten Entwürfe stellt Philips bereits am 25. Oktober einer Gruppe ausgewählter Theologen vor. Nach einigen auf diesem Treffen eingefügten Korrekturen, wird der Text zur weiteren Bearbeitung zunächst dem Einheitssekretariat zugesandt.302
Philips’ Entwurf303 sieht im ersten Kapitel über das „Mysterium der Kirche“ einen eigenen Abschnitt über das „Volk Gottes“ vor. Aus dem Heilsratschluss Gottes versammelt Christus, der durch seine Inkarnation und seinen Tod die Erlösung der Menschen bewirkt, ein Volk (Nr. 1).
„Dies ist die Kirche Christi, die er sich durch sein Blut erworben hat (Apg 20,28), indem er uns liebt, von unseren Sünden reinwäscht, und er uns zu Königen und Priestern Gottes seines Vaters macht (Offb 1,5), zu einem auserwählten Volk („gens“), einem königlichen Priestertum, einem heiligen Volk Gottes („populus Dei sanctus“), so dass wir nach seiner Barmherzigkeit aus der Finsternis in das wunderbare Licht Gottes gerufen werden (1 Petr 2, 9–10), damit der Friede Christi auf Erden herrsche, während das Volk Gottes der Heimat entgegen pilgert.“ (Nr. 2)
Der zitierte 2. Artikel zeigt in Verbindung mit dem vorhergehenden bereits Merkmale einer gegenüber dem Vorbereitungsschema veränderten theologischen Ausrichtung.304 Außerdem wird in ihm die Arbeitsweise Philips’ deutlich. Der Artikel ist aus Material des Vorbereitungsschemas zusammengestellt305, steht auf biblischem Fundament, zeigt die heilsgeschichtliche Perspektive (göttliche Initiative, Kirche erwächst aus dem Christusmysterium, eschatologische Ausrichtung des „pilgernden Volkes“) sowie die Würde der Getauften im gemeinsamen Priestertum. Zudem wird durch die neu eingefügte „wir“-Form die Gemeinschaft der Kirche angesprochen und die Sendung der Kirche für das Wohl der ganzen Welt betont. Philips präsentiert auf der einen Seite bekanntes Material, verleiht diesem aber eine neue Dynamik bzw. Offenheit für eine theologische Weiterentwicklung.
Neben Philips werden auch weitere Theologen im Hinblick auf eine Überarbeitung bzw. Neufassung des Kirchenschemas aktiv. Edward Schillebeeckx fertigt Ende November 1962 ein kritisches Gutachten zu den in der zweiten Sendung vorgelegten Texten an. Seine Kritikpunkte an „De ecclesia“, ein Dokument, das ihm bis auf das von Philips verfasste Laienkapitel missfällt, beziehen sich u.a. auf die Einarbeitung einer mangelhaften biblischen Theologie in Bezug auf das Bild vom „Leib Christi“. Zudem fehlen dem niederländischen Theologen die Beschreibung der Kirche als „Sakrament“ sowie der Dimension ihrer geschichtlichen Pilgerschaft.306 Karl Rahner erstellt zum gleichen Zeitpunkt gemeinsam mit Otto Semmelroth ebenfalls eine grundsätzliche Kritik des Schemas, in der das Thema des „Volkes Gottes“ eine entscheidende Rolle spielt.307 Die Texte von Philips, Schillebeeckx und Rahner werden vervielfältigt und Synodenvätern zur Verfügung gestellt308, so dass sich zur Generaldebatte ab dem 1. Dezember 1962 die theologische Opposition zum Vorbereitungsschema bereits deutlich bemerkbar gemacht hat.309
Die einleitenden Worte Kardinal Ottavianis über die Kirchenkonstitution anlässlich des Beginns der Debatte am 1. Dezember 1962 nehmen die von der Theologischen Kommission befürchteten Einwände gegen das Schema (zu juridisch, nicht pastoral und ökumenisch genug) vorweg.310 Nach ersten Anmerkungen durch Kardinal Liénart (Lille) über die zu schwache Präsenz des mystischen Aspektes der Kirche311, plädiert Kardinal König (Wien) als vierter Redner für eine gründliche Überarbeitung des vorgelegten Textes. Er regt unter anderem eine Einleitung der Kapitel III und IV über die Bischöfe und die Laien durch einen Abschnitt über das „Volk Gottes“ an, zu dessen Aufbau schließlich die hierarchischen Ämter bestimmt sind. Die Verbindung zwischen Klerus und Laien müsse auf diese Weise deutlich gemacht werden. Laien seien, so König, nicht bloß passive Empfänger der Lehre sondern nehmen als Mitglieder der Glaubensgemeinschaft auch Einfluss auf sie.312 In verschärfter Form wird dieses Argument von Bischof De Smendt (Brügge) als achtem Redner zum Ausdruck gebracht. Im „Volk Gottes“, so der Bischof, sind alle durch das in der Taufe empfangene gemeinsame Priestertum verbunden, vorgängig zu ihren Ämtern und Aufgaben: „Omnes partecipamus regali sacerdotio populi Dei. Papa est unus ex fidelibus, episcopi, sacerdotes, laici, religiosi, omnes sumus fideles.“313 Das „Volk Gottes auf dem Weg“ werde durch Christus geleitet, der sich dabei der Ämter bedient. In der eschatologischen Perspektive werde das „Volk Gottes“ als Realität bleiben, während das hierarchische Amt vergehe. Daher gehe dieser Begriff zur Beschreibung der Kirche auch den anderen voran.314 Kardinal Döpfner (München-Freising) spricht am 3. Dezember von der Notwendigkeit einer „idea fundamentalis“ für die Kirchenkonstitution und nennt die „ecclesiologia populi Dei“ als eine solche Grundlage für die späteren Ausführungen zum Episkopat.315 In Bezug auf den „Volk Gottes“-Begriff sind die in der Debatte in 162 Beiträgen316 geäußerten Argumente damit bereits im Wesentlichen beschrieben: 1. Das vorgelegte Konzilsschema bedarf einer Überarbeitung hinsichtlich des mystischen (heilsgeschichtlichen) Charakters der Kirche.317 Dabei ist eine Ergänzung zum Begriff „Leib Christi“ durch andere biblische Bilder, u.a. „Volk Gottes“ nötig.318 2. Durch „Volk Gottes“ soll die gemeinsame Sendung und Würde aller Glieder der Kirche zum Ausdruck kommen, bevor Differenzierungen hinsichtlich des geistlichen Amtes, des Ordensstandes und der Laien erfolgen.319 Zudem äußert eine größere Zahl der Konzilsväter den Wunsch nach einer positiven Beschreibung und Aufwertung der Rolle der Laien in der Kirche.320
Auf zwei Beiträge aus der Konzilsdiskussion soll noch kurz hingewiesen werden. Bischof André Marie Charue fügt seiner Stellungnahme bereits einen Vorschlag für eine Neugliederung des Schemas in vier Kapitel bei, die mit der Gliederung des Philips-Entwurfes übereinstimmt. Er bezieht damit Position für eine Neufassung von „De ecclesia“.321 Weihbischof Léon Elchinger beschreibt in seiner Rede vom 1. Dezember ein sich neu anbahnendes Kirchenbild. Habe man früher von der Kirche als Institution gesprochen, so spreche man heute von „communio“, haben gestern der Papst und der einzelne Bischof im Mittelpunkt gestanden so heute die Bischöfe und ihr Kollegium, handelte man gestern von der Hierarchie, so heute vom christlichen Volk.322 Die Parallele von „communio“, Kollegium und „Volk Gottes“ ist auffallend und verdeutlicht eine für die spätere Rezeption des Konzils wichtigen Richtungswechsel. „Volk Gottes“ und „communio“ werden in dieser Sichtweise Ausdrücke eines veränderten Kirchenverständnisses.323
Die erste Sitzungsperiode des Konzils wird am 8. Dezember abgeschlossen, die Debatte um „De ecclesia“ unterbrochen. In der Folge kommt es zu verschiedenen Initiativen, die eine Bearbeitung oder Neufassung des Kirchenschemas zum Ziel haben. Im Januar kommen ostfranzösische Bischöfe und Theologen zu einer Klausurtagung zur Beratung über „De ecclesia“ zusammen. Anthropologische und soteriologische Aspekte sollen, so Congar in einer Diskussion auf dem Treffen, im neuen Kirchenschema den Vorrang vor einer rein soziologischen Betrachtung der Kirche erhalten. Daher, so der Vorschlag der Gruppe, sind der heilsgeschichtliche Zusammenhang, die geschichtliche Dimension der Kirche und ihre Sakramentalität von besonderer Bedeutung. Der Begriff „Volk Gottes“ soll im Sinne einer geschichtlichen Dynamisierung dem „Leib Christi“-Begriff zur Seite gestellt werden.324 Während die Franzosen für eine Überarbeitung des vorhandenen Schemas plädieren, nehmen deutschsprachige Bischöfe und Theologen unter der Leitung Kardinal Döpfners die Arbeit an einem Alternativentwurf auf. Dieser wird bei einer Versammlung der deutschsprachigen Bischöfe am 5. und 6. Februar 1963 diskutiert, überarbeitet und am 21. Februar in Rom übergeben.325
Das sog. „Deutsche Schema“ folgt einer theologischen Grundlinie. Es präsentiert in seinem Prolog die Kirche als „universales Sakrament“ (Nr. I,2). „Sakrament“ wird im Sinne des griechischen „μυστήριον“ auch als geschichtliche Entfaltung des göttlichen Heilsplanes verstanden.326 Der Begriff verbindet die unsichtbare, gnadenhafte Dimension der Kirche mit ihrer sichtbaren, geschichtlichen Gestalt. Diese sakramentale Ekklesiologie wird auf der Basis der verschiedenen biblischen Kirchenbilder entwickelt. So beginnt das 1. Kapitel „De Mysterio Ecclesiae“ mit einer Darstellung des Erlösungshandelns Christi, aus dem das im Heiligen Geist geeinte „neue Israel“ hervorgeht, das für seine irdische Pilgerschaft mit den nötigen geistlichen und gesellschaftlichen Mitteln ausgestattet ist (Nr. I,3):
„Dieser Zusammenschluss der Gläubigen ist nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift Kirche Gottes, Israel Gottes, Herde Gottes, erwähltes Volk, königliche Priesterschaft, Volk, das er sich erworben hat, […] jetzt also Volk Gottes. Die christliche Gemeinschaft ist Gottes Pflanzung, sein Weinstock, in den Ölbaum des alten Israel eingesetzt […], neuer Bund, der von Christus begründet ist […], Erbe des Volkes der zwölf Stämme […].“ (Nr. I,4)
„Volk Gottes“ ist hier eingereiht in die Vielzahl der biblischen Metaphern327, denen in den Nr. I,5–6 die Bilder des „Tempels des Heiligen Geistes“ und „Leibes Christi“ hinzugefügt werden: „Diese Kirche, die Volk Gottes und Tempel des Heiligen Geistes ist, ist Leib und wirklich Leib Christi“ (Nr. I,6). Die Kirche ist durch die Anfechtungen ihrer Zeit auf dem Weg der Pilgerschaft in ihre himmlische Heimat (Nr. I,7). Alle diese biblischen Beschreibungen, die als einzelne den theologischen Sinngehalt der Kirche nie ganz ausloten können328, weisen auf die generellen Aspekte des Wesens der Kirche hin. Sie ist mit dem dreieinen Gott untrennbar verbunden und verweist in ihrem irdischen Wirken auf ihn. Die Verbindung zwischen geistlicher Wirklichkeit und äußerer Form ist sakramental zu verstehen. Die Kirche ist sowohl selbst Heilsfrucht, als auch Werkzeug zur Mitteilung des Heils in der Welt. Sie ist zugleich Zeichen des göttlichen Handelns. Das Deutsche Schema weist auf die Begründung der Kirche durch die Taufe hin, auf ihre Einheit und ihre Lehrvollmacht. (Nr. I,8). Zudem enthält es im Kapitel über die kirchlichen Ämter einen langen Abschnitt über die gemeinsame Würde aller Christen im einen „Volk Gottes“ sowie einen über das gemeinsame Priestertum (Nr. III,1). Der „Volk Gottes“-Begriff wird im deutschen Schema zu einer von drei biblischen Leitmetaphern329, die in eine theologische Gesamtsicht der Kirche als „universales Sakrament“ einmünden.330
Als das deutsche Schema die Vorbereitungskommission in Rom erreicht, ist wahrscheinlich bereits eine Vorentscheidung zugunsten des Philips-Schemas als neuer Textgrundlage für die Kirchenkonstitution gefallen.331 In einer Unterkommission unter der Leitung von Bischof Charue erarbeitet eine Redaktionsgruppe, die aus Philips, Rahner, Gangnebet, Lafortune, Balić, Thils (später Moeller) und Congar (für den ursprünglich benannten Daniélou332) besteht, ab dem 26. Februar 1963 das neue Schema. Innerhalb der Gruppe stehen nun also zwei traditionelle Theologen fünf eher fortschrittlich gesinnten gegenüber.333 Damit ist der Weg zu einer neuen Vorlage offen. Philips bittet zunächst jeden der Theologen, einen eigenen Entwurf anzufertigen, so dass in der Diskussion ein neuer gemeinsamer Text entstehen kann.334 In ihn werden dann Anregungen aus den verschiedenen eingereichten Alternativschemata335 aufgenommen.336
Das neue Schema337, das bereits mit den Einleitungsworten „Lumen gentium“ beginnt, stellt in seinem einleitenden Artikel die Kirche als „Zeichen und Instrument, oder auch Sakrament der innersten Vereinigung der ganzen Menschheit mit Gott“ (Nr. 1) vor. Im ersten Kapitel zum „Mysterium“ wird sie als Ereignis der Heilsgeschichte beschrieben. Die Kirche entsteht, indem Christus die Gläubigen zum „Volk Gottes“ versammelt, sie zum „neuen erwählten Volk, zur königlichen Priesterschaft und heiligem Volk macht“ (Nr. 2). Die Kirche ist im alten Bund durch die Erwählung des Bundesvolkes vorgezeichnet und in der heutigen Zeit verwirklicht (Nr. 2). Christus stiftet den neuen Bund und ruft die Kirche aus Heiden und Juden zusammen (Nr. 3) Nach einer Darstellung des Wirkens des Heiligen Geistes in der Kirche (Nr. 4) beschreibt das Schema das Bild der Kirche als „Leib Christi“ (Nr. 5). Der sechste Artikel spricht dann von den anderen biblischen Bildern (Herde, Familie, Pflanzung, Tempel des Hl. Geistes, Heilige Stadt) (Nr. 6). Anschließend wird die zeitliche Pilgerschaft der Kirche beschrieben (Nr. 7). Dem zweiten Kapitel über die Hierarchie, besonders das Bischofsamt geht ein Proömium voraus, das auf die gemeinsame Würde aller Christen im „Volk Gottes“ verweist. Im Kapitel über „Das Volk Gottes, besonders die Laien“ wird das „Volk Gottes“ als „von Ihm [Gott] zum Werkzeug der Erlösung und in die ganze Welt gesandt“ (Nr. 22) eingeführt. Klerus und Laien wirken gemeinsam am Aufbau des „Leibes Christi“ (Nr. 22). Allen Gliedern ist durch das gemeinsame Priestertum die gleiche Würde gegeben (Nr. 23). Artikel 24 entfaltet die Lehre vom gemeinsamen Priestertum und handelt von den charismatischen Gaben des Volkes. Im Folgenden werden dann noch das Apostolat der Laien (Nr. 25), ihr Verhältnis zur Hierarchie (Nr. 26) und ihre Sendung betont (Nr. 27). Das abschließende vierte Kapitel ist der Berufung aller Gläubigen zur Heiligkeit und in besonderer Weise den Ordensleuten gewidmet (Nr. 28–35).
Das im Mai und August 1963 in zwei Sendungen verschickte neue Schema berücksichtigt in Bezug auf den „Volk Gottes“-Begriff die Wünsche der Konzilsväter. Es führt das „Mysterium“ bzw. „Sakrament“ als ekklesiologischen Leitbegriff der gesamten Konstitution ein. Es erweitert in einer heilsgeschichtlich-biblischen Sicht den zuvor beherrschenden „Leib Christi“-Begriff um andere Schriftmetaphern, von denen der des „Volkes Gottes“ eine besondere Stellung zukommt.338 Zudem legt das neue Schema unter dem Leitwort „Volk Gottes“ die gemeinsame Würde und Sendung aller Gläubigen den Erläuterungen zu den einzelnen Ständen der Kirche zugrunde.
