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»WAS NIMMST DU FÜR EINEN
KÜNSTLERNAMEN?« Paul und Attila werden Schauspieler

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Im Herbst 1926, als Paula Wessely in Prag ihr Quartier bezog, war dem dortigen Deutschen Theater einer seiner Lieblinge abhanden gekommen. Er hieß Hörbiger, war 32 Jahre alt und hatte beim Publikum richtig »abgeräumt«. Nein, nicht Attila, sondern Paul war sein Name. Dieser Paul hatte, abgesehen von Attila, noch zwei weitere Brüder: Hans Robert und Alfred, die wie ihr Vater Maschinenbau studiert hatten, Alfred war darüber hinaus auch akademischer Maler. Die beiden jüngeren hatten in Internaten die Matura abgelegt – Paul im Stiftsgymnasium von St. Paul im Lavanttal, Attila in Waidhofen an der Thaya – und waren in den Ersten Weltkrieg gezogen, nach dessen unrühmlichem Ende sie abrüsteten. Attila als Leutnant, Paul als Oberleutnant. Der Ältere fasste gleich in den ersten Nachkriegstagen den Entschluss, Schauspieler zu werden. Er absolvierte ganze sieben Stunden an der Theaterschule Otto in der Wiener Operngasse, »aber nur, weil da eine Elevin war, die mein Interesse geweckt hatte«, wie Paul in seinen Memoiren verriet. »Einen geraden Satz sprechen zu können, schien mir und meinen Klassenkollegen weniger bedeutsam als die Frage ›Was nimmst du für einen Künstlernamen?‹. Das war das Hauptthema, darüber konnten wir stundenlang diskutieren.« Paul entschied sich für das hochtrabende Pseudonym Paul di Pauli – auch um den guten Namen seines Vaters nicht mit dem Theater in Verbindung zu bringen.

Attila hatte zu diesem Zeitpunkt noch ganz andere Pläne. »Ich inskribierte an der Hochschule für Bodenkultur, weil ich in die Molkereiwirtschaft gehen wollte. Mir schwebte die Erzeugung von österreichischem Qualitätskäse nach Schweizerischem Vorbild vor.«

Kaum hatte Paul Hörbiger – dann doch unter seinem wirklichen Namen – im Juni 1919 in dem böhmischen Städtchen Reichenberg sein erstes Engagement angetreten, wollte er seinen neuen Beruf schon wieder an den Nagel hängen. »Ich hatte von der Profession des Schauspielers ganz andere Vorstellungen. Wenn man gesehen hat, wie sich ein Kainz oder ein Girardi in ihren Erfolgen sonnten, dann fühlte man sich am Stadttheater von Reichenberg als armer Schlucker. Gespielt wurde alles – Oper, Operette, Klassiker, Lustspiel, aber wir vom festen Ensemble waren zu winzigen Rollen verdammt. Die dankbaren Aufgaben fielen den Gaststars zu.«

Dass diese Gaststars – Alexander Moissi, Max Pallenberg, Rudolf Tyrolt und Paul Morgan – Anfang der zwanziger Jahre überhaupt im kleinen Reichenberg auftraten, lag daran, dass die Inflationsrate in Böhmen wesentlich geringer war als in Deutschland und Österreich. Der gute Kurswert der tschechischen Krone machte die Engagements an den deutschsprachigen Bühnen dieser Region auch für berühmte Künstler attraktiv.

Doch der von seinem neuen Beruf vorerst so enttäuschte Paul Hörbiger sollte bald seine erste Chance bekommen. Als einer der Stars erkrankte, durfte er eine Hauptrolle übernehmen, in der er auf Anhieb gefiel. Und er wurde, nachdem er sich ein paar Mal als »Einspringer« bewährt hatte, schnell ein Liebling des Publikums.

Sein Hang zum Volkstümlichen zeichnete sich damals schon ab. Paul »hasste die Klassiker« und trat lieber in einer dem Theater angeschlossenen Kleinkunstbühne auf, wo er nach der Vorstellung mit seinen Soloprogrammen glänzte. Als er eines Nachts das Wienerlied Drah ma um und drah ma auf, was liegt scho dran sang, meinte ein Kollege in Anspielung auf den hohen Alkoholkonsum an diesem Abend: »Mich würde interessieren, wie der Paul das in einer Stunde singt.«

Damit war die Geburtsstunde seiner Nummer Dasselbe Lied eine Stunde später gekommen. Er begann das Lied in nüchternem Zustand zu singen, und der Sketch endete mit einer Darbietung desselben im Vollrausch. Dazwischen lag eine Palette, die einem Komödianten seines Ranges alle Möglichkeiten bot, sich zu produzieren.

