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1.7 Platon und der Optimismus der Logik
ОглавлениеDamit wird Nietzsches Einschätzung der Veränderung des Denkens durch die sokratisch-platonische Philosophie aber nicht grundsätzlich beeinflusst. Sokrates bleibt doch auch in der Dialogform der „dämonische Sokrates“ (GT III-1, 90), mit dessen logisch-begrifflichem Denken der philosophische Gedanke die Kunst überwächst. In der Tragödie zeigt sich dies etwa darin, dass der Held nun seine Handlungen „durch Grund und Gegengrund“ – also mithilfe der Logik und des auf ihr beruhenden Argumentierens – zu verteidigen beginnt, wodurch ein „optimistisches“ Element in diese Kunstform eindringt, von welcher sie schließlich zerstört werden musste (GT III-1, 90). Nietzsche unterscheidet in diesem Zusammenhang eine ‚pessimistische‘ von einer ‚optimistischen‘ Weltbetrachtung, deren erstere der klassischen Tragödie und ihrer Darstellung des Dionysischen zugehört, während die letztere einen wesentlichen Zug der mit Sokrates/Platon beginnenden Philosophie und Wissensform darstellt. Wir sollten diese Begriffe jedoch nicht mit der heute üblichen psychologischen Bedeutung aufladen,
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sondern diese Unterscheidung und ihre Bedeutung auf den Grund im Verhältnis von Dionysischem und Apollinischem bzw. dann Sokratisch-Platonischem zurückführen.
Zur pessimistischen Weltbetrachtung gehört nach Nietzsche (a) „die Grunderkenntnis von der Einheit alles Vorhandenen“, (b) „die Betrachtung der Individuation als des Urgrundes des Uebels“, (c) „die Kunst als die freudige Hoffnung, dass der Bann der Individuation zu zerbrechen sei, als die Ahnung einer wiederhergestellten Einheit.“ (GT III-1, 69) Man könnte ohne allzu große Vereinfachung sagen, dass Nietzsche als ‚pessimistisch‘ die in der Tragödie dargestellte Erkenntnis von der individuierenden Gestaltung als Prozess und Geschehen und nicht von einer in der Welt und an sich vorhandenen Wirklichkeit versteht. Als im moderneren Sinne ‚pessimistisch‘ könnte man darin wohl vor allem die Auffassung von der individuierten Gestalt (auch des Menschen) als Gestaltung in der apollinischen Artikulation erkennen, also nicht als eine Wirklichkeit, die der Welt an sich zugehört. Das ‚Pessimistische‘ ist also nicht das ‚Dionysische‘, sondern die in der Tragödie geschehende apollinische Darstellung des Dionysischen, die in sich die Begrenztheit kennt, weil sie ihren Ursprung als ein Gestalten und Bilden zeigt, so dass das Gestaltete und Gebildete nicht als etwas von Natur aus und notwendig Vorhandenes zur Geltung kommt.
Als eine ‚optimistische‘ Weltbetrachtung bezeichnet Nietzsche nun entsprechend die mit der platonischen Philosophie beginnende Ersetzung der apollinischen durch eine sokratisch-platonische Darstellung des Dionysischen. Wir hatten schon darauf hingewiesen, dass diese sich vor allem dadurch auszeichnet, dass das individuierende Gestalten selbst nicht mehr zur Erscheinung kommt, die sich vielmehr auf die individuierten Gestalten beschränkt. Das ‚Optimistische‘ darin ist vor allem der damit verbundene Glaube, diese Gestalten seien als solche – und ohne ihre Herkunft aus der individuierenden Gestaltung als einer Leistung – der Garant für die universale Verständlichkeit und Beherrschbarkeit der Welt. Das Bilden verblasst hinter dem Gebildeten und das Gestalten hinter dem Gestalteten, so dass nur noch die isolierten Bilder und Gestalten ohne ihre Herkunft übrig bleiben. Sokrates/Platon ist deshalb das
„Urbild des theoretischen Optimisten, der in dem bezeichneten Glauben an die Ergründlichkeit der Natur der Dinge dem Wissen und der Erkenntnis die Kraft einer Universalmedizin beilegt und im Irrtum das Uebel an sich begreift. In jene Gründe einzudringen und die wahre Erkenntnis vom Schein und vom Irrtum zu sondern, dünkte dem sokratischen Menschen der edelste, selbst der einzige wahrhaft menschliche Beruf zu sein: so wie jener Mechanismus der Begriffe, Urteile und Schlüsse von Sokrates ab als höchste Betätigung und bewunderungswürdigste Gabe der Natur über alle anderen Fähigkeiten geschätzt wurde.“ (GT III-1, 96 –97)
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An anderer Stelle ist von dem „ans Licht gekommenen Glauben an die Ergründlichkeit der Natur und an die Universalheilkraft des Wissens“ die Rede (GT III-1, 107). Allerdings wird darin die Herkunft des ganzen Mechanismus selbst nicht beachtet, d. h. das Logische ist nach Nietzsche zu einer solchen Reflexion auf sich und seinen Status nicht fähig.
