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»Sisi’s warme Herzlichkeit und Freude« Die Wahrheit über Elisabeth und ihre Schwiegermutter
ОглавлениеDas Klischee der bösen Schwiegermutter
Historiker und Biografen haben sich da eine wunderbare Geschichte ausgedacht, die das so gern verwendete Klischee der bösen Schwiegermutter perfekt untermauert. Das Bild wurde in Dutzenden Biografien über Jahrzehnte aufrechterhalten, ehe es der Regisseur Ernst Marischka übernommen und in seinen Sissi-Filmen meisterhaft inszeniert hat: Erzherzogin Sophie, die Mutter Kaiser Franz Josephs, und dessen Frau Elisabeth wären demnach erbitterte Widersacher gewesen, die sich nicht ausstehen konnten und ständig gegeneinander intrigierten. Sophie, so wird behauptet, hätte Elisabeth das Leben am Wiener Hof zur Hölle gemacht und ihr die eigenen Kinder »weggenommen«. Die Situation hätte sich erst gebessert, als Sisi den Kaiser vor das Ultimatum stellte, entweder die alleinige Hoheit über die Erziehung ihrer Kinder zu bekommen oder ihn für immer zu verlassen.
Eine herzzerreißende Geschichte, gewiss – aber: Es war ganz anders. Der Wiener Kulturhistorikerin Gabriele Praschl-Bichler ist es gelungen, in die umfangreiche Korrespondenz der Erzherzogin Sophie Einblick zu nehmen* – und siehe da, in keinem einzigen ihrer Briefe ist zu erkennen, dass es zwischen Sophie und Elisabeth je Spannungen gegeben hätte, im Gegenteil, sie waren einander in Harmonie und gegenseitiger Wertschätzung verbunden.
»Die armen Kinder verlieren viel an Sisi’s wohlthuendem Einfluss«, schreibt Erzherzogin Sophie etwa am 15. November 1860 an ihren Sohn Carl Ludwig**, womit schon einmal widerlegt ist, dass die »böse Schwiegermutter« die Erziehungsmethoden der Kaiserin ablehnte. Elisabeth begab sich damals auf Anraten ihrer Ärzte wegen eines chronischen Hustenleidens zur Kur nach Madeira, während der Sophie dann den Eindruck des oben zitierten Schreibens bestätigt: »Um Sisi’s vortrefflichen Einfluss auf die Kinder ist es mir (wegen ihrer Abwesenheit, Anm.) sehr leid.«
»Man könnte ihr dann vielleicht sogar die Kinder hinbringen«
Als die Kaiserin im darauffolgenden Sommer von dem berühmten Arzt Josef von Škoda, einem der Begründer der Zweiten Wiener Medizinischen Schule, wegen des anhaltenden Hustens und der vermuteten Schwellung eines Lungenflügels eine weitere Mittelmeerreise verordnet bekam, schreibt Sophie ihrer Schwester Karoline Auguste*** nach Salzburg: »Škoda sagt, dass Sisi zumindest ein Jahr wegbleiben muss … Man könnte ihr dann vielleicht sogar die Kinder hinbringen. Auf jeden Fall wird alles ein Martyrium für die arme Frau, wenn sie so lange von ihren Kindern getrennt ist.« Und im Spätherbst 1861, als Sisi in Venedig mit ihrer Tochter Gisela und ihrem Sohn Rudolf zusammentraf: »Den lieben Kindern und ihrer Mutter wird ihr Beisammensein nur sehr gut thun.«
»Will sie ihr Kind sehen, muss sie immer erst die Stiegen hinaufkeuchen«
All das klingt jedenfalls nicht so, als hätte Sophie je daran gedacht, ihrer Schwiegertochter die Kinder wegzunehmen, um deren Erziehung selbst in die Hand zu nehmen. Ganz anderes erfährt man bei Egon Caesar Conte Corti, dem ersten Biografen der Kaiserin*, der im Zusammenhang mit Elisabeths ältester Tochter Sophie (benannt nach ihrer Großmutter) schreibt: »Sie (die Erzherzogin Sophie, Anm.) hat die Tochter der Kaiserin förmlich beschlagnahmt. Die kleine Sophie ist innerhalb der Gemächer der Kaiserinmutter, in einem ganz anderen Stockwerk als Elisabeth untergebracht. Will sie ihr Kind sehen, muss sie immer erst die Stiegen hinaufkeuchen und ist dann erst nicht allein mit ihrem Kinde, sondern sieht sich außer dem Erziehungspersonal und den Dienstleuten, der so genannten ›Kammer‹, auch stets der Schwiegermutter, ja oft Fremden gegenüber, denen diese das Kind zu zeigen pflegt.«