Reichenberg wurde durch die Vielfalt der Stücke und Rollen, die er spielte, zum Sprungbrett des späteren Volksschauspielers. »Ich habe hier viel gelernt und die Grundbegriffe der Schauspielkunst erfahren«, erinnerte er sich. Einer der Stars, die hier gastierten, war Hermine Medelsky vom Deutschen Theater in Prag. Ihr fiel Paul Hörbigers überragendes Talent auf, worauf sie ihn ihrem Direktor Leopold Kramer empfahl, der ihn sofort in die Metropole an der Moldau engagierte.

Sein Bruder Attila trat das Molkereistudium an der Hochschule für Bodenkultur nie wirklich an, »weil unser Vater bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs als braver Patriot sein ganzes Vermögen in Kriegsanleihen gezeichnet hatte«, erklärte er später. »Jetzt war alles weg und fürs Studium kein Geld mehr da.«

Attila war mit den Eltern mehrmals nach Reichenberg gefahren, um Paul auf der Bühne zu bewundern. »Bei ihm habe ich gesehen, wie schnell man beim Theater Geld verdienen kann. Und so wurde auch ich Schauspieler.« Das war die einzige Aussage, mit der einer der bedeutendsten Bühnenkünstler des 20. Jahrhunderts erklärt hat, warum er Schauspieler geworden war. Etwas anderes hat er dazu nie bemerkt, weder war je von »innerer Berufung« noch von »unbezwingbarem Spieldrang« die Rede. Attila Hörbiger war derlei Pathos fremd, für ihn bestand der Reiz darin, »schnell Geld zu verdienen«.

Tatsächlich gab es vorerst nichts, das ihn prädestiniert hätte, Schauspieler zu werden. »Er ging zum Theater«, schrieb Hans Weigel einmal, »wie andere ins Theater gehen und wie man weder zum noch ins Theater gehen sollte: zufällig, unüberlegt, ›nur so‹.«

Attilas Vater machte sich freilich Sorgen, nun schon den zweiten Sohn als Schauspieler in eine mehr als ungewisse Zukunft schlittern zu sehen. Ingenieur Hanns Hörbiger hatte vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs – und damit wenigstens noch vor dem Verlust seines Vermögens – eine Villa in Wien-Mauer erworben, in deren Nachbarschaft Eduard Sekler, ein am Theater in der Josefstadt engagierter Schauspieler, wohnte. Und er bat ihn nun, sich »den Buben einmal anzuschauen«. Attila Hörbigers erste Begegnung mit einem Theaterprofi fand an einem heißen Sommertag des Jahres 1919 im Schafbergbad statt, in das Sekler ihn hatte kommen lassen. Eduard Sekler erinnerte sich viele Jahre später an einen braungebrannten jungen Mann, der dem Bassin entstieg und sich ihm mit triefend nassem Haar gegenüberstellte. Hörbiger gab an, dass er den ganzen Aufwand, sprechen zu lernen, für unnötig hielt, da er »eh reden« konnte, ließ sich aber schließlich dazu überreden, mit Sekler das Gedicht Der Kunstreiter einzustudieren.

Mit diesem sprach er einem Agenten vor, der ihm prompt ein Engagement als »Edelkomparse« in Czernowitz verschaffte. Wie bei seinem großen Bruder, sollte in den Anfängen auch bei Attila die Liebe eine bestimmende Rolle spielen. Denn das Verlockende an Czernowitz war eine attraktive Soubrette namens Bertha Weingartshofer. Da er durch Paul erfahren hatte, dass es schick war, sich einen Künstlernamen zuzulegen, entschied er sich, wohl um auch seine Verbundenheit mit der Soubrette Weingartshofer zu demonstrieren, für Felix Weingart.

Der Traum vom schnellen Geld und einer Karriere in der ehemals kaiserlich-königlichen, jetzt zu Rumänien gehörenden Stadt in der Bukowina sollte nicht in Erfüllung gehen. »Eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung, der Saal war bereits zur Hälfte voll, und wir waren geschminkt und kostümiert«, erzählte Attila Hörbiger, »erschien der rumänische Stadtkommandant mit zwei Polizisten. Er salutierte und sagte zu unserem Direktor Paul Gutmann: ›Bitte um Ihre amtliche Spielerlaubnis. Sie haben doch eine Konzession?‹ «

Der Direktor hatte keine, worauf die Truppe Czernowitz innerhalb einer Stunde verlassen musste.

