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„Ein verlockendes Angebot“

London, Juli 1894

Sarah Moore war 25 Jahre alt, gehörte dem gehobenen Bürgertum an und war stolz auf ihre Unabhängigkeit, ihre schnelle Auffassungsgabe und ihren Ehrgeiz. Ihr Vorhaben zu studieren war lediglich an der ablehnenden Haltung ihrer Mutter und an den Schulden gescheitert, die ihr verstorbener Vater der Familie hinterlassen hatte. Sarah hatte das Beste aus ihrer Situation gemacht und arbeitete gelegentlich als Journalistin für eine Frauenzeitschrift. So konnte sie ein wenig Geld zur Haushaltskasse beitragen und ihrer Mutter die teuren Arztbesuche finanzieren, die notwendig waren, um ihr Linderung von ihren Gelenkbeschwerden zu verschaffen.

Nicht zum ersten Mal fragte sie sich heute, wie eine Frau wie sie einem Mann derart verfallen konnte. Wenn sie sich mit Francis traf, vergaß sie ihre Karrierepläne und ihre Unabhängigkeit. Das Einzige, was sie sich wünschte, wenn sie ihn sah, waren seine Hände auf ihrem Körper und seine verführerischen Lippen auf ihren. In den Augen der guten Gesellschaft war Sarah längst eine alte Jungfer, deren rebellisches, wenig bescheidenes Auftreten die altehrwürdigen Ladys und Gentlemen dazu brachte, pikiert die Nase zu rümpfen. Vielleicht war das der Grund, warum Sarah sich derart stark von Francis angezogen fühlte. Er war ein von der Gesellschaft Ausgestoßener. Als Maler lebte er von der Hand in den Mund und niemand von Stand gab sich länger als nötig mit ihm ab. Wahrscheinlich war es nicht zuletzt der Reiz des Verbotenen gewesen, der Sarah in Francis´Arme trieb und nun kam sie nicht mehr von ihm los, obwohl sie wusste, dass ihre Beziehung keine Zukunft hatte.

Wie an jedem Samstag erwartete er sie in seinem kleinen Atelier. Sein Oberkörper war nackt und Sarah konnte sich nicht sattsehen an den Muskelsträngen, die seine Arme durchzogen. Seine Lippen fanden ihre und Francis riss sie an sich, bevor sie noch eine Begrüßung murmeln konnte. Sofort spürte Sarah die Hitze zwischen ihren Beinen auflodern und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als von Francis genommen zu werden. Der schien ihre sündigen Gedanken zu erahnen, denn innerhalb kürzester Zeit hatte er sie von ihrem Kleid befreit und sie stand nur noch mit Mieder und Unterrock bekleidet vor ihm.

„Sarah! Du raubst mir den Verstand! Sobald ich dich in meiner Nähe weiß, will ich dich besitzen!“

Sie stöhnte laut auf, als Francis ihre üppigen Brüste umfasste, und ertappte ihre Hände dabei, wie diese sich wie von selbst an seiner ausgebeulten Hose zu schaffen machten. Gierig befreite sie sein hartes Geschlecht, das augenblicklich steil von Francis´ Körper abstand und sie dazu einlud, ihre Lippen um den harten Schaft zu schließen. Francis ging nicht zimperlich mit ihr um und presste ihren Kopf gegen seine Lenden. Keuchend bäumte er sich ihr entgegen und forderte sie mit heiseren Worten dazu auf, noch stärker zu saugen und zusätzlich ihre Hände einzusetzen.

Niemals hätte Sarah es für möglich gehalten, wie sehr sie diese grobe, fast demütigende Behandlung genoss. Francis liebte es, sich in ihrem Mund zu ergießen – das lag nicht zuletzt daran, dass sie in diesem Fall keine zusätzlichen Maßnahmen ergreifen mussten, um eine Schwangerschaft zu verhindern. Heute jedoch hatte er anderes im Sinn. Er hielt inne, drehte sie um und lockerte die Schnüre ihres Korsetts, bis sie es leicht abstreifen konnte. Sofort schlossen sich seine Hände um ihre Brüste und rieben an ihren harten, spitzen Knospen.

