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3. Kapitel

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Vier Wochen zuvor

Das ockergestrichene viergeschossige Haus in der Handjerystraße in Berlin-Friedenau hatte durchaus bessere Zeiten gesehen. Sicherlich war es Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts restauriert worden, hatte diesen Farbanstrich erhalten und dümpelte nun im Strom der Zeit dahin, ohne seinem Äußeren seitens des Eigentümers besondere Aufmerksamkeit abzuverlangen. Einzig die Beheizung der Wohnungen hatte man zentral gelöst, um die Luftverschmutzung durch die Ofenheizungen abzustellen. Gleichzeitig bedeutete das auch für die Mieter der Wohnungen eine Verbesserung der Lebensumstände, die sich negativ auf den Mietpreis auswirkte.

Das Haus war ein Spiegel der überalterten Gesellschaft. Mehrere Menschen jenseits der Arbeitsgrenze lebten unauffällig vor sich hin. Täglich hielten mehrere Autos vor dem Haus, der Kombi-Pkw mit dem fahrbaren Mittagstisch, und die kleinen Autos verschiedener Pflegedienste. Eine junge Alleinerziehende mit zwei Kindern war das Gegenstück zu den älteren Bewohnern, die nach und nach das Haus mit den Füßen voraus verließen.

Im Souterrain hatte sich der Chemiestudent Ingolf Werner eingemietet. Er bewohnte die feuchte Kemenate, die, wenn er heizte, ständig die Wasserperlen an den Fensterscheiben sammelte, die in sicherem Strom auf die hölzerne Fensterbank liefen, und von da aus in der Wand versickerten. Normalerweise war diese Wohnung, aufgrund der feuchten Wände, unvermietbar. Allein die Umstände, die über ihn hereingebrochen waren, hatten Ingolf Werner dazu ermutigt, das Loch zu mieten. Und so hatte er die kleine Küche zu einem Labor umfunktioniert. Genau hier, wo seine Armut durch diese Wohnung dokumentiert wurde, hatte er sich geschworen, mithilfe seines Einfallsreichtums und Könnens den Grundstein für ein besseres Leben zu legen.

Als er vor 30 Monaten das Chemie-Studium an der Humboldt-Universität begann, hatte ihn die Ausschreibung zum Bachelor of Science, interessiert. Wegen seiner Intelligenz und besonderen Auffassungsgabe wäre er durchaus in der Lage gewesen, eine Erweiterung zum Masterabschluss erfolgreich durchzusetzen. Die Erkenntnis aber, dass er dieses nicht unbedingt braucht, weil er sich in seinem Leben nie für das Lehramt entscheiden würde, hielt ihn davon ab. Vielmehr begann er damit, synthetische Aufputschmittel herzustellen. Die gab er in Kleinstmengen an befreundete Kommilitonen ab, die viele Stunden mehr brauchten, die Lernziele zu erreichen als er. Im Nu war er der gefragteste Mann auf dem Chemie-Campus in Adlershof. Das hatte Vor- und Nachteile. Der Vorteil war, dass immer etwas mehr als ein kleines Geld für ihn übrig blieb. Der Nachteil war, dass zwei grundverschiedene Institutionen auf ihn aufmerksam wurden.

Da war Detlev Maaß, der Gruppenführer einer Neo-Nazi-Gruppierung in Berlin, der gerade dabei war, einen Aufmarsch zum Todestag von Rudolf Heß zu organisieren. Heß hatte sich am 17. August 1987 im Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau mit einem an einem Fenstergriff befestigten Verlängerungskabel erhängt.

Maaß war durch einen Kommilitonen Ingolf Werners auf die Aktivitäten des Studenten aufmerksam geworden. Er interessierte sich für die Giftküche des Mannes. Es kam zu einem Treffen, in dem der Gruppenführer eindringlich mit Ingolf Werner sprach.