Der Wiener Theaterverein erbarmte sich der nun beschäftigungslosen Schauspieler und vermittelte sie an verschiedene österreichische Bühnen, wobei man Attila samt seiner Bertha ans Stadttheater von Wiener Neustadt schickte. »Der dortige Prinzipal«, erinnerte sich Hörbiger, »hatte wohl übersehen, dass ich in Czernowitz lediglich als besserer Statist mit einer Elevengage engagiert war. Aber vielleicht hatte ihm auch meine Garderobe imponiert – die Schauspieler mussten damals ihre Bühnenkleidung selbst mitbringen und ich hatte aus besseren Tagen noch Frack, Smoking, einen Anzug und schwarze Schuhe. Jedenfalls gab er mir ein Engagement als Liebhaber.«

Attila Hörbigers Debüt fand am 9. Oktober 1919 in der Operette Der fidele Geiger von Edmund Eysler statt. In der kleinen Rolle eines Musikers sah man laut Theaterzettel: Felix Weingart.

Die erste Premiere eines großen Künstlerlebens. »An Schlaf war nicht zu denken. Ich feierte bis früh um fünf, dann wanderte ich durch die leeren Gassen zum Redaktionsgebäude der Wiener Neustädter Nachrichten und ließ mir vom Nachtredakteur die noch druckfrischen Bogen der Morgenausgabe geben. Fiebernd überflog ich die Kritik und fand den Satz: ›Herr Weingart wirkte sympathisch.‹

›Wie ist das gemeint?‹, fragte ich den Redakteur einigermaßen misstrauisch.

›Na, so wie’s geschrieben steht, Sie sind ja auch wirklich ein netter Bursch.‹

Das war nun nicht jene Anerkennung, die sich ein junger Himmelstürmer erhofft hatte, aber es war immerhin etwas. Leider hatte ich nur noch dreimal Gelegenheit, sympathisch zu wirken. Nach der dritten Aufführung ließ mich Direktor Paul Sundt zu sich beordern. ›Herr Weingart‹, sagte er, ›Verzeihung, Herr Hörbiger, ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass Sie noch nie auf einer Bühne gestanden haben. Frei heraus: Sie sind ein blutiger Laie. Wie mir berichtet wird, sind Sie neulich ohne Text zu einer Stückprobe gekommen, weil Sie gar nicht wussten, was eine Stückprobe ist. Stimmt’s?‹

Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern fuhr fort: ›Dessen ungeachtet sind Sie nicht völlig talentlos. Was Sie brauchen, ist erstens Unterricht und zweitens Unterricht und drittens Unterricht. Ihre Sprechtechnik ist mangelhaft. Na und Ihr Dialekt, also, bitte, reden wir nicht davon.‹ Er umarmte mich herzlich, versprach, dass er meinen weiteren Weg im Auge behalten würde und schmiss mich raus.«

Attila Hörbiger war tief getroffen, immerhin erzielte sein Bruder Paul in Reichenberg bereits erste Erfolge, obwohl auch er nie eine Ausbildung erhalten hatte. Einzig seine kleine Soubrette hielt ihn jetzt noch aufrecht.

In dieser trostlosen Situation entwickelte das brotlose Künstlerpaar den Plan, gemeinsam ins benachbarte Ausland zu ziehen, um die Theaterwelt zu erobern. Und tatsächlich: Attila erhielt an der Schwäbischen Volksbühne Stuttgart sein erstes festes Engagement und ging ein Jahr lang als »jugendlicher Held, vitaler Naturbursche und Liebhaber« auf Gastspielreisen. Da seine Soubrette jedoch nach Dresden geholt wurde, trennten sich die Wege der beiden Liebenden.

Attila spielte jeden Tag im Theater- oder Gasthaussaal einer anderen Kleinstadt, doch sobald er ein paar Stunden frei hatte und einen geeigneten Lehrer fand, nahm er Sprechunterricht. Den brauchte er auch dringend, wie der Kritik eines Lokalblattes zu entnehmen ist: »Herr Weingart war ein sympathischer, liebenswürdiger, stattlicher, jugendlicher Liebhaber voll Charme. Der Künstler besitzt zweifellos Talent. Nur muss er sich in sprachlicher Hinsicht noch verbessern und dem österreichischen Dialekt entsagen.«

Über ein Engagement am Stadttheater Bozen gelangte Attila Hörbiger ans Wiener Raimundtheater, an dem er in Shakespeares König Richard III. – neben Fritz Kortner in der Titelrolle – in zwei kleinen Partien auftrat. Immerhin begann er nun, sich seinem wirklichen Namen anzunähern. Auf dem Theaterzettel stand jetzt schon: Felix Hörbiger. Doch auch dieses Engagement war nach wenigen Wochen beendet. Direktor Rudolf Beer teilte ihm am 11. Februar 1922 mit, »dass ich, obwohl ich Sie für sehr talentiert halte, Ihren Vertrag für die kommende Spielzeit nicht erneuere«. Er empfahl ihm ein Engagement an einem Provinztheater anzutreten, »wo Sie viel, oft und Verschiedenes zu spielen haben«.