Ein unverkennbarer Beleg dafür, dass ihre Enkel tatsächlich nicht in Erzherzogin Sophies Wohntrakt aufwuchsen, ist ein Brief, den diese am 29. Juli 1863 an ihren Sohn Maximilian** schreibt, als der Kaiser gerade nach Bad Kissingen fuhr, um seine dort wieder einmal kurende Frau zu besuchen: »Die lieben Enkel kommen heute oder morgen nach Schönbrunn, was mich innig freut, da ich sie nicht mehr hätte besuchen können.«
Abgesehen von den Widersprüchen bezüglich der Beziehung Sophies zu ihrer Schwiegertochter, stellt Conte Cortis Sisi-Biografie eine exzellente Quelle dar, der beispielsweise zu entnehmen ist, dass die ständigen Kuraufenthalte Elisabeths selbst für ein kaiserliches Haushaltsbudget schwer zu verkraften waren: »So musste Franz Joseph zu seinem tiefen Schmerz feststellen, dass der Aufenthalt in Madeira, für den er 188935 Gulden 18½ Kreuzer* bezahlt hat, scheinbar nicht den erhofften Erfolg gehabt hat.«
Wenn Elisabeth die Kinder schon nicht – wie bisher angenommen – »weggenommen« wurden, so war es eine Konsequenz ihrer intensiven Reisetätigkeit, dass diese ihrer Mutter völlig entfremdet waren. »Dem armen Kronprinzen«, schreibt eine ihn nach Venedig begleitende Kinderfrau nach Wien, »war überall ganz unbehaglich, und er tat mir sogar den Kummer an, zu weinen und sich an mich zu klammern, wenn die Majestät (Kaiserin Elisabeth) ihn zu sich holen wollte.«
Der Kaiser hat bitterlich geweint …
Wie sehr Franz Joseph in jungen Jahren unter der »Flucht« seiner Frau litt, entnimmt man einem ebenfalls von Gabriele Praschl-Bichler entdeckten Brief, den Erzherzogin Sophie am 31. August 1861 an ihren Sohn Carl Ludwig richtete: »Er (der Kaiser) hatte so bitterl. bei Helene in Reichenhall geweint, als er sie bat nach Corfu zu gehen.«**
Trotz des schwierigen Verhältnisses der Kaiserin zu Franz Joseph berichtet dessen Mutter in ihrer intensiven Korrespondenz von Anfang an nur Positives über ihre Schwiegertochter. Schon am Tag der Verlobung des künftigen Kaiserpaares: »Ischl den 19ten Aug. gegen 10 Uhr, 1853. Meine innig geliebte Amala!* Seit heute frueh 8 Uhr ist unser heiss geliebter Franzi der unaussprechl. strahlende glueckliche Braeutigam der lieblichen Sisi, die gar zu lieb, innig u. gluecklich u. geruehrt ist u. immer voller heisser Thraenen ueber ihr liebliches Gesicht, wenn sie sich an mich anschmiegend wie ein Kind, mir versichert wie sie den Kaiser u. mich befriedigen will oder wenn ich ihr sage, wie sie ihm recht seyn u. ihn begluecken kann …«
»Mir gefällt so sehr, wie bescheiden sie ist«
Und zwei Monate nach der Hochzeit des Kaisers mit ihrer Nichte schreibt Sophie am 12. Juni 1854 wieder an Carl Ludwig: »Sisi hat in Brünn u. in Prag alles entzückt u. war äußerst liebenswürdig u. gesprächig. Kaiserin Marianna** schrieb, dass sie u. ihre Umgebung in Ploschkowicz ganz bezaubert von Sisi sind; sie fände ihre Haltung so gut u. setzte hinzu: ›Mir gefällt so sehr, wie bescheiden sie ist.‹ «
Die Briefe der Erzherzogin Sophie, die weit über die wohlwollende Beurteilung der Kaiserin hinaus ein einzigartiges Dokument des Privatlebens der Familie Habsburg darstellen, lagern in Kisten und Schachteln im Besitz direkter Nachfahren der Kaiserfamilie. Gabriele Praschl-Bichler, die mit der Archivierung betraut war, entdeckte sie.
