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Fünfter Abschnitt

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Als Dunstan Cass der Hütte den Rücken wandte, war Silas Marner kaum einige hundert Schritte davon; er kam vom Dorfe her, einen Sack zum Schutz gegen den Regen über die Schulter geworfen und eine Stallaterne in der Hand. Seine Beine waren müde, aber sein Geist war frisch und frei von jeder bösen Ahnung.

Das Gefühl der Sicherheit entspringt öfters aus Gewohnheit als aus Überzeugung, und darum besteht es oft noch fort, auch wenn die Verhältnisse sich so geändert haben, daß wohl Grund zur Furcht wäre. Der Zeitraum, während dessen ein bestimmtes Ereignis nicht eingetreten ist, gilt für die Logik der Gewohnheit immer als ein Grund, daß dieses Ereignis nie eintreten kann, selbst wenn die Länge der vergangenen Zeit grade der Grund ist, der die Gefahr herbeiführt. Ein Mensch erzählt uns, er habe vierzig Jahre in einem Bergwerke unversehrt gearbeitet, und er führt das als einen Grund an, daß überhaupt keine Gefahr dabei sei, wenn auch das Gewölbe in den vierzig Jahren sich gesenkt hat, und man erlebt oft genug, je älter einer wird, desto schwerer wird es ihm, an die Möglichkeit seines Todes zu glauben. Diese Macht der Gewohnheit mußte notwendigerweise bei einem Menschen stark sein, der ein so einförmiges Leben geführt hatte wie Marner, der keine neuen Leute kennen lernte und nie was Neues hörte, was den Begriff des Unerwarteten und Wechselnden in ihm hätte lebendig erhalten können, und so erklärt es sich ganz einfach, warum er so unbesorgt war, obschon er sein Haus und seinen Schatz ganz ohne Schutz gelassen hatte.

Mit doppeltem Behagen dachte Silas an sein Abendbrot, einmal, weil es warm und schmackhaft sein würde, und dann, weil es ihm nichts kostete. Denn das kleine Stück Schweinefleisch war ein Geschenk von dem vortrefflichen Fräulein Priscilla Lammeter, der er heute ein hübsches Stück Leinen gebracht hatte, und nur bei einer solchen Gelegenheit gönnte sich Silas überhaupt gebratenes Fleisch. Das Abendessen war seine Lieblingsmahlzeit, weil er es in der Feststunde des Tages genoß, wo sein Herz sich am Golde erwärmte; wenn er je Braten hatte, so nahm er ihn zum Abendbrot. Aber heute Abend hatte er kaum die Schnur künstlich um das Schweinefleisch geschlungen und sie oben am Kesselhaken so angebracht, daß sie sich von selbst drehte, als ihm einfiel, er brauche zu einem neuen Gewebe, welches er früh am andern Morgen aufziehen wollte, ein Stück besonders schönes Garn.

Der Nebel draußen war zwar abscheulich, aber in den Morgenstunden seine Zeit mit Gängen zu verlieren, davon konnte keine Rede sein, und es gab Dinge, die Silas mehr liebte als seine Bequemlichkeit. So schob er denn das Fleisch an das äußerste Ende des Hakens, rüstete sich mit Sack und Laterne und machte sich auf den Weg, der ihn bei gewöhnlichem Wetter höchstens zwanzig Minuten gekostet hätte. Die Tür zu verschließen, kam ihm nicht in den Sinn; welcher Dieb würde in solcher Nacht den Weg nach dem Steinbruch finden? Und warum sollte er grade diese Nacht kommen, da er all die fünfzehn Jahre her nicht gekommen war? Diese Fragen warf Silas sich nicht grade deutlich auf; sie geben nur im allgemeinen an, weshalb er frei von jeder Besorgnis war.

Sehr befriedigt, daß der Gang getan sei, erreichte er seine Tür; er öffnete sie, und für sein blödes Auge war alles, wie er es verlassen hatte, nur daß das Feuer noch heller und heißer brannte. Er ging hin und her, um die Laterne wegzustellen und den Sack bei Seite zu legen, und verwischte so mit seinen schwer beschlagenen Schuhen die Spuren von Dunstans Tritten im Sande. Dann rückte er das Fleisch näher ans Feuer und setzte sich zu der angenehmen Beschäftigung nieder, auf den Braten zu achten und sich zu wärmen.

