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Ein Zeppelin über Antwerpen.

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Die Antwerpener waren um den Ausgang des kaum begonnenen großen Krieges unbekümmert.

Um was sollten sie sich auch sorgen? Antwerpen war befestigt. Doch nicht so, wie die anderen Festungen in Europa oder sonst wo, — nein, die Sachverständigen hatten es gesagt und die Zeitungen der ganzen Welt hatten es gedruckt! Antwerpen ist die stärkste Festung der Welt.

Das stimmte, musste stimmen. Denn man hatte sich‘s was kosten lassen. Soviel Zeit und so viel Geld war noch niemals auf die Befestigungen einer Seehafenstadt verwendet worden.

Bare zwölf Millionen hatten die riesigen Eisen- und Betonanlagen, die Panzertürme und die Stauwehre und was sonst die Stadt, außer den zwölf mächtigen Forts schützen sollte, gekostet. Und für das viele Geld, das die reichen Antwerpener dafür ausgegeben hatten, durfte man wohl auch erwarten, dass man vom Feinde unbehelligt bliebe. Und schließlich war die ganze Kriegssache ja nur eine kleine Episode in dem alltäglichen Einerlei der unaufhörlichen Vergnügungen, in denen Antwerpen und seine Bürger aufgingen.

Zudem hatte die französische Heeresleitung es ja ausposaunt, dass es mit Deutschland ein schlechtes Ende nehmen würde. Und in russischen Zeitungen konnte man lesen, dass Berlin bald aufgehört haben würde, zu bestehen.

Doch nicht genug damit. Man tuschelte und erzählte sich in vertrauten Kreisen von dem Geheimbund der französischen Flieger. Das waren Kerle, die die Welt in Erstaunen setzen werden!

Die französischen Zeitungen hatten schon hier und da Andeutungen gemacht. Und was in den Zeitungen stand, das wurde von Mund zu Mund weitergetragen und schließlich wusste das jeder in ganz Belgien, dass das französische Geheim-Flieger-Geschwader den ganzen Krieg entscheiden und fast allein führen würde.

Wer‘s nicht glauben wollte, dem wurden Zahlen genannt. Und Zahlen pflegen zu überzeugen. Einer raunte dem andern lächelnd ins Ohr: nur getrost, lieber Nachbar! Die Einnahme von Lüttich, Namur und Brüssel sind nur militärische Spaziergänge gewesen, die nichts zu bedeuten haben. Jetzt ist das französische Geheim-Flieger-Geschwader mit seinen achtzehn Flugzeugen und sechshundertachtzig Bomben unterwegs. Jede Bombe wiegt fünf Kilogramm. Das sind zusammen dreitausendvierhundert Kilogramm Explosivstoff. Damit wird der deutschen Reichshauptstadt der erste Besuch gemacht werden.

Jeder Flieger hat eine Karte. Er weiß ganz genau, welche öffentlichen Gebäude er zuerst mit den Bomben zu vernichten hat. Sind die Bomben abgeworfen, dann haben sie nur nach Frankreich wieder zurückzufliegen und neuen Vorrat zu holen.

In einigen Tagen wird demnach von Berlin nichts weiter übrig sein, als eine ungeheure Stelle mit Schutt und Ruinen.

Und so, wie es mit Berlin gemacht wird, so soll es mit den andern großen deutschen Städten geschehen.

So hofft man, ohne Landheer und ohne Marine und ohne Artillerie, das Deutsche Reich in knapper Zeit zu vernichten.

Der Plan und die Absicht war vorhanden. Nur schade, dass Plan und Absichten so ganz und gar nicht mit dem Plan und den Absichten der deutschen Heeresleitung übereinstimmten.

Über Lüttich war das Zeppelin-Luftschiff erschienen. und seine abgeworfenen Bomben hatten ungeheure Verwüstungen angerichtet.

Wenn nur nicht diese vermaledeiten Zeppeline auch Antwerpen mit ihrem Besuche beehren wollten. Das stände allerdings nicht im Programm! Diese Besorgnis hatte sich in die Herzen der Antwerpener eingeschlichen und sich darin festgenistet, als nach und nach Mitteilungen über die Furchtbarkeit dieser Lufttorpedos bekannt wurden.

Wozu hatten sie denn diese vielen Millionen für die Befestigungen geopfert, wenn diese dreisten deutschen Luftkreuzer ohne weiteres in ihre geliebte Stadt kommen und alles kurz und klein bombardieren würden? —

In der reichen Seestadt Antwerpen besaß Herr Theodor Müller an der Grand Place ein großes Hotel, das er auf den Namen „Hotel Bellevue“ getauft hatte. Herr Müller stammte aus Köln, war aber schon viele, viele Jahre in Antwerpen ansässig, das durch seine weltbekannten Diamantenschleifereien, seine Zwirnfabriken und durch die Herstellung vorzüglicher Nähseide berühmt ist. Als er als junger Rekrut in einer rheinischen Stadt seiner Militärpflicht genügte, beging er eine Dummheit.

