Читать книгу Flieger- und Luftschiffkämpfe im Weltkriege - Georg Gellert - Страница 7

In Feindeshand gefallen.

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den weiten Platz mit seinen schönen Anlagen und Ruhebänken strahlte die Frühlingssonne.

Jetzt war die Stunde gekommen, zu der der junge Fliegerleutnant immer von dem nahe gelegenen Reservelazarett herüberkam, um in der Sonne ein Stündchen zu sitzen.

Über dem jungen, frischen Gesicht lagerte eine tiefe Schwermut. Sein rechter Arm hing schlaff herab, und auch das rechte Bein schleppte er mühsam nach.

So humpelte er jeden Tag, auf eine Krücke gestützt, durch die Anlagen, um dem Spiele des Springbrunnens zuzuschauen und seine kranken Glieder zu sonnen. Es musste ihn schwer getroffen haben, dass sein Gesicht niemals ein frohes Lachen wiederspiegelte, seit ich ihn täglich beobachtete. Niemals sah ich. dass er sein Gesicht zu einem freundlichen Lächeln verzog, wenn die kleinen Kinder sich zutraulich neben ihn stellten oder zu ihm kamen, um ihm die Hand zu reichen. Wohl nahm er das dargebotene kleine Händchen in die seine, sah das Kind lange und zärtlich an, doch keine freundliche Regung erheiterte seine Gesichtsmuskeln. Nicht einmal das Eiserne Kreuz, das seine Brust schmückte, schien seine Stimmung freundlicher zu beeinflussen. Ernst und schweigend saß er eine geraume Zeit, dann erhob er sich und schleppte seine kranken Glieder wieder heimwärts. Heut, dacht ich, wird der junge Offizier nicht kommen, da der Himmel sich etwas umwölkt hatte und Regen drohte.

Doch da. als ich gerade im Begriffe war, die Bank zu verlassen, sah ich ihn durch die Anlagen humpeln.

Ich nahm also meinen Platz wieder ein und wartete, bis er herangekommen war.

Wie jeden Tag, so begrüßte ich ihn auch heut höflich. Er erwiderte ebenso meinen Gruß. Doch dann, als er Platz genommen hatte, verfiel er wieder in seine schweigende, düstere Stimmung und starrte in die springenden Wasser.

Da bot sich die Gelegenheit, ihm eine kleine Gefälligkeit zu erweisen. Ihm war sein Zigarettenetui entfallen. Ich hob es rasch auf und war ihm beim Entzünden der Zigarette behilflich.

Nachdem er mir gedankt hatte, sah er mich mehrmals prüfend an, als ob er sich durch Augenschein von meiner Vertrauenswürdigkeit überzeugen wollte.

Ich merkte schon, dass wir einander näherkommen würden. Und richtig, kaum hatte dieser Gedanke in mir Wurzel gefasst, da begann der junge Offizier auch schon zu sprechen und folgendes zu erzählen:

„Da, sehen Sie, mein Herr, wie recht alt ich eigentlich schon trotz meiner vierundzwanzig Jahre bin. Alt und hinfällig und — Gott sei’s geklagt! — ein Krüppel, der sich nie wieder erheben wird. Wenn ich vom „Erheben“ spreche, so denke ich an meinen nunmehr beendeten Beruf. Ich war bei der Fliegertruppe tätig.

Das und das und noch einiges dazu“ — er deutete mit der linken Hand auf seine verwundeten Glieder — „habe ich davongetragen.

Nur verstehen Sie mich recht, ich sage nicht, dass ich irgendwie durch den Verlust meiner Glieder und der Gebrauchsunfähigkeit niedergeschlagen bin. Was mich traurig stimmt, und was ich nie verwinden kann, das ist, dass ich dem Vaterlande nicht mehr nützen und ihm meine Kraft nicht mehr weihen kann.

Und, Gott weiß es, wie begeistert zog ich in den Krieg, wie gern setzte ich meine Kraft und mein Leben ein, um gegen die schändlichen Feinde zu kämpfen, die unser liebes Deutschland so heimtückisch überfallen haben.