„Gefällt dir das, Sarah?“

Sie spürte seinen heißen, keuchenden Atem an ihrem Ohr und glaubte fast zu zerfließen vor Lust. In diesem Moment stieß Francis ihr so unvermittelt einen Finger in ihre nasse Spalte, dass sie kurz vor Überraschung zusammenzuckte. Doch wieder ließ ihr Liebhaber es nicht zu, dass sie sich an die lustvollen Empfindungen gewöhnte, die er ihr bereitete. Mit leichtem Druck brachte er sie dazu, sich nach vorne zu beugen und sich auf dem kleinen Tisch abzustützen, der vor ihr stand. Dann drang er mit einer solch pulsierenden Kraft in sie ein, dass Sarah die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht laut aufzuschreien. Seine Stöße lösten weitere Hitzewallungen in ihrem Körper aus, die ihr Lustzentrum anschwellen ließen. Francis war ein erfahrener Liebhaber und trotz seiner Grobheit achtete er stets darauf, ihr die gleiche Lust zu bereiten, die er selbst empfand. Seine Ekstase übertrug sich auf Sarah, und als er seinen Höhepunkt erreichte, wurde sie fast gleichzeitig von überwältigenden, sinnlichen Zuckungen übermannt, die ihr die Sinne raubten und dafür sorgten, dass sie Mühe hatte, ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren. Taumelnd ließ sie sich in Francis Arme fallen. Der hob sie ohne Anstrengung hoch und trug sie wortlos zu seinem Bett.

Sarah gönnte sich eine kurze Pause und schloss schläfrig die Augen. Die Treffen mit Francis sorgten regelmäßig dafür, dass sie hinterher todmüde war. Heute hatte sie sich eigentlich nicht verausgaben wollen, weil sie später noch verabredet war. Lady Sullivans Abendveranstaltungen waren legendär und die Tatsache, dass sie eine Einladung erhalten hatte, schmeichelte Sarah. Susanna Sullivan war eine gebildete Frau, die regelmäßig Gelehrte, Künstler und Schriftsteller um sich scharrte. Die High Society behandelte sie wie eine Aussätzige, seit sie im letzten Jahr die Scheidung von ihrem untreuen Gatten durchgesetzt hatte, doch Susanna ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie hatte von ihrem verstorbenen Vater ein Vermögen geerbt, welches sie nun nutzte, um sich für Frauenrechte einzusetzen. Susanna war davon überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis Frauen das Wahlrecht zugesprochen wurde und Sarah fand diesen Gedanken faszinierend. Leider teilte Francis Sarahs Enthusiasmus in dieser Sache nicht, weshalb sie es aufgegeben hatte, sich mit ihm über derartige Dinge zu unterhalten.

Träge beobachtete sie, wie Francis, der inzwischen wieder seine Hose trug, sich mit seiner Staffelei beschäftigte. Er malte Landschaftsbilder, die zwar schön anzusehen waren, Sarah jedoch nicht wirklich beeindrucken konnten. Sie machte sich nicht viel aus Kunst, obwohl sie zugeben musste, dass man Literatur streng genommen auch als Kunstform bezeichnen konnte.

Sarah gähnte und begann damit, ihre Kleidung und ihre Frisur zu ordnen. Sie war nicht besonders eitel und trug meist schlichte, schmucklose Kleider, in denen sie sich, soweit das unbequeme Korsett es zuließ, möglichst gut bewegen konnte. Francis war in seine Arbeit vertieft und küsste sie zum Abschied nur flüchtig auf die Stirn.