2.1.3 Die dritte Etappe: Das neue Kapitel II und die redaktionelle Bearbeitung
Unter den schriftlich im Vorfeld der zweiten Sitzungsperiode des Konzils eingereichten Anmerkungen zum neuen Kirchenschema findet sich ein Vorschlag Kardinal Suenens’ zu einer Neugliederung des Textes.339 Er enthält den Entwurf eines neuen Kapitels „Über das Volk Gottes im Allgemeinen“, das den Kapiteln über die Hierarchie (bislang Kapitel II), die Laien (bislang Kapitel III) sowie die Berufung zur Heiligkeit und die Ordensleute (Kapitel IV) vorangehen soll. Erste Hinweise auf diesen Vorschlag finden sich bereits Anfang 1963 in einer Anfrage von Frans Thijssen, dem Konsultor des Einheitssekretariates. Er schlägt vor, im Philips-Schema ein Kapitel „De populo Dei seu de laicis“ vor das Kapitel der Hierarchie zu stellen, da das „Volk Gottes“ eben die gemeinsame Basis für Laien und Klerus sei.340 Diese Anregung, die sich, wie gesehen, auf die Beiträge einiger Bischöfe in der Generaldebatte im Dezember 1962 berufen kann, wird von Suenens weiterverfolgt. In der Sitzung der Koordinierungskommission am 3./4. Juni 1963 fragt er Albert Prignon, Rektor des belgischen Kollegs und von Suenens zur Mitarbeit in die Kommission für die Lehrfragen341 berufen, nach seinen persönlichen Verbesserungswünschen für das neue Schema. Prignon schlägt vor, das bisherige Kapitel III in zwei Kapitel aufzuteilen, eines über das „Volk Gottes“, das seinen neuen Platz vor dem derzeitigen Kapitel über die Hierarchie finden soll, und eines über die Laien.342 Die Kommission entscheidet sich zunächst gegen eine Änderung, auch, um keine weitere Verspätung beim Versand des neuen Schemas zu riskieren. Sie empfiehlt den Vorschlag allerdings der Theologischen Kommission zur Weiterarbeit nach Wiederaufnahme des Konzils im Oktober.343 In der Zwischenzeit beginnt Philips mit der Ausarbeitung des neuen Vorschlags, der wahrscheinlich während des ersten Treffens von Mechelen vom 6. bis 8. September Gestalt annimmt und noch vor Beginn der zweiten Sitzungsperiode fertiggestellt ist.344
Das Konzil wird am 29. September 1963 von Papst Paul VI. wiedereröffnet. An den folgenden beiden Tagen findet die Debatte zum neuen Schema „De ecclesia“ als Ganzem statt. Sie endet mit der Annahme des Textes als neuer Arbeitsgrundlage.345 Bereits während der Debatte sprechen sich einige Konzilsväter für die Aufnahme des Suenens-Vorschlags aus, als erstes der Brixener Bischof Joseph Gargitter.346 Am 2. Oktober diskutiert die Theologische Kommission über die Neuordnung der Kapitel.347 Philips wirbt für diesen Vorschlag, indem er darauf hinweist, dass hierdurch der eigentliche Text kaum berührt werde. Schauf plädiert ebenfalls für die Herausstellung des „Volk-Gottes“-Begriffs, „denn in ihm wird die begriffliche Grundlage für Gläubige und Hierarchie gelegt.“348 Florit, Erzbischof von Florenz, schlägt alternativ ein Kapitel über „Die Gleichheit und Ungleichheit der Glieder der Kirche“ vor. Parente, ein Mitarbeiter Ottavianis, wendet ein, dass mit der Umstellung des Stoffes auch die Lehre beeinflusst werde. Wie Congar notiert, spricht sich der Generalmagister der Dominikaner, Aniceto Fernandez dafür aus, es bei der Bündelung des Stoffes in einem Kapitel zu belassen. Bei einem eigenständigen „Volk Gottes“-Kapitel bestehe die Gefahr, „in einen überzogenen Demokratismus abzugleiten“.349 In der Sitzung der Kommission am 9. Oktober350 stimmen dann 20 Mitglieder für die Einfügung des neuen Kapitels, vier dagegen. Uneinigkeit gibt es noch über den Titel. Neben dem Vorschlag von Charue und Congar, das neue Kapitel „De populo Dei“ zu nennen und dem Vorschlags Florits (s.o.), wird auch der Titel „Über die Gläubigen“ von Ottaviani angeregt. Mit 14 Stimmen gegenüber einer für Florits und sieben für Ottavianis Vorschlag wird der erste Vorschlag gewählt. Die Koordinierungskommission hat zu diesem Zeitpunkt ihre Zustimmung bereits signalisiert. Nochmals kommt es Mitte Oktober zu einer Auseinandersetzung um die Reihenfolge der Kapitel. Tromp schlägt vor, das neue Kapitel hinter das Laienkapitel zu setzen. Nach einer Appellation an den Papst überlässt Paul VI. die Klärung dieser Frage dem Konzil.351 Im Auftrag der Moderatoren erhält Ottaviani von Kardinal Agagianian die Nachricht, dass in der Frage der Erarbeitung und Einfügung des neuen Kapitels das positive Votum der Kommission für die Lehrfragen ausreiche.352 Damit ist der Weg für das neue Kapitel auch ohne vorherige Abstimmung in der Konzilsversammlung frei.353 Die Diskussion über das neue Kapitel wird erst in der Beratung des Konzils über das Laienkapitel Mitte Oktober wieder aufgenommen. Beherrschend ist dabei die Frage nach der Verhältnisbestimmung der Laien zum Klerus. Auch melden sich Stimmen für und gegen die Einführung des neuen Kapitels,354 wenn sich auch eine Grundstimmung zugunsten Aufnahme des Kapitels einstellt. In der durch das neue Kapitel ausgedrückten Sichtweise zeige sich, so Philips, die wesenhafte Sendung der Gesamtkirche, „zu der alle berufen sind, hineingenommen in die gleiche Gnade und Erlösung, der Liebe und der Hoffnung, und jede Ausübung einer Autorität ist nur statthaft im Dienst der universalen Berufung des neuen auserwählten Volkes“355.
Die Kommission für die Lehrfragen erhält mit Bischof Charue am 2. Dezember einen zweiten Vorsitzenden und neben Tromp mit Gerard Philips einen zweiten Sekretär. Letzterer ist schon seit dem 2. Oktober mit der Sichtung der schriftlichen Eingaben zu „De ecclesia“ beauftragt und sammelt die Anmerkungen aus den Redebeiträgen der Konzilsväter. In der zur Bearbeitung der zahlreichen Rückmeldungen eingerichteten Unterkommission bildet Philips zudem Arbeitsgruppen, die wegen der hohen Zahl an Verbesserungsvorschläge und der theologischen Prüfaufträge356 in der Regel jeweils für ein Kapitel verantwortlich sind.357 Philips notiert Ende Oktober sechs Themen für die weitere Bearbeitung: 1. die Neuerarbeitung eines Kapitels über das „Volk Gottes“, 2. die Einarbeitung von Textpassagen zur missionarischen Sendung der Kirche, 3. zur „Kirche der Armen“, 4. zum Verhältnis des Reiches Gottes zur Kirche, 5. zur Eucharistie, in der sich lokalen Kirchen gründen, und 6. zur eschatologischen Dimension der Kirche.358
Die Prüfung des ersten Kapitels durch die Arbeitsgruppe unter der Leitung Charues kann ihre Arbeit bereits Ende November abschließen. Im Wesentlichen kommt es neben den Umstellungen durch das neue Kapitel II zur Verfassung eines neuen Abschnitts über das Reich Gottes und sein Verhältnis zur Kirche. Außerdem wird ein Abschnitt zur Armut als Dimension kirchlichen Handelns erstellt.359 Der Unterausschuss zur Zusammenstellung des neuen Kapitels über das „Volk Gottes“, dem u.a. Yves Congar angehört, arbeitet zunächst die Artikel des Laienkapitels (Nr. 22–24) für die neue Fassung um. Außerdem werden die bisherigen Nr. 8–10 über die Zugehörigkeit zur Kirche und das Verhältnis der Kirche zu den Nicht-Katholiken bzw. Nicht-Christen in das neue Kapitel übernommen. Zudem überträgt man in einem neuen Artikel die allgemeinen Aussagen über das Gottesvolk aus dem I. Kapitel. Congar beklagt allerdings noch am 3. Dezember, dass dem II. Kapitel eine klare Gliederung durch einen theologischen Grundgedanken fehle. Vielmehr sieht er die Arbeitsgruppe herausgefordert, zahlreiche unverbunden nebeneinanderstehende Wünsche und Anregungen für das neue Kapitel bearbeiten und in den Text integrieren zu müssen.360
Die Einfügung des neuen II. Kapitels wird von Suenens später als die „kopernikanische Wende“ in der Geschichte der Kirchenkonstitution bezeichnet.361 In ihm findet eine Bewegung ihren Höhepunkt, die für eine Ablösung der hierarchiebetonenden Sichtweise zugunsten der Betonung der gemeinsamen Würde und Verantwortung aller, vorgängig zu allen Unterscheidungen, plädiert hatte.362 Die Bemühungen um eine positive Bestimmung der Rolle der Laien bewirkt eine Bedeutungsverschiebung des „Volk Gottes“-Begriffs von seiner Zuordnung zum passiven Kirchenvolk zum Ausdruck der kirchlichen Gemeinschaft insgesamt. Die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen ist „Volk Gottes“. Neben dieser „theologisch-soziologischen“ Neubestimmung hat das neue Kapitel einen weitere Zielrichtung. Es entsteht aus einer Zusammenstellung der bereits erarbeiteten Texte des zweiten Schemas.363 Der erste Artikel des Kapitels beschreibt allgemein die Sendung des ganzen Gottesvolkes und entspricht in Teilen der Nr. 22 (Einleitung des Laienkapitels) des zweiten Schemas.364 Artikel 2 beschreibt das „Volk Gottes“ in heilsgeschichtlicher Perspektive und verwendet Texte aus dem 1. Kapitel. Damit entnimmt es dem Kapitel zur Beschreibung des „Mysteriums“ der Kirche, also der Darlegung ihres Wesens, die Formulierungen, die dem „Volk Gottes“ in der Geschichte der Offenbarung gewidmet sind (Nr. 2 und 3 des zweiten Schemas). Die folgenden drei Artikel des neuen Kapitels übernehmen die Themen der Nr. 24 (gemeinsames Priestertum, Charismen) des zweiten Schemas. Anschließend folgt ein neu geschriebener Artikel zur Einheit und Katholizität des Gottesvolkes. Durch die Kombination der Aussagen über das Gottesvolk aus den Kapiteln I und III des zweiten Schemas entsteht ein hybrides Kapitel, das sowohl Aussagen über das Wesen und die Sendung der Kirche nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift, als auch über die soziale Dimension der Kirche enthält. Damit wird die ursprüngliche Logik der Gliederung des zweiten Schemas verlassen. In der schematischen Übersicht stellt sich diese wie folgt dar:
Schema „De ecclesia“ (September 1963)
Teil 1 „De mysterio“ (Kapitel I) | Teil 2 Die Glieder der Kirche [Kapitel II (Hierarchie), III (Laien), IV (Heiligkeit bzw. Ordensleute)] |
Einleitung (Nr. 1): Kirche als Sakrament | Prooemium (vor Nr. 11): Gemeinsame Würde aller Glieder im „Volk Gottes“ |
Wesen und heilsgeschichtliche Sendung der Kirche, Zugehörigkeit zur Kirche | Beschreibung des Wesens, des Auftrags, der Rechte und Pflichten der einzelnen Gruppen („status“) innerhalb der Kirche |
Die bearbeitete Fassung mit dem neuen Kapitel II folgt zunächst der gleichen Intention365:
Schema „De ecclesia“ (nach dem Suenens-Vorschlag September 1963)
Teil 1 „De mysterio“ (Kapitel I) | Teil 2 Die Glieder der Kirche [Kapitel II (Volk Gottes), III (Hierarchie), IV (Laien) V (Heiligkeit und Ordensleute)] |
Einleitung (Nr. 1): Kirche als Sakrament | Einleitung (Kapitel II): Gemeinsame Würde aller Glieder im „Volk Gottes“ |
Wesen und heilsgeschichtliche Sendung der Kirche, Zugehörigkeit zur Kirche | Beschreibung des Wesens, des Auftrags, der Rechte und Pflichten der einzelnen Gruppen (status) innerhalb der Kirche |
De facto aber erhält das zweite Kapitel durch seine Zusammenstellung und seine Positionierung innerhalb des Textes eine doppelte Ausrichtung:
Durch die Herausnahme der Ausführungen zum „Volk Gottes“ aus der Nr. 2 und Nr. 3, des zweiten Schemas, in denen nur ein kleiner Rest des ursprünglichen Textes verbleibt366, und deren Eingliederung in das neue Kapitel II ist eine deutliche Verbindung der Kapitel I und II sichtbar.367 Die redaktionelle Arbeit ab Oktober 1963 sorgt zudem für weitere Umstellungen und Veränderungen. Entgegen dem ursprünglichen Plan, zunächst eine allgemeine Einleitung zu geben und anschließend von der heilsgeschichtlichen Betrachtung des „Volkes Gottes“ zu handeln, werden die beiden ersten Artikel des neuen Kapitels im Laufe der Redaktionsarbeit zu einem zusammengelegt. Die ursprüngliche Reihenfolge wäre eher der Logik des zweiten Schemas gefolgt, das, wie gesehen, den folgenden Aufbau hatte:
Aufbau des zweiten Schemas (September 1963)
Diese Veränderung des Charakters des zweiten Kapitels wird bereits im Bericht der Unterkommission368 gesehen. Ausdrücklich weist sie darauf hin, dass man mit der Einfügung von Kapitel II die Absicht gehabt habe, die Ausführungen des ersten Kapitels zum Mysterium fortzusetzen. Man habe allerdings ein neues Kapitel gewählt, da das erste sonst zu lang geworden wäre.369 Während das Kapitel I vom Geheimnis der Kirche seit Beginn der Schöpfung bis zur Vollendung handele, beleuchte das zweite Kapitel dieses Geheimnis in der Zeit zwischen der Himmelfahrt und Wiederkunft Christi. Daher finden sich in diesem Kapitel auch Elemente, die für diese Zwischenzeit besonders wichtig sind wie z.B. das kultische Leben in der Ausübung des gemeinsamen Priestertums.370 Außerdem sei, so die Kommission, der Ort des Kapitels deshalb so gewählt, weil man vom Allgemeinen („Volk Gottes“) vor dem Speziellen (Hierarchie, Laien, Ordensleute) sprechen möchte. Zudem sei das neue Kapitel der beste Ort, um über die Einheit der katholischen Kirche und ihre Beziehungen nach außen zu den Nicht-Katholiken darzustellen.371 Die Zusammengehörigkeit der beiden Kapitel wird durch die neu erstellte Nr. 17 unterstrichen, die mit einer Art Zusammenfassung endet, welche an die Darstellung der trinitarischen Sendung der Kirche in Nr. 2–4 anknüpft.372
Dadurch, dass in der redaktionellen Bearbeitung die Einleitung des ersten Kapitels in das Kapitel eingegliedert wird und die bisherigen Nr. 8–10 aus Kapitel I (über die Mitgliedschaft in der Kirche und ihr Verhältnis zu den Nicht-Katholiken) in das neue Kapitel II übernommen werden, ergibt sich in der systematischen Übersicht durch den neuen Aufbau der Kapitel eine folgenreiche Verschiebung:
Aufbau der Kapitel I und II des Schemas nach der redaktionellen Bearbeitung (März 1964)
Kapitel I „De Mysterio“ | Kapitel II „De populo Dei“ | ||
Nr. 1 | Kirche als Sakrament | Nr. 9 | Das Volk des neuen Bundes |
Nr. 2 | Die Kirche nach dem Heilsratschluss Gott des Vaters | Nr. 10 | Das gemeinsame Priestertum |
Nr. 3 | Die Sendung des Sohnes | Nr. 11 | Die Ausübung des gemeinsamen Priester-tums |
Nr. 4 | Die Heiligung der Kirche durch den Geist | Nr. 12 | Vom Glaubenssinn und den Charismen |
Nr. 5 | Das Reich Gottes | Nr. 13 | Die Universalität bzw. Katholizität des einen Gottesvolkes |
Nr. 6 | Die verschiedenen biblischen Bilder | Nr. 14 | Über die katholischen Gläubigen |
Nr. 7 | Die Kirche als Leib Christi | Nr. 15 | Über die Verbindung der Kirche zu den Nicht-Katholiken |
Nr. 8 | Die sichtbare und unsichtbare Kirche | Nr. 16 | Über die Nicht-Christen |
Nr. 17 | Über die missionarische Ausrichtung |
Das so überarbeitete Schema präsentiert zwei etwa gleichlange Kapitel die jeweils durch eine grundlegende Bestimmung der Kirche als Sakrament (Nr. 1) und als „Volk Gottes“ (Nr. 9) eingeleitet werden. Das erste Kapitel endet mit der Darstellung des „Leibes Christi“, ein Bild, das so die Wirkung erhält, als wäre es Zielpunkt der Ausführungen zum Geheimnis der Kirche.373 Es entsteht der Eindruck, als würde die Konstitution in zwei verschiedenen Kapiteln das Wesen und die Bestimmung der Kirche darstellen, einmal als Sakrament (in Verbindung mit „Leib Christi“) und einmal als „Volk Gottes“. Ein Beispiel hierfür ist eine kleine Änderung in Nr. 7.374 Im zweiten Schema war der Artikel zur Kirche als „Leib Christi“ mit einem Verweis auf das „Volk Gottes“ eingeleitet worden. Beide Begriffe waren so miteinander fest verbunden. Dieser Verweis fällt nach der redaktionellen Bearbeitung weg. Die Veränderung wurde, so die Erklärung der Redaktionsgruppe, vorgenommen, weil sich die Konzilsväter eine Straffung des Artikels 7 gewünscht hatten.375 Gemessen an der Reihenfolge ihrer Entstehung kann zudem der Eindruck entstehen, das zweite Kapitel enthalte das „Neue“, was das Konzil ausdrücken möchte, während das erste Kapitel das „Alte“ bewahre, indem es wesentliche Elemente des Ausgangsschemas von 1962 aufnehme. Dieser Eindruck wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die in Nr. 14–16 dargestellte Lehre über die Zugehörigkeit zur Kirche einen deutlich offeneren, dialogischeren und ökumenischeren Ton anschlägt, als das Ausgangsschema. Dabei waren diese Artikel bereits in wesentlichen Teilen für das Kapitel I des zweiten Schemas von 1963 erarbeitet worden.