»Seit heute frueh 8 Uhr ist unser heiss geliebter Franzi der unaussprechl. strahlende glueckliche Braeutigam der lieblichen Sisi«: Aus einem Brief der Erzherzogin Sophie an ihre Cousine Amalie Wasa von Schweden
Während in Elisabeth- und in Franz-Joseph-Biografien üblicherweise behauptet wird, dass der Kaiser seine Frau viel mehr geliebt hätte als sie ihn, kann davon jedenfalls in ihren jungen Jahren keine Rede gewesen sein, schreibt Erzherzogin Sophie doch am 17. Juli 1855 an einen ihrer Söhne: »Montag den 9ten kam Franzi um 7 Uhr aus Galicien an. Sisi erwartete ihn anderthalb Stunden auf dem Bahnhof, obwohl sie wusste, dass er nicht vor 7 Uhr kommen könnte. Ludwig*, den ich auf den Bahnhof geschickt, sagte mir, dass Sisi’s ganzer Körper vor Freude bebte, als sie den Zug, der den Kaiser brachte, kommen sah. Sie kamen dann noch zu uns heraus … Sisi schöner noch wie gewöhnlich, durch den Ausdruck strahlenden Glückes auf ihrem lieblichen Gesicht.«
Sisis Grazie ist eines der Lieblingsthemen der Erzherzogin Sophie
Derartige Worte gebraucht man wohl kaum über eine Schwiegertochter, die man nicht leiden kann. Sisis Grazie ist überhaupt eines der Lieblingsthemen Sophies, so auch im Dezember 1856, als die junge Kaiserin mit ihrem Mann in Venedig weilte: »Er (Franz Joseph, Anm.) schreibt mir, was wir von allen Seiten hören, dass Sisi’s bezaubernde Erscheinung alles in Venedig elektrisiert u. hinreißt. Überall, wo sie erscheint, sagen die Leute ganz laut, wie schön sie ist, wie anmutig sie ist.«
Und am 19. Februar 1860, eineinhalb Jahre nach der Geburt ihres Sohnes Rudolf, schwärmt Sophie: »Ihre Schönheit hat sehr seit vorigem Spätherbst gewonnen, so wie sie ihre ungeheure Crinoline ablegte, ihre Gestalt ist nun wieder ganz sichtbar.«
Auffallend ist, wie sehr sich Sophie von Anfang an um den tatsächlich labilen Gesundheitszustand ihrer Schwiegertochter sorgte. »Sisi ist heute mit dem Kaiser im Prater bei milder schöner Luft geritten, denn leider, leider zur allgemeinen Desparation hat sie gleich nach den Wochen wieder begonnen zu reiten!! Sie sah allerliebst aus, aber mit aufgehobenen Händen begrüßt ich beide«, schreibt die Erzherzogin am 24. April 1855 ihrem Sohn Carl Ludwig.
»Ihre Schönheit hat sehr seit vorigem Spätherbst gewonnen«: Erzherzogin Sophie über ihre Schwiegertochter, Kaiserin Elisabeth
Und kurz nach der Geburt Kronprinz Rudolfs, im September 1858: »Sisi hatte leider nach dem zweiten Aufstehen am 4ten abends wieder, aber einen schwächeren Fieberanfall, doch das dritte Aufstehen gestern, wo sie drei Stunden aufblieb, schlug ihr sehr gut an; der Kaiser telegraphierte mir heute, sie befände sich ganz wohl. Gottlob! Ich hatte ein Telegramm nach dem anderen geschrieben, um den Kaiser u. (den Leibarzt Dr. Johann) Seeburger zu überzeugen, dass nur die ungesunde Luft in Laxenburg Sisi die Fieberanfälle gäbe u. dass ein rasches Übersiedeln Sisi’s in meine warmen Salons in Schönbrunn, wohl verwahrt in einem geschlossenen Wagen, während der warmen Mittagsstunden gewiss angezeigt wären.«
Ein knappes Jahr danach, am 28. Juni 1859, schreibt Sophie wieder an Carl Ludwig: »Die arme Sisi ist nur mehr ein Schatten ihrer selbst. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie abgemagert sie ist.« Doch nur zwei Tage später ist in einem Brief an ihren Sohn Maximilian Erleichterung zu spüren: »Wir fanden dann Sisi im Park, besser aussehend u. aufgerichtet durch die Hoffnung, den Kaiser bald zu sehen. Sie stieg vom Pferd u. machte eine lange Promenade mit uns zu Fuße – sprach gerne u. sichtbar heiter.«
Kaiserin Elisabeths »Flucht« nach Possenhofen
Spricht man »gerne und sichtbar heiter« mit einer Schwiegermutter, die im gleichen Jahr 1859 – wie in der Conte-Corti-Biografie nachzulesen – »alles versucht, um Elisabeth vom Kaiser zu trennen, ja sie (die Kaiserin) meint sogar, man hätte sie verderben und ihr teuflisch klug Gelegenheit bieten wollen, Unrechtes zu tun, um sie ihrem Gatten zu entfremden«?