Jetzt bin ich ein etwas griesgrämiger Bursche geworden. Doch früher war ich so fidel, bei der ganzen Fliegertruppe konnte es keinen lustigeren Menschen geben.

Es war am 20. August 1914, in den ersten Wochen nach Ausbruch des Krieges. Ich führte eine Rumpler-Taube. Meine Maschine liebte ich, wie eben ein Krieger seine Waffe, auf die er stolz ist, lieben kann, wie ein Seemann sein Schiff liebt und pflegt, so liebte und pflegte ich meine Taube. Ja, das war ein prächtiges Flugzeug! Das Herz ging mir auf, wenn ich sein Eisen- und Nickelwerk blitzen und blinken sah.

Am 20. August 1914 also erhielt ich den Befehl, die in unseren Reihen böse Verwüstungen anrichtende, versteckte belgische Batterie zu erkunden.

Es war zwischen Lüttich und Namur, bei Ambresin.

Das Land war nicht besonders interessant.

Ebene wechselte mit kleinen Erhebungen, dann breiteten sich wieder große Moore und dann wieder mal weite Sümpfe aus. Wir mussten höllisch aufpassen, wenn wir die Absicht hatten, irgendwo niederzugehen, um dem in allen Flecken und Orten versteckten, tückischen Feind nicht in die Hand zu fallen. Denn Sie wissen ja wohl, was wir mit den belgischen Franktireurs für mörderische Kämpfe zu bestehen hatten.

Das blitzte und funkte aus allen Dörfern und Häusern, von den Bäumen, auf denen sie sich hoch oben versteckt hatten, schossen sie, ebenso aus für uns unzugänglichen, gut versteckten Mooren. Kurz, überall her. wo sich nur ein Feldgrauer sehen ließ, da knallte es schon.

Eine heimtückische Bevölkerung.

Also, wie gesagt, zwischen Lüttich und Namur war es. Der Tag war heiß und drückend. Die Luft war erfüllt von dem Donner der Geschütze.

Man sah hoch oben am Himmelsraum die Wölkchen der Schrapnells, doch man sah nicht, aus welcher Richtung sie kamen, wo die Batterien sich versteckt hielten.

Bei uns gab es mächtig viel Verwundete. Die Führer wurden schon nervös, da unsere Artillerie nicht blind drauflos schießen konnte. Wir stiegen also auf und sausten in tausend Meter Höhe durch den Himmelsraum. Herrgott, war das herrlich und schön, so frei und hoch da hinzufliegen?

Ich war noch keine vier Kilometer weit gekommen, da hatte ich schon eine Batterie entdeckt.

„Viktoria!“ rief ich, und mein Begleiter ließ flugs eine Rauchbombe fallen. So, jetzt konnte unsere Artillerie ihre Eisenrohre einstellen. „Wo ein Sperling ist. müssen noch mehrere sein!“ dachte ich. Ich, nicht faul, umkreise in weitem Bogen das Gefechtsfeld. Unter mir, in langen Schützengraben, liegen die Belgier den Unsrigen gegenüber.

Ich sehe den feinen Pulverdampf, ich sehe das Blinken der Gewehrläufe im grellen Sonnenlicht. aber von den andern versteckten feindlichen Batterien kann ich vorläufig noch nichts entdecken.

Da — hinter grünem Laub versteckt und zugedeckt, blitzt es auf.

„Halt“, sage ich, „da haben wir die zweite.“

Ich schraube mich höher, da ich schon eine geraume Weile vom Feinde beschossen werde.

Mein Begleiter lässt pflichtschuldigst seine Rauchbomben fallen, und wenige Minuten darauf heulen die deutschen Granaten heran und bringen die Feinde zum Schweigen. Das ging mal rasch und war von Erfolg gekrönt. —

Doch jetzt hatten sich die Belgier mit mir und meiner Taube beschäftigt.