Auf einige weitere Entwicklungen der Kirchenkonstitution zwischen September 1963 und Juni 1964 sei an dieser Stelle noch kurz hingewiesen. Zum einen zeigt die Diskussion in der Konzilsaula den deutlichen Wunsch nach einem eigenen Kapitel über die Ordensleute.376 Die Theologische Kommission entscheidet sich Mitte März 1964 für eine Teilung des bisherigen Kapitels IV (zweites Schema) in ein allgemeines Kapitel über die Heiligkeit in der Kirche und eines über die Ordensleute (später in LG Kapitel V und VI).377 Die Auseinandersetzungen um diese Kapitel haben einen ähnlichen Ausgangspunkt wie die um das spätere Kapitel II. Der ursprüngliche, von der Religiosenkommission erarbeitete Text, verteidigt aus Sicht der Theologischen Kommission eine zu einseitige, isolierte und standesverhaftete Darstellung der Ordensleute, die nicht in den Duktus der neuen Konstitution passt. Daher erarbeitet die Unterkommission von „De ecclesia“ mit Kapitel IV des zweiten Schemas einen Text, der zunächst von der allgemeinen Berufung zur Heiligkeit ausgeht und das Ordensleben als einen besonderen Ausdruck dieser allgemeinen Berufung sieht. Der Nachteil dieser Sichtweise ist, dass hier der Ordensstand in seiner Besonderheit eher nivelliert wird. Die Teilung des Kapitels und der Ort des Kapitels V stellen somit eine Kompromisslösung dar.378 Mit der Verortung des neuen Kapitels V kommt man dem Wunsch vieler Konzilsväter nicht nach, die Abschnitte über die Heiligkeit in die Kapitel I und II zu übernehmen. Dieses habe man, so die Unterkommission, aus Zeitgründen nicht mehr geschafft.379
Der Theologischen Kommission wird Anfang März durch Papst Paul VI. ein auf Initiative Kardinal Arcadio Larraonas erarbeitetes Kapitel über die eschatologischen Aspekte der Kirche mit der Bitte um Einarbeitung in das Schema zugestellt. Es entspricht einem Wunsch Johannes XXIII., in die neue Konstitution einen Abschnitt über die Einheit von irdischer und himmlischer Kirche einzufügen.380 Nach gründlicher Überarbeitung, insbesondere bezüglich des heilsgeschichtlich orientierten Duktus der Konstitution, erhält das ursprünglich eher heilsindividualistisch argumentierende Kapitel zugleich einen kommunitären Bezug zur Gemeinschaft der Kirche.381 Mit diesem späteren Kapitel VII und dem neuen Kapitel VIII „Über die selige Jungfrau Maria“382 ist der Textkorpus der Kirchenkonstitution vollständig. Die Koordinierungskommission beschließt den Versand des Schemas am 26. Juni 1964.383 In der dritten Sitzungsperiode des Konzils werden im Wesentlichen nur noch kleinere Veränderungen an der Textvorlage vorgenommen.384 Die feierliche Schlussabstimmung, die sich durch den zwischenzeitlich eskalierenden Streit um das Kapitel III (Bischofsamt) verzögert, ergibt am 21. November 1964 ein fast einstimmiges Ergebnis.385 Die neue Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ wird promulgiert.
2.2 Beobachtungen zum „Volk Gottes“-Begriff in „Lumen gentium“
Die bewegte Geschichte der dogmatischen Konstitution „Lumen gentium“ lässt bereits erahnen, dass dieses Dokument zu einer ebenso bewegten Rezeptionsgeschichte Anlass geben würde. Die Bemühungen des Redaktors Gerard Philips und der mit ihm verbundenen Theologen, einen neuen Text auf der stark kritisierten Grundlage des Ausgangsschemas von „De ecclesia“ zu entwickeln, erfordert, wie gesehen, eine Kompromissbereitschaft bei der Berücksichtigung verschiedener ekklesiologischer Ansätze und Vorstellungen. Das Ergebnis ermöglicht es, einerseits eine lehramtliche Kontinuität in der Behandlung der Ekklesiologie sicherzustellen, andererseits eine gleichzeitige Öffnung gegenüber den neuen theologischen Strömungen zu erwirken.386 Zugleich kann für „Lumen gentium“ auf diese Weise eine fast einmütige Zustimmung der Konzilsversammlung erreicht werden. Nachteil des Vorgehens ist, dass die Konstitution die Lehre von der Kirche nicht so eindeutig darlegt wie es sowohl von traditionellen als auch von progressiven Kreisen auf ihre je eigene Weise gewünscht worden wäre. Mit Blick auf das Thema der Grundlagen einer Ekklesiologie, der Bestimmung von Wesen und Auftrag der Kirche, ergibt sich ein Diskussionsfeld in der Auslotung des Verhältnisses der Grundbegriffe „Sakrament“, „Leib Christi“ und „Volk Gottes“. In Bezug auf den letztgenannten Begriff etablieren sich in frühen Kommentaren zu „Lumen gentium“ zwei Grundthesen.
Die erste These betrifft die theologischen Hauptaspekte, die sich mit „Volk Gottes“ verbinden. Zum einen kommt in ihm die geschichtliche Dimension der Kirche zum Ausdruck, die sich u.a. in der heilsgeschichtlichen Kontinuität zwischen dem alttestamentlichen Volk Israel und der Kirche387 zeigt, aber auch in ihrer eschatologischen Dimension im Bild der Pilgerschaft.388 Hierbei wird die besondere Erwählung und geschichtliche Verantwortung des Volkes betont.389 Zum anderen wird der Begriff eingesetzt, um die gemeinschaftliche und verfasste Struktur der Kirche zum Ausdruck zu bringen. Die gemeinsame Sendung aller Glieder der Kirche ist hierbei als Ausgangspunkt für die innerkirchliche Gliederung und die verschiedenen Grade der Zugehörigkeit zur Kirche.390 Philips schreibt dazu:
„Die Einfügung eines besonderen Kapitels II über das Volk Gottes entsprach dem Bemühen, die Verwirklichung des Geheimnisses der Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte und die Entfaltung ihrer eigentümlichen Katholizität zu zeigen. Es war ein allgemeiner Überblick über den von Christus gestifteten Organismus, eine Gesamtschau, mit Hilfe derer der Ort der einzelnen Teile und die Bedeutung der differenzierten Funktionen genauer bestimmt werden konnten. So wurden die Geschichte des auserwählten Volkes und die des Neuen Bundes miteinander verbunden. „Volk“ bezeichnet hier also nicht die Laien, sondern alle Gläubigen von den Bischöfen bis zum einfachsten Christen, die alle zur Teilhabe an den Ereignissen der Heilsgeschichte berufen sind.“391
Die zweite These betrifft die Zusammengehörigkeit der ersten beiden Kapitel der Konstitution. Bereits der Bericht der Unterkommission, die die redaktionelle Arbeit vor der dritten Sitzungsperiode des Konzils vorgenommen hatte, betont, dass Kapitel I und II eigentlich auch ein einziges Kapitel bilden könnten.392 Philips, der mutmaßliche Verfasser des Berichts393, verdeutlicht dies, indem er ausführt, die ersten beiden Kapitel brächten das Geheimnis der Kirche einmal in seiner transzendenten Dimension (Kap. I) und in seiner geschichtlichen Verwirklichung (Kap. II) zum Ausdruck.394 Beiden Thesen soll im Folgenden anhand von zwei Leitfragen nachgegangen werden: 1. Wie wird der Begriff „Volk Gottes“ in „Lumen gentium“ verwendet? 2. In welchem Verhältnis stehen in Kapitel I und II die Leitbegriffe „Sakrament“ und „Volk Gottes“ zueinander? In einem dritten Schritt folgen dann noch einige Anmerkungen zur Struktur der Kirchenkonstitution.
2.2.1 Die Bedeutung von „Volk Gottes“ in „Lumen gentium“
Das Kapitel I „De mysterio“ bietet nach der Grundbestimmung der Kirche als „Sakrament“ (LG 1) eine Betrachtung der Kirche als Teil des göttlichen Heilsplans in trinitarischer Perspektive (LG 2–4). Von der ehemals umfangreicheren Darstellung des „Volkes Gottes“ an dieser Stelle ist nur ein Verweis auf das Volk Israel als Vorausbild der Kirche geblieben (LG 2). In LG 4 wird das Wirken des Heiligen Geistes und damit die auch die gemeinschaftliche, durch hierarchische und charismatische Gaben beschenkte Struktur der Kirche dargestellt. Der Abschnitt schließt zusammenfassend: „So erscheint die ganze Kirche als ‚das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk‘“ (LG 4). Diese Bestimmung nimmt das zweite Kapitel „De populo Dei“ in LG 9 wieder auf und entfaltet die heilsgeschichtliche Sendung der Kirche als „Volk Gottes“. Der aus den ehemaligen Nr. 2, 3 und 22 des zweiten Schemas zusammengestellte Absatz beginnt beim Entschluss Gottes, die Menschen nicht einzeln, sondern gemeinschaftlich als Volk zu retten und somit das Volk Israel zum Vorausbild der Kirche zu machen. Aus dem neuen und vollkommenen Bund, den Christus durch seinen Tod stiftet, entsteht das neue Gottesvolk aus Juden und Heiden, das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft (1 Petr. 2,9f.). Das messianische Gottesvolk wir durch den Heiligen Geist belebt und nimmt das neue Gebot der Liebe an. Es wird seine Vollendung im Reich Gottes finden und ist als „Keimzelle der Einheit für das ganze Menschengeschlecht“ (LG 9) Werkzeug („instrumentum“), dessen sich Gott zur Erlösung der Menschheit bedient. Das „Volk Gottes“ ist in der Zeit auf dem Weg zur Vollendung und wird in dieser Zwischenzeit „Kirche Christi“ genannt. Auf diesen heilsgeschichtlich ausgerichteten Artikel folgt der Abschnitt, der die Gemeinschaft der sichtbaren Kirche als „Volk Gottes“ besonders kennzeichnet. Artikel 10 beschreibt das gemeinsame Priestertum der Gläubigen. Mit Verweis auf den zweiten Petrusbrief geht es um das Volk, das durch Christus „zum Königreich und zu Priestern für Gott und seinen Vater“ (LG 10) gemacht wurde (Offb 1,6). Auch wenn gemeinsames und amtliches Priestertum sich voneinander unterscheiden, sind sie einander doch eng zugeordnet. Die Eingliederung der Gläubigen geschieht sakramental durch Taufe und Firmung (LG 10). Artikel 11 macht die Bedeutung der Sakramente, insbesondere der Eucharistie, ebenso wie das tugendhafte Leben für das Bestehen und das Leben des Gottesvolkes deutlich. Die weiteren Artikel des Kapitels befassen sich mit dem übernatürlichen Glaubenssinn des gesamten Volkes und seinen in ihm vorhandenen Gnadengaben (LG 12), der Einheit und Katholizität der Kirche (LG 13) und den unterschiedlichen Graden der Zugehörigkeit bzw. Hinordnung der Menschen auf das Gottesvolk (katholische Christen, Nicht-Katholiken, Angehörige anderer Religionen, Menschen guten Willens)(LG 14–16). Das Kapitel schließt mit einem Artikel über den missionarischen Auftrag der Kirche (LG 17).
Das dritte Kapitel über die hierarchische Verfassung der Kirche, insbesondere das Bischofsamt, hält die in LG 9–12 grundgelegte Bestimmung der Einheit des ganzen Volkes bei innerer Differenzierung der Aufgaben und Ämter nicht konsequent durch.395 An mehreren Stellen ist von einem Gegenüber zwischen dem „Volk“ bzw. „Volk Gottes“ und seinen Hirten die Rede. „Volk“ wird hier synonym für „Laien“ verwendet.396 Zudem bemühen einzelne Artikel das Bild des „mystischen Leibes Christi“, um die Aufgabe des Dienstamtes innerhalb der Kirche zu beschreiben.397 In LG 26 ist eine Verbindung dieser Aspekte zu sehen. Zunächst werden im Sinne von LG 10 Gläubige und Bischöfe als „das von Gott gerufene neue Volk“ beschrieben. In der Feier der Eucharistie verdeutlicht sich dann die Einheit des „mystischen Leibes“. Im nächsten Abschnitt wird der Dienst der Bischöfe „für das Volk“, also die Laien, genannt (LG 26). In der Schilderung der Einsetzung der Apostel in LG 19 wird zudem die heilsgeschichtliche Analogie zur Zahl der Stämme Israels nicht erwähnt.398
Das vierte Kapitel über die Laien steht als Ursprungsort für Kapitel II klar unter dem Leitwort „Volk Gottes“. Dies ist der Grundbegriff der kirchlichen Gemeinschaft (LG 30–33).399 So sagt das Konzil an einer markanten Stelle bezüglich der Berufung der Christen:
„Eines ist also das auserwählte Volk Gottes: ‚Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe‘ (Eph 4,5); gemeinsam die Würde der Glieder aus ihrer Wiedergeburt in Christus, gemeinsam die Gnade der Kindschaft, gemeinsam die Berufung zur Vollkommenheit, eines ist das Heil, eine die Hoffnung und ungeteilt die Liebe.“ (LG 32)
Das Kapitel V über die Berufung zur Heiligkeit in der Kirche beleuchtet, wie gesehen, Aspekte, die zu den Kapiteln I und II gehören und durchaus im Sinne des Konzils an dieser Stelle besser aufgehoben wären. Auch wenn es eine inhaltliche Verknüpfung gibt, wird das theologische Leitmotiv „Volk Gottes“ im Kapitel nur an einer einzigen Stelle erwähnt. An dieser wird auf den besonderen Dienst der Priester verwiesen (LG 41). In Kapitel V ist eher das Motiv der Kirche als Braut zu finden (LG 39, 41). In ähnlicher Weise lässt auch das Kapitel VI über die Ordensleute keine besondere Präferenz für den „Volk Gottes“-Begriff erkennen. In LG 43 ist die eschatologische Perspektive des pilgernden Gottesvolkes Ausgangspunkt, um die eschatologische Zeichenhaftigkeit des Lebens der Ordensleute zu betonen. In LG 45 begegnet „Volk Gottes“ wieder als Gegenüber zur kirchlichen Hierarchie.
Eine Besonderheit stellt das siebte Kapitel „Der endzeitliche Charakter der pilgernden Kirche und ihre Einheit mit der himmlischen Kirche“ dar. Dieser spät in die Konstitution eingefügte und redaktionell bearbeitete Text folgt insgesamt eher einer vom Leitbild des „Leibes Christi“ geprägten Ekklesiologie.400 Die in LG 9 erwähnte Analogie zwischen dem Volk Israel auf dem Weg durch die Wüste und der pilgernden Kirche findet hier keine Aufnahme.401 Die pilgernde Kirche führt mit dem Beistand des Geistes die Gläubigen durch die Zeit. Diese wird eher pessimistisch als Zeit der Anfechtung, Prüfung und der Heimatlosigkeit gedeutet und hält dazu an, „die Waffenrüstung Gottes“402 zu tragen. In der jetzigen Zeit ist die zukünftig erwartete Herrlichkeit in der Gottes- und Nächstenliebe bereits erfahrbar (LG 49). Die Kirche steht in Gemeinschaft mit den Heiligen. Zeichenhaft verbinden sich in der Liturgie die himmlische und irdische Dimension der Kirche (LG 50).