Im Jahre 1865, so steht’s in den Elisabeth-Biografien, sei die Kaiserin von Wien aus zum ersten Mal in ihr Elternhaus »nach Possenhofen geflüchtet«, weil Erzherzogin Sophie sie bevormundet und ihr die Kinder weggenommen hätte. In einem Brief Sophies an ihren Sohn Carl Ludwig erfährt man allerdings ganz anderes: »Sisi wollte nicht nach Baiern, da es ihr schwer wird, ihr Kind zu verlassen, der Kaiser bestand aber darauf, da er glaubt :/ ich gestehe, ich bin auch überzeugt /: dass Luftwechsel u. zumal die heimathliche Luft ihr sehr gut thun werden …«
Kaiserin Elisabeth wollte Wien ganz offensichtlich gar nicht verlassen, schon gar nicht wegen ihrer Schwiegermutter. »Von Tante Luise* erhielt ich auch heute einen so befriedigenden Brief über Sisi’s Ankunft (in Bayern, Anm.), die sie glückl. macht; sie findet Sisi embelliert (noch schöner geworden), die Blässe nicht anhaltend, u. ihr geliebtes Kind reifer, herzlicher u. zugänglicher; das freut mich so für die gute, selbstlose Mutter, die innig beglückt dadurch ist, dass Sisi nicht lange bei ihr aushält aus Sehnsucht nach Mann u. Kind …« (Erzherzogin Sophie an ihren Sohn Carl Ludwig am 26. Juni 1855).
Und ihrem Sohn Maximilian berichtet Sophie wenige Tage danach: »Von hier kann ich Dir nicht viel Interessantes melden, außer dass Sisi glücklich am Montag Abend aus Baiern zurückgekehrt, wo sie es nicht über 9 Tage aushielt, fern von ihrer Kleinen, und so weit entfernt vom Kaiser.«
In einem Brief Sophies an ihre Schwester Ludovika ist keine Rede davon
Angeblich hat die Erzherzogin ihre Schwiegertochter Elisabeth für den Tod ihrer zweijährigen Tochter Sophie am 29. Mai 1857 während einer Ungarn-Reise des Kaiserpaares verantwortlich gemacht. »Das Verhältnis zur Schwiegermutter, deren Liebling die kleine Sophie war«, schreibt Brigitte Hamann**, »wurde eisig. Denn schließlich war es die junge Kaiserin, die die Kinder gegen den ausdrücklichen Willen, ja gegen den Widerstand der Erzherzogin mit nach Ungarn genommen hatte.«
Doch in einem Brief, den Sophie in diesen dramatischen Tagen an ihre Schwester Ludovika schreibt, ist keine Rede davon: »Unsere arme Sisi vergießt sich buchstäblich in Thränenströmen, sie und mein armer Franzi sind tief gebeugt, aber höchst rührend in ihrem Schmerz, fromm und ergeben.« Und ein weiteres Schreiben Sophies, diesmal wieder an Carl Ludwig gerichtet, wenige Tage nach dem Tod der Enkelin: »Sisi hat das Bedürfnis von ihrem geliebten Kinde zu sprechen, sich mit allem, was sie an dasselbe erinnert, zu umgeben, so kann ich ihr gottlob Trost bringen, auf ihren Schmerz eingehen, den ja wenige verstehen können wie ich.«*
In Wahrheit ist Elisabeth eine liebevolle Mutter
Gabriele Praschl-Bichler folgert aus der nun vorliegenden Korrespondenz, dass Franz Joseph und Elisabeth »ihren Kindern außerordentlich liebevolle Eltern waren. Bislang wusste man zwar, dass der Kaiser ein leidenschaftlicher Vater war, man nahm aber an, dass die Kaiserin zu ihren ersten drei Kindern kaum Kontakt hatte. In Wahrheit war auch Elisabeth eine liebevolle Mutter« – wenn auch mit der Einschränkung, dass sie das nur dann sein konnte, wenn sie bei ihnen war, was aufgrund ihrer ausgedehnten Reisetätigkeit nicht allzu oft der Fall gewesen ist.