Von allen Seiten schickten sie Schrapnells herauf. Aus Gewehren wurde ich beschossen. Die Maschinengewehre schickten unaufhörlich ihre bleiernen Grütze herauf.

Ich will zurück, merke aber durch einen Ruck, der durch die ganze Maschine geht, dass der Apparat getroffen ist.

Der Motor rattert noch, setzt aber aus, und eben, als ich mich niederbeuge, um zu sehen, ob der Benzinbehälter oder der Vergaser getroffen ist, da hört das Rattern des Motors mit einem Male auf. Ich habe die Gewalt über den Apparat verloren und sause jäh und rasch in die Tiefe.

Ich konnte in diesem Augenblick, wo alles in meinem Hirn durcheinander wirbelte, keinen klaren Gedanken fassen. Ich wusste nur, dass es mit mir und mit meinem Kameraden zu Ende ist, und dass ich in den nächsten Sekunden zerschmettert auf dem Schlachtfelde niedersausen musste.

Doch es ging, wenn man will, glimpflicher ab, als ich vermuten konnte.

Der Apparat sauste blitzschnell hernieder und schlug auf eine große Pappel auf, die an der Chaussee stand.

Dadurch wurde der Absturz gemildert, und wir kamen so leidlich heil auf der Mutter Erde an.


Ein getroffenes feindliches Flugzeug stürzt vor den deutschen Schützengräben ab.

„Bist du verwundet?“ frage ich meinen Kameraden.

„Nein!“ sagt er. „Ich habe keine Schmerzen. Mir fehlt nichts.“

„Ich bin auch heil davongekommen. Also: Raus aus dem Kasten!“

Wir klettern beide von unsern Sitzen, und ich greife instinktiv nach meinem Revolver, der mich Tag und Nacht nicht verlässt, — den berge ich in meiner Tasche und stecke auch noch eine Handvoll Patronen hinzu.

Ich, als erster, stehe wieder fest auf den Füßen. Ich bin noch dabei, meinem Kameraden herunterzuhelfen, da schlägt eine Kugel dicht neben mir in mein schönes Flugzeug, das nunmehr zu Tode getroffen, zerbeult und zertrümmert und mit zerbrochenen Flügeln dalag.

Sein Verenden ging mir so nahe, dass ich mich wegwenden musste, um nicht weich zu werden.

„Es wird eine verirrte Kugel sein“, sagte ich mir. „die zufällig hier herübergeflogen ist. Denn wir waren ja mitten im Gefechtsfeld niedergegangen.“

Das war wohl richtig, aber wir konnten nicht wissen, dass die Unsrigen schon längst vorgestürmt waren und den Feind aus seinen Stellungen vertrieben hatten.

Um uns herum lagen die Verwundeten und Toten, Freund und Feind.

Wir waren unschlüssig, wohin wir uns zu wenden hätten. Denn wir waren von dem Sturz und von der neuen Situation noch ziemlich betäubt.

Wohin wir unsere Schritte lenkten, — wir konnten dem Feinde gerade in die Arme laufen und gefangen genommen werden.

Unsere kritische Lage wurde nicht rosiger, als eine Granate hinter uns in eine Pappel fuhr und sie zu Fall brachte. Vielleicht — so sagten wir uns — könnten uns die Verwundeten einen Anhalt geben. Sie müssen ja wissen, nach welcher Richtung die ihrigen abgezogen sind.

Wir gehen auf das Schlachtfeld zu. hier, in diesen verlassenen Gräben, liegen tote Belgier. Ein Stück weiter hin, finden wir einen toten Feldgrauen.

Doch da liegt ein Korporal, der am Bein verwundet ist.

Wir beugen uns zu ihm nieder, fragen, ob wir ihm helfen könnten.

Das schmerzverzerrte Gesicht des Mannes wird mit einem Male ruhig.

„Ja“, sagt er mit erzwungener Ruhe, „Sie sind ja wohl die Flieger, die abgeschossen sind?“

Wir bejahen.