Anders als im siebten Kapitel wird das Bild des „wandernden Gottesvolkes“ im letzten Abschnitt des achten Kapitels über „Maria im Geheimnis Christi und seiner Kirche“ wieder aufgenommen (LG 68). Hier endet der eschatologische Ausblick auf die vollendete Gemeinschaft der Heiligen mit dem Bild des einen Gottesvolkes:
„Alle Christgläubigen mögen inständig zur Mutter Gottes und Mutter der Menschen flehen, dass sie […] in Gemeinschaft mit allen Heiligen bei ihrem Sohn Fürbitte einlege, bis alle Völkerfamilien, mögen sie den christlichen Ehrennamen tragen oder ihren Erlöser noch nicht kennen, in Friede und Eintracht glückselig zum einen Gottesvolk versammelt werden, zur Ehre der heiligsten und ungeteilten Dreifaltigkeit.“ (LG 69)
In der Übersicht lässt sich feststellen, dass der Terminus „Volk Gottes“ in der Kirchenkonstitution in dreifacher Weise gebraucht wird: 1. „Volk Gottes“ wird verwendet als heilsgeschichtlicher biblischer Begriff, der die Kontinuität von altem und neuem Bund zum Ausdruck bringt und die Kirche als pilgernde Gemeinschaft in der Zeit zwischen dem Christusereignis und Vollendung der Welt beschreibt.403 2. „Volk Gottes“ ist die Bezeichnung der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden, zu der alle Christen, unabhängig von ihrem spezifischen Auftrag als Laie, Kleriker oder Ordensangehöriger gehören.404 3. Es findet sich an einigen Stellen der Konstitution die im Ausgangsschema vorhandene Bezeichnung „Volk (Gottes)“ für die Laien.405 In dem teilweise ungleichmäßigen Hervortreten der „Volk Gottes“-Bestimmung lassen sich noch die verschiedenen Bearbeitungsschichten und Bearbeiter der einzelnen Kapitel erkennen. Zudem ist der Text als Endresultat unter Zeitdruck und mit Rücksichtnahme auf möglichst viele unterschiedliche Wünsche, Anfragen und Verbesserungsvorschläge erstellt worden.
2.2.2 Das Verhältnis von „Sakrament“ und „Volk Gottes“ in der Kirchenkonstitution
Die Einführung des Sakramentsbegriffs in die Kirchenkonstitution geht zu guten Teilen auf die Initiative deutschsprachiger Bischöfe und die Zuarbeit durch Karl Rahner und Otto Semmelroth u.a. am sog. „Deutschen Schema“ zurück. Wie gesehen406, versteht sich die Rede von der Kirche als „Sakrament“ dort als theologische Leitidee der gesamten in der Kirchenkonstitution dargelegten Ekklesiologie und findet ihren Platz daher in der Einleitung (zweites Schema), bzw. in LG 1:
„Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet (vgl. Mk 16,15). Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit. Deshalb möchte sie das Thema der vorausgehenden Konzilien fortführen, ihr Wesen und ihre universale Sendung ihren Gläubigen und aller Welt eingehender erklären […].“ (LG 1)
Die Konstitution nimmt den Begriff „Sakrament“ an drei weiteren Stellen auf. Zum einen wird er in LG 9, zu Beginn des II. Kapitels erwähnt:
„Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei.“ (LG 9)
Zum anderen wird zu Beginn von Kapitel VII über den endzeitlichen Charakter der pilgernden Kirche die Bestimmung der Kirche als „allumfassendes Heilssakrament“ bekräftigt (LG 48) und in Kapitel VIII noch einmal aufgenommen (LG 59).
Um den Sakramentsbegriff hatte es im Laufe der Entstehung von LG verschiedene Auseinandersetzungen gegeben. So befürchteten zum einen die Vertreter der klassischen Schultheologie durch die Anwendung des Sakramentsbegriffs auf die Kirche einen Konflikt mit der Lehre des Trienter Konzils, das die Zahl der Sakramente auf sieben begrenzt hatte. Diese Vorbehalte haben dazu beigetragen, in LG 1 von der Kirche nur in analoger Weise als „Sakrament“ zu sprechen.407 Zum zweiten gibt es auch zwischen einzelnen Theologen der „neuen“ Schule durchaus Unterschiede in der Auslegung des Begriffs. Otto Semmelroth verwendet für die Kirche den Begriff „Ursakrament“ zur „Darstellung des Verhältnisses der erfahrbaren Kirche zu dem Heil, das uns Christus erworben und, um es uns immer neu zu schenken, mit der sichtbaren Kirche in eine bestimmte Verbindung gebracht hat.“408 Karl Rahner sieht im Begriff des „Ursakraments“ die Kirche als den geschichtlichen Ort, an dem das Geheimnis Gottes für die Menschen präsent wird. Die Kirche bezeichnet, was sie enthält, Gottes Heilswerk, die Selbstmitteilung Gottes und seine Annahme durch die Menschen.409 Das sog. „Deutsche Schema“ verwendet, wie gesehen, die zahlreichen biblischen Bilder für die Kirche als metaphorische Annäherungen, um die enge Verbindung Gottes mit seiner Kirche bei gleichzeitiger Nicht-Identität von Gott und Kirche, bzw. Reich Gottes und Kirche auszusagen.410 Die Kirche als Sakrament zeigt die Verbindung von irdischer Realität (als gesellschaftliche Größe, im liturgischen Dienst und der Lehre) und ihre innere gnadenhafte Dimension im Heiligen Geist.411 Sie ist somit in ihrer geschichtlichen Dimension Zeichen für das gnadenhafte Heilshandeln Gottes und zugleich Werkzeug, um sein Werk auf der Erde weiterzuführen.412
Der „Sakraments“-Begriff steht in enger Verbindung mit dem frühchristlichen „μυστήριον“ (Geheimnis). Hiermit ist, so Semmelroth413, das gemeint, was der Mensch aus eigener Erkenntniskraft nicht erfassen kann und ihm deswegen so lange geheimnishaft verborgen ist, bis es offenbar wird. Das Geheimnis Gottes bietet sich „in der Hülle menschlich erfahrbarer Wirklichkeit dar.“414 Die Ereignisse der Heilsgeschichte und in unüberbietbarer Weise das Christusgeschehen415 sind somit „μυστήριον“, geschichtliche Offenbarung und Manifestation des göttlichen Wirkens.416 Yves Congar versteht den Begriff in diesem heilsgeschichtlichen Sinn. So ist „μυστήριον“ für ihn in seiner ursprünglichen Bedeutung die geheime Entscheidung eines Königs, die er dem Volk gegenüber offenbar macht. In der Parallele hierzu wird der Begriff bezogen auf die Kirche zur Enthüllung des göttlichen Ratschlusses in der Geschichte.417 Mit Blick auf Kapitel I von „Lumen gentium“ wird man sagen können, dass sich das letztgenannte Grundverständnis von „Sakrament“ in der Kirchenkonstitution insgesamt durchgesetzt hat.418 Die Idee des „Ursakraments Kirche“ enthält die heilsgeschichtliche Dimension des „Mysteriums“, geht aber noch darüber hinaus. Sie verbindet das frühchristliche „Mysterium“ mit dem späteren gnadentheologischen Sakramentsverständnis und lässt somit Aussagen über das universale Gnadenhandeln Gottes auch jenseits der Kirche, die gestufte Zugehörigkeit zur Kirche und die Sakramente der Kirche zu.419 Das „Deutsche Schema“ leitet daher z.B. die Aussagen über die Mitgliedschaft in der Kirche vom „Heilszeichen“ Kirche ab.420 Im Suenens-Vorschlag zur Neuordnung des Stoffes der Kirchenkonstitution finden die diesbezüglichen Absätze (LG 14–16) in Kapitel II unter dem Leitwort „Volk Gottes“ ihren später endgültigen Platz. „Sakrament“ wird durch die vornehmliche Sichtweise als „μυστήριον / sacramentum“ in seiner Wirkung und Bedeutung abgeschwächt.
Wenn die Kirche ihrem Wesen nach also „Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ ist, muss dieses Grundverständnis in der gesamten Kirchenkonstitution zu finden sein.421 Das „Deutsche Schema“ hatte das sakramentale Verständnis der Kirche aus den biblischen Bildern gewonnen.422 Somit sollte es sich in den biblischen Bildern der Kirche auch wiederfinden. Es gilt zu untersuchen, wie weit dies auch in der Kirchenkonstitution selber der Fall ist. Otto Semmelroth sieht die folgenden wesentlichen Aussagen zum Sakrament durch das Konzil gegeben423: 1. Die Kirche als Sakrament ist eine irdische Wirklichkeit, in der „die göttliche Wirklichkeit und Wirksamkeit verborgen und zugleich bezeichnet ist.“424 2. Die Kirche ist „Mysterium“ Gottes, indem sie Teil der heilsgeschichtlichen Sendung ist und diese bekannt macht. 3. Die Kirche als Sakrament hat eschatologischen Charakter, da ihre äußere und geschichtliche Dimension mit Blick auf die Vollendung vorläufig ist. 4. Die Kirche hat als Sakrament die Aufgabe der Sichtbarmachung des göttlichen Heilswillens und ist daher missionarisch. 5. Zudem ist die Kirche in ihrer gesellschaftlichen Dimension Ausdruck der Sammlung der Menschen durch Gott425 und verweist 6. neben der gesellschaftlichen Dimension auf das geistgewirkte innere Leben der Gläubigen und die geistgewirkten Charismen, mit denen Christus sein Leben der Kirche mitteilt.426
Wendet man diese Kriterien auf die in „Lumen gentium“ am stärksten herausgestellten biblischen Bilder, „Volk Gottes“ und „Leib Christi“ an, zeigt sich in ihnen die vom Konzil benannte sakramentale Struktur der Kirche klar:
Grundaussagen zur Sakramentalität der Kirche | „Leib Christi“ in LG 7 und 8 | „Volk Gottes“ in LG 9–13 |
1. Kirche als Sakrament(Verbindung der gnadenhaften göttlichen Wirklichkeit der Kirche und ihrer realen äußeren Erscheinung) | „Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus […] Deshalb ist sie [die Kirche] in | „Von Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit gestiftet, wird es [das Volk Gottes]von ihm auch als Werkzeug der Erlösung angenommen und als Licht der Welt und Salz der Erde in alle Welt gesandt. […] Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus |
einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes.“ (LG 8) | als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei“ (LG 9) | |
2. Heilsgeschichtliche Sendung | Erlösungswerk Christi (LG 7)Verweis auf die apostolische Zeit (LG 8) | Israel als atl. VorbildMenschwerdung, Reich Gottes-Verkündigung und Erlösungswerk Christi, Stiftung des neuen Bundes (LG 9) |
3. Eschatologischer Charakter | „Die Kirche ‚schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin‘ und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt (vgl. 1 Kor 11,26). Von der Kraft des auferstandenen Herrn aber wird sie gestärkt, um ihre Trübsale und Mühen, innere gleichermaßen wie äußere, durch Geduld und Liebe zu besiegen und sein Mysterium, wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt zu enthüllen, bis es am Ende im vollen Lichte offenbar werden wird.“ (LG 8) | „Wie aber schon das Israel dem Fleische nach auf seiner Wüstenwanderung Kirche Gottes genannt wird (2 Esr 13,1; vgl. Num 20,4; Dtn 23,1ff), so wird auch das neue Israel, das auf der Suche nach der kommenden und bleibenden Stadt (vgl. Hebr 13,14) in der gegenwärtigen Weltzeit einherzieht, Kirche Christi genannt (vgl. Mt 16,18).“ (LG 9) |
4. Missionarischer Auftrag der Kirche | „Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“ Christus bedient sich des gesellschaftlichen Gefüges der Kirche zum stetigen Wachstum seines Leibes (LG 8). | „Seine [des Volkes] Bestimmung endlich ist das Reich Gottes, das von Gott selbst auf Erden grundgelegt wurde, das sich weiter entfalten muss, bis es am Ende der Zeiten von ihm auch vollendet werde […] So ist denn dieses messianische Volk, obwohl es tatsächlich nicht alle Menschen umfasst und gar oft als kleine Herde erscheint, für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils.“ (LG 9)„Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen. Darum muss dieses Volk eines […] bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin ausbreiten. (LG 13), s. auch LG 17 |
5. Gesellschaftliche Verfassung der Kirche | „Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“ (LG 8) | So hat er sich aus Juden und Heiden ein Volk berufen, das nicht dem Fleische nach, sondern im Geiste zur Einheit zusammenwachsen und das neue Gottesvolk bilden sollte. Die an Christus glauben, werden nämlich […], schließlich gemacht zu „einem auserwählten Geschlecht, einem königlichen Priestertum …, einem heiligen Stamm, einem Volk der Erwerbung … Die einst ein Nicht-Volk waren, sind jetzt Gottes Volk“ (1 Petr 2,9–10).Gemeinsames und spezielles Priestertum als Ordnungsprinzip der gesellschaftlichen Seite der Kirche (LG 10 und 11) |
6. Pneumatologische Dimension der Kirche; Charismen | „Der eine Geist ist es, der seine vielfältigen Gaben gemäß seinem Reichtum und den Erfordernissen der Dienste zum Nutzen der Kirche austeilt (vgl. 1 Kor 12,1–11). Unter diesen Gaben ragt die Gnade der Apostel heraus, deren Autorität der Geist selbst auch die Charismatiker unterstellt (vgl. 1 Kor 14). Derselbe Geist eint durch sich und durch seine Kraft wie durch die innere Verbindung der Glieder den Leib; er bringt die Liebe der Gläubigen untereinander hervor und treibt sie an. […]Damit wir aber in ihm unablässig erneuert werden (vgl. Eph 4,23), gab er uns von seinem Geist, der als der eine und gleiche im Haupt und in den Gliedern wohnt und den ganzen Leib so lebendig macht, eint und bewegt, dass die heiligen Väter sein Wirken vergleichen konnten mit der Aufgabe, die das Lebensprinzip – die Seele – im menschlichen Leibe erfüllt.“ (LG 7) | „Derselbe Heilige Geist heiligt außerdem nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern „teilt den Einzelnen, wie er will“ (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen gemäß dem Wort: „Jedem wird der Erweis des Geistes zum Nutzen gegeben“ (1 Kor 12,7). Solche Gnadengaben, ob sie nun von besonderer Leuchtkraft oder aber schlichter und allgemeiner verbreitet sind, müssen mit Dank und Trost angenommen werden, da sie den Nöten der Kirche besonders angepasst und nützlich sind.“ (LG 12) |
Die Übersicht macht deutlich, dass sich auch bei der gegebenen Abschwächung des Begriffs „Sakrament“ grundsätzlich das im „Deutschen Schema“ gegebene Verhältnis der einen theologische Leitkategorie gegenüber der Vielzahl beschreibender und illustrierender biblischer Metaphern inhaltlich erhalten hat. „Volk Gottes“ wie auch „Leib Christi“ und andere biblische Bilder bleiben dem ekklesiologischen Leseschlüssel „Die Kirche ist gleichsam Sakrament“ untergeordnet.427 Allerdings wirkt „Sakrament“ durch die erwähnten Einschränkungen428 nicht so tonangebend wie dieser Begriff im „Deutschen Schema“ angelegt war. Zugleich erfährt der Begriff „Volk Gottes“ durch seine herausgehobene Stellung429 durchaus optisch wie inhaltlich eine Führungsrolle. Er verhält sich, um es vielleicht mit einem Vergleich auszudrücken, in der Art eines starken Regierungschefs mit umfangreichen Kompetenzen gegenüber einem zurückhaltend auftretenden, bzw. mit wenigen Kompetenzen ausgestatteten Staatsoberhaupt.
2.2.3 Anmerkungen zur Struktur von „Lumen gentium“
Für die spätere Rezeption der Kirchenkonstitution ist entscheidend, welche möglichen Lesarten der Text selbst dem Betrachter anbietet. Im vorherigen Kapitel 2.1.3 ist bereits auf mögliche Interpretationsansätze durch die Einführung und Struktur des Kapitels II hingewiesen worden. Hier soll in einem abschließenden Schritt auf die Gesamtkomposition von „Lumen gentium“ und der Rolle des „Volk Gottes“ in ihr geschaut werden.