Freundliche Worte zwar, aber doch wieder ein Rausschmiss. Attila Hörbiger war verzweifelt, er begann sich am Theater wohl zu fühlen, konnte aber nicht mehr daran glauben, in diesem Metier jemals Fuß zu fassen. »Ich wünsche das keinem Menschen«, sagte er einmal, »ohne jede Ausbildung zur Bühne zu gehen. Es ist die Hölle, wenn man so wie ich aus einem Engagement nach dem anderen wegen totaler Unfähigkeit entlassen wird.«

Hans Weigel wird – Jahrzehnte nach den deprimierenden Anfängen – gerade das Fehlen des Unterrichts als seine Stärke bezeichnen, wenn er ihn in einem (fiktiv geführten) Interview sagen lässt: »Ich wollte eigentlich Landwirt werden und bin nur ganz beiläufig und zufällig und unvorbereitet zum Theater gekommen und hab das Theaterspielen nur gelernt, indem ich Theater gespielt habe, und jetzt bin ich Burgschauspieler und österreichischer Kammerschauspieler, man hat mir die Josef-Kainz-Medaille und den Ehrenring der Stadt Wien und das deutsche Bundesverdienstkreuz verliehen – und ich kann’s wirklich!«

»So«, folgerte Weigel, »geht er an seine Berufsausübung heran – nicht belastet von einer traditionellen und routinemäßigen Meisterhaftigkeit, sondern beflügelt von der großen freudigen Unbekümmertheit.«

CHRISTIANE HÖRBIGER: »Als mein Vater jung war, zählte am Theater nur das überdeutliche, bis in den letzten Rang verständliche, klassische Deutsch. Da hatten ihm ein Balser und ein Quadflieg vieles voraus, sie waren die besseren Sprecher. Als aber dann in den fünfziger Jahren der menschliche Ton – der Konversationston – in Mode kam, begann seine große Zeit. Natürlich musste auch er deutlich und gut verständlich sein, aber es war nicht mehr gefragt, ein sprachlicher Akrobat zu sein. Plötzlich war es seine Stärke, wie ein Mensch zu sprechen und nicht wie ein Schauspieler. Er war jetzt modern.«

Noch war Attila Hörbiger weit davon entfernt, »modern« zu sein, er war nichts als ein begabter Dilettant, an dessen Zukunft niemand glauben wollte. Am allerwenigsten sein Vater, dem die aussichtslos scheinenden Schauspielexperimente seines jüngsten Sohnes nicht verborgen blieben. Als Attila sich wieder einmal in irgendeinem böhmischen Provinztheater zum Vorsprechtermin angemeldet hatte, wusste Hanns Hörbiger in seiner Verzweiflung keinen besseren Rat, als dem Prinzipal einen Brief zu schreiben: »Sehr geehrter Herr Direktor«, stand darin, »ich bitte Sie inständig, davon Abstand zu nehmen, meinen Sohn, Herrn Attila Hörbiger, ins Engagement zu nehmen, da er lernunwillig, unverlässlich und am Theater viel weniger interessiert ist als an sportlichen Betätigungen wie Boxen, Handball und Fußballspiel.«

Nur Attilas Bruder, der ja auch nichts gelernt hatte, verstand es, ihm Mut zu machen: »Paul war damals schon ein anerkannter Schauspieler«, erinnerte sich Attila, »und wurde mir zum Vorbild. Insgeheim hatte ich das Gefühl, ich werd’s auch einmal schaffen. Und der Paul sagte zu mir: ›Lass dir Zeit, Kleiner, es wird alles noch kommen.‹ «

Von selbst, das spürte Attila instinktiv, würde nichts kommen, man müsste dem Schicksal ein bisschen nachhelfen. Und da erinnerte er sich an Alfred Martinz, den einstigen Nachbarn, der auf der Schönbrunner Straße Sprech- und Stimmunterricht erteilt hatte. Die nächsten Theaterferien reichten, um nach Pola zu fahren und dort ein paar Stunden zu nehmen. Und seine Tochter Consuelo wieder zu sehen.