Wer ihn so gesehen hätte, wie der rote Feuerschein auf sein blasses Gesicht, seine seltsamen starren Augen und seine mageren Glieder fiel, der hätte vielleicht die Mischung von verächtlichem Mitleid, Angst und Argwohn begriffen, womit die Nachbarn ihn ansahen. Und doch gab es kaum einen harmloseren Menschen, als den armen Marner. In seiner ehrlichen schlichten Seele konnte selbst die wachsende Habgier kein Laster erzeugen, welches seinen Mitmenschen gradezu gefährlich hätte werden können. Nachdem das Licht seines Glaubens ganz verloschen und seine Empfindungen völlig verödet waren, hatte er sich mit der ganzen Kraft seiner Natur an die Arbeit und das Geld gehängt, und wie alles, dem der Mensch sich hingibt, hatten sie auf ihn zurückgewirkt und ihn nach ihrer Weise umgebildet. Der Webstuhl, an dem er unaufhörlich arbeitete, hatte seinerseits auf ihn eingearbeitet und mehr und mehr das einförmige Verlangen nach seiner einförmigen Musik gestärkt; sein Gold, an dem er hing und das er wachsen sah, dörrte alles, was an Kraft zu lieben in ihm war, mit der Zeit völlig aus, bis er so hart war wie das gelbe Metall selbst.

Sobald er sich durchgewärmt hatte, kam ihm der Gedanke, bis nach Tisch sei eine zu lange Zeit, um mit dem Herausholen des Goldes zu warten, und es wäre hübsch, wenn er die glänzenden Stücke auf dem Tisch haben könnte, während er sein leckeres Mahl verzehrte. Denn Freude ist der beste Wein, und für Silas waren seine Guinees ein goldener Freudentrank.

Er stand auf und setzte ahnungslos das Licht auf den Fußboden beim Webstuhl, strich den Sand weg, ohne eine Änderung zu bemerken, und nahm die Steine auf. Bei dem Anblick der leeren Stelle schlug ihm das Herz heftig, aber daß sein Gold weg sei, konnte er nicht sofort glauben; nur Schrecken kam über ihn und das eifrige Verlangen, dem Schrecken ein Ende zu machen. Mit zitternder Hand fühlte er in dem Loche umher, indem er sich einzureden suchte, seine Augen könnten ihn getäuscht haben; dann hielt er das Licht ins Loch und untersuchte es begierig, während er immer stärker zitterte. Endlich schüttelte es ihn so gewaltsam, daß er das Licht fallen ließ und die Hände an den Kopf hielt, um sich zu fassen und zu überlegen. Hatte er vielleicht gestern Abend aus einem plötzlichen Entschluß sein Geld sonst wohin gelegt und es dann vergessen? Wer in tiefes dunkles Wasser fällt, sucht selbst auf gleitenden Steinen einen augenblicklichen Stützpunkt, und so schob auch Silas, indem er sich trügerische Hoffnungen vorspiegelte, nur den Augenblick der Verzweiflung weiter hinaus. Er suchte in jedem Winkel, kehrte sein Bett um und um, schüttelte es und knetete es; er sah in den gemauerten Ofen, wo er sein Holz trocknete. Als keine Stelle mehr undurchsucht war, kniete er nochmal nieder und tastete wieder in dem Loche umher. Kein Ausweg blieb ihm mehr, um sich auch nur noch einen Augenblick vor der schrecklichen Gewißheit zu retten.

Doch, eine Art Ausweg blieb ihm, der sich immer öffnet, wenn unter einer überwältigenden Leidenschaft der klare Gedanke zu Boden liegt; das war die Erwartung von Unmöglichkeiten, der Glaube an das Widersprechendste. Zitternd erhob sich Silas von den Knien und blickte auf den Tisch; lag das Gold nicht doch da? Aber der Tisch war leer. Dann wandte er sich um und sah hinter sich – sah rings in alle Stellen und Winkel und spannte seine braunen Augen an, ob ihm die Beutel doch nicht irgendwo erschienen, wo er sie bereits vergebens gesucht hatte. Er sah und erkannte alles und jedes, was in der Hütte war, – aber sein Gold war nicht da.

Wieder hob er die zitternden Hände an den Kopf und stieß einen wilden, gellen Schrei aus, den Schrei der Verzweiflung. Einige Augenblicke lang stand er ohne Bewegung, aber der Schrei hatte ihn von dem ersten entsetzlichen Druck der Wahrheit befreit. Er wandte sich um und wankte nach seinem Webstuhl und suchte instinktiv den Sitz, wo er arbeitete, als das festeste Pfand der Wirklichkeit.