Von Kaiserin Elisabeth selbst gibt es relativ wenige Briefdokumente, da sie eher schreibfaul war und selbst ihrem Mann von Reisen oft nur durch ihre Hofdamen Nachrichten zukommen ließ. Und doch bestätigen Sophies Briefe, dass ihre Zuneigung nicht einseitig gewesen sein kann: »Sisi’s warme Herzlichkeit u. Freude, als sie mich wieder sah u. über mein baldiges Nachkommen nach Ischl, rührte u. erquickte mich. In ihrem oft leidenden Zustande** wird ihr die Alpenluft, nach welcher sie sich schon sehr sehnte, recht wohl tun.« (Sophie am 8. August 1854) Offensichtlich suchte die Kaiserin in schweren Stunden sogar die Nähe ihrer Schwiegermutter: »Sisi fand ich bei meiner Wohnung mit rasendem Zahnweh, das arme Kind, doch ist es nun vorüber«, schreibt Sophie am 30. November 1857 an ihren Sohn Maximilian.
Kaum zu glauben, wie vehement sich die Kaiserin einsetzt
In die rund zwei Jahrzehnte andauernde Korrespondenz der Erzherzogin Sophie im Zusammenhang mit ihrer Nichte und Schwiegertochter Elisabeth fallen nebst privaten Freuden und Sorgen auch historische Ereignisse wie die Geburten der Thronfolger Rudolf und Franz Ferdinand, die Katastrophen von Solferino und Königgrätz, die tiefe Trauer nach der Hinrichtung ihres Zweitältesten Sohnes, Kaiser Maximilian von Mexiko, und der auf Elisabeths Initiative zustande gekommene Ausgleich mit Ungarn. In einem ihrer eher raren handgeschriebenen Briefe bittet die Kaiserin den ungarischen Hofkanzler Georg Graf Mailáth geradezu flehentlich: »Vor allem eine Bitte, seien Sie mein Stellvertreter beim Kaiser, übernehmen Sie mein Amt, dem Kaiser die Augen zu öffnen über die Gefahr, in die er sich unwiederbringlich stürzt, wenn er noch immer keine Konzessionen an Ungarn machen will. Seien Sie unser Retter, darum beschwöre ich Sie jetzt im Namen unseres armen Vaterlandes und meines Sohnes und zähle dabei auch auf die Freundschaft, die Sie, wie ich mir vielleicht einbilde, doch ein wenig für mich fühlen.«
Kaum zu glauben, wie vehement sich die Kaiserin für die einzige politische Mission ihres Lebens einsetzt, da sie sich in dem Brief praktisch gegen ihren Mann auf die Seite Ungarns stellt. Nicht auszudenken, wäre dieses Schreiben in die Hände Franz Josephs gelangt. »Das Zugeständnis«, schreibt Elisabeth weiter, »zu dem ich den Kaiser zu bewegen trachtete, das er mir aber leider noch nicht machte, ist, die jetzigen Regierungsmänner zu entfernen und als Minister des Äußeren Gyula Andrássy* zu ernennen. Dies wäre eine Konzession an Ungarn, ohne sich durch Nachgeben jetzt zu kompromittieren. Seine Popularität im Lande würde vertrauenserweckend wirken und das Königreich ruhig halten, bis endlich die Verhältnisse erlauben, dass die inneren Zustände geregelt werden.«
Der Brief zeigt den Tagesablauf des Kaisers
Ein knappes Jahr nach der Krönung des Kaiserpaares zu Königen von Ungarn bringt Elisabeth am 22. April 1868 in Budapest ihr letztes Kind Marie Valerie zur Welt, dem sie ganz offensichtlich mehr Liebe schenkt als Gisela und Rudolf. Ihre Zuneigung zu Ungarn ist ein Grund mehr, sich dem Kaiser zu entziehen, Elisabeth lebt vorwiegend in Budapest, was Erzherzogin Sophie veranlasst, ihren Sohn zu bedauern. Gleichzeitig zeigt ihr Brief vom 7. Oktober 1869 an dessen jüngeren Bruder Carl Ludwig den Tagesablauf des Kaisers auf: »Er (Franz Joseph) lebt ganz einsam in seinem lieben Laxenburg, steht um halb 5 Uhr auf, bringt später den Morgen in der Stadt zu, schwimmt um 3 Uhr in Laxenburg, speist ganz allein um 4 Uhr, geht von 5 bis 7 Uhr spazieren, dann arbeitet er noch bis halb 9 Uhr, wo er sich in’s Bett legt.«
Obwohl Elisabeth ihrem Mann das Leben vor allem durch ihre fast permanente Abwesenheit alles andere als leicht gemacht hat, verwendet dessen Mutter in der Korrespondenz mit den so zahlreichen Mitgliedern ihrer Familie bis zu ihrem Tod im Alter von 67 Jahren kein einziges böses Wort über sie, ganz im Gegenteil, sie bedauert immer wieder ihren labilen Gesundheitszustand, befürwortet ihre Erziehungsmethoden und bewundert ihre Schönheit. Es mag schon sein, dass es zwischen Sophie und Elisabeth die eine oder andere Meinungsverschiedenheit – wie wohl in jeder familiären Beziehung – gegeben hat, aber sicher nicht in der geradezu gehässigen Art und Weise, wie es in Sisi-Biografien dargestellt wird.
