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„Das Ehe-Ultimatum“

Mit stoischer Mine machte Tom es sich in seinem Erste-Klasse-Abteil bequem und beobachtete das bunte Durcheinander am Bahnsteig. Obwohl er das Reisen mochte, waren ihm Bahnhöfe zuwider, denn dort war es laut, dreckig und es wimmelte nur so vor Proleten der unangenehmsten Sorte.

Auch heute wieder hatte Tom entsetzt feststellen müssen, dass sich auf den Hosenbeinen seines modischen, weißen Maßanzuges binnen kürzester Zeit zwei unschöne Flecken zeigten. Tom würde sich umziehen müssen, bevor er mit seinem Vater sprach und das kostete ihn wertvolle Zeit. Er hatte sich nämlich vorgenommen, bereits am Abend wieder in London zu sein, da er sich mit einigen Gentlemen in einem Herrenklub verabredet. Zu seinen guten Bekannten zählte auch der Schriftsteller Oscar Wilde, welcher einen seiner Meinung nach hervorragenden individuellen Lebensstil pflegte und jede Gesellschaft mit seinen spitzen, aber meist sehr treffenden Bemerkungen zu unterhalten wusste.

Zwei Wochen waren vergangen, seit Tom den alarmierenden Brief seines Vaters erhalten hatte und seinen Besuch noch länger hinauszuzögern wagte er nicht. Natürlich war er zuversichtlich, seinen Vater innerhalb kürzester Zeit milde zu stimmen und zwischenzeitlich war ihm der Gedanke gekommen, Simon mit nach Cornwall zu nehmen. Auch wenn Tom nicht besonders heimatverbunden war und die vielen Zerstreuungen in Englands Hauptstadt ihm grundsätzlich deutlich reizvoller als das ruhige Landleben erschienen, so hätte er Simon doch gerne die malerischen Küstenregionen gezeigt, die bereits viele Künstler und Schriftsteller zu ihren Werken inspirierten.

Er hatte jedoch schließlich auf die Begleitung seines Liebhabers verzichtet, da sein Vater dies vermutlich als Provokation aufgefasst hätte. Selbstverständlich gedachte Tom, alle Gerüchte, die seines Vaters Spitzel in London über ihn vielleicht gehört hatten, energisch abzustreiten, trotzdem wollte er lieber Vorsicht walten lassen und sich ein wenig zurückhaltender und bescheidener geben, als er tatsächlich war.

Nach einer mehrstündigen Fahrt, die Tom endlos lang erschienen war, hielt der Zug schließlich in Truro, der verschlafenen Hauptstadt der Grafschaft. Vor dem winzigen Bahnhof wartete bereits Henry, der alte Kutscher seines Vaters. Tom hatte von London aus tags zuvor per Telegramm seine Ankunft angekündigt.

Mit ungerührter Mine schlurfte Henry auf Tom zu und begrüßte ihn mit zurückhaltender Höflichkeit.

„Tag, Sir. Lange nicht gesehen.“ Tom grinste und erwiderte:

„Guten Tag, mein lieber Henry. Ich freue mich über den herzlichen Empfang und bin dir sehr dankbar, dass du mich abholst. Schön, dich wohlauf zu sehen.“

Henry schnaubte und lud Toms Tasche auf die edle Kutsche. Eines musste Tom seinem Vater lassen: Er legte Wert auf Prestige-Objekte und wollte sichergehen, dass jeder wusste, mit wem er es zu tun hatte. Diese Einstellung hatte jedoch nichts mit Aufschneiderei zu tun: Der Earl wollte lediglich den Namen seiner alt eingesessenen Familie angemessen repräsentieren. Für private Vergnügungen gab er wenig Geld aus und von seiner Jagdleidenschaft einmal abgesehen lebte er für einen Aristokraten eher bescheiden.

Die Kutsche setzte sich in Bewegung und Tom warf einen Blick aus dem Fenster. Er musste zugeben, dass die Landschaft Cornwalls seinen Reiz hatte. Gerade jetzt im Frühsommer waren die Wiesen saftig grün und bildeten einen interessanten Kontrast zu den schroffen Klippen der endlos langen Steilküste. Tom hatte zu lange in der Großstadt gelebt, um mit dem Landleben etwas anfangen zu können, aber landschaftlich war Cornwall zweifellos ein schönes Fleckchen Erde.

