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IV

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Zum Glaubensbekenntnis des Neoliberalismus gehört, bis in die Kulturen seiner Gegner hinein, ein Triptychon der Verneinung: Es gibt keinen neuen Jesus Christus. Es gibt keinen neuen Karl Marx. Es gibt keine neuen Beatles. Das scheint so selbstverständlich und irgendwie auch schwer entlastend, dass man zu fragen vergisst: Warum eigentlich nicht? Lassen wir mal die Frage nach Jesus Christus und vorläufig auch die nach Karl Marx beiseite, dann können wir uns den Beatles zuwenden. Natürlich war das, was die Fab Four schafften, ein Quantensprung in unserer Musik. Rock’n’Roll eroberte Kunst oder ließ sich von Kunst erobern.

Danach war alles möglich und ist es immer noch. Wer glaubt, zwischen Rock’n’Roll und Kunst würde nichts mehr passieren, hört wahrscheinlich wenig neue Musik oder hat vor Jahren sein Spex-Abo gekündigt. Nur begleitet es eben nicht mehr die Befreiung von Generationen und Kulturen, es ist am Ende, was die Kunst schon immer war, vor allem subjektive Kraft. Über die neue Pere-Ubu-CD zu sprechen, ist fast schon konspirativ, und Jello Biafra ist ein Held für Leute, die sich sowieso auf verlorenem Pos­ten wähnen. Schlimmer geht es jenen, die vom offiziellen Kulturbetrieb musealisiert werden wie Kraftwerk oder Einstürzende Neubauten. Und vom grönemeyernden Pop-Patriotismus wollen wir gleich ganz schweigen. Für den Augenblick jedenfalls.

Neue Beatles gäbe es also zuhauf, nur ein neues Beatles-Publikum gibt es nicht. Erinnern wir uns an die Erfolgsgeschichte von ABBA. Als damals der Spiegel verkündete, ABBA verkaufe mehr LPs als die Beatles, tat man es mit der überheblichen Geste: Da habt ihr es! Eine große Erleichterung der Wächter der Hochkultur: Pop ist und bleibt Ramsch – unnütz zu sagen, dass man auch ABBA nicht genau zu hören bereit war. Obwohl die Platte in jedem WG-Gemeinschaftszimmer stand, sichtbar genug, war die »Bananen-Platte« der Velvet Underground kein kommerzieller Erfolg. Helene Fischer oder Andreas Gabalier füllen Konzerthallen wie die Beatles und lösen Begeisterung aus; die Rolling Stones machen das immer noch, wenn auch eher als Erinnerung an Pop als Pop. Was ist der Unterschied?

Eine Tatort-Besichtigung macht es rasch deutlich: Das eine sieht aus wie eine Gefängnisrevolte, das andere wie die Verteidigung einer belagerten Burg. Das sind zwei sehr ex­treme Formen von Kollektivierung. So macht sich der nach­denkliche Pop-Star auf, eine verlorene Kraft der Sub­jektivi­täten, einen verlorenen Safe Space der Kommunika­tion zu errichten, in den Texten, den Interviews an ein verlorenes »Unter uns« zu erinnern. Der nachdenkliche Pop-Star mit einem Hang zur Kunst ist ein Zerfallsprodukt des großen Bruchs. Pop für Leute, die nicht mehr an Pop glauben.

Die andere Seite des »nachdenklichen Pop-Stars« ist der Popkritiker/die Popkritikerin, die sich von der jugendlichen Leidenschaft zurückgezogen haben und eine mehr oder weniger ironische Meta-Haltung einnehmen. Nicht einmal echte Nerds können sie sein, ohne sich zugleich über das eigene Nerdtum lustig zu machen. So haben wir eine Popkritik, was Musik, Comics oder Film anbelangt, in der immer mehr Wissen akkumuliert wird, bis hin zu einer etwas grotesk asynchronen Akademisierung (so viel filmhistorische Fachbücher bei so wenig Interesse an Filmgeschichte!), aber immer weniger Leidenschaft und Empfindung (vom Narzissmus des kritischen Subjekts abgesehen). Die Popkritik, die diesen Namen noch verdient, steht eindeutig neben sich selbst. Sie glaubt weder an ihren Gegenstand noch an sich noch an die Gemeinschaft mit den Adressaten. Popkritik als Technik der Vereinzelung aber ist das Gegenteil dessen, was sie eigentlich einmal hätte werden können, nämlich eine organische intellektuelle Begleitung einer aufrührerischen oder dissidenten Alltagskultur.

Wir lassen uns auf diese Weise zu Agenten der »zirkulären Produktion von Vereinzelung« machen, von der Guy Debord gesprochen hat. »Der Ursprung des Spektakels«, sagt Debord, »ist der Verlust der Einheit der Welt.« Setzen wir an die Stelle von »Spektakel« Pop. Und an die Stelle von »Welt« erst einmal bescheiden unsere Gesellschaft oder unsere Kultur. Dann ist die Frage, was mit diesem Verlust der Einheit, die es vielleicht auch nie gegeben hat, angestellt wird. Wird der Verlust bestätigt, beklagt, erklärt oder rückgängig gemacht? Wird Einheit wieder erzeugt oder wenigs­tens simuliert oder wird umgekehrt ihr Verlust mit Sinn und Haltung ausgestattet? Geht es zurück ins kindliche Paradies oder vorwärts ins Utopische oder doch nur seitwärts in den Reproduktionsraum der »Freizeit« zwischen den Arbeits- und Konsumzyklen? Ist also Pop Teil des Lebens (Teil der Person und Teil ihrer Stellung in der Geschichte) oder ist Pop Auszeit in der Warenwelt, untoter, verdinglichter Appendix, Schmiermittel zwischen Totarbeiten und Totamüsieren? Wer weiß. Entscheidend ist nicht die Antwort, entscheidend ist der Mut, die Fragen zu stellen.

Is this the end?

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