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1 – Kennenlernen

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Björn hatte das Singledasein satt. Weder hatte eine günstige Fügung des Schicksals geholfen, die Bekanntschaft einer attraktiven Frau zu gewinnen, noch hatten die bewährten Anbahnungsinstitutionen Arbeitsplatz und Freundeskreis zum gewünschten Ergebnis geführt.

Der Mitarbeiter in der Verwaltung eines bekannten Unternehmens setzte daher eine Anzeige in einem Stadtmagazin auf. Björn inserierte, die Umworbene möge möglichst brünette oder dunkle Haare haben, führte auf sein eigenes Alter 42, Größe und Gewicht, in welche Länder er gerne reiste und pries die Annehmlichkeiten eines Frühstücks auf einem Balkon, über den er geböte. Über ihn ist zu sagen, dass er einige Pfunde mehr auf die Waage brachte, als ihm lieb war, was aber bei seinen passablen Körpermaßen kaum auffiel. Auch hatte er feine Gesichtszüge, fade und langweilig nörgelte er. Sein Werben wurde erhört. Einige Damen signalisierten in ihren Antwortbriefen in gewählten Worten und mit viel Wohlwollen, die die Bereitschaft einer späteren Beziehung durchaus einzuschließen schien, ihr Interesse an einem Rendezvous. Eine Susanne hatte ganz in seinem Sinne vorgeschlagen, so er den Kaffee zubereite, die Brötchen mitzubringen. Die erste Begegnung würde nicht im Kino oder auf einer Parkbank stattfinden, sondern aus einem Anruf bestehen, dessen Zweck es war, alles Weitere zu besprechen. An diesem Punkt scheiterte das Vorhaben. Björn, ohnehin kein großer Redner, würde kein Wort rauskriegen und zu stottern anfangen, er würde sich schon im ersten Moment blamiert haben. Viele Tage lang rang er mit sich, redete sich gut zu; nichts half, er schaffte es nicht, zum Fernsprechapparat zu greifen.

Da selbst die planvolle Vorgehensweise nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt hatte, verzichtete Björn damals, schon vor etlichen Jahren, auf weitere Versuche. Er ging, was er bisher schon getan hatte, in seine Stammkneipe und hoffte, was er auch schon ausgiebig getan hatte, die Richtige werde ihm dort schon über den Weg laufen. Im "Löwen", wo sich allabendlich Studierte, Angehörige der Sozialberufe, Taxifahrer, Verzweifelte, Angestellte, Touristen und Einheimische die Nächte um die Ohren schlugen, wählte man nach den über der Theke angebrachten Schiefertafeln unter verschiedenen Weinen, Bieren und Kleinigkeiten zum Essen, nahm die Bestellung in Empfang und konnte, so man frühzeitig erschien, zwischen einer Sitzgelegenheit oder einem Stehplatz direkt an einem der Weinfässer wählen. Wenn Björn daheim die Decke auf den Kopf zu fallen drohte, trieb es ihn hinaus in die Nacht. Sein Downtown lag nur einige schummerig beleuchtete Straßen entfernt, war bequem in zehn Minuten zu erreichen. Noch nicht fertig zum Weggehen angezogen oder auf halbem Wege zur Tür überkamen ihn bisweilen Gewissensbisse. Zumeist gelang es ihm, seine Bedenken mit dem Hinweis zu beschwichtigen, er habe ein Recht auf Belohnung und Ausgleich zu eben jenem Berufsleben, das ihm alles abverlange.

