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3. Kapitel

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Mazar-e Sharif, Herbst 2001

In seinen Pluderhosen und dem schwarzen Turban fand Ahmad Romhi sich eigenartig aussehend. Lieber hätte er die schwarz-weiß karierte Kufiya des palästinensischen Widerstandes getragen. Damit wäre er aber hier im Norden Afghanistans zu sehr aufgefallen. Jede Befragung nach seiner Herkunft und Tätigkeit wollte er jetzt umgehen. Schließlich hatte Al Djasira seinen Tod bereits in die Welt hinausgeschrien. Es hätte ihn auch tatsächlich beinahe erwischt. Aber die Bombe hatte seinen Begleiter zerrissen, den man für ihn ausgab. Und so konnte er seinen Feldzug gegen den westlichen Imperialismus unerkannt fortsetzen.

Der klapprige alte Wagen ohne Motorhaube, auf dessen Ladefläche Said el Oteiba und Ahmad Romhi saßen, zog eine breite Staubfahne hinter sich her. Die brütende Hitze ließ die mächtige Kuppel der Moschee in Mazar-e Sharif – Grab des Edlen –, die mit ihren blaugrünen Fliesen aus der Ferne zu sehen war, flirrend erscheinen. Hunderte weißer Tauben hielten sich vor dem Gebäude auf, stolzierten gurrend umher und flogen hoch, wenn sie sich bedroht fühlten. Der Einfluss iranischer Architekten war unverkennbar. Es war eine Reminiszenz an die Schiiten, denen rund zehn Prozent aller Muslime zugerechnet werden und die im Iran vorherrschend sind. In dieser Moschee wurde angeblich der Stammvater der schiitischen Glaubensrichtung, Ali ibn Abu Talib, auf wundersame Weise bestattet. Ein weißes Kamel hatte, der Überlieferung zufolge, den Leichnam des Sharifs aus dem fernen Mesopotamien in die fromme Landschaft Baktriens transportiert.

Obwohl es während der Mittagszeit sehr heiß war, spürten die Männer die Stadt. Je näher sie den Straßen des Zentrums kamen, umso eindrucksvoller war das Treiben. Karren, teilweise von Eseln gezogen, kamen vom Souq oder brachten Nachschub für die Händler. Frauen waren um diese Zeit nur wenige zu sehen. Meist trugen sie blassblaue, manche tiefschwarze Burkas, die ihr Gesicht ganz verhüllten. Hier hatten die Taliban die Scharia, das islamische Recht, in Kraft gesetzt.

Was für eine gespenstische Szene, dachte Ahmad Romhi. Aber wenn er sich ehrlich befragte, ob diese Art zu leben seinen Vorstellungen entsprach, sagte er sich, dass der Zweck die Mittel heiligte. In Ehrfurcht vor Allah zu stehen und die Versuchung, Weib zu eliminieren, schien ihm für das Bauernvolk allemal geboten.

Der klapprige Wagen hielt in einer Seitenstraße. Ein ungezügelter Haufen junger Männer lungerte auf dem Platz vor dem Haus Allahs herum. Keiner wusste, wer von ihnen den Taliban zugerechnet werden musste, Sympathisant oder nur Zuträger war.

Der Holzbeinige saß im Schatten, den die große Moschee warf. Er sah durch die beiden Fremden hindurch, als hätte er sie nicht bemerkt. Ahmad Romhi und Said el Oteiba gingen an ihm vorbei, um in der Moschee zu beten. Sie ließen ihre Schuhe am Eingang stehen. Als sie nach einer Weile zurückkamen, saß der Holzbeinige noch immer an der gleichen Stelle.

»Lā ilāha illā ʻllah!«, sagte Said el Oteiba. »Es gibt keinen Gott außer Allah!«

»Muḥammadun rasulu ʻllah!«, murmelte der Alte. »Und Mohammed ist sein Prophet!« Umständlich stand er auf. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, humpelte er, die beiden jungen Männer im Schlepp, auf ein Gebäude zu, das am Rande einer Gasse, unweit des Souqs gelegen war.

»Ich rekrutiere junge Kämpfer für die Taliban aus der ganzen islamischen Welt!«, sagte der Holzbeinige, als er das Tor hinter sich zugemacht hatte und die jungen Männer neugierig den gepflegten Innenhof des Hauses besahen. »Man hat mir die Bitte vorgetragen, euch zu eurem Bestimmungsort zu bringen!«

Sie nahmen in dem großen Wohnraum des Hauses Platz.