Nach etwa einer Stunde hatten Sie Gosford Manor erreicht. Zu dem riesigen Anwesen aus dem 17. Jahrhundert gehörten zahlreiche Hektar Weideland, ein Wäldchen und eine Parkanlage, sowie Stallungen und ein kleines Dorf mit etwa 800 Einwohnern. Das Haus selbst verfügte über zahlreiche Zimmer, sodass selbst Tom nicht hätte sagen können, wie viele es genau waren.

Als er das Haus betrat, eilte ihm der Butler entgegen und verbeugte sich höflich.

„Willkommen, Sir Thomas. Ihr Vater ist ausgeritten, wird jedoch zum Dinner zurück sein. Ich führe Sie zu den Gästezimmern. Bitte folgen Sie mir.“

Tom stieg die breiten Treppen hinauf und erreichte den Besuchertrakt, in dem die Gästezimmer lagen. Sein Vater oder wahrscheinlicher noch die Haushälterin, Mrs. Stevens, hatte ihm ein großes Zimmer mit Blick auf den gepflegten Park zugedacht.

Nachdem der Butler sich mit einer Verbeugung verabschiedet hatte, ließ Tom sich auf das große Bett fallen und seinen Blick durch den großzügigen Raum schweifen. Das Zimmer war altmodisch eingerichtet und entsprach so gar nicht seiner Vorstellung von stilvollem Wohnen. Nun, wenn alles gut ging, würde er hier nicht übernachten müssen, sondern am Abend den letzten Zug zurück nach London nehmen.

Gerade als Tom sich umziehen wollte, klopfte es an der Tür und ein außerordentlich hübsches Dienstmädchen trat ein. Sie knickste scheinbar schüchtern, sah ihm dabei aber direkt in die Augen und lächelte aufreizend.

„Guten Tag, Sir. Mein Name ist Ellinor. Als ich Sie vorhin ankommen sah, dachte ich, ich schaue einmal nach Ihnen und erkundige mich, ob ich etwas für Sie tun kann.“

Das Mädchen kam langsam auf ihn zu und leckte sich dabei über die Lippen. Wie zufällig ließ sie ihre schmalen Finger über ihre Brüste gleiten, die sich unter der weißen Bluse abzeichneten. Tom genoss fasziniert diese perfekt inszenierte Vorstellung. Eine gute schauspielerische Leistung nötigte ihm stets Respekt ab. Er war ziemlich sicher, dass die meisten Männer das unmissverständliche Angebot dieser reizenden Person gerne angenommen hätten. Vermutlich hoffte Ellinor auf eine reichliche Entlohnung in Form von Münzen oder Geschenken und ihre routinierte Vorgehensweise deutete darauf hin, dass sie schon mehr als einmal erfolgreich Geschäfte auf diese Art gemacht hatte. Tom verachtete sie nicht dafür. Käufliche Liebe war ihm nicht fremd. Obwohl es nicht unbedingt nötig gewesen wäre, hatte er in London einige Male die Dienste eifriger junger Studenten in Anspruch genommen, die sich auf diese Art und Weise ihr Studium finanzierten. Dann jedoch hatte er Simon kennengelernt und auf weitere Besuche in einschlägigen Etablissements verzichtet.

Ellinor setzte sich nun auf das Bett und sah ihn erwartungsvoll an.

„Nun, Sir? Kann ich Ihnen zu Diensten sein?“

Tom lächelte und setzte sich neben das Mädchen.

„Ich bin davon überzeugt, Ellinor, dass du einem Mann genussvolle Stunden bereiten kannst. Doch bei mir verschwendest du deine Zeit, glaube mir.“

Tom stand auf, holte einige Münzen aus seiner Brieftasche und reichte diese dem Mädchen.

Ellinor starrte ihn ungläubig an, stellte aber keine weiteren Fragen. Sie knickste erneut, verabschiedete sich mit einem gehauchtem „Danke für Ihre Großzügigkeit, Sir“ von ihm und verließ eilig das Zimmer. Tom kleidete sich um und machte sich auf den Weg in den Salon, um dort auf seinen Vater zu warten.

Andrew William Norland, Earl of Lancaster, betrat gegen 18.00 Uhr den Salon. Tom stand auf, um seinem Vater entgegenzugehen. Der Earl hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert. Er war schlank und hielt sich aufrecht, lediglich sein Haar war ergraut und hatte ein wenig von seiner ursprünglichen Fülle verloren. Als er Tom sah, verzog er kurz sein Gesicht, hatte seine Mimik aber sofort wieder unter Kontrolle.