Sein Unteroffizier hatte ihn fester als sonst angepackt und Theodor Müller glaubte, dass er diesen „Zartheiten“ auf die Dauer nicht gewachsen sein würde.

Statt bei seinem Vorgesetzten eine Beschwerde einzureichen, lief er in Zorn und Unmut eines Tages davon und wurde somit — fahnenflüchtig.

Nun war ihm, wenn er nicht reumütig zurückkehrte und die Strafe für sein Vergehen auf sich nahm, das Vaterland versperrt.

Oft war er schon nahe daran, aus Paris, wohin er gewandert war, nach Deutschland und in seine Garnison wieder zurückzukehren und sich der Behörde zu stellen. Doch da hielt ihn Furcht und Scham zurück und so musste er im Auslande bleiben.

Von Paris wanderte er nach Antwerpen, und hier glückte es ihm im Laufe der Jahre, sich ein beträchtliches Vermögen zu erringen.

Von einem kleinen Gasthofsbesitzer hatte er es nach und nach zu dem prächtigen Hotel Bellevue gebracht, das von vielen Fremden, zumeist von Deutschen, gern besucht wurde.

Antwerpen wurde somit seine zweite Vaterstadt.

Im Innern seines Herzens aber blieb er ein guter Deutscher, und jede Gelegenheit, in den belgischen Staatsverband einzutreten, wies er schroff von sich.

Trotzdem zeigte er sich den Antwerpenern als ein äußerst gütiger Menschenfreund.

Nicht hunderte, nein Tausende der armen Antwerpener Bevölkerung wurden in jedem Monat von ihm mit Speise und Trank versehen.

Und wer an seine Tür klopfte, fand stets eine offene Hand und, was besser ist, auch guten Rat.

Es schien, als ob seine Popularität in den Herzen der Antwerpener in herzlicher Dankbarkeit fest begründet sei.

Nun war der Krieg ausgebrochen und die belgischen Zeitungen, geleitet von der belgischen Regierung. hatten die niederen Instinkte des Pöbels erweckt.

Eines Abends hatte sich vor dem eleganten Hotel Bellevue eine nach Tausenden zählende Volksmenge angesammelt.

Ehe der Besitzer die Türen schließen konnte, hatte der Mob das Haus gestürmt, alle Fenster zerschlagen, die Möbel und Geräte zertrümmert und aus dem Fenster geworfen, und alles, was nicht niet- und nagelfest war, gestohlen und fortgeschleppt,

Das vornehme Hotel stand in wenigen Stunden verwüstet da und der Besitzer, ein Wohltäter der Armen, ein Helfer der Bedrängten, war in dieser kurzen Zeitspanne zu einem Bettler geworden, der aus seinem eigenen Heim fliehen musste, um nicht der entfesselten Wut der Menge zum Opfer zu fallen.

Was war menschliche Dankbarkeit!

Sie hassten ihn, diese Antwerpener, und entdeckten mit einem Male, dass er hassenswürdig war. Warum? Weil er ein Deutscher war. Hatte der Hass auf dem Grunde ihrer schwachen Seele nur geschlummert? Oder war er künstlich in ihre missleiteten Herzen gepflanzt worden? —

In einem kleinen Quartier in der Nähe des Hafens hatte er für die Nacht eine Unterkunft gefunden.

Während er verdüstert und einsam in der Schenke saß, hörte er die lebhaft geführten Gespräche mit an.

Wo sich ein Mund auftat, da drang aus rauher Kehle der Ruf: „Tod den Deutschen!“

Jetzt erst, in seiner Niedergeschlagenheit und Verlassenheit, empfand er es mehr denn je, dass er kein Vaterland hatte, das er sein nennen durfte.

Wie oft hatte er in seiner Jugend die Worte des Richters nachgesprochen:


„Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an,

Das halte fest mit deinem ganzen Herzen;

Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft,

Dort in der fremden Welt stehst du allein,

Ein schwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.“

Doch niemals waren sie mit so eindringlicher Gewalt vor seine Seele getreten, wie eben jetzt, da er, von allen verlassen, die ihn im Glück gesucht, ein Bettler geworden war.

Sein ganzes Leben zog jetzt vor seiner tiefbekümmerten Seele vorüber. Und der eine Wunsch, wieder ins deutsche Vaterland zurückzukehren, drängte sich in sein Herz und schlug dort mächtig Wurzel.

Wenn es ihm gelingen sollte, heil aus diesem Lande heraus zu kommen, so war er fest entschlössen, zum Vaterland zurückzukehren, sich dort der Behörde zu stellen, um das Vergehen seiner Jugend zu sühnen und dann unter seinen Volksgenossen ein neues Leben zu beginnen. —

Ein dumpfer, furchtbarer Knall erschütterte die Luft und das laute Geschwätz in der raucherfüllten Taverne verstummte auf einen Augenblick. Alle hatten die Köpfe erhoben und horchten angespannt.

Wieder dröhnte es furchtbar und machte das Haus erzittern.