»Wir organisieren einen Gedenkmarsch für den großen Rudolf Heß anlässlich seines 23. Todestages. Du könntest mitmarschieren«, schlug Maaß vor.

»Marschieren ist gar nicht mein Ding«, beschied Ingolf Werner.

»Wir nehmen dir dafür eine große Portion CAT ab, die ich an verdiente Kameraden vor dem Marsch verteile.«

»Du kannst bei mir bestellen, was du willst. Aber eine Gegenleistung wie Marschieren, wo auch immer, ist keine Option für mich. Wenn du bezahlst, bekommst du, was du bestellst. Nicht mehr und nicht weniger.«

»Was bewirkt das Zeug eigentlich?«

»Mein CAT unterdrückt Müdigkeit und Hunger.«

»Wenn das alles ist, kann sich jeder eine Streuselschnecke und einen Kaffee kaufen.«

Ingolf Werner lächelte überlegen.

»Es bewirkt auch eine Antriebs- und Leistungssteigerung, Euphorie, erhöhten Rededrang, Enthemmung, Extrovertiertheit.«

»Das hört sich schon besser an.«

»Es hat auch Nachteile, das muss man wissen.«

Maaß hob die Schultern. »Jedes Ding hat zwei Seiten.«

»Innere Unruhe und Hyperaktivität.«

»Das ist kein Mangel«, sagte Maaß.

»Es wirkt, je nach Konstitution des Einzelnen eingenommen, in dreißig Minuten plus-minus fünf Minuten, hält, je nach Gabe bis zu 24 Stunden vor.«

»Wir brauchen nur 3 Stunden für das Programm, das wir abspulen wollen«, sagte Detlev Maaß.

»Umso besser. Alte Regel - dosiere CAT sorgfältig und lege nicht gleich nach«, sagte Ingolf Werner.

»Jeder würde nur eine Tablette bekommen.«

»Ich liefere nur das Pulver.«

»In welcher Menge würdest du das verabreichen?«

»Mein Methamphetamin ist sehr rein … maximal 25 Milligramm, eher weniger. Ich denke, 10 Milligramm reichen dafür mehr als aus. Und achte darauf, dass kein Alkohol getrunken wird. Sonst geht die Bombe nach hinten los.«

»Das lasse mal meine Sorge sein.«

»Also, wie viel brauchst du?«

»Hundert.«

»Mit hundert Leuten willst du eine Großdemo starten?«, fragte Ingolf Werner zweifelnd.

»Nein, aber ich kann auch nicht jedem, der mitmarschiert, eine solche Wohltat angedeihen lassen. Was ich brauche, ist ein Paukenschlag.«

»Indem du ein wenig Schnee verteilst, wirst du wohl kaum einen Paukenschlag zustande bringen«, provozierte Ingolf Werner. »Es klingt in meinen Ohren wie ein lauer Furz.«

In den Augen Detlev Maaßs blitzte es gefährlich auf.

»Sei vorsichtig, Ingolf. Oder mache einen Vorschlag, wie ein Paukenschlag aussehen könnte.«

Ingolf Werner grinste den Gruppenführer an. Dann sagte er ruhig: »Carfentanyl, der schwarze Stern am Drogenhimmel. Das gefährlichste an Carfentanyl ist die hohe Konzentration. Die Droge wirkt 5.000 mal stärker als Heroin und somit 10.000 mal stärker als Morphin.«

Detlev Maaß starrte Ingolf Werner an.

»So etwas gibt es nicht. Nicht hier in Deutschland«, sagte er schließlich.

»Da widerspreche ich dir entschieden«, sagte Ingolf Werner. Das Carfentanyl entspannt die Muskeln und hat somit eine beruhigende Wirkung. Eigentlich wird das Mittel nur zur Betäubung von Wildtieren wie Elefanten genutzt.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Zeug in Deutschland auf dem Markt ist.«

»Ist es auch nicht. Jedenfalls nicht offiziell.«

»Aber du kannst es natürlich besorgen«, sagte Detlev Maaß spöttisch.