Jeden zweiten Abend und öfter ließ er sich in seinem Refugium blicken und genoss sein Quantum Wein: zwei, drei Gläser des Traubensaftes. Die Musik war so lala, aber andererseits so laut, verstärkt durch das Gebrabbel der Gäste, dass man sein eigenes Wort nicht verstand; dazu herrschte ein ständiges Gedränge und Geschupse in dem Lokal. Er musste seinen Bauch und Hintern einziehen, einen Schritt vorwärts, einen halben Schritt zurück tänzeln, um Passierende durchzulassen, wobei besondere Vorsicht und Abstand gegenüber denjenigen geboten war, die bis zum Rande gefüllte Gläser balancierten. Kaum verließ er seinen Platz, um eine Bestellung an der Theke aufzugeben, hatten ihn möglicherweise schon Insurgenten besetzt, und dann stand er erst recht im Weg. Björn war also ständig körperlich, aber auch geistig gefordert, musste doch genau überlegt sein, welches Rebenerzeugnis er als nächstes auswählen sollte, den Kerner oder den Nahe-Riesling oder doch den Riesling aus Rheinhessen, vor allem wie er in die Nähe einer attraktiven Frau gelangen, und welche Einleitung gebrauchend, er sie ansprechen sollte.

Der Wein machte ihn auf angenehme Weise müde, wandelte seine Alltagssorgen in Bettschwere um. Er war mit einiger Verspätung in das Rennen um gut bezahlte und interessante Jobs gestartet, war mehrfach überrundet worden und lief dem Feld hinterher. Ihm würden lange Jahre der Bewährung bevorstehen, bevor er jemals in eine höhere Gehaltsstufe aufstiege. Von einer Villa mit Garten konnte er nur träumen, noch nicht mal eine Eigentumswohnung oder eine gescheite Mietwohnung würde er sich als Rentner leisten können. Björn lebte in einer Wohngemeinschaft, einerseits um Geld zu sparen und andererseits, um nicht alleine zu sein. Doch die meiste Zeit waren die Mitbewohner ausgeflogen und abends, anderen Interessen folgend, woanders unterwegs. Er musste also ohne Begleitung losstiefeln, wollte er noch etwas unternehmen, unter Menschen sein, und um, wie er es ausdrückte, Mitreisender einer magischen Busfahrt zu werden. Durch den Kauf eines Gläschen Weins erwarb er sein Billet. Was erwarteten er und die anderen Einkehrer? Der Reiz bestand darin, dass keiner vom anderen genau wusste, welcher Wunsch ihn hierher getrieben hatte: Zerstreuung, ein Schwips oder die Hoffnung auf einen Flirt. Der "Löwe" stand im Ruf bestens geeignet zu sein für die Anbahnung von Kontakten. Dieser Parole wurde schon darum nicht widersprochen, weil es jeden reizte, herauszufinden, wie er sich in dieser elementaren Situation bewähren würde, ohne hinterher jemand anderem als sich selbst Rechenschaft ablegen zu müssen, ob der Versuch als geglückt gelten konnte. Seinen Absichten liefen diese Gerüchte jedenfalls zuwider. Es bedurfte bei neuen Gästen einiger Eingewöhnungszeit, bis sie sich beruhigt und festgestellt hatten, dass an dem Gerede nichts dran war, aufhörten wie Erdmännchen aufgerichtet, aufgeregte Blicke in alle Richtungen zu werfen, ob ihrer Gruppe jemand zu nahe träte.

Die Gesetze der Welt, ihre Hektik waren vorübergehend außer Kraft gesetzt, zumindest an den ruhigen Tagen abgemildert. Die Menschheit ging zum gemütlichen Teil über. Die Räume waren in trauliches Schummerlicht getaucht. So könnten schon einst die Höhlenmenschen beim Feuerschein zusammen gesessen haben. Ihm gefiel es an den Abenden, wenn das Stimmengewirr sich mit der Musik aus den Lautsprechern vermischte, alleine und doch geborgen unter den Fittichen der Feiergesellschaft seinen sehnsuchtsvollen Gefühlen nachzuhängen. Was fehlte ihm da noch zum Glück, wenn sein Blick zufällig auf die nackten Arme eines weiblichen Geschöpfes fiel, dann nahm er ihre Silhouette für den seiner früheren Freundin, stellte sich vor, wie es sich angefühlt hatte, sie zu umarmen, sanft ihren Unterarm zu streicheln, wie er voll des Entzückens gewesen war, wenn die Härchen auf ihrem Unterarm sich aufstellten und während er ganz vernarrt in den Anblick dieses Naturschauspiels versunken war, sie mit einem Ruck den Arm wegzog. "Das kitzelt", hätte sie gesagt. Er fühlte sich eins mit der Welt, wenn er beim Einschenken der Weine zusah, wie die Gläser sich beschlugen, sich füllten mit den verschiedenen Farben des Weißweines, von fast wasserklar bis honiggelb. Der Tau auf den Trinkgefäßen ließ ihn an den morgendlichen Rauhreif auf den Trauben in den Weinbergen denken, an die Mühen, die Pflege die Ernte und Lagerung ehe man den guten Tropfen genießen konnte. War er nicht mit dem Führen des Glases zum Munde im Begriff, eine seit Jahrtausenden gepflegte, kultische Handlung zu begehen, die auch heute noch jederzeit in den Auftakt zu einem bacchantischen Freudenfest umschlagen konnte?