Jetzt litt es keinen mehr auf seinem Platz. Alles stürmte ins Freie, um zu sehen, was es gab.

Auch Theodor Müller war gefolgt. Auf der Straße liefen und irrten die Menschen erregt durcheinander. Und als er die Hafenstraße mit dem Schwärm hinuntergelaufen war und nun in die große Straße, die zur inneren Stadt führte, einbog, da leuchtete es, wie von einem gewaltigen Blitz. Und wiederum krachte es so schrecklich, dass jeder seinen eiligen Schritt einhielt und vor Schreck nicht weiter konnte.

Plötzlich waren alle Gaslaternen erloschen. Der Himmel hatte sich mit einer feurigen Glut überzogen, und in dem Gewirr flüchtender Menschen erschollen die Rufe: „Die Gasanstalt ist von einer Zeppelinbombe getroffen worden! Ein ganzer Stadtteil brennt!“

Die feurige Lohe schlug zum Abendhimmel auf, und nunmehr flüchtete alles entsetzt und zu Tode erschreckt in die Häuser und in die Keller.

Und wieder und immer wieder fiel Feuer und Schwefel auf die feindliche Stadt hernieder, wie einst aus Sodom und Gomorrha.

Während binnen wenigen Minuten die Straßen sich entleert hatten, stand Theodor Müller allein. Er sah, was seine Landsleute angerichtet hatten, und ein Gefühl, das aus Schauer und Stolz gemischt war, richtete seine gebeugte Seele auf. Und in der tiefsten Kammer seines Herzens lebte der Wunsch auf: Ach, wenn doch die Deutschen dieses sündhafte Antwerpen erobern möchten!

Ihm, dem Bettler, lag an seinem Leben wenig. Er schritt durch die einsamen, dunklen Straßen der Stadt, nach dem Himmel starrend, ob er nicht vielleicht das geheimnisvolle Märchenwunder, dieses gigantische Luftschiff, sehen möchte. Und wenn er, von einem Sprengstück getroffen, sterben sollte, so wollte er diesen Tod doch lieber hinnehmen, als den von den Räuberhänden des plündernden Pöbels. Der Tod würde süß für ihn sein, wenn ihn ein deutsches Geschoss treffen würde. Das wäre eine Sühne, wie sie sich in seinem erregten Kopfe darstellte.

Schwarz und unheimlich waren die Gassen Antwerpens. Alles war in die tiefsten Keller geflüchtet. Er allein, der einsame Wanderer, eilte von Straße zu Straße, bis er in die Nähe des Königspalastes kam, in dem König Albert wohnte, der ein falsches Spiel mit Deutschland getrieben hatte.

Da kam ein tiefer, grollender Ton hoch aus den Lüften. Das Grollen war von einem schnurrenden Summen begleitet, als wenn Millionen wütender Hornissen daherkamen.

Und nun schwebte das Ungetüm hoch über ihm. Das Ungetüm sah aus wie ein gigantischer Vogel aus urweltlichen Zeiten, der nun zurückgekommen war, um die winzigen Menschlein zu strafen.

Geisterhaft grau war die Farbe seines Gewandes. Jetzt flog er direkt auf den Königspalast zu. Eine feurige Lohe stieg vom Himmel zur Erde, und ein entsetzlicher Knall machte alle Häuser beben und wanken.

Der Königspalast war getroffen. Und um sich von dem Erfolge seiner Tat zu überzeugen, ließ der Riesenvogel Scheinwerfer spielen, um sich am Anblick der lohenden Flammengarben zu weiden.

So rasch, wie er am Himmel aufgetaucht war. so rasch war er wieder enteilt und in der Ferne verschwunden.

Und erst nach langen Stunden kamen die verängstigten Bewohner aus ihren Schlupfwinkeln hervor, um die Verwüstungen und die Trümmer anzusehen, die seine Brandbomben hinterlassen hatten.

Noch einige Male kehrte das Luftschiff der Deutschen wieder, und jedes Mal ließ es Angst, Schrecken und Vernichtung zurück.

Als dann Generalfeldmarschall von Beseler mit seinen Tapferen die Forts bezwungen hatte und in Antwerpen siegreich einzog, da atmete Theodor Müller und mit ihm alle Deutschen auf.

Denn nunmehr war es mit dem Schreckensregiment der Belgier zu Ende.

Er stellte sich am nächsten Tage nach dem Einzuge der Militärbehörde und gestand die Dummheit seiner Jugend.

Kaiser Wilhelm, gütig wie immer, verzieh ihm seine Schuld, und so konnte er unter dem Schutze des deutschen Befehlshabers in sein Besitztum wieder einziehen.

Doch nur für kurze Zeit, wie er sagte, denn die Lust am Fremden war ihm vergangen. Ihn zog es mit Macht wieder zur Heimat zurück, zum Vaterlande, denn nur dort wollte er in Frieden seine Tage beschließen.

Flieger- und Luftschiffkämpfe im Weltkriege

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