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Fünfter Brief.
ОглавлениеVom Fayel, den 12. Prairial.
„Wir sind hier sehr beschäftigt. Seit vier Tagen haben wir ungeheure Touren machen müssen, „zu dem Zwecke“, uns über die Fassung der Adresse zu vereinigen, die wir gezwungnermaßen dem ersten Consul überreichen werden „zu dem Zwecke“, ihn zur Annahme der Kaiserkrone und des Thrones der Cäsaren dringend aufzufordern.“
Während Moritz dies an seine Mutter schrieb, war Victorie (oder Sophie, wie er sich gewöhnt hatte sie zu nennen) zu ihm nach Fayel gekommen. Sie war ihrer Niederkunft nahe und so war ich also auch im Lager von Boulogne, freilich bewußtlos, wie Jeder denken kann, und bald darauf erblickte ich das Licht der Welt, ohne mehr Bewußtsein zu haben. Das Ereigniß meiner Geburt fand in Paris statt, am 16. Messidor des Jahres XII, gerade einen Monat nach dem Tage, an welchem sich meine Eltern unauflöslich mit einander verbanden. Da meine Mutter ihre Stunde nahen fühlte, wollte sie nach Paris zurückkehren, und mein Vater folgte ihr am 12. Prairial. Am 16. begaben sie sich im Geheimen nach der Mairie des 2. Arrondissements und denselben Tag schrieb mein Vater an meine Großmutter:
Paris, den 16. Prairial, Jahr XII.
„Ich habe die Gelegenheit benutzt, nach Paris zu gehen, und bin nun da. Dupont hat seine Einwilligung dazu gegeben, weil ich jetzt, da ich vier Jahre lang als Lieutenant gedient habe, ein Recht auf den Rang eines Rittmeisters habe und mich dazu melden will. Ich wollte Dich in Nohant überraschen, aber heute früh erhielt ich einen Brief von Dupont, in welchem er mir ein eigenhändiges Gesuch schickt, das die erste offne Stelle für mich vom Minister verlangt und nun werde ich dadurch für einige Tage zurückgehalten. Wenn ich diesmal nichts erlange, werde ich Mönch. Vitrolles, der das Gut Ville-Dieu zu kaufen beabsichtigt, wird mit mir nach dem Berry gehen. Herr von Ségur unterstützt mein Gesuch. Ich hoffe Dich endlich und zwar bald zu sehen. Deinen letzten Brief, der mir von Boulogne nachgeschickt ist, habe ich erhalten ... wie gut ist er! — Nun, ich hoffe Dich wo möglich Mittwoch zu umarmen, und das wird ein glücklicher Tag für mich sein. Es giebt deren so einige im Leben, die uns für alle andern trösten. Meine geliebte Mutter, ich umarme Dich!“
Mein Vater war an diesem Tage zugleich glücklich und zum Tode betrübt. Er hatte nun seine Pflicht gegen eine Frau erfüllt, die ihn aufrichtig geliebt hatte und durch welche er bald Vater werden sollte. Er hatte seine Liebe durch eine unauflösliche Verbindung heiligen wollen, aber wenn er sich glücklich und stolz fühlte, dieser Liebe gehorcht zu haben, die mit seinem Gewissen eins geworden war, so hatte er doch den Schmerz seiner Mutter zu täuschen und ihr ungehorsam zu sein, wie unterdrückte, mißhandelte Kinder zu thun pflegen. Und das war sein einziges Vergehen; denn weit entfernt, unterdrückt und mißhandelt zu sein, hätte er von der unerschöpflichen Zärtlichkeit dieser guten Mutter Alles erlangt, wenn er den entschiedenen Schritt gewagt hätte, ihr die Wahrheit zu sagen.