Sophie nimmt in bewegten Worten Abschied von ihrer Familie
Elisabeth war auch an der Seite ihrer Schwiegermutter, als deren letzte Stunde schlug. »Die kaiserliche Familie wird am 22. Mai 1872 an das Krankenbett gerufen«, schreibt Egon Caesar Conte Corti, »und dort nimmt Sophie von allen in wenigen bewegten Worten Abschied. Zwei Tage darauf tritt Apathie und tiefe Schwäche ein, bis die Erzherzogin in volle Bewusstlosigkeit verfällt. Der Todeskampf dauert dreizehn Stunden. Am 28. drei Uhr früh haucht sie nach Empfang der letzten Ölung in Anwesenheit beider Majestäten (Franz Joseph und Elisabeth) und der Enkel Rudolf und Gisela ihre Seele aus.«
Sophie mag eine strenge und in ihren Ansichten sehr konservative Frau gewesen sein. Doch eine widerliche Person – als die sie in Biografien und in den Sissi-Filmen, sehr einprägsam dargestellt von Vilma Degischer – beschrieben wird, war sie wohl nicht.
*Gabriele Praschl-Bichler, »Unsere liebe Sisi, Die Wahrheit über Erzherzogin Sophie und Kaiserin Elisabeth. Aus bislang unveröffentlichten Briefen«, 2008.
**Erzherzog Carl Ludwig (1833–1896), Statthalter in Tirol und Vater des späteren Thronfolgers Franz Ferdinand.
*** Kaiserin Karoline Auguste (1792–1873), die Witwe nach Kaiser Franz I.
*Egon Caesar Conte Corti, »Elisabeth. Die seltsame Frau«, 1934.
**Erzherzog Maximilian (1832–1867), damals Generalgouverneur von Lombardo-Venetien, später Kaiser von Mexiko.
*Entspricht laut »Statistik Austria« im Jahre 2013 einem Betrag von rund 2,3 Millionen Euro.
**Kaiser Franz Joseph ersuchte Elisabeths Schwester Helene, seine Frau an ihren neuen Erholungsort zu begleiten, was dann auch geschah. Diesmal wurde Sisis Erkrankung als Nervenleiden diagnostiziert.
*Amalie Wasa, Prinzessin von Schweden (1805–1853), Cousine der Erzherzogin Sophie.
**Maria Anna (1803–1884), Ehefrau von Franz Josephs Vorgänger, Ferdinand I., der 1848 als Kaiser abgedankt hatte.
*Erzherzog Ludwig Viktor (1842–1919), der jüngste Bruder Kaiser Franz Josephs.
*Sophies Schwester, Herzogin Ludovika in Bayern (1808–1892), Sisis Mutter.
**Brigitte Hamann, »Elisabeth, Kaiserin wider Willen«, 1982.
*Erzherzogin Sophie hatte 1840 ihr viertgeborenes Kind Maria Anna im Alter von viereinhalb Jahren verloren.
**Infolge ihrer ersten Schwangerschaft.
*Gyula Graf Andrássy (1823–1890), hatte während der Revolution 1848 gegen das Haus Habsburg für die Freiheit Ungarns gekämpft, wurde zum Tod verurteilt, floh nach Paris und war nun der Vertrauensmann der Kaiserin. Tatsächlich wurde Andrássy 1867 ungarischer Ministerpräsident und 1871 Außenminister.