Der Begriff von einer ‚Universalmedizin‘ weist darüber hinaus noch auf einen Aspekt im ‚Optimismus‘ der mit Sokrates/Platon in die Welt gekommenen Wissensform, den wir konkret in der Verwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Technik antreffen können. Die undionysische ‚Heiterkeit‘ des theoretischen Menschen zeigt sich auch darin,
„dass sie an Stelle eines metaphysischen Trostes eine irdische Konsonanz, ja einen eigenen deus ex machina setzt, nämlich den Gott der Maschinen und Schmelztiegel, d. h. die im Dienste des höheren Egoismus erkannten und verwendeten Kräfte der Naturgeister, dass sie an eine Korrektur der Welt durch das Wissen, an ein durch die Wissenschaft geleitetes Leben glaubt und auch wirklich im Stande ist, den einzelnen Menschen in einen allerengsten Kreis von lösbaren Aufgaben zu bannen, innerhalb dessen er heiter zum Leben sagt: ‚Ich will dich: du bist wert erkannt zu werden.‘“ (GT III-1, 111)
Nietzsches Philosophie ist deshalb ebenso eine Philosophie der Technik wie sie eine Philosophie der theoretischen Wissensform ist. Eine solche Technikphilosophie ist aber ebenso wie die des Wissens letztlich eine Philosophie der Kunst – also eine ästhetische Philosophie, weil sie auf den ‚künstlerischen‘ Ursprung des Individuierens von Begriffen, Erkenntnissen und Wissensformen reflektiert.
Nichtsdestoweniger ist dieser Optimismus doch auch nach Nietzsche nicht unendlich, und seine Grenzen sind gleichbedeutend mit denen der Wissenschaft bzw. denen des Glaubens an die Wissensform, die wir auch heute noch als Wissenschaft bezeichnen. Gerade an diesen Grenzen sieht Nietzsche die Wiedergeburt des Tragischen und der tragischen Kunst – d. h. der Kunst, in deren Gestalten sich das Gestaltetsein selbst noch zur Erscheinung bringen kann, weshalb sie dionysisch und apollinisch zugleich sein muss. Nietzsche beschreibt diese Grenzen des platonisch-wissenschaftlichen Optimismus so:
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„Nun aber eilt die Wissenschaft, von ihrem kräftigen Wahne angespornt, unaufhaltsam bis zu ihren Grenzen, an denen ihr im Wesen der Logik verborgener Optimismus scheitert. Denn die Peripherie des Kreises der Wissenschaft hat unendlich viele Punkte, und während noch gar nicht abzusehen ist, wie jemals der Kreis völlig ausgemessen werden könnte, so trifft doch der edle und begabte Mensch, noch vor der Mitte seines Daseins und unvermeidlich, auf solche Grenzpunkte der Peripherie, wo er in das Unaufhellbare starrt. Wenn er hier zu seinem Schrecken sieht, wie die Logik sich an diesen Grenzen um sich selbst ringelt und endlich sich in den Schwanz beisst – da bricht die neue Form der Erkenntnis durch, die tragische Erkenntnis, die, um nur ertragen zu werden, als Schutz und Heilmittel die Kunst braucht.“ (GT III-1, 97)
Im Grunde beruft sich Nietzsche hier auf die Grundsätze der theoretischen bzw. logischen Kultur selbst, wenn er darauf hinweist, dass eine solche Kultur nicht vor ihren eigenen Konsequenzen zurückweichen kann, da „eine Kultur, die auf dem Prinzip der Wissenschaft aufgebaut ist, zu Grunde gehen muss, wenn sie anfängt, unlogisch zu werden, d. h. vor ihren Konsequenzen zurück zu fliehen.“ (GT III-1, 115)
Nietzsche weist in diesem Zusammenhang übrigens auch darauf hin, dass die Reflexion auf das Wissen selbst bereits vor ihm dazu geführt habe, dessen Grenzen zu erkennen und damit eine Neubesinnung auf das ‚Tragische‘ einzuleiten. Er erwähnt namentlich und naheliegenderweise Kant, der „das Rüstzeug der Wissenschaft selbst zu benützen gewusst [habe], um die Grenzen und die Bedingtheit des Erkennens überhaupt darzulegen und damit den Anspruch der Wissenschaft auf universale Geltung und universale Zwecke entscheidend zu leugnen: bei welchem Nachweise zum ersten Male jene Wahnvorstellung als solche erkannt wurde, welche, an der Hand der Kausalität, sich anmaßt, das innerste Wesen der Dinge ergründen zu können.