Er hatte nicht den Muth dazu und es war gewiß kein Mangel an Aufrichtigkeit, aber es handelte sich um einen jener Kämpfe, in denen er immer besiegt wurde. Er mußte herzzerreißende Klagen anhören, mußte Thränen sehen, deren Vorstellung schon im Stande war, ihm die Ruhe zu rauben. In diesem Punkte fühlte er sich schwach, und wer dürfte ihm deswegen einen ernstlichen Vorwurf machen? — Seit zwei Jahren schon war er entschlossen, meine Mutter zu heirathen; jeden Tag ließ er sie schwören, daß sie ihre Einwilligung dazu geben würde, und seit zwei Jahren war er immer vor dem Augenblick zurückgewichen, das Versprechen zu erfüllen, das er vor Gott abgelegt hatte, weil ihn die glühende Zuneigung und die eifersüchtige Verzweiflung zurückschreckte, die er im Herzen seiner Mutter gefunden hatte. Er hatte sie im Laufe dieser zwei Jahre, während unaufhörliche Abwesenheiten ihr immer neue Qualen bereiteten, nur dadurch beruhigen können, daß er ihr die Kraft seiner Liebe verbarg und ihr verhehlte, welche Zukunft ihm seine Treue schaffen sollte. Wie mußte er an jenem Tage leiden, als er, ohne seinen Verwandten und seinen besten Freunden etwas zu vertrauen, den Namen seiner Mutter auf eine Frau übertrug, welche durch ihre Liebe zwar verdiente ihn zu führen, aber mit welcher diesen Namen zu theilen, seine Mutter sich jedenfalls nur schwer gewöhnen konnte. Aber er that es trotz alledem; er war traurig, angstvoll, doch er zögerte nicht. Im letzten Augenblicke, als Sophie schon in ihr einfaches Kleidchen von Bafin gehüllt war und einen schmalen Goldreif am Finger trug — denn der Zustand ihrer Finanzen erlaubte ihnen erst nach einigen Tagen einen wirklichen Trauring für sechs Franks zu kaufen — im letzten Augenblicke noch, schlug ihm die glückliche, zitternde, für ihre Zukunft immer unbesorgte Sophie vor, auf die Weihe der Ehe zu verzichten, die, wie sie sagte, ihre Liebe nicht zu erhöhen vermochte. Er bestand jedoch ernstlich darauf, und als sie mit ihm von der Mairie zurückgekommen war, legte er den Kopf in die Hände und überließ sich für eine Stunde dem Schmerze, der besten Mutter ungehorsam gewesen zu sein. Er versuchte ihr zu schreiben, aber er konnte ihr nur die wenigen Zeilen schicken, die ich oben mitgetheilt habe und in welchen er, trotz seiner Anstrengungen, seine Furcht und seine Reue verräth. Und dann schickte er den Brief ab und bat seine Frau um Verzeihung, wegen dieses Augenblicks, den er der angebornen Zuneigung geschenkt hatte, nahm meine Schwester Caroline, das Kind einer andern Verbindung, in seine Arme, betheuerte, daß er sie ebenso lieben wollte, als das Kind, dessen Geburt sie erwarteten, und dann bereitete er sich zur Abreise nach Nohant vor, wo er acht Tage zu bleiben beschlossen hatte, in der Hoffnung Alles gestehen zu können und Alles gut aufgenommen zu sehen.
Aber es war eine vergebliche Hoffnung. Er sprach zuerst von Sophiens Zustande, und indem er den Kopf meines Bruders Hippolyt, des Kindes aus dem kleinen Häuschen, liebkoste, deutete er darauf hin, wie schmerzlich ihm die Geburt dieses Knaben gewesen wäre, dessen Mutter ihm gezwungnerweise fremd geworden war. Er sprach von den Pflichten, welche die unbedingte Liebe einer Frau dem rechtschaffenen Manne auferlegt, und von der Schändlichkeit, eine solche Frau zu verlassen, nachdem man die Beweise der größten Hingebung von ihr empfangen hat. Aber schon bei den ersten Worten brach meine Großmutter in Thränen aus und ohne auf irgend etwas zu hören, ohne auf irgend einen Streit einzugehen, bediente sie sich ihrer gewöhnlichen Beweisgründe, jener Beweisgründe, welche voll zärtlicher Perfidie und rührender Eigensucht waren. „Du liebst eine Frau mehr als mich“, sagte sie; „also liebst Du mich nicht mehr! Wo sind die Tage von Passy geblieben, wo sind die Gefühle, die ausschließlich Deiner Mutter geweiht waren? Wie sehne Ich mich nach der Zeit zurück, als Du mir schriebst: Wenn Du mir zurückgegeben sein wirst, will ich Dich keinen Tag, keine Stunde mehr verlassen! Warum bin ich nicht wie so viele Andere 1793 gestorben! dann würdest Du mich so in Deinem Herzen bewahrt haben, wie Du mich damals darin trugst, und ich hätte nie eine Nebenbuhlerin gehabt!“
Was konnte er einer so leidenschaftlichen Liebe erwiedern? Moritz weinte, antwortete nichts, und verschloß sein Geheimniß in seiner Seele.
Er kehrte nach Paris zurück, ohne sich entdeckt zu haben und lebte ruhig und zurückgezogen in seiner einfachen Häuslichkeit. Meine gute Tante Lucie war im Begriff, sich mit einem Offizier, einem Freunde meines Vaters zu verheirathen, und sie pflegten sich zu kleinen Familienfesten mit einigen Freunden zu vereinigen. Eines Tages hatten sie einige Quadrillen getanzt; meine Mutter trug gerade ein hübsches rosenfarbnes Kleid und mein Vater spielte auf seiner treuen Cremoneser Geige eine Tanzmelodie eigner Erfindung. Meine Mutter war ein bischen leidend, verließ die Tanzenden und ging in ihr Zimmer. Da ihr Gesicht nicht entstellt war, und da sie sich in größter Ruhe fortbegeben hatte, wurden die Contretänze fortgesetzt. Bei dem letzten Chassez-huit begab sich meine Tante Lucie in das Zimmer meiner Mutter und rief in demselben Augenblicke: Kommen Sie, kommen Sie, Moritz! Sie haben eine Tochter!
„Sie soll Aurora heißen, wie meine gute Mutter, die nicht hier ist, um sie zu segnen, aber die sie eines Tages segnen wird,“ sagte mein Vater, indem er mich in seine Arme nahm.
Es war der 5. Juli 1804, im letzten Jahre der Republik und im ersten des Kaiserreichs.
„Ihre Geburt war von Musik und Rosenroth umgeben, sie wird glücklich sein!“ rief meine Tante.