Für einen Redaktor des Textes hatte das in eine Einheit zu bringende Textmaterial im Oktober 1963 in etwa so ausgesehen:
– Teil 1 [Kap. I (allgemeines Kapitel über Wesen und Auftrag der Kirche)]
– Teil 2 [die verschiedenen Glieder der Kirche: Kap II (allgemeine Grundlegung unter dem Leitwort „Volk Gottes“), Kap. III (Hierarchie), Kap IV (Laien), Kap. V (+VI) (allgemeine Heiligkeit und Ordensleute, evt. in zwei Kapitel zu teilen)]
– Teil 3 [„Sondergut“: Kap VII430 (eschatologische Dimension der Kirche / Heiligenverehrung), Kap VIII (Maria)]
Ergebnis der Überarbeitung ist u.a. ein Abgleich mit den in Kapitel I und II dargelegten theologischen Leitgedanken über die Kirche, so dass sich inhaltliche Verbindungslinien ergeben.431 Der endgültige Text stellt sich in seiner Struktur verändert dar. Gerard Philips deutet die Struktur der Kirchenkonstitution wie folgt432:
– Teil 1 – Lehre vom Geheimnis der Kirche in ihrer „transzendenten Dimension“ und ihrer „geschichtlichen Verwirklichung“ (Kapitel I und II)
– Teil 2 – Die organische Struktur der Kirche (Kapitel III und IV)
– Teil 3 – Finalität der Kirche: Heiligung der Menschen (Kapitel V und VI)
– Teil 4 – Die eschatologische Herrlichkeit (Kapitel VII und VIII)
Die vorgeschlagene Gliederung enthält interessante Aspekte. Vor allem die Zusammenfassung von Kapitel V und VI zu einem eigenen Teil überrascht. Philips nimmt hier das in LG 1 genannte Ziel des Heilswillens Gottes, „die Heiligung der ganzen Menschheit“, zur Überschrift eines eigenen Teils und sieht das Ordensleben nicht als eigenen „Stand“ in der Kirche, sondern als Ableitung bzw. besondere Variante dieser allgemeinen Berufung zur Heiligkeit.433 Diese Sichtweise ist mit Blick auf den Text aber nur teilweise gerechtfertigt. Zum einen verweist Kapitel V gerade nicht auf den allgemeinen Heilswillen Gottes für die Welt, sondern spricht nur von den Mitgliedern der Kirche. Zudem beginnt das Kapitel mit Ausführungen zur Heiligkeit der Kirche (LG 39) und rückt es damit in die Nähe etwa der Aussagen zur Einheit und Katholizität der Kirche in LG 13. Insgesamt ist die Verwandtschaft des Kapitels V zu Kapitel II deutlich, da es Allgemeines über den Auftrag und das Leben der Kirche als solcher und aller ihrer Mitglieder aussagt. Ähnlich wie in LG 10 oder LG 17 wird in LG 41 das Zusammenwirken von geweihten Amtsträgern und Laien beschrieben. Man wird im Sinne einer großen Zahl von Konzilsvätern die enge inhaltliche Zusammengehörigkeit von Kapitel II und V betonen müssen. Kapitel VI handelt somit, wenn auch vielleicht nicht von einem eigenen „Stand“, von einer bestimmten Personengruppe innerhalb der Kirche und ist damit in seinem „sujet“ ähnlich konzipiert wie Kapitel III und IV. Wenn also Kapitel II und V Allgemeines über den Aufbau, das Wesen und den Auftrag der konkreten Kirche und ihrer Mitglieder aussagen, gelten diese Aussagen ebenso für die Ordensleute. Klerus, Laien und Ordensleute sind dann spezifische Ausdrucksformen der einen Würde und Sendung aller Glieder der Kirche.
Kapitel VIII spielt eine Sonderrolle. Es kann den Charakter des vormals eigenständigen Traktates nicht ganz verleugnen. Das Kapitel enthält eine eigene Einleitung, die wie LG 2 zunächst von der Initiative Gottes handelt (LG 52f.).434 LG 55–59 beleuchten das heilsgeschichtliche Wirken des dreieinen Gottes an Maria und ähneln von der Grundidee LG 2–4, bzw. LG 9. Maria ist u.a. als Tochter Zion Bild für das von Gott befreite und erlöste Gottesvolk (LG 55).435 Die besondere Rolle Mariens im Leben der Kirche, die in LG 60–65 dargestellt wird, bestimmt Maria u.a. als Typus der Kirche (LG 63) und als Vorausbild der vollendeten Menschheit (LG 65).436 Zusammen mit dem Abschnitt über die Verehrung Mariens in der Kirche (LG 66 und 67) ergeben sich Zusammenhänge mit Kapitel VII.437 Diese Verbindung wird durch die abschließenden Absätze über das wandernde Gottesvolk (LG 68 und 69) durch den thematischen Zusammenhang mit dem Abschnitt über die pilgernde Kirche (LG 48) noch gestärkt. Somit kann Kapitel VIII sowohl eine enge Zusammengehörigkeit mit Kapitel I und II, als auch Kapitel VII zugeschrieben werden, wobei Kapitel VII eher in Parallele zu Kapitel I sowie Kapitel VIII zu Kapitel II zu sehen ist.
Gerard Philips’ Gliederungsvorschlag kann noch nicht zufriedenstellen. Über die eben genannten Einwände zu den Kapiteln V-VIII hinaus geht sein Vorschlag an der Brückenfunktion von Kapitel II vorbei, das neben seiner inhaltlichen Nähe zu Kapitel I zugleich Einleitung für die folgenden Kapitel III-VI sein möchte. Damit verunklart die vorgeschlagene Gliederung, so der Einwand von Dario Vitali, eine zentrale Errungenschaft der Konstitution, den gemeinsamen Ausgangspunkt in der Würde und Sendung aller Glieder der Kirche. Die inhaltlichen Verbindungslinien der ersten beiden Kapitel zu Kapitel V, VII und VIII werden zudem in der vorgeschlagenen Aufteilung auf vier Teile nicht sichtbar.438 Vitali schlägt daher eine alternative Strukturierung der Konstitution
vor439:
A – Das Mysterium der Kirche (Kapitel I)
B – Das Volk Gottes (Kapitel II)
C1 – Die hierarchische Verfassung der Kirche (Kapitel III)
C2 – Die Laien (Kapitel IV)
[B*] – Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche (Kapitel V)
C3 – Die Ordensleute (Kapitel VI)
B1 – Der endzeitliche Charakter der pilgernden Kirche (Kapitel VII)
A1 – Die selige jungfräuliche Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche (Kapitel VIII)
Die vorgeschlagene Interpretation der Struktur geht von einer großen heilsgeschichtlichen Klammer (im Mysterium des sich offenbarenden Gottes) aus, die aus Kapitel I und VIII besteht. Der ganze davon umfangene Teil schildert die Kirche als Gottesvolk von ihrer Entstehung (LG 9) bis zu ihrer Vollendung (Kapitel VII). Von diesem „Volk Gottes“ als Grundkonstante der Kirche her sind die einzelnen Personengruppen in der Kirche zu beschreiben (Kapitel III, IV und VI).440 Kapitel V wird inhaltlich Kapitel II zugeordnet.
So sehr der hier vorgelegte Entwurf eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Philips’ darstellt, sind an ihn ebenfalls einige Anfragen zu stellen. Auch in Vitalis Vorschlag ist die Brückenfunktion des Kapitels II nicht abgebildet, wenn auch dieses Mal in die andere Richtung. Mit der Entkoppelung von Kapitel II von Kapitel I wird ersteres zur Grundlage eines mächtigen Hauptteils der Kirchenkonstitution und droht, den Sakramentsbegriff in seiner Bedeutung noch weiter zurückzudrängen. Nach dem vorgelegten Strukturvorschlag steht der Kernbereich der Konstitution (Kapitel II-VII) unter dem Leitwort „Volk Gottes“. Kapitel VIII kann in seiner Sonderstellung die gewünschte Funktion der schließenden Klammer zu Kapitel I allein nicht erfüllen. Im Leseeindruck des Kapitels bleibt nicht die einmal in der Mitte des Kapitels erwähnte Beschreibung der Kirche als „Sakrament“ (LG 59) im Gedächtnis, sondern die finalen Aussagen zum pilgernden Volk Gottes (LG 68 und 69). Kapitel I und VIII bilden keine harmonische Einheit. Damit droht den beiden Kapiteln, auch wegen ihres vornehmlich biblisch-theologischen Charakters, als Zusatz bzw. geistliche Rahmung der Konstitution wahrgenommen zu werden, während das „Eigentliche“ der Kirche in ihrem Hauptteil zu finden ist. Die heilsgeschichtliche Klammer ist zwischen Kapitel I und II und Kapitel VII und VIII gegeben. Beide Teile eröffnen in LG 1 und LG 48 mit der Kennzeichnung der Kirche als „Sakrament des Heiles“ und schließen jeweils in LG 17 und LG 69 mit dem missionarischen Auftrag der Kirche zur Sammlung aller Menschen.441
Es mag sein, dass es aufgrund der Vielfalt der in einzelnen Kapiteln von „Lumen gentium“ gebotenen Themenfülle sowie die der langen Entstehungsgeschichte, teilweise auch dem Zeitdruck geschuldeten Ecken und Kanten der Konstitution, die eben keinen in allen Belangen konsequent durchgearbeiteten eleganten einheitlichen Bogen schlägt, keine unanfechtbare systematische Übersicht über die gesamte Konstitution geben kann. Wahrscheinlich wird man sich mit Annäherungen begnügen müssen. Da aber eine schematische Gesamtsicht auf die Konstitution für ihr Verständnis bedeutend ist, soll aus dem bisher gesagten eine vielleicht verbesserte Annäherung versucht werden.
Wenn die Bestimmung der Kirche als Sakrament als leitende theologische Idee (LG 1) bei der Bestimmung des Verhältnisses der verschiedenen Metaphern für die Kirche bereits gute Dienste geleistet hat, bietet es sich an, diese Grundidee auch auf die Gliederung der gesamten Konstitution anzuwenden. Damit soll nicht mehr gezeigt werden, als dass „Lumen gentium“ in seiner Struktur aus dem Verständnis der Kirche als „Sakrament“ heraus gelesen werden kann. Es handelt sich um das Angebot eines Leseschlüssels.
In Anknüpfung an die klassische scholastische Lehre442 ist ein Sakrament externes, äußerliches Zeichen („sacramentum tantum“) einer freien Gnadenmitteilung Gottes („ex opere operato“) und erzeugt bei Aufnahme durch den Empfänger („ex opere operantis“) eine bleibende Wirkung („res et sacramentum“) der mitgeteilten Gnade („res tantum“). Das Sakrament ist gegenwärtiges Zeichen göttlicher Gnade („signum demonstrativum“) und einer heilsgeschichtlichen vermittelten Realität („signum rememorativum“). Es ist zugleich Vorausbild der eschatologischen Vollendung („signum prognosticum“). Wendet man diese Definition in analoger Form auf die Kirche als Sakrament an, wird in ihr der göttliche Heilswille („res tantum“) im äußeren Zeichen der gesellschaftlich verfassten Gemeinschaft der Kirche und ihrer Glaubensvollzüge in Liturgie, Verkündigung und Caritas und sichtbar („sacramentum tantum“). Gott handelt dabei aus freiem Entschluss („ex opere operato“). Adressat der Gnade ist die ganze Menschheit, wobei diejenigen, die Glieder der Kirche sind („ex opere operantis“) im „Volk Gottes“ Anteil an der Einigkeit, Heiligkeit und Katholizität der Kirche haben („res et sacramentum“) Sie sind dazu aufgerufen, in ihrem Glauben, Dienst und Apostolat zum Heilswerk der Kirche beizutragen („ex opere operantis“). Für die Kirchenkonstitution ergibt sich aus dem Gesagten folgende Struktur:
Kapitel II wird sowohl Kapitel I als auch den Kapiteln III-VI zugeordnet. LG 7 und 8 weisen überdies schon auf die Kirche als „signum demonstrativum“ sowie die äußerer Verfasstheit der Kirche hin. Eine eindeutige Grenze zu ziehen, ist nicht möglich. Die dargestellte Struktur bildet für Kapitel I und II eher eine tendenzielle Orientierung ab. Der Vorteil der Betrachtung liegt in der Einheit, die die Kirchenkonstitution trotz differenzierter und teilweise divergierender Themen und theologischen Ansätze durch die Kennzeichnung der Kirche als „Sakrament“ erhält. Die Kennzeichnung als „signum“ in der dreifachen Konnotation verdeutlicht die heilsgeschichtliche Aussage. Sie lässt sich auch ohne gnadentheologische Implikationen verstehen.
259 S. ALBERIGO, Die Ankündigung des Konzils, 1f, 48–54. Für die biografischen Angaben zu den Akteuren des Konzils s. (sofern nicht anders angegeben): QUISINSKY / WALTER, Personenlexikon zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Die verschiedenen Bearbeitungsstufen und Textentwürfe (auch der Alternativschemata) auf dem Weg zu LG werden, sofern nicht anders angegeben, zitiert nach: ALBERIGO / MAGISTRETTI, Constitutiones Dogmaticae Lumen Gentium Synopsis Historica.
260 AD I/2,1, Xf, s. FOUILLOUX, Die vor-vorbereitende Phase, 104f.
261 Die Rückmeldequote auf das Schreiben Tardinis liegt bei 76,4%, wobei die Voten von sehr unterschiedlicher Länge und Qualität sind. S. FOUILLOUX, Die vor-vorbereitende Phase, 109–120. Zur Auswertung der Voten: Ders., 158–168.
262 Analyticus Conspectus Consiliorum et Votorum quae ab Episcopis et praelatis data sunt, in: AD I, Appendix 2, 1+2.
263 Die Problematik des „Analyticus Conspectus“ besteht in seinem Aufbau, der sich an den klassischen neuscholastischen Lehrtraktaten und dem Kirchenrecht ausrichtet und zudem Positionen kumulativ zusammenfasst, so dass neuartige Impulse keine angemessene Berücksichtigung finden oder nicht deutlich werden. Diese Tendenz wird im Abschlussbericht, der „sintesi finale“ deutlich, die versucht, die Voten der Bischöfe vereinfacht und möglicherweise tendenziös auf lediglich 18 Seiten darzustellen S. HÜNERMANN, Theologischer Kommentar, 292; FOUILLOUX, Die vor-vorbereitende Phase, 163–168.
264 Analyticus Conspectus 1, 35–43.
265 Analyticus Conspectus 1, 68–76. Das Fehlen des Begriffs muss angesichts der Tatsache, dass es einige Eingaben zu diesem Thema gegeben hat verwundern (s.u.).
266 Hierzu finden sich in den Kapiteln über die wesenhaften Aussagen zur Kirche sieben Einträge. S. Analyticus Conspectus 1, 35–76.
267 S. Analyticus Conspectus 1, 755–763. Schwerpunkte sind dabei die Klärung der Aufgaben und Pflichten der Laien (15 Einträge), die Forderung nach einer Theologie der Laien (7 Einträge), die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Laien und Priestern (7 Einträge) sowie vereinzelte Forderungen nach einer Darstellung des allgemeinen Priestertums, nach mehr kirchlicher Mitbestimmung der Laien und einer stärkeren Demokratisierung der Kirche. Dabei sind Rückmeldungen hinsichtlich einer größeren Öffnung und positiven Bewertung der Laien, aber auch im Sinne einer defensiven Klärung des Aufgabenbereiches gegen eine zu starke oder „protestantisierende“ Tendenz der Laienbetätigung in der Kirche etwa zu gleichen Teilen vorhanden.
268 Vgl. FOUILLOUX, Die vor-vorbereitende Phase, 132–141 gibt einen Überblick über diese Voten, die er in den Kontext der eher pastoral geprägten Rückmeldungen der Bischöfe einreiht.
269 JACOBS, Les „vota“ des évequês néerlandais pour le concile, 99–103.
270 AD I/2,2, 509–516. S. JACOBS, Les „vota“ des évequês néerlandais, 104–108. Alfrink nimmt damit zentrale Fragestellungen des Konzils vorweg. Zudem äußert er sich auch zu den Fragen der Eigenständigkeit der Ortskirchen, der Internationalisierung der Kurie, der Rolle der Frauen in der Kirche, der Beziehungen von Kirche und Welt sowie der Ökumene.
271 S. POTTMEYER, Die Voten und ersten Beiträge der deutschen Bischöfe zur Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils: Pottmeyer zählt bei den deutschen Bischöfen vier Einträge zum „Volk Gottes“ (145). Er deutet die Voten insgesamt als zukunftsweisend: „Zweifellos zeichnen sich in diesen Vorschlägen die Grundzüge von Lumen gentium ab: eine biblisch und patristisch fundierte, trinitarische begründete Theologie der Kirche als Sakrament, als communio, als Volk Gottes, unterwegs zum vollendeten Reich Gottes“ (146). Zudem zeigen die Voten einen insgesamt ökumenisch ausgerichteten Geist (149).
272 JOHANNES XXIII., Motu proprio „Superno Dei“.
273 Auch „Kommission für die Glaubens- und Sittenlehre“ – im Folgenden als Theologische Kommission (CT) bezeichnet.
274 S. KOMONCHAK, Der Kampf für das Konzil, 258f. Daneben entstehen weitere Entwürfe zur Offenbarung („De deposito“) und moralischen Fragestellungen („De rebus moralibus et socialibus“). Zum weiteren Verlauf bis zur endgültigen Festlegung der Themen der Schemata am 21. Dezember 1960, s. Ebd., 259–262
275 S. TROMP, Konzilstagebuch, 1/1, 98.
276 S. Ebd. Vorsitzender der Kommission ist der Thomist Marie-Rosaire Gagnebet, Mitglieder der ersten Stunde u.a. der Rektor der Lateranuniversität, Antonio Piolanti und der Amerikaner Joseph Fenton.