Aus dem Nebenraum ließen sich kichernd weibliche Stimmen vernehmen. Dann wurde die Tür aufgestoßen. Zwei junge Mädchen stoben herein und hielten, als sie die Männer mit ihren schwarzen Turbanen sahen, erschreckt inne. Sie trugen weder Kopftuch noch Burka.

»Ihr solltet euch benehmen wie anständig erzogene junge Mädchen!«, sagte der Mann. »Wenn die Taliban euch sehen könnten, würde es nicht nur meinem Ruf schaden! Man würde euch steinigen!«

Die Mädchen verließen schmollend den Raum, und der Mann sagte: »Die Ideologie der Taliban bildet eine Mischung aus puritanisch-orthodoxem Islam und paschtunischem Nationalismus. Ihr versteht?«

»Gewiss«, sagte Ahmad Romhi.

»Wie die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung sind die Taliban Sunniten und Anhänger der hanafitischen Rechtsschule. Sie verfechten einen orthodoxen Islam wahhabitischer Prägung, wie ihn das saudische Königshaus repräsentiert!«

»Die Saudis sind die Handlanger der amerikanischen Imperialisten!«, sagte Ahmad Romhi. »Ich spucke auf sie!«

»Aber auch Finanziers für Al-Kaida!«, sagte der Mann listig. »Und ihr sollt euch doch in eines der Ausbildungslager der Al-Kaida begeben!«

»Ich soll in ein Ausbildungslager!«, berichtigte Said el Oteiba. »Mustafa soll irgendetwas Schriftliches, allenfalls Beratendes, aber außerhalb des Kampfbetriebes machen!«

»Ach so …«

Wenig später kam eine Frau mittleren Alters herein. Sie hatte ein Tablett mit einer Kanne Minzentee und vier Gläsern, und sie war nicht verschleiert.

»Das ist meine Frau«, sagte der Mann kurz.

Sie lächelte die beiden Fremden an. »Wir sind eine fortschrittliche Familie«, sagte sie. »Bei uns herrscht so etwas wie Gleichberechtigung!«

»Ihr solltet eure Zunge hüten, Weib!«, sagte der Holzbeinige. »Ihr bringt mich noch in große Schwierigkeiten!«

»Hältst du es für erstrebenswert, dass Frauen unter die Burka gezwungen werden? Dass man sie öffentlich auspeitscht, wenn dieses scheußliche Ding, das sie in die Anonymität zwingt, auch nur ein wenig verrutscht und möglicherweise ihr Handgelenk zu sehen war?«, begehrte die Frau auf.

»Handgelenke sind sinnliche Objekte!«, stellte der Holzbeinige fest.

»Wir Frauen in Afghanistan müssen aufgrund der derzeit gültigen Auslegung der herrschenden Gesetze der islamischen Bestimmungen zu Sitte und Anstand fast völlig zurückgezogen leben. Findest du das wirklich gut?«, fragte sie mehr zu den beiden jungen Männern hin.

»Nein, aber für mich ist das nicht zu ändern!«

Ahmad Romhi und Said el Oteiba hörten dem Streit interessiert zu. Nicht jede Frau würde es wagen, in diesem Land derart gegen ihren Mann aufzubegehren. Aber die Frau des Holzbeinigen wusste, wie weit sie gehen konnte.

»Unsere Aufgaben werden auf den häuslichen Bereich, die Haushaltsführung, die Kinder, die Gartenarbeit und häusliche Viehhaltung reduziert!«, fuhr sie ungerührt fort. »Als Kontaktaufnahme gilt ein Blick, ein Wort, nicht zu reden von einer, und sei es auch zufälligen Berührung. Früher durfte ich das Auto fahren. Selbst ein Fahrzeug zu steuern, ist Frauen in Afghanistan nun grundsätzlich verboten.«

»Was unsere Mullahs auf der Grundlage des Islam entscheiden, ist unsere interne, religiöse Angelegenheit. Niemand darf sich einmischen und niemand kann uns vorschreiben, wie wir unsere Frauen behandeln!«, sagte der Holzbeinige.