Und nun, wo jede trügerische Hoffnung dahin und der erste Stoß der Gewißheit überstanden war, kam ihm der Gedanke an einen Dieb und er hielt ihn begierig fest; denn einen Dieb konnte man fangen und ihm das Geld abnehmen. Der Gedanke gab ihm neue Kraft und er stürzte an die Tür. Als er sie öffnete, schlug ihm der Regen entgegen, der immer stärker herabströmte. In solcher Nacht ließ sich keine Spur von Fußtritten verfolgen. Fußtritte? Wann war denn der Dieb gekommen? Während seiner Abwesenheit bei Tage hatte er die Tür verschlossen, und dann bei der Rückkehr kein Zeichen eines Einbruchs bemerkt. Aber auch am Abend, sagte er sich, sei alles so gewesen, wie er es verlassen. Der Sand und die Steine hatten so ausgesehen, als hätte sie niemand angerührt. War es denn auch ein Dieb, der die Beutel genommen hatte? Oder war es eine unbekannte, tückische Macht, die keine Hand erreichen konnte und die sich eine Freude daraus machte, ihn zum zweiten Male ins Elend zu stürzen? Diese unbestimmte Furcht ließ er indessen bald fahren und blieb fest entschlossen bei dem Räuber mit Händen stehen, den Hände wieder erreichen konnten. In Gedanken musterte er alle seine Nachbarn, die irgendeine Bemerkung gemacht oder eine Frage gestellt hatten, auf die er jetzt seinen Verdacht gründen könnte. Da war zum Beispiel Hans Rodney, ein bekannter Wilddieb und auch sonst von schlechtem Ruf; der war ihm oft im Felde begegnet und hatte über Marners Geld seinen Scherz gemacht; ja, einmal hatte er sogar Marner sehr geärgert, indem er hereinkam, um sich die Pfeife anzustecken, und dann am Feuer stehen blieb, statt sich gleich wieder fort zu machen. Hans Rodney war der Dieb – das war ein verhältnismäßig beruhigender Gedanke; ihm konnte man beikommen und das Geld abnehmen; strafen wollte ihn Silas nicht, sondern nur sein Geld wieder haben, das von ihm gegangen war und ihn allein gelassen hatte, wie einen einsamen Wanderer in einer unbekannten Wüste. Den Räuber mußte man packen. Marners Begriffe von Gesetz und Obrigkeit waren sehr unklar, aber er fühlte, er müsse hingehen und seinen Verlust bekannt machen, und dann würden die großen Leute im Dorfe – der Pastor, der Constabler und Squire Cass – dem Hans Rodney oder wer es sonst sei, das gestohlene Geld schon wieder abnehmen. In dieser Hoffnung stürzte er in den Regen hinaus, ohne daran zu denken, seinen Hut mitzunehmen und die Tür zu verschließen; er hatte ja nichts mehr zu verlieren. Er lief so eilig, daß er ganz außer Atem kam und endlich langsam gehen mußte, als er in das Dorf trat und den Weg nach der Schenke einschlug.

In Marners Augen war der »Regenbogen« ein Ort üppiger Schwelgerei für wohlhabende Leute, deren Frauen einen Überfluß an Leinen besaßen; es war der Ort, wo er wahrscheinlich die Würdenträger und Machthaber von Raveloe zusammen fand und seinen Verlust am raschesten bekannt machen konnte. Er öffnete die Tür und wandte sich in die große Schenkstube oder Küche rechter Hand, wo die weniger vornehmen Gäste des Hauses sich gewöhnlich versammelten; das Wohnzimmer linker Hand war für die feinere Gesellschaft bestimmt, in der Squire Cass oft das zwiefache Vergnügen genoß, lustig und herablassend zugleich zu sein. Aber heute war das Wohnzimmer dunkel, da die Hauptpersonen dieses Kreises alle bei Frau Osgood zum Tanze waren. Und in Folge davon war die Gesellschaft in der Küche zahlreicher als gewöhnlich; mehrere Herrschaften, die sonst im Wohnzimmer zugelassen wurden und dort Vornehmeren Gelegenheit gaben, bald groß zu tun, bald sich herabzulassen, begnügten sich heute Abend, ihren Grog da zu trinken, wo sie in der Gesellschaft, welche Bier trank, ihrerseits bald großtun, bald sich herablassen konnten.

Silas Marner

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