“ (GT III-1, 114) Gemeint ist natürlich Kants Kritik an einer Philosophie, die beanspruchte, mithilfe von rationaler Theologie, Psychologie und Kosmologie eine rein vernünftige und damit letztbegründete Aufklärung über Gott, den Menschen und die Welt geben können, und gemeint ist Kants Begrenzung des vernünftigen Wissens auf die Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung, die zugleich die Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände der Erfahrung sind. Mit dieser ‚Kritik der reinen Vernunft‘ sieht Nietzsche also bereits eine Erschütterung des „im Wesen der Logik verborgen liegenden Optimismus.“ (GT III-1, 114)
Diese Erschütterung muss aber schließlich auch weiter reichende Folgen für das Leben der Menschen haben, da gerade jener Optimismus des Wissens „wiederum der Untergrund unserer Kultur ist.“ (GT III-1, 114) Gerade damit soll eine Kultur eingeleitet sein, „welche ich als eine tragische zu bezeichnen wage: deren wichtigstes Merkmal
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ist, dass an die Stelle der Wissenschaft als höchstes Ziel die Weisheit gerückt wird, die sich, ungetäuscht durch die verführerischen Ablenkungen der Wissenschaften, mit unbewegtem Blicke dem Gesamtbilde der Welt zuwendet und in diesem das ewige Leiden mit sympathischer Liebesempfindung als das eigne Leiden zu ergreifen sucht.“ (GT III-1, 114) Als ‚Weisheit‘ (im Unterschied zur Wissenschaft) bezeichnet Nietzsche hier eine Wissensform, die sich am ‚Gesamtbild‘ orientiert – also am Dionysischen zusammen mit dem Apollinischen, an den Individuen ebenso wie an der Individuierung, an den Gestalten ebenso wie an der Gestaltung (während für die Wissenschaft nur die Individuen und Gestalten in den Blick geraten).
Eine solche neue Darstellung der Individuierung als Prozess und Geschehen im Wandel wäre also in einem gewissen Sinne die neue Form einer ‚tragischen‘ Kultur, und Nietzsche sieht die Erschütterung der Sicherheit des Wissens der Wissenschaft in folgender Situation: „Nachdem … die sokratische Kultur von zwei Seiten aus erschüttert ist … , einmal aus Furcht vor ihren eigenen Konsequenzen, die sie nachgerade zu ahnen beginnt, sodann weil sie selbst von der ewigen Gültigkeit ihres Fundamentes nicht mehr mit dem früheren naiven Zutrauen überzeugt ist.“ (GT III-1, 115)
Man sollte nicht vergessen, dass Nietzsche sich hier an einer Diagnose seiner Gegenwart in Bezug auf das wissenschaftliche Weltbild versucht: wir schauen hier „auf die höchsten Sphären derjenigen Welt, die uns umflutet,“ und gewahren „die in Sokrates vorbildlich erscheinende Gier der unersättlichen optimistischen Erkenntnis in tragische Resignation und Kunstbedürftigkeit umgeschlagen.“ (GT III-1, 97 –98) Es war für Nietzsche jedoch eine offene Frage, ob diesem Bedarf an Kunst in seiner Gegenwart genüge getan werden könne. Es stellte sich für ihn die Frage: „wird jenes ‚Umschlagen‘ zu immer neuen Konfigurationen des Genius und gerade des musiktreibenden Sokrates führen? Wird das über das Dasein gebreitete Netz der Kunst, sei es auch unter dem Namen der Religion oder der Wissenschaft, immer fester und zarter geflochten werden, oder ist ihm bestimmt, unter dem ruhelos barbarischen Treiben und Wirbeln, das sich jetzt ‚die Gegenwart‘ nennt, in Fetzen zu reissen?“ (GT III-1, 98) Die Auseinandersetzung um den Geist seiner Gegenwart und Zukunft sah Nietzsche also zwischen „der unersättlichen optimistischen Erkenntnis“ – m. a. W.: der Wissensform der Wissenschaft – auf der einen Seite und „der tragischen Kunstbedürftigkeit“ auf der anderen Seite stattfinden (GT III-1, 98 –99).
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