Insgeheim hatte Björn die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass aus einem Flirt mehr werden könnte. Wenn ihm einer der weiblichen Gäste gefiel, ging er zurückhaltend vor, beließ es dabei, gelegentlich wie zufällig einen Blick in ihre Richtung zu werfen, oder tat noch nicht einmal dies, freute sich einfach, dass es diese Person gab, die ihn mit ihrer Ausstrahlung derartig in Bann hielt und überließ es dem Zufall, ob sie sich wieder begegnen würden, um nicht den Zauber des Augenblicks zu zerstören. Andererseits sprach nichts dagegen, gelegentlich aktiver zu werden, um seine Chancen auszuloten, vielleicht hätte man sich gut verstanden, aber, als hätte die Dame seine Absichten geahnt, entschwand sie plötzlich, weil er zu lange gezögert hatte, wie er befürchtete, oder, weil ihre Begleitung zum Aufbruch drängte, sie schon länger geblieben war, als geplant? Es war schwierig anderer Leute Gedanken zu lesen. Um dem Dilemma aus dem Weg zu gehen, begnügte er sich, mit seiner unmittelbaren Umgebung ein paar freundliche Worte zu wechseln, was auch dem Zweck diente, eine entspannte Stimmung zu schaffen. Aber selbst bei dieser gut gemeinten Konversation schien die Damenwelt seiner Gegenwart kaum etwas abgewinnen zu können, und womöglich seinen trockenen Humor und seinen Hang zum Understatement nicht schätzte.

Als Stammgast wusste er natürlich nur allzu gut, dass es für das weibliche Geschlecht völlig aussichtslos war, auf das Erscheinen ihres Traummannes zu warten. Weder würde Brad Pitt, George Clooney oder Johnny Depp zur Tür herein kommen und ihnen einen Antrag machen, noch würde James Dean auferstehen. Dem real bestehenden Angebot von Björn Sievers und Konsorten wohnte dem gegenüber der Charme einer Notration inne. Unterhaltungen, so sehr er sie sich einerseits wünschte, ermüdeten ihn oft rasch wegen ihrer Vorhersehbarkeit und ihrer Konventionalität, auch deswegen, weil sein Verständnis von Status und Prestige sich erheblich von ihrem unterschied, so dass er rasch die Lust an der Fortsetzung des Gespräches verlor, was umgekehrt auch der Fall sein konnte. Vielleicht reichte das Interesse einiger Damen nur so weit, erleben zu wollen, wie es sich anfühlte, den Kopf in das aufgerissene Maul der Bestie Mann, zu stecken, und wollten nicht mehr, als verkünden, den Aufenthalt im "Löwen" unbeschadet überstanden zu haben. Wobei in ihrer Schilderung das Bedauern mitgeschwungen haben könnte, zu vernünftig und tugendhaft gewesen zu sein und sich insgeheim zu ärgern, sich den Anfechtungen nicht ergeben zu haben, was wiederum bei ihrer Zuhörerschaft die Neugier auf das verruchte Etablissement wachhielt, da es den Absichten der Berichterstatterin zupass kam, dass es übermenschlicher Willenskraft zu bedürfen schien, um sich der Avancen zu erwehren. Möglicherweise war auf diese Weise die Fama entstanden, dass kaum eingetreten, Frau von einem lüsternen Neandertaler, die hier eine letzte Zufluchtsstätte gefunden hatten, mit einer unter ihrem Fellumhang versteckten Keule betäubt würde, worauf sich der virile Frühmensch mit geschulterter Beute, kehlige und schmatzende Laute ausstoßend, wegtrollte. Er sah die sich widersprechenden Ergebnisse der Untersuchungen vor sich, dass Pärchen sich so und so oft pro Woche miteinander vergnügten. Demnach übertraf ihre Liebestätigkeit erheblich die der, um ihre potentiellen Freiheiten beneideten, Singles. Mit Genugtuung stellte Björn fest, dass die quantitative Erhebung keine Rückschlüsse zuließ, ob sie dabei auf ihre Kosten kamen. Die verschiedenen Reports förderten allerdings auch zu Tage, dass bei vielen Damen die Sehnsucht nach dem starken Geschlecht im gleichen Maße wie die Hemmung abgenommen hatte, mit eigener Hand für die Befriedigung ihres körperlichen Verlangens zu sorgen.