Zur Sprechausbildung durch den künftigen Schwiegervater kam noch das Glück hinzu, dass man Paul mittlerweile nach Prag gerufen hatte. Das war der Grund, warum Attila im Herbst 1922 nach Reichenberg geholt wurde – um die Lücke zu schließen, die sein Bruder am dortigen Stadttheater hinterlassen hatte. Er übernahm von ihm, wie Paul es auszudrücken pflegte, »das Fach der guten Rollen«.

Rudolf Beer, der Theaterprofi, hatte natürlich Recht gehabt: Die Vielfalt der Rollen, mit denen man in einer Saison an deutschböhmischen Provinzbühnen konfrontiert wurde, waren die beste Schule für einen jungen Schauspieler. Attila, nun zumindest mit den Grundbegriffen der Sprechtechnik vertraut, wurde in Reichenberg zum gesuchten Nachfolger, die beiden Brüder glichen einander sowohl äußerlich als auch in der Melodie der Sprache und in ihrer Art sich zu bewegen. Attila half das zweifellos, um vom Reichenberger Publikum auf Anhieb akzeptiert zu werden.

Die Ähnlichkeit der Brüder führte allerdings auch zu skurrilen Szenen: Eines Tages erschien eine ältere, beleibte Dame in Attilas Wohnung in Reichenberg, die er ebenso von seinem Bruder übernommen hatte wie die schönen Rollen. »Also, Herr Heerbinger«, herrschte ihn die resolute Frau gleich an der Türe an, »was is eigentlich mit der Mitzi? Haben S’ jetzt ernste Absichten oder net?«

»Pardon, gnädige Frau, ich kenne keine Mitzi.«

»Jetzt wollen Sie alles leugnen? Sie glauben, Sie können meine Tochter zuerst narrisch machen und kompromittieren, und jetzt auf einmal wollen S’ von nix was wissen …«

Es sei ihm nur mit allergrößter Mühe gelungen, die Dame davon zu überzeugen, dass er erst seit wenigen Tagen in Reichenberg logierte, um am Theater die Nachfolge seines Bruders anzutreten. »Es war«, erinnerte er sich lächelnd, »eine der schwierigsten Szenen, die ich je zu spielen hatte.«

Paul und Attila hatten einander diesbezüglich wenig vorzuwerfen. Beide sahen gut aus, hatten Charme und Witz und erfreuten sich großer Beliebtheit bei den Kolleginnen im Schauspiel, im Chor, im Ballett und auch in den Reihen des Publikums. Und beide machten reichlich Gebrauch davon.

Wie sein älterer Bruder spielte Attila jetzt alles in Reichenberg, in einer Saison insgesamt 37 Rollen: vom Liebhaber bis zum Betrüger, vom Lustspiel bis zum Klassiker, wobei sein Wilhelm Tell im Lokalblatt als »warm, gütig und doch voll verschlossener Kraft« gelobt wurde.

Paul war schon einen Schritt weiter. Prag zählte zur »gehobenen Provinz«, und Leopold Kramer vertraute ihm Rollen in Richard III., in Roda Rodas Feldherrnhügel und auch den Leopold im Weißen Rössl an; Paul Hörbigers Glanzrolle aber war der Liliom in Molnárs gleichnamiger Vorstadtlegende.

Eines Tages eskalierte jedoch ein Streit mit dem Direktor, sodass dieser keinen anderen Ausweg sah als den jungen Mimen durch den Entzug seiner Glanzrolle zu bestrafen. Nicht genug damit, holte Kramer an Pauls Stelle den großen Max Pallenberg aus Berlin, was Hörbiger zutiefst enttäuschte. »Ich beruhigte mich erst wieder, als ich am nächsten Morgen die Kritik von Max Brod las: ›Max Pallenberg musste nach Prag kommen, um zu zeigen, wie gut Paul Hörbiger als Liliom ist.‹ «

Bei der Prager Damenwelt erfreut sich Paul Hörbiger ebensolcher Beliebtheit wie seinerzeit in Reichenberg. Aus einem heftigen Bühnenflirt mit der bildhübschen Ophelia der Hamlet-Inszenierung des Deutschen Theaters wird jedoch bald Ernst – blutiger Ernst könnte man sagen. Paul und die junge, aus Wien stammende Josepha Gettke verlieben sich Hals über Kopf ineinander. Für den Herbst ist der Hochzeitstermin angesetzt. Doch davor sollte Paul noch Opfer eines Attentats werden.

Die Hörbigers

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