277 Tromp, der selbst ein pastorales Interesse an den Tätigkeiten der Katholischen Aktion hatte, war mit Philips bereits in der vorhergehenden Jahren im Zusammenhang mit der Frage des Laienapostolates verbunden. In seinem Tagebuch äußert er sich positiv über Philips und hält ihn von den Mitgliedern der Unterkommission für den Fähigsten. Wiederholt treffen sich Tromp und Philips zu Arbeitssitzungen im kleinen Kreis S. TROMP, Konzilstagebuch 1/1, 102, 198, 244, 324.; S. auch TEUFFENBACH, Einleitung, 20.
278 S. TROMP, Konzilstagebuch 1/1, 302. Vgl. Ebd.: Congar, der sich bereits 1960 in einem Memorandum an die Mitglieder der theologischen Kommission gewandt hatte (90), spricht am 16. November persönlich bei Tromp vor, wird von diesem aber offensichtlich gemieden, was Tromps ablehnende Haltung auf das Anliegen Congars zur Teilnahme an den Sitzungen der Unterkommission zeigt (302). Er lädt sich daraufhin mehr oder weniger selbst ein (326, 368). Zum Zeitpunkt seines Mitwirkens ab November 1961 sind wesentliche Arbeitsaufträge allerdings bereits abgeschlossen. Congars Konzilstagebuch bestätigt, dass Congar sich bereits seit längerem über den Stand der Arbeiten informiert und von Philips auf dem Laufenden gehalten wird. Für den 20.11.1961 bestätigt er die erste Teilnahme an einer Sitzung der Unterkommission. S. CONGAR, My Journal, 39f, 65.
279 Vgl. KOMONCHAK, Der Kampf für das Konzil, 263f. Zum Inhalt des Memorandums s. QUISINSKY, Geschichtlicher Glaube, 250ff.
280 Vgl. TROMP, Konzilstagebuch 1/1: Johannes Witte, Leiter des ökumenischen Zentrums in Groningen stößt am 26. November 1960 zur Kommission hinzu, der Aachener Kirchenrechtsprofessor Heribert Schauf, ein Schüler und enger Vertrauter Tromps wird im Januar Mitglied der Kommission (146). Der auf Wunsch für den ausgeschiedenen Piolati kommende Professor am Lateran, Ugo Lattanzi (158ff) verfasst Ende 1961 die erste Version des ersten Kapitels zum Wesen der Kirche, nachdem der Vorsitzende der Kommission, damit zuvor allerdings Tromp betraut hatte (182, 336ff, 358). Zudem gehören 1961 Joseph Lecuyer, und der Franziskaner Karlo Balić als Experte für Mariologie zur Unterkommission (248). Noch im September 1961 lädt Tromp zudem Umberto Betti in den Kreis der Theologen ein (302).
281 Komonchak bietet hierzu einen Überblick. Offenbar waren die ersten Entwürfe Lattanzis in der Vollversammlung der Zentralkommission im März 1962 so kritisiert worden, dass Tromp hinter dem Rücken Lattanzis von Gagnebet mit der Abfassung eines neuen Textes beauftragt wurde. Nach Intervention Lattanzis einigt man sich auf ein Kompromisspapier zur Vorlage in der Zentralkommission. S. KOMONCHAK, Der Kampf für das Konzil, 325f. S. auch ACERBI, Due ecclesiologie, 115; CONGAR, My Journal, 76.
282 AS 1/4, 12–91.
283 S. Ebd. Auf die Enzyklika „Mystici Corporis“ wird in den Anmerkungen zu den Artikeln 4–7 insgesamt sechsmal verwiesen.
284 Der Verweis auf das Priestertum ist allerdings noch eingeschränkt. Die Laien sind „gleichsam (tamquam) wie das auserwählte Volk, das königliche Priestertum […]“ (Nr. 21).
285 In den folgenden Artikeln 23–27 wird der Weltdienst der Laien wie auch ihre Mitwirkung in der Kirche näher dargelegt, außerdem Dankbarkeit gegenüber dem Einsatz der Laien ausgedrückt.
286 HÜNERMANN, Kommentar, 296.
287 Vgl. HÜNERMANN, Kommentar, 297.
288 S. ACERBI, Due ecclesiologie, 136f.
289 S. HÜNERMANN, Kommentar, 303f.
290 S. ACERBI, Due ecclesiologie, 115, 147. Congar beklagt deutlich das Fehlen aktueller ekklesiologischer Forschung. S. CONGAR, My Journal, 76.
291 Bea selbst war als Bibelwissenschaftler und Leiter des Päpstlichen Bibelinstituts zwischen 1930 und 1949 ein Förderer neuer exegetischer Ansätze, darunter auch der historisch-kritischen Exegese. Die Mitarbeiter des Einheitssekretariats kommen in der Regel aus Ländern, in denen der ökumenische Dialog eine besondere Rolle spielt (Großbritannien, USA, Deutschland, Niederlande, Schweiz), u.a. Johannes Willebrands, Hermann Volk, Frans Thijssen und Lorenz Jäger. S. KOMONCHAK, Der Kampf für das Konzil, 297f.
292 Vgl. KOMONCHAK, Der Kampf für das Konzil, 328.
293 Vgl. KOMONCHAK, Der Kampf für das Konzil, 327f.
294 Vgl. KOMONCHAK, Der Kampf für das Konzil, 303.
295 S. ACERBI, Due ecclesiologie, 115f. Acerbi verweist auf weitere Eingaben anderer Theologen, die die alleinige Gültigkeit des „Leib Christi“-Begriffs in Frage stellen. S. auch Karl Rahners kritisches Votum an Kardinal König: RAHNER, Gutachten an Kardinal König vom 29. April.
296 Dieser Unmut schlägt sich im Abstimmungsergebnis nieder. Für die ersten vier Kapitel heißt dies: 3 placet, 1 non placet, 30 placet iuxta modum. S. TROMP, Konzilstagebuch 1/1, 434ff. Zu den Kritikern hinsichtlich des defensiven Ansatzes und der theologischen Ausrichtung gehören Liénart, König, Döpfner, Suenens und Alfrink. Vgl. Ebd.
297 KOMONCHAK, Der Kampf für das Konzil, 353.
298 Die Ablehnung der angeregten Änderungen sind auch deshalb nicht verwunderlich, weil die von der Vorbereitungskommission beauftragte Gruppe der CT zur Überprüfung der Eingaben aus den Hauptverfassern des Schemas, namentlich Gagnebet, Tromp und Schauf besteht. S. KOMONCHAK, Der Kampf für das Konzil, 345f., 352ff.
299 S. WITTSTADT, Am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils, 462ff. Bereits bei diesem ersten Versand war es den Konzilsvätern aufgrund der knappen Zeit schwer möglich, bereits im Voraus Stellung zu beziehen. Für das Schema „De ecclesia“ wird dies noch in eklatanterer Weise gelten. S. Ders., 472–483. Allerdings kommt es bereits zu einigen eindeutig kritischen Beiträgen zu Stil und Inhalt der sieben ersten vorgelegten Schemata. S. z.B. Rahners Bericht von einem Treffen mit verschiedenen Bischöfen und Theologen: RAHNER, Gutachten an Kardinal König vom 19. September. Dazu auch: SIEBENROCK, „Meine schlimmsten Erwartungen sind weit übertroffen“. In der Zeit unmittelbar vor dem Konzil kommt es zu verstärkten Kontakten zwischen den Episkopaten Frankreichs, Belgiens, der Niederlande und Deutschlands, die ihre Theologen in die Diskussion mit hineinnehmen. Die sich auf dieser Ebene etablierenden Strukturen werden für die weitere Entwicklung des Kirchenschemas von großer Bedeutung sein. S. z.B. WITTSTADT, Julius Kardinal Döpfner, 50ff.
300 WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament Kirche, 193.
301 Cicognani soll Suenens am 13. Oktober in der Konzilsaula gefragt haben: „Mais pourquoi ne feriez-vous pas un schéma De ecclesia?“ Bereits am 15. Oktober erwähnt Suenens in einem Brief, dass er Philips diesen Auftrag erteilt habe. S. LAMBERIGTS / DECLERCK, The Role of Cardinal Léon-Joseph Suenens, 91. Yves Congar bestätigt die Pläne zur Ersetzung des Schemas am 6. November. S. CONGAR, My Journal, 150.
302 S. FOGARTY, Das Konzil beginnt, 102. Zu den zusammengerufenen Theologen zählen Congar, Rahner, Ratzinger, Semmelroth, McGrath, Lécuyer und Colombo. S. Ebd. Bereits am 18. Oktober hat es zu einem neuen Entwurf bereits Konsultationen zwischen Philips und Congar gegeben. S. RUGGIERI, Der schwierige Abschied, 332. Zudem scheint Gustave Thils als persönlicher Sekretär Suenens’ maßgeblich an der Redaktion des Schemas beteiligt gewesen zu sein. Suenens spricht Anfang 1963 vom Schema Philips-Thils. S. FAMERÉE, Gustave Thils et le De ecclesia, 570. S. hierzu auch PHILIPS, Carnets concilaires, 83.
303 Das Schema Philips erfährt bereits bis zur 1. Interzession des Konzils verschiedene Bearbeitungen. Die folgende Darstellung bezieht sich auf den Bearbeitungsstand vom 22. November 1962, bei ALBERIGO / MAGISTRETTI, Synopsis, als Nr. 2 wiedergegeben. Für die Genese des Philips-Schemas s. RUGGIERI, Der schwierige Abschied, 351ff. Das Schema erreicht Tromp, der bereits am 12. November erste Gerüchte vom Bestehen des Textes gehört hat am 29. November, wo ihm Philips persönlich eine französischsprachige Fassung überreicht. Tromp sieht in der Initiative der „belgischen Bischöfe“ nicht nur eine Beleidigung der Theologischen Kommission, sondern auch ein illegitimes Verfahren, da hier offensichtlich noch vor dem offiziellen Versand des Schemas alternative Entwürfe erstellt werden. S. TROMP, Konzilstagebuch, 2/1, 28, 106. Kardinal Ottaviani wird die Kritik an diesem Vorgehen bei der Generaldebatte wiederholen. Congar berichtet, dass Ottaviani das Philips-Schema zum Zeitpunkt des Beginns der Debatte in der Konzilsaula bereits auch dem Inhalt nach kennt. CONGAR, My Journal, 205f. Wie Philips ausführt, empfindet er sich bei Bekanntwerden des Schemas selbst als Verräter. Die Mitglieder der vorbereitenden Generation rücken in der Folge von ihm ab. S. PHILIPS, Carnets concilaires, 86.
304 Vgl. RUGGIERI, Der schwierige Abschied, 353.
305 Vgl. „De ecclesia“ Nr. 1 und 3.
306 SCHILLEBEECKX, Animadversiones in „secundam seriem“ Schematum Constitutionum et Decretorum, 1066f.; Vgl. RUGGIERI, Der schwierige Abschied, 359. Die Hauptkritik Schillebeeckxs bezieht sich auf das Bischofskapitel. S. Ebd., 359–363.
307 S. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament Kirche, 195. Die Anmerkungen Rahners und Semmelroths werden ausführlicher in Kap. 3.2 vorgestellt.
308 Neben Tromps Verweis auf die Gerüchte zum zirkulierenden Philips-Schema gibt es Hinweise auf eine breite Streuung von mehreren Hundert Kopien des Schillebeeckx-Papiers und der „Animadversiones“ von Rahner und Semmelroth. S. RUGGIERI, Der schwierige Abschied, 359 (Fn 38), 366 (Fn 44).
309 S. RUGGIERI, Der schwierige Abschied, 371. Congar berichtet von einem vorbereitenden Treffen der französischen Bischöfe am 28. November, bei dem er seine Kritikpunkte am vorliegenden offiziellen Schema, u.a. auch die fehlende „Volk Gottes“-Perspektive vorbringt. S. CONGAR, My Journal, 217f.
310 AS 1/4, 121. Ottaviani hatte allen Grund, die Ablehnung des Schemas zu fürchten. Bereits die vorausgegangene Debatte über das Schema „De deposito“ hatte die ablehnende Haltung einer Konzilsmehrheit gegen die Arbeitsgrundlage sichtbar gemacht. Zudem zirkulieren, wie Tromp berichtet, kurz vor der Debatte Gerüchte, „Ottaviani werde eine Lektion erteilt bekommen“. S. TROMP, Konzilstagebuch 2/1, 108.
311 Vgl. AS 1/4, 126f.
312 Vgl. AS 1/4, 132f.
313 AS 1/4,143.
314 S. AS 1/4,142f. De Smendt nennt in diesem Zusammenhang auch andere biblische Bilder wie „Braut“ und „Heiligtum des Heiligen Geistes“.
315 Döpfner, der im intensiven Kontakt zu den deutschen Theologen steht, wird auf dem Konzil u.a. vom Münchener Kirchenrechtler Klaus Mörsdorf begleitet. Dieser hatte in direkter Anknüpfung an Mannes Koster vom „Volk Gottes“ als grundlegender Bezeichnung der Kirche gesprochen (s.o. Kap. 1.1.4). Mit der „idea fundamentalis“ knüpft Döpfner evt. direkt an Mörsdorf an. Wenn dies so wäre, wäre hier ein direkter Nachklang auf Kosters „Ekklesiologie im Werden“ zu finden. S. hierzu POTTMEYER, Die Voten, 152.
316 Davon 77 Reden in der Konzilsaula und 85 im Nachgang eingereichte schriftliche Gutachten. S. AS 1/4.
317 Die Seitenzahlen dieser und der folgenden Fußnoten beziehen sich auf AS 1/4: Liénart (Lille), 126f.; Elchinger (Straßburg), 147; Marty (Reims), 191; Huyghe (Arras / Frankreich), 195; Barrachina y Estevan (Orihuela, Spanien), 354; Hakim (Melkiten), 358f.
318 Devoto (Goya, Argentinien), 250; Volk (Mainz), 387; Tatsuo Doi (Tokio), 397f.; Richaud (Bordeaux), 408; Charue (Namur, Belgien), 433; Daem (Antwerpen), 450; Guano (Livorno), 505; Schoiswohl (Seckau, Österreich), 559ff.; Nguyen-van Hien (Da Lat, Vietnam), 514. Nguyen bringt als Alternativvorschlag ein, „Familia Dei“ zum Grundbegriff der Ekklesiologie der neuen Konstitution zu machen. Schoiswohl (Seckau, Österreich), 559ff.
319 König (Wien), 133; De Smendt (Brügge), 143; Elchinger (Straßburg), 147f.; Döpfner (München-Freising), 184; Marty (Reims), 192; Devoto (Goya, Argentinien), 251; Volk (Mainz), 387; Richaud (Bordeaux), 408; Höffner (Münster), 517; Schoiswohl (Seckau, Österreich), 559ff.; Simons (Indore, Indien), 579f.
320 Alfrink (Utrecht), 134; Spellmann (New York), 172f.; Gargitter (Brixen), 194; Barrachina y Estevan (Orihuela, Spanien), 354; Feltin (Paris), 405f.; Guano (Livorno), 505; Rigaud (Pamiers, Frankreich), 548.
321 Vgl. AS 1/4, 436.
322 Vgl. AS 1/4, 147f.
323 Vgl. PHILIPS, Die Geschichte der dogmatischen Konstitution, 140.
324 S. QUISINSKY, Geschichtlicher Glaube, 301–315. Das Treffen fand vom 22.-25. Januar 1963 statt. Vgl. CONGAR, My Journal, 253.
325 Der neue Entwurf, an dem auch Volk, Rahner, Semmelroth, Grillmeier und Schmaus beteiligt sind, nimmt dabei Intentionen der „Animadversiones“ Rahners und Semmelroths auf. Der Entwurf wird am 27. Januar auf einem Treffen u.a. mit Schillebeeckx, Congar und Philips besprochen. Zur Entstehung des in der deutschen und österreichischen Bischofskonferenz sowie mit weiteren deutschsprachigen Bischöfen aus den Nachbarländern abgestimmten sog. „Deutschen Schemas“ s. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 279–293; POTTMEYER, Die Voten, 153.
326 S. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 330f.
327 Die Auswahl und Vielzahl der biblischen Metaphern geht im Wesentlichen auf Rudolf Schnackenburg zurück. S. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 316. S. hierzu auch: SCHNACKENBURG, Die Kirche im Neuen Testament.
328 Vgl. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 355f.
329 Es ist die Absicht der Verfasser des Textes, so Rahner in seinen Erläuterungen zum Schema, eine Engführung der biblischen Theologie auf das Bild vom „Leib Christi“ zu vermeiden. S. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 317f.