Mein Kamerad lässt sich auf ein Knie nieder und sucht in seinem Tornister nach einem Verbandpäckchen.

Da mir der Anblick der heftig blutenden Wunde unangenehm war, sah ich fort und meinem Kamerad zu, wie er in dem Tornister herumsucht, um die Verbandgaze zu finden.

Da kracht ein Schuss.

„Mein Gott!“ ruft mein Kamerad, „ich bin getroffen!“

Ich springe zu ihm hin. Da sehe ich, dass der Korporal den tödlichen Schuss heimtückisch auf ihn abgegeben hat. Den Samariter, der ihm die Wunde verbinden wollte, hatte er meuchlings niedergestreckt.

Da war für mich keine Wahl. Zudem sah ich. dass der verwundete Feind seine Waffe von neuem erhoben hatte, um nach mir zu schießen.

Er schoss — doch der Schuss ging fehl. Dafür aber schickte ich ihn in die Ewigkeit.

Mein Kamerad, um den ich mich bemühte, war tot.

Mitten in die Brust getroffen, lag er da.

Ein grausames Geschick hatte mir einen lieben Freund, dem deutschen Heere einen tapferen Streiter geraubt. —

Die Waffe hielt ich noch in der Hand. Jetzt wusste ich nicht, wohin mich wenden.

Es war, als ob alle die verwundeten Krieger, die auf dem braunen Acker in ihrem Blute lagen, nur von dem einen Wunsch beseelt schienen, mein Lebenslicht auszublasen.

Wohin ich meine Augen wendete, sah ich Anstrengungen, die darauf abzielten, mich zu töten.

Noch erinnere ich mich eines jungen Menschen, dessen linker Arm getroffen, schlaff herunterhing, der mit der ihm verbliebenen Rechten das Gewehr immerfort auf mich abfeuerte.

Als die Patronen der Gewehrkammer verschossen waren, versuchte er mit der einen ihm verbliebenen Hand, von neuem zu laden.

Ging es ihm zu langsam, oder mochte es ihm nicht gelingen, — genug, ich sah ihn mit einem Male auf mich zuwanken. Er hielt das Gewehr in der einen Hand.

Seine Augen glühten zornig, als er auf mich zukam und mit einem Fluche das Gewehr erhob. Er versuchte, mit dem Kolben mir den Schädel einzuschlagen.

Da blieb mir nichts weiter übrig, als mich zu verteidigen.

Ein Wutgebrüll stießen die nächstliegenden Verwundeten aus, als sie den kurzen Kampf mitansahen.

Und unablässig flogen die Kugeln über mich hinweg, an mir vorbei, bis dann endlich Arm und Bein getroffen waren.

Ich bin sicher, sie hätten mich vollends umgebracht, wenn nicht deutsche Feldgendarmen gekommen wären, die mich aus der misslichen Lage befreiten und zu einer Sanitätswache brachten.“

Der Erzähler hielt inne, und ich wagte nicht, die Stille durch eine Frage zu entweihen.

Ein Kämpfer, ein junger Held war es, der mir erzählt hatte, wie er im Kampfe für das Vaterland kampfunfähig geworden war.

Nach einer kleinen Pause fuhr er fort:

„In einem Etappenlazarett wurde ich verbunden, und dann ging es nach Hause.

Ein paar Sehnen am rechten Arm gingen zu Schanden, und mein Bein blieb steif. —

Nun wissen Sie mein kleines Erlebnis. Fliegen werde ich nun wohl nicht mehr können. Nur ein Flug steht mir noch bevor: den meine Seele dereinst am letzten Tage nehmen wird. Das wird dann mein letzter Aufstieg sein.“

Der junge Held erhob sich, grüßte und ging.

Ich sah ihm lange nach.

Ihm und seinesgleichen schuldet das Vaterland ewig Dank. Er zählt zu den tapfern Kämpfern, die Deutschland vor dem Untergange bewahren halfen.

Flieger- und Luftschiffkämpfe im Weltkriege

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