„Guten Tag, Thomas. Ich muss gestehen, ich hätte nicht schon so bald mit deinem Besuch gerechnet. Da wir jedoch über eine unangenehme Angelegenheit reden müssen, bin ich froh, dies so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Bitte entschuldige mich kurz: Ich ziehe mich um und bin in wenigen Minuten wieder bei dir.“

Bevor Tom seinerseits etwas sagen konnte, war sein Vater bereits die Treppe hinauf geeilt. Er sah ihm nach. Ihn beschlich das unbestimmte Gefühl, dass das kommende Gespräch nicht so verlaufen würde, wie er sich das vorgestellt hatte.

Ein paar Minuten später saßen beide gemeinsam beim Dinner am großen Tisch im Esszimmer. Die Tafel war viel zu groß für zwei Personen und Tom fühlte sich unwohl. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als das Gespräch endlich hinter sich bringen zu können, doch sein Vater hielt sich zunächst mit belanglosen Plaudereien über Politik und Wirtschaft auf.

Erst, als sich Tom und der Earl erneut in den Salon begaben, um dort einen Brandy einzunehmen, kam sein Vater auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen.

„Du weißt, Thomas, welchen Skandal deine Schwester ausgelöst hat, als sie mit diesem Soldaten durchgebrannt ist. Sie hat großes Unglück über unsere Familie gebracht, und auch wenn die Ärzte behaupteten, deine Mutter sei an ihrem Lungenleiden gestorben, so weiß ich es doch besser. Sie starb aus Scham und an gebrochenem Herzen.“

Tom musste feststellen, dass sein Vater sich anscheinend doch verändert hatte: Ein solcher Hang zur Melodramatik wäre ihm früher fremd gewesen. Der Earl seufzte und starrte aus dem Fenster. Dann blickte er Tom direkt in die Augen, als er fortfuhr:

„Wir haben euch nicht streng genug erzogen. Zu eurem eigenen Schutz wäre es besser gewesen, weniger Nachsicht und Milde walten zu lassen. Was du in London treibst, Thomas, ist nicht nur jugendlicher Leichtsinn oder unmoralisch. Es ist gefährlich. Spätestens im nächsten Jahr wird es ein Gesetz geben, welches widernatürliche Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellt.“

Tom wollte etwas erwidern doch sein Vater hob abwehrend die Hand.

„Ich möchte keine Ausreden hören, Thomas. Als dein Vater bin ich der Letzte, der über jedes Detail deines Privatleben genau informiert sein möchte. Ich will mir nicht ausmalen, was du in London treibst. Fakt ist jedoch, dass du dich in Kreisen bewegst, die deinen Ruf gefährden. Selbst wenn du selbst dich nicht zu … zu widernatürlichen Handlungen hinreißen ließest, so wirft dein Lebenswandel ein schlechtes Licht auf dich und deine Familie. Du musst endlich Vernunft annehmen und erwachsen werden. Da Vorhaltungen und Ermahnungen bisher nicht auf fruchtbaren Boden gefallen sind, bleibt mir nichts anderes übrig, als andere Seiten aufzuziehen.“

Tom schluckte.

„Ich bitte dich, Vater. Was verlangst du denn von mir?“

„Nichts Ungewöhnliches, mein Sohn. Ich möchte, dass du heiratest und eine Familie gründest. Baue ein repräsentatives Haus und gehe in die Politik oder kaufe dich in ein Unternehmen ein, schließlich bist du nicht auf den Kopf gefallen und hast einen Abschluss in Oxford vorzuweisen. Ich gebe dir zwei Jahre Zeit um eine passende Frau zu finden, zu heiraten und ein Kind zu zeugen. Solltest du diese Bedingungen nicht erfüllen, so wirst du von mir keinerlei finanzielle Unterstützung mehr erhalten.“

Tom war schockiert. Er war fest davon überzeugt gewesen, seinen Vater vertrösten und den Familienfrieden wieder herstellen zu können. Mit einem solchen Ultimatum hatte er nicht gerechnet. Wo sollte er eine Frau auftreiben, die seine Neigung akzeptierte? Er war sich nicht einmal sicher, ob er in der Lage sein würde bei einer Frau seinen Mann zu stehen und den Akt zu vollziehen. Er musste in Ruhe darüber nachdenken und mit Simon sprechen. Eines würde er jedenfalls auf keinen Fall tun: sich von seinem Liebhaber lossagen. Simon befriedigte Toms körperliche Bedürfnisse auf unnachahmliche Art und Weise, aber er war ihm auch ein treuer Freund und Gefährte geworden. Es musste eine andere Lösung geben!

Ein unmoralischer Gentleman

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