330 Die Einfügung einer „idea fundamentales“ ist unter den deutschsprachigen Bischöfen ein wichtiges Anliegen. S. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 304: „Je treuer der Text gegenüber einer einzigen Intention ist, je systematischer er das einzelne vom Prinzip her ordnet, desto eindeutiger und verständlicher wird die Lehre des Konzils über die Kirche sein.“
331 Die Koordinierungskommission beschließt am 23. Januar 1963 die Neugliederung des Schemas nach dem über Charue eingereichten von Philips erarbeiteten Vorschlag. S. HÜNERMANN, Kommentar, 323; LAMBERIGTS / DECLERCK, The role of Cardinal Suenens, 95–99. Die Theologische Kommission nimmt es am 4. Februar als Arbeitsgrundlage an. S. TROMP, Konzilstagebuch 2/1, 196. Am 26. Februar fällt, auch mit Unterstützung der deutschsprachigen Bischöfe in der Kommission die Entscheidung zugunsten des Philips-Schemas. S. TROMP, Konzilstagebuch 2/1, 256. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen ist Philips als Person ein Bindeglied zwischen der alten und neuen Fassung des Schemas. S. GROOTAERS, Le rôle de Mgr. G. Philips, 354, 375–380. Sein Entwurf steht in einer gewissen Kontinuität zu „De ecclesia“ und verwendet in weiten Teilen das Material dieses Entwurfes. Wegen seiner Kürze ist der Philips-Entwurf für eine zukünftige Erweiterung und Ausarbeitung des neuen Schemas geeignet. S. GROOTAERS, Zwischen den Sitzungsperioden, 477f. Außerdem setzt sich Kardinal Suenens, der innerhalb der Koordinierungskomission für die weitere Arbeit an „De ecclesia“ verantwortlich ist, im Vorfeld bereits massiv für den Entwurf ein, u.a. in einem persönlichen Brief an Papst Johannes XXIII. S. LAMBERIGTS / DECLERCK, The role of Cardinal Suenens, 93, 99. Philips erläutert seinen eigenen Ansatz der konziliaren ekklesiologischen Entwicklung zwischen Tradition und Innovation in: PHILIPS, Deux tendances dans la théologie contemporaine.
332 Congar notiert, Daniélou habe ihn am 2. März gebeten, seinen Platz in der Unterkommission einzunehmen, da er diese Aufgabe aufgrund seiner Tätigkeit in verschiedenen anderen Kommissionen nicht wahrnehmen kann. S. CONGAR, My Journal, 263.
333 GROOTAERS, Le rôle de Mgr. G. Philips, 357; GROOTAERS, Zwischen den Sitzungsperioden, 471ff. Wie Philips berichtet, habe innerhalb der Kommission vor allem Thils den progressiven, fordernden Part übernommen. Damit ist es Philips möglich, eine vermittelnde Rolle einzunehmen. S. PHILIPS, Carnets concilaires, 92ff.
334 GROOTAERS, Le rôle de Mgr. G. Philips, 357.
335 Die alternativen Vorschläge für das neue Schema werden hier nicht näher dargestellt, da sie für die „Volk Gottes“-Thematik wenig neue Entwicklungen bringen. Das Schema der chilenischen Bischöfe bedient sich weitgehend einer klassischen ekklesiologischen Grundlegung auf der Basis von „Mystici Corporis“, setzt dann aber wichtige Impulse hinsichtlich der Sendung der Kirche in die Welt. Das Schema verweist allerdings auf die gemeinsame Grundlage der Zugehörigkeit aller zum „Volk Gottes“ (Nr. II,3) und entfaltet die gemeinsame Berufung des Volkes, auch bezogen auf die drei „munera“ Christi (Nr. VI). Das französische Schema entfaltet eine heilsgeschichtliche Sicht und nimmt den Begriff des „instrumentum salutis“ auf. Das Schema Parentes ist als Gegenentwurf zu Philips eine weitgehende Bestätigung des Ausgangsschemas. S. HÜNERMANN, Kommentar, 338f; GROOTAERS, Zwischen den Sitzungsperioden, 475f.
336 S. hierzu die Analyse des neuen Schemas bei ACERBI, Due ecclesiologie, 194–237. Joseph Ratzinger macht auf die Verbindung der verschiedenen Ansätze im neuen Schema aufmerksam. Er spricht davon, dass das Schema die Mitte zwischen der scholastischen Prägung und den modernen Arbeiten deutscher und französischer Theologen wahrt. S. RATZINGER, Das Konzil auf dem Weg, 25.
337 AS 2/1, 215–281. Die Erarbeitung hat wiederum eine eigene Geschichte, die neben der Auseinandersetzung um die Kollegialität und das Kapitel über die Ordensleute auch um die Einführung des Leitbegriffes „Sakrament“ geprägt ist. Die Koordinierungskommission stimmt am 28. März den neu erarbeiteten Kapiteln I und II zu, am 3./4. Juni auch den mittlerweile nochmals überarbeiteten Kapiteln III und IV. S. GROOTAERS, Zwischen den Sitzungsperioden, 477–489; TROMP, Konzilstagebuch 2/1, 270–276, 286. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 366–374.
338 Bis in den Kommentar des Schemas hinein bemüht man sich um eine Verbindung der beiden Begriffe. S. Kommentar zu Nr. 5, AS 2/1, 230. Dennoch scheint die neue Verbindung noch nicht gelungen, da die anderen heilsgeschichtlichen Bilder mit dem weiterhin dominierenden Leib Christi-Begriff noch nicht harmonisch verbunden sind. So das Urteil von ACERBI, Due ecclesiologie, 203; ähnlich auch WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 375.
339 AS 2/1, 324–329.
340 S. LAMBERIGTS / DECLERCK, The Role of Cardinal Léon-Joseph Suenens, 94. Thijssen steht in engem Kontakt mit Gustave Thils, dem engsten Mitarbeiter Suenens’. S. FAMERÉE, Gustave Thils et le De ecclesia, 569f.
341 Entspricht der „Theologischen Kommission“ (CT).
342 LAMBERIGTS / Declerck, The Role of Cardinal Léon-Joseph Suenens, 103.
343 GROOTAERS, Zwischen den Sitzungsperioden, 490f.
344 LAMBERIGTS / DECLERCK, The Role of Cardinal Léon-Joseph Suenens, 104f; GROOTAERS, Zwischen den Sitzungsperioden, 491. Die beiden Treffen von Mechelen waren Vorbereitungstreffen zur Erarbeitung der Vorlage des Schemas XVII, aus dem später „Gaudium et spes“ hervorgeht. Zu den Teilnehmern gehören u.a. Congar, Rahner, Thils, Philips und Prignon. S. Ebd., 506, Fn. 149.
345 S. PHILIPS, Die Geschichte der dogmatischen Konstitution, 142: Die Abstimmung ergibt 2231 Stimmen für die Annahme (placet) bei 43 Gegenstimmen.
346 AS 2/1, 360. Gargitter lenkt durch seine Ansprache möglicherweise die Aufmerksamkeit der Versammlung auf den Suenens-Vorschlag und leistet somit einen wichtigen Beitrag zu dessen späterer Annahme. S. MELLONI, Der Beginn der zweiten Konzilsperiode, 52. Weitere Konzilsväter, die sich für den Vorschlag Suenens‘ aussprechen sind: Silva Henriques (Santiago de Chile), AS 2/1, 366; Rugambwa (Bukoba, Tansania), AS 2/1, 369f.; Djajasepoetra (Djakarta, Indonesien), AS 2/1, 381.
347 S. für das Folgende TROMP, Konzilstagebuch 3/1, 50ff.
348 Tromp, Konzilstagebuch 3/1, 52.
349 Zitiert bei: CONGAR, My Journal, 337.
350 S. für das Folgende TROMP, Konzilstagebuch 3/1, 110.
351 LAMBERIGTS / DECLERCK, The Role of Cardinal Léon-Joseph Suenens, 108f. Wie Congar berichtet, habe der Papst selbst allerdings die von Ottaviani vorgeschlagene Reihenfolge bevorzugt. S. CONGAR, My Journal, 376.
352 MELLONI, Der Beginn der zweiten Konzilsperiode, 70.
353 Der Abschlussbericht der Unterkommission rechtfertigt dieses Vorgehen mit der hohen Zahl der Zustimmungen. So hat die Auswertung aller schriftlichen und mündlichen Rückmeldung ergeben, dass mehr als 300 Konzilsväter für die Einfügung des neuen Kapitels gestimmt haben, sich aber keiner strikt dagegen ausgesprochen hat. S. AS 3/1, 208.
354 S. MELLONI, Der Beginn der zweiten Konzilsperiode, 95ff.
355 PHILIPS, Die Geschichte der dogmatischen Konstitution, 146.
356 Hierbei ist zu beachten, dass das Konzil vor allem das Kapitel II über die Hierarchie (Kollegialität der Bischöfe, Diakonenamt) und über die geplante Einfügung des Marienschemas in die Kirchenkonstitution heftig und lange diskutiert. S. MELLONI, Der Beginn der zweiten Konzilsperiode, 75–94, 112–117. Insgesamt liegen etwa 3000 Änderungsvorschläge vor. S. GROOTAERS, Le rôle de Mgr. G. Philips, 362.
357 S. auch für das Folgende: MELLONI, Der Beginn der zweiten Konzilsperiode, 128–133.
358 ACERBI, Due ecclesiologie, 331. S. hierzu auch den Abschlussbericht der Unterkommission in: AS 3/1, 173.
359 Der neue Abschnitt ist die spätere Nr. 5 von LG, die Hinweise auf die Armut werden in LG 8, Absatz 2 eingearbeitet.
360 S. CONGAR, My Journal, 463.
361 Zitiert bei LAMBERIGTS / DECLERCK, The Role of Cardinal Léon-Joseph Suenens, 103.
362 S. MOELLER, Die Entstehung der Konstitution, 103.
363 S. hierzu den Vorschlag für die Neuordnung des Textes im Suenens-Vorschlag, AS 2/1, 325.
364 Diese Einleitung sollte nach dem Vorschlag Suenens’ lauten: „Nachdem die Heilige Synode das Mysterium der Kirche in seiner ganzen Weite vor Augen geführt hat, richtet es seine Aufmerksamkeit auf die Bedingungen des Volkes Gottes auf der Erde. Dieses Volk, beschenkt mit den Gütern des Erlösers, wird von ihm zu einem Werkzeug der Erlösung zum Heil gemacht und wie das Licht der Welt und Salz der Erde (Mt 5,13) in die ganze Welt gesandt.“ AS 2/1, 325.
365 Der Abschlussbericht der Unterkommission für die Bearbeitung des II. Kapitels nennt als Gründe, die von den Vätern zur Einfügung des neuen Kapitels gegeben werden: 1. Die heilgeschichtliche Dimension, die sich im Begriff „Volk Gottes“ ausdrückt (das Werk Christi wird auf der Erde weitergeführt), 2. die bessere Sichtbarkeit des Dienstcharakters des Amtes, 3. die biblische Fundierung des Begriffs, der die geschichtliche Kontinuität verdeutlicht, 4. dass hier alles behandelt werden kann, das alle Gläubige betrifft, 5. der Hierarchie geht die Grundkategorie „Volk Gottes“ voraus.
366 Der Artikel 2 behandelt den ewigen Heilsratschluss Gottes, alle Menschen nach dem Sündenfall durch Christus durch die Sammlung des Gottesvolkes zum Heil zu führen. Aus den Ausführungen zum Gottesvolk ist der folgende Textabschnitt zur Eingliederung in das neue Kapitel II herausgenommen worden „Haec congregatio iustorum a Sanctis Patribus Ecclesia universales vocatur, ‚quae ab Abel iusto usque ad ultimum electum‘ colligitur Filium autem Pater suum ad hoc praedestinavit (cf Rom 1,4), ut de popolo electo secundum carnem natus, omnes sua morte redimeret, fratresque suos in filios Patris constitueret, eosque non tantum singulatim, quavis mutua connexione seclusa, sanctificaret, sed in Populum Dei, novum genus electum, regale sacerdotium, gentem sanctam (cf 1Petr 2,9) sub uno Capite constitueret.“ Es bleibt nach der redaktionellen Bearbeitung ein neuer aus den weiteren Ausführungen des zweiten Schemas gebildeter und ergänzter Abschnitt bestehen (Ergänzungen in Klammern): „[Credentes autem in Christum convocare statuit in] sancta Ecclesia, quae iam ab origine mundi preafigurata, in historia populi Israel ac foedere antiquo mirabiliter praeparata, in novissimis temporibus constituta, [effuso Spiritu] est manifestata, et in fine saeculorum gloriosae consummabitur.“ Anschließend folgt der weitgehend aus dem zweiten Schema (s.o.) übernommene Satz: „[Tunc autem, sicut apud Sanctos Patres legitur, omnis iusti inde ab Adam], ab Abel iusto usque ad ultimum electum’ in ecclesia universali [apud patrem congregabuntur].“ Aus Artikel 3, der das Heilswerk Christi beschreibt, wird u.a. der folgende Abschnitt entnommen: Christus autem novus foedus instituit et es Iudaeis ac Gentibus plebem vocavit, quae non secundum carnem sed in Spiritu ad unitatem coalesceret, essetque novus Populus Dei. Sicur vero Israel secundum carnem, qui in deserto peregrinabatur, Dei Ecclesia appellatus est (cf Num 20,4; Dtn 23,1ff.), ita novus Israel qui in praesenti saeculo incedens futuram eamque manentem civitatem inquirit (cf Hebr 13,14).“
367 Offenbar hat die Unterkommission die Verschiebungen im Gesamtgefüge der Konstitution zum Zeitpunkt der Bearbeitung noch nicht gesehen. Die Diskussion dort ist beherrscht von der Klärung der Kontroversfragen zum gemeinsamen Priestertum und dem „sensus fidei.“ S. MELLONI, Der Beginn der zweiten Konzilsperiode, 131f.
368 Vgl. AS 3/1, 158–375, 208–210.
369 Vgl. AS 3/1, 209
370 Vgl. AS 3/1, 210.
371 Vgl. AS 3/1, 210.
372 „So aber betet und arbeitet die Kirche zugleich, dass die Fülle der ganzen Welt in das Volk Gottes eingehe, in den Leib des Herrn und den Tempel des Heiligen Geistes, und dass in Christus, dem Haupte aller, jegliche Ehre und Herrlichkeit dem Schöpfer und Vater des Alls gegeben werde“ (Nr. 17).
373 Es gehört zu den Zielen der Bearbeitergruppe, durch die in Nr. 6 aufgezählten biblischen Bilder die anschließende Darstellung der Kirche als „Leib Christi“ vorzubereiten, da es sich hier um „mehr als ein Bild“ handelt. S. AS 3/1, 173.
374 Vgl. ACERBI, Due ecclesiologie, 336f.
375 AS 3/1, 210.
376 Vgl. AS 3/1, 322f.
377 S. VILANOVA, Die Intersessio, 423f. Das vormalige Kap. IV war mit Rücksicht auf die Diskussionen um das Apostolat und die Spiritualität der Laien (s. Kap. 1.3.1) bewusst so gehalten worden, dass es ohne vorgängige Differenzierung von Laien und Ordensleuten zugleich handelte. Autor dieses Kapitel war Gustave Thils. S. PHILIPS, Carnets concilaires, 112.
378 S. WULF, Kommentar zu Kapitel V und VI, 285ff.
379 Vgl. AS 3/1, 308.
380 Das Kapitel war von Johannes XXIII. im Mai 1962 angeregt worden. Larraona ist zu diesem Zeitpunkt Präfekt der Ritenkongregation. Der thematische Schwerpunkt der Vorlage liegt auf der Heiligenverehrung. S. KOMONCHAK, Unterwegs zu einer Ekklesiologie der Gemeinschaft, 57f. Der ursprüngliche Titel des Textes war „De consummatione sanctitatis in Gloria Sanctorum“. S. AS 3/1, 351.
381 SEMMELROTH, Kommentar zu Kapitel VII und VIII, 315f. Zu den Bearbeitern des Kapitels gehören u.a. Rahner, Moeller und Congar. S. HÜNERMANN, Kommentar, 505.
382 S. zu den letzten Bearbeitungsschritten dieses Kapitels S. VILANOVA, Die Intersessio, 426–431.
383 Vgl. VILANOVA, Die Intersessio, 487.
384 Zum einen hatten sich viele Konzilsväter bereits vor Beginn der dritten Sitzungsperiode mit dem Text beschäftigt und kleinere Änderungsvorschläge eingegeben, zum anderen sieht der Zeitplan nur eine Debatte über die neuen Kapitel VII und VIII vor. Die anderen Kapitel werden bereits abgestimmt. S. KOMONCHAK, Unterwegs zu einer Ekklesiologie der Gemeinschaft, 47. Für die Eingaben zu den unterschiedlichen Kapiteln s. Ebd., 49–72. Für das II. Kapitel notiert Congar, dass die eingereichten Modi sich nur auf kleinere, vor allem stilistische Änderungen beziehen. CONGAR, My Journal, 614.
385 Zur turbulenten Abschlusswoche der dritten Sitzungsperiode und zur Abstimmung s. TAGLE, Die „Schwarze Woche“ des Konzils, besonders 458.
386 Laut Alois Grillmeier ist die Konstitution eine „Synthese des kirchlichen Selbstverständnisses von einst und von heute und die Frucht verschiedener Bewegungen der Gegenwart: des biblischen, liturgischen, pastoralen, ökumenischen und gesamtdogmatischen Aufbruchs unseres Jahrhunderts.“ GRILLMEIER, Geist, Grundeinstellung und Eigenart der Konstitution, 140.