»Ja.«

Ingolf Werner fühlte sich mit einem Mal seinem Gegenüber weit überlegen.

»Kannst du mir das zeigen?«

»Möchtest du es einnehmen? Davor würde ich dich warnen.«

»Wir können es an einem alten Hund ausprobieren«, sagte Detlev Maaß. »Freunde von mir haben so ein Viech.«

»Natürlich könnten wir das. Aber es ist natürlich ein schlechtes Versuchsobjekt.«

»Du meinst, wir sollten es an einem Menschen…«, fragte Maaß, ohne den Satz zu vollenden.

»Wie gefährlich es ist, haben lange, bevor Drogenhändler die Substanz Carfentanyl für ihr Geschäft entdeckten, Staaten wie die USA, das Vereinigte Königreich, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, China und Indien gemäß öffentlich zugänglichen Quellen die Verwendbarkeit von Carfentanyl als Waffe untersucht. Dieses Carfentanyl ist eine Bedrohung für die Gesellschaft, da die Substanz von Terroristen im Rahmen von Anschlägen genutzt werden kann.«

»Aber es hat noch niemand versucht, es zu Anschlägen zu nutzen.«

»In Deutschland nicht. Und wer damit umgeht, tut gut daran, Antidot Naloxon im Haus zu haben. Für alle Fälle«, sagte Ingolf Werner.

*

Die zweite und durchaus größere Institution war das BKA. Dort hatte man vor einiger Zeit einen Hinweis durch das BfV erhalten, dass die Nazigruppe um Detlev Maaß am 17. August, dem Todestag von Rudolf Heß, etwas Besonderes plane. Schließlich ist die Haupt-Abteilung ST – Polizeilicher Staatsschutz – damit befasst worden, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Das Referat ST 21, Internationale politisch motivierte Kriminalität - Zentralstellenaufgaben, Analysen, im GETZ-A, dem Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum, sowie KIA-R – Koordinierte Internetauswertung, R für Rechtsextremismus, brachte ein riesiges Räderwerk in Bewegung. Das Referat 22 beim BKA, dem Niclas Schorn inzwischen als Chef vorstand, hatte nur einen kleinen Teil zu bearbeiten. Die Federführung oblag dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Aber auch dieser kleine Teil hatte es in sich. Denn von dem Augenblick an, als die Telefone des Detlev Maaß abgehört wurden, wurden sämtliche Verbindungen zu hergestellten Rufnummern, mit denen Maaß Kontakt hatte, in die Telekommunikationsüberwachung einbezogen. Ganz besonders der zwischen Detlev Maaß und dem Chemiestudenten Ingolf Werner.

Schorn setzte eine der operativtechnischen Gruppen der Abteilung OE – Operative Einsatz- und Ermittlungsunterstützung – in Bewegung, die sowohl die Wohnung Detlev Maaß wie auch die Souterrain-Wohnung Ingolf Werners verwanzten. Der Aufwand für eine solche Verwanzung ist riesig. Muss doch der gesamte Tagesablauf eines solchen Wohnungsbesitzers minutiös über Tage im Voraus ermittelt werden, damit Störungen, die zum Scheitern des Unternehmens führen, ausgeschaltet werden. Jedes Hindernis wurde ausgeräumt. Und die Wohnungen waren nach kurzer Zeit verwanzt. Alles, was in einer dieser Wohnungen gesprochen wurde, zeichnete das BKA auf. Darüber hinaus saß einer der Mitarbeiter der Abteilung Staatsschutz unter Kopfhörern und verfolgte die Unterhaltungen in der Jetztzeit. Zu wichtig war es geworden, jeden Zug der als Terroristen eingestuften Männer auszuwerten, um im richtigen Augenblick zuzugreifen.

Die Potsdam-Verschwörung

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