»Dieser Satz stammt bestimmt nicht von dir!«, begehrte seine Frau auf. »Aufgrund der extremistischen Auslegung von Koran und Scharia gibt es für Frauen kaum noch legale Gründe, das Haus zu verlassen. Wenn wir ausgehen, soll das in Begleitung eines männlichen Verwandten geschehen!«

»Wenn ich deine Töchter ansehe«, sagte der Holzbeinige, »denke ich, dass gerade diese Bestimmung von großer Wichtigkeit ist! Einen Sack Flöhe zu hüten ist leichter als die Bändigung dieser Kinder!«

»Besonders problematisch sind diese Bestimmungen für Frauen, die ihre Männer im Krieg verloren haben oder deren Männer sich noch im Krieg befinden und die eigentlich selbst für sich und ihre Kinder sorgen müssen!« Sie sah die fremden Männer an und wusste, dass sie zu weit gegangen war. Deshalb sagte sie: »Finden Sie das gerecht?«

»Was ist in dieser Welt schon gerecht? Dass die Kinder in unserer Heimat von den Israeli erschossen werden? Finden Sie das gerecht?«

»Nein, das ist es sicher nicht!«

»Ein Gottesstaat ist allemal besser als eine Fremdbesatzung!«, ließ Said el Oteiba vernehmen.

»Das Verbot auszugehen, erstreckt sich auch auf den beruflichen Bereich! Wir Frauen sind von der Ausübung eines Berufes praktisch ausgeschlossen worden, da dieser in irgendeinem Maß immer den Kontakt zu männlichen Kollegen mit bedingen würde, der jedoch streng verboten ist.«

»Geht es dir schlecht, wenn du im Haus bist?«, fragte der Holzbeinige. »Nicht einmal den Schleier musst du im Hause tragen!« Sein Blick folgte einer fetten Fliege, die er bestrebt war, am Fenster zu erschlagen.

»Auch Schulbildung gibt es für afghanische Mädchen kaum noch und wenn, höchstens bis zum Alter von etwa acht Jahren. Denk an deine Kinder, Muamar! Immer wieder ist in der islamischen Welt das Alter von neun Jahren als Mindestalter für Eheschließungen von Mädchen betrachtet worden! Aber die sind dann noch Kinder!«

»Unsinn! Selbst Mohamed hat ein sechsjähriges Mädchen, seine spätere Lieblingsfrau Aischa, geheiratet. Die Ehe mit ihr hat er aber erst im Alter von neun Jahren vollzogen! Und was der Prophet tut, ist wohlgetan!«

»Haben die Mädchen Schaden genommen? Jung gefreit hat nie gereut, sagt man«, warf Said el Oteiba ein und erntete damit böse Blicke.

»Von der medizinischen Versorgung sind Frauen unter der Koran- und Schariaauslegung der Taliban ebenfalls praktisch ausgeschlossen. Ich darf keine Ärztin mehr sein und Patienten behandeln. Ganz zu schweigen, dass Männer auch Frauen nicht mehr behandeln dürfen! Dort, wo noch Behandlungen von Frauen möglich sind, werden Frauen grundsätzlich mit niedrigen Standards in der Versorgung rechnen müssen. Wo bleibt da die Menschenwürde? Mein Beruf hat mir Spaß gemacht, und das Geld war ja auch nicht zu verachten!«

»Aber wir kommen auch ohne das Geld aus!«, beharrte der Holzbeinige.

»Da bin ich ganz anderer Meinung …«

»Schluss jetzt!«, sagte der Mann barsch. »Geh jetzt und verrichte deine Arbeit! Ich habe mit den Männern etwas zu besprechen!«

Die Frau warf ihrem Mann einen wütenden Blick zu. Dann verließ sie den Raum.

»Sie ist eigentlich eine brave Frau«, entschuldigte sich der Mann. »Und die Bestimmungen sind mehr als streng!«

»Ja«, sagte Ahmad Romhi. »Die Bestimmungen gegenüber den Frauen sind in ihrem Lande mehr als streng!«

Und Said el Oteiba fügte hinzu: »Kriegszeit ist Kriegszeit! Ich bin sicher, wenn die Ungläubigen geschlagen sind, werden die Mullahs die Bestimmungen schon ein wenig lockern!«

Jenseits von Deutschland

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