387 S. MOELLER, Die Entstehung der Konstitution, 93. ROUSSEAU, Die Konstitution im Rahmen der Erneuerungsbewegungen, 29f.; SCHMAUS, Das gegenseitige Verhältnis von Leib Christi und Volk Gottes im Kirchenverständnis, 14f.; BAUM, Bemerkungen zum Verhältnis zwischen Israel und der Kirche, 576–579.
388 S. MOELLER, Die Entstehung der Konstitution, 98; ROUSSEAU, Die Konstitution im Rahmen der Erneuerungsbewegungen, 30.
389 SEMMELROTH, Die Kirche, das neue Gottesvolk, 376ff.
390 S. GONZÁLEZ HERNÁNDEZ, Das neue Selbstverständnis der Kirche, 173f; SCHMAUS, Das gegenseitige Verhältnis, 24. SEMMELROTH, Die Kirche, das neue Gottesvolk, 372; MOELLER, Die Entstehung der Konstitution, 92, 103; GRILLMEIER, Geist, Grundeinstellung und Eigenart der Konstitution, 147.
391 Vgl. PHILIPS, Die Geschichte der dogmatischen Konstitution, 150.
392 S. AS 3/1, 209f.
393 Vgl. KOMONCHAK, Unterwegs zu einer Ekklesiologie der Gemeinschaft, 51.
394 S. PHILIPS, Die Geschichte der dogmatischen Konstitution, 152. Jan Witte deutet das zweite Kapitel als eine Ableitung aus dem im ersten Kapitel dargelegten Grundverständnisses der Kirche als Sakrament. S. WITTE, Die Kirche „sacramentum unitatis“, 426f; MOELLER, History of Lumen Gentium’s Structure and Ideas, 128; Alois Grillmeier schreibt zur Verbindung von erstem und zweitem Kapitel: „Dieses Kapitel [II] bietet darum eine neue Betrachtung der ganzen Wirklichkeit der Kirche unter dem Gesichtspunkt ‚Volk Gottes‘“. GRILLMEIER, Kommentar zu „Lumen gentium“, 176. In ähnlicher Weise sieht Peter Hünermann in Kapitel II eine Ergänzung des ersten. Während Kapitel I die Kirche als Werk des dreieinen Gottes beschreibe, stelle Kapitel II die Kirche als handelndes Subjekt der Geschichte dar. S. HÜNERMANN, Kommentar, 371. Eine eigene Lesart hat Antonio Acerbi. Er sieht in Kapitel I eine Darstellung des inneren Lebens der Kirche im Bild des „Mystischen Leibes Christi“, in Kap. II ihre äußere, gesellschaftliche Manifestation. S. ACERBI, Due ecclesiologie, 508. Dagegen erinnern Rahner / Vorgrimler an den ursprünglichen Plan, nach dem Kapitel II als Einleitung für die folgenden Kapitel gedacht war. RAHNER / VORGRIMLER, Einleitung zu „Lumen gentium“, 107.
395 Dabei wird diese grundlegende Bestimmung an einigen Stellen durchaus rezipiert. S. z.B. LG 21, 28. Hünermann erläutert dazu, dass sich das dritte Kapitel im Wesentlichen an LG 8 und im Sprachgebrauch an die vorkonziliare Diskussion anschließt. S. HÜNERMANN, Kommentar, 404.
396 S. LG 18, 25, 26, 27, 29. In LG 28 wird den Priestern der Dienst am „Volk Gottes“ anvertraut, worunter hier offensichtlich die Gläubigen in den Gemeinden verstanden werden. Die Gesamtkirche wird wiederum als „Leib Christi“ bezeichnet. S. hierzu LÖHRER, Die Hierarchie im Dienst des christlichen Volkes, 16f.
397 S. LG 18, 21, besonders eindringlich in LG 23: „Alle Bischöfe müssen nämlich die Glaubenseinheit und die der ganzen Kirche gemeinsame Disziplin fördern und schützen sowie die Gläubigen anleiten zur Liebe zum ganzen mystischen Leibe Christi, besonders zu den armen und leidenden Gliedern und zu jenen, die Verfolgung erdulden um der Gerechtigkeit willen (vgl. Mt 5,10). […] Im Übrigen aber gilt unverbrüchlich: Indem sie ihre eigene Kirche als Teil der Gesamtkirche recht leiten, tragen sie wirksam bei zum Wohl des ganzen mystischen Leibes, der ja auch der Leib der Kirchen ist.
398 LG 19. S. dazu RAHNER / VORGRIMLER, Einleitung zu „Lumen gentium“, 110.
399 S. KLOSTERMANN, Kommentar zu Kapitel IV, 261f.
400 In den 25 Quellenverweisen des Kapitels finden sich sieben ausdrückliche Verweise auf Ansprachen und Enzykliken Pius XII., drei davon beziehen sich auf „Mystici Corporis“. Die einzige Erwähnung des Gottesvolkes in diesem Kapitel ist ebenfalls Mystici Corporis entnommen. Im Zusammenhang mit den Erörterungen über die Gemeinschaft mit den Heiligen heißt es in LG 50: „Denn wie die christliche Gemeinschaft unter den Erdenpilgern uns näher zu Christus bringt, so verbindet auch die Gemeinschaft mit den Heiligen uns mit Christus, von dem als Quelle und Haupt jegliche Gnade und das Leben des Gottesvolkes selbst ausgehen.“
401 Diese Tatsache kann tatsächlich überraschen, da ein Blick auf die redaktionelle Nachbearbeitung zeigt, dass es etwa in LG 48 bedeutende Erweiterungen zur Darstellung des heilsgeschichtlichen Zusammenhang gegeben hat. S. ALBERIGO / MAGISTRETTI, Synopsis, 207ff.
402 LG 48. Insgesamt entsteht der Eindruck, es hier mit einer „streitenden, leidenden und triumphierenden Kirche“ zu tun zu haben. S. SEMMELROTH, Kommentar zum siebten und achten Kapitel von „Lumen Gentium“, 318.
403 Vgl. LG 2, 9, 13, 17, 21, 26, 44, 68, 69.
404 Vgl. LG 4, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 23, 28, 30, 31, 32, 33, 41, 50.
405 Vgl. LG 25, 26, 27, 29, 45, 62. Zwar verwendet die Kirchenkonstitution für die genannten drei Themen vornehmlich den Begriff „Volk Gottes“, sie verwendet ihn allerdings nicht exklusiv, sondern auch in Ergänzung mit anderen biblischen Bildern. In LG 30, dem ersten Artikel des Kapitels über die Laien wird die Gemeinschaft aller Gläubigen im Bild des Leibes Christi ausgedrückt: „Die geweihten Hirten […] wissen ja, dass sie von Christus nicht bestellt sind, um die ganze Heilsmission der Kirche an der Welt allein auf sich zu nehmen, sondern dass es ihre vornehmliche Aufgabe ist, die Gläubigen so als Hirten zu führen und ihre Dienstleistungen und Charismen so zu prüfen, dass alle in ihrer Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenarbeiten. Wir alle müssen nämlich, ‚indem wir die Wahrheit in Liebe tun, in allem auf ihn hin wachsen, der das Haupt ist, Christus: von ihm her besorgt der ganze Leib durch ein jedes hilfreiche Gelenk zusammengefügt und zusammengehalten, kräftig nach dem Maß eines jeden Teiles, das Wachstum des Leibes zum Aufbau seiner selbst in Liebe’ (Eph 4,15–16)“ (LG 30). Mit Verweis auf Röm 12,4f. wird das Bild des „Leibes Christi“ auch in LG 32 bemüht, um die Einheit aller Glieder des Gottesvolkes deutlich zu machen, die dann im direkt anschließenden Abschnitt noch einmal durch den „Volk Gottes“-Begriff verdeutlicht wird.
406 S.o. Kap. 2.1.2.
407 S. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 371f. Offensichtlich ist die gefundene Formel „signum et instrumentum seu quasi sacramentum“ bereits Anfang März 1963 in der Phase der Erarbeitung des zweiten Schemas entstanden. Sie stellt nach der Darstellung Congars einen Kompromiss auf eine ausführliche Kritik Ottavianis an diesem Begriff dar. S. CONGAR, My Journal, 270.
408 SEMMELROTH, Die Kirche als Sakrament des Heiles, 319.
409 Vgl. RAHNER, Beiträge, 62f. S. hierzu ausführlicher Kapitel 3.2.
410 S. PHILIPS, The Church, Mystery and Sacrament, 191. Hierin lag die Gefahr einer zu stark akzentuierten „Leib Christi“-Theologie, bei der eine Ineinssetzung von Christus und Kirche (Kirche als Fortsetzung der Inkarnation) gedroht hatte. Dagegen hatten verschiedene Theologen interveniert. S. als ein Beispiel: CONGAR, Christologisches Dogma und Ekklesiologie, 65–104.
411 S. Deutsches Schema I,8a.
412 S. Deutsches Schema I,8b und 8c.
413 Vgl. SEMMELROTH, Die Kirche als Sakrament des Heiles, 320ff.
414 SEMMELROTH, Die Kirche als Sakrament des Heiles, 321.
415 Insofern ist zunächst Christus selbst als eingeborener Sohn Gottes das „Mysterium“ Gottes schlechthin. S. PHILIPS, The Church, Mystery and Sacrament, 188f.
416 Laut Wassilowsky ist diese Idee auch leitend bei der Erstellung des „Deutschen Schemas“. S. WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 330f.
417 S. VLIET, Communio sacramentalis, 208f.
418 Kardinal Frings beklagt aus Sicht der deutschen Bischofskonferenz in seiner Konzilsrede am 30. September 1963, dass im neu gestalteten Schema die Vielzahl der biblischen Begriffe für die Kirche nicht noch stärker auf den Grundbegriff „Ursakrament“ hin zusammengefasst wurde. S. AS 2/1, 343. Aufschlussreich ist ein Ausschnitt einer Diskussion zwischen Charles Moeller und Yves Congar 1966 anlässlich eines Kongresses in der Notre Dame University. Moeller hatte hier in einem Einführungsvortrag über die Ideengeschichte der Kirchenkonstitution den „Mysterium“-Begriff erläutert und Verbindungen zum I. Vatikanum (Zeichen, aufgerichtet in den Nationen) und zur deutschen Nachkriegstheologie gezogen. S. MOELLER, History of Lumen Gentium’s Structure and Ideas, 124f. In der anschließenden Diskussion fragt Congar, ob das Konzil nicht bewusst den Begriff „Ursakrament“ vermieden habe. Moeller stellt daraufhin noch einmal die Konzeption „Ursakrament“ dar und verweist auf die zweite Lesart der Kirche als „Mysterium“ im Sinne der heilsgeschichtlichen Offenbarung der trinitarischen Dimension. Congar antwortet darauf: „[…] For my part, I believe that the Council takes the term in the second sense you have mentioned. Ursakrament is a theory of tract on the sacraments; but it is much more – it brings out the idea of the historical sign of grace, the historical form that grace takes in the world.“ S. MEDINA ESTEVEZ / MOELLER / LUBAC, Session VI Discussion, 177. Die Hereinnahme von LG 1 in das erste Kapitel (statt wie vorher: Einleitung der gesamten Konstitution) ist ein weiterer Hinweis für die vermutete Bevorzugung der „Mysterium“-Idee des Sakramentsbegriffs. Auch Philips kritisiert in der Rückschau das deutsche Schema und seine Konzeption um den Begriff des Ursakraments. S. PHILIPS, Carnets concilaires, 94. Erschwerend kommt hinzu, dass Charue als Leiter der Unterkommission zur Bearbeitung des Kapitels I ausgerechnet Joseph Fenton, einen erklärten Gegner des „Sakraments“-Begriffes mit der Bearbeitung dieses Themas betraut hatte. S. MELLONI, Der Beginn der zweiten Konzilsperiode, 130.
419 Dies ist besonders bei Karl Rahner der Fall. S. z.B. RAHNER, Konziliare Lehre der Kirche, 499–509. S. auch SEMMELROTH, Die Kirche als Sakrament des Heiles, 323, 333–340. Den Zusammenhang erläutert PESCH, Das Zweite Vatikanische Konzil, 161f und 164f.
420 S. Deutsches Schema II,1.
421 Henri de Lubac macht dies in besonderer Weise deutlich: „For the Church is ‚the visible and mystical body of Christ‘; she is ‚the sacrament, sign, and instrument of union with God and of the unity of the human race’ (art 1). There is not a sentence of the Constitution which, with the nuances needed in the applications, does note state or at least suppose this.“ LUBAC, Lumen Gentium and the Fathers, 156.
422 WASSILOWSKY, Universales Heilssakrament, 335.
423 S. für das Folgende SEMMELROTH, Die Kirche als Sakrament des Heiles, 326f.
424 SEMMELROTH, Die Kirche als Sakrament des Heiles, 326.
425 Vgl. SEMMELROTH, Die Kirche als Sakrament des Heiles, 329.
426 Vgl. SEMMELROTH, Die Kirche als Sakrament des Heiles, 341, 347f.
427 Hünermann sieht daher die in Kapitel II unter dem Begriff „Volk Gottes“ dargestellten Inhalte als Ausführungen bzw. Ergänzungen zum „Mysterium“ als theologischem Leitwort der Kirchenkonstitution. S. HÜNERMANN, Kommentar, 402f.
428 In Kurzfassung: 1. Einordnung von LG 1 unter das erste Kapitel, 2. Umverteilung von Teilen des Stoffes aus Kapitel I auf das spätere Kapitel II, 3. Einschränkung durch die bloß analoge Sprechweise in LG 1 („veluti sacramentum“), 4. Abschwächung des mit dem Konzept des „Ursakrament“ Gemeinten, 5. Seltene Verwendung des Begriffs (4 Verweise) in der Konstitution.
429 1. Einfügung eines eigenen Kapitels mit der Überschrift „Volk Gottes“, 2. Leitkategorie bei der Darstellung der realen, zeitlichen Gestalt der Kirche (Kapitel III-VI), 3. Häufige Verwendung des Begriffs in der Konstitution (Verweise in 31 von insgesamt 69 Artikeln).
430 Kapitel VII kommt, wie gesehen, erst Anfang 1964 zur Einarbeitung hinzu (s. Kap. 2.1.3).
431 Beispiele hierfür sind der neugefasste 1. Absatz im Kapitel über die Laien (LG 30), der heilsgeschichtliche Einschub in LG 36, die Verfassung des ersten Abschnitts in Kapitel VII (LG 48), sowie weitere Ergänzungen in LG 50, der Einleitungsartikel zu Kapitel VIII (LG 52) sowie der fast komplett neu erstellte heilsgeschichtlichen Abschnitt des Kapitels (LG 55–599, außerdem der letzte Artikel der Konstitution (LG 69).
432 PHILIPS, Die Geschichte der dogmatischen Konstitution, 152.
433 Auch aus formalen Gründen kann eine gewisse Eigenständigkeit der beiden Kapitel konstatiert werden. Sie folgen als einzige nicht konsequent der sakramentalheilsgeschichtlichen Grundperspektive der Gesamtkonstitution.
434 Zudem enthält LG 54 die Einleitung zu einer eigenständigen Erklärung.
435 S. RATZINGER, Die Tochter Zion, 20–23, 26f.
436 S. hierzu auch die Beschreibung Marias als „neue Eva“ in LG 55. S. RATZINGER, Die Tochter Zion, 15ff.
437 So handeln LG 48 und LG 60 von der Gnadenmittlerschaft Christi, LG 49 und 65 von der Vollendung der Kirche, LG 50f und LG 66f von der Verehrung der Heiligen insgesamt bzw. Marias im Speziellen.
438 S. VITALI, Lumen gentium, 32f.
439 Ebd., 33.
440 Vgl. Ebd., 34f.
441 Vgl. hierzu die beiden fast gleichlautenden Abschlüsse der Absätze: „So aber betet und arbeitet die Kirche zugleich, dass die Fülle der ganzen Welt in das Volk Gottes eingehe, in den Leib des Herrn und den Tempel des Heiligen Geistes, und dass in Christus, dem Haupte aller, jegliche Ehre und Herrlichkeit dem Schöpfer und Vater des Alls gegeben werde“ (LG 17). „Alle Christgläubigen mögen inständig zur Mutter Gottes und Mutter der Menschen flehen, dass sie, die den Anfängen der Kirche mit ihren Gebeten zur Seite stand, auch jetzt, im Himmel über alle Seligen und Engel erhöht, in Gemeinschaft mit allen Heiligen bei ihrem Sohn Fürbitte einlege, bis alle Völkerfamilien, mögen sie den christlichen Ehrennamen tragen oder ihren Erlöser noch nicht kennen, in Friede und Eintracht glückselig zum einen Gottesvolk versammelt werden, zur Ehre der heiligsten und ungeteilten Dreifaltigkeit“ (LG 69).
442 Vgl. MÜLLER, Katholische Dogmatik, 634–641.