Einige Personen konnte er nicht leiden: die aufgebrezelten Freundinnen, die sich hochnäsig und blasiert separierten, ebenso wenig wie das Gegenteil. Die aufgeschlossenen geduldigen Lämmchen, die sich den ganzen Abend von zwei Karikaturen männlicher Selbstdarstellung in Beschlag nehmen ließen. Aus falsch verstandener Höflichkeit meinten sie, verpflichtet zu sein, auch die ödeste Unterhaltung über sich ergehen zu lassen, die er mitanhören musste, anstatt höflich und bestimmt "Nein" zu sagen. Dann gab es noch die stetig wachsende Gruppe der mit der Arbeit Verheirateten, die mit erstarrtem Dauerlächeln, paar- und büroweise zu einer Afterworkparty einfielen, und deren Gedanken sich nur um ein Thema drehten: Big Business. Fröhlichkeit auf Zuruf, dachte Björn erschaudernd. Dem Wirbel der Leidenschaften gingen sie mit Bedacht aus dem Weg, denn die Angehörigen der Funktionsgemeinschaft hatten das Wort Leichtsinn aus ihrem Vokabular gestrichen, da es ihnen als unberechenbare Größe und als jeder sachlichen Berechnung entziehendes Hindernis galt. Ihr Blick war nach vorne gerichtet. Die Welt konnte nur gerettet werden, wenn alle Lebensbereiche mit professioneller Hingabe abgewickelt wurden.

Die große Auswahl an Frauen war aus Björns Sicht nicht mehr da. Sie waren verheiratet oder steckten in Beziehungen, denen Kinder entstammten, und dann hielt das Pflichtgefühl sie am Herde zurück, wenn es nicht die pure Freude am Mutterdasein war. Viele der anderen Damen schienen sich, wenn sie das Etablissement beehrten, nur an dem bunten Gewimmel erfreuen zu wollen. Die in der Statistik erfassten Ungebundenen stellten oft die schwierigen Fälle dar, die Unentschlossenen und Enttäuschten. Einmal gelang Björn mit einem simplen Satz eine glänzende Gesprächseröffnung. Als er einen weiblichen Gast launig fragte, welchen Wein sie trinke, und wie er ihr schmecke, schaute sie ihn verdutzt an: "Ob er das wirklich wissen wolle, so etwas frage man doch nicht, man sei doch aus einem ganz anderen Grunde hier." Sie war zu verblüfft, um noch Hemmungen zu haben, sich mit Björn weiter zu unterhalten. Solch günstige Fügungen waren selten. Aber, vielleicht bekamen alle Gäste dennoch das, wonach sie suchten: Sie kamen sich nahe, für ein paar Augenblicke, schwebten für die Dauer einer Weinschorle auf rosaroten Wolken. Den Absturz aus ihren Träumen vermeidend und ahnend, wie es hätte weitergehen können, entschieden sie sich - trotz der Verlockungen - für ihre Unabhängigkeit.

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