Tom und Simon besuchten gerne Lady Sullivans Abendveranstaltungen. Bei gutem Essen wurde dort stets über Gott und die Welt philosophiert und Susanna verstand es, die Gästeliste interessant und abwechslungsreich zu gestalten. Er bewunderte diese unabhängige, tolerante Frau, die sich ihren Gästen gegenüber großzügig zeigte und diese charmant und geistreich zu unterhalten wusste. Heute jedoch war Tom nicht so gut gelaunt wie sonst. Seit er wieder in London war, zerbrach er sich den Kopf darüber, wo er eine passende Frau zum Heiraten ausfindig machen sollte. Nicht, dass es ihm an eindeutigen Angeboten von hübschen, teilweise sogar wohlhabenden Frauen mangelte. Wenn er es darauf anlegte, gelang es ihm problemlos, den Damen den perfekten Gentleman vorzuspielen. Doch jetzt ging es nicht darum, ein wenig zu flirten und sich einen Abend lang zu amüsieren. Wenn er schon heiraten musste, dann nur eine Frau, die nicht nur schöne Kleider und den neuesten Klatsch und Tratsch im Kopf hatte. Er wollte sich mit ihr unterhalten können. Zudem musste sie verständnisvoll und verschwiegen sein. Das Wichtigste wäre jedoch, dass sie seine Beziehung mit Simon akzeptierte und sich im Idealfall darauf einlassen würde, regelmäßig mit zwei Männern das Bett zu teilen, bis es ihm gelang, ein Kind zu zeugen. Wenn Tom so darüber nachdachte, sank seine Laune noch weiter. Wo sollte er in London eine Frau auftreiben, die all diese Kriterien erfüllte? Zudem konnte er nicht riskieren, die falschen Personen mit seinem Plan zu konfrontieren. Wenn heikle Informationen über sein Privatleben an die Öffentlichkeit kämen, würde er seine gesellschaftliche Stellung aufs Spiel setzen und riskierte, wenn er seinem Vater Glauben schenken wollte, eine Anklage wegen Sodomie. Und Simon? Wie würde er mit dieser delikaten Situation umgehen? Bisher hatte er sich eher bedeckt gehalten und lediglich erklärt, er sei bereit, sich mit einer Ehefrau zu arrangieren. Die Frage, wie dieses Arrangement in der Realität aussehen sollte, konnte auch er nicht beantworten. Tom seufzte und warf einen verstohlenen Blick auf Simon, der nun neben ihm in der Mietskutsche saß, die sie zu Susanna bringen sollte. Der junge Mann starrte schweigend aus dem Fenster. Er sah nachdenklich aus und wirkte in diesem Moment sehr jung und verletzlich.

Tom musste sich eingestehen, dass er für Simon stärkere Gefühle entwickelt hatte, als je für einen seiner zahlreichen Favoriten zuvor. Seine Anwesenheit wirkte beruhigend auf ihn und er schätzte Simons zurückhaltende Art. Im Bett hingegen war er ein leidenschaftlicher und vor allem erfahrener Liebhaber. Viele seiner ehemaligen Affären hatten sich ihre Neigung nicht eingestehen wollen. Ihr Liebespiel glich dem liebestoller Tiere. Ihre jahrelang aufgestaute Lust entlud sich in sekundenschnelle, ein leidenschaftlicher Kuss, ein zartes Saugen an ihrem hartem Glied und eine kurze, fast brutale Vereinigung reichten aus, um ihren Samen sprudeln zu lassen. Dann, nachdem die Ekstase abgeklungen war, warfen sie Tom vor, sie verführt und verdorben zu haben und kehrten reumütig zurück zu ihren Ehefrauen und Kindern. Tom blieb unbefriedigt zurück. Für ihn war die körperliche Liebe nur erfüllend, wenn sie spielerisch und mit leidenschaftlicher Raffinesse zelebriert wurde. Bevor er Simon kannte, hatte Tom daher einige Male eines dieser verboten-verruchten Etablissements aufgesucht, in denen junge, erfahrene Herren ihre Liebesdienste an wohlhabende Gentlemen verkauften. Obwohl Tom dort Befriedigung fand, so nutzte er diese spezielle Dienstleistung doch eher widerwillig. Es widerstrebte ihm, Männer kaufen zu müssen, um mit ihnen zu schlafen, obwohl er ihre Motive nachvollziehen konnte.

„Wir sind da, Tom. Träumst du?"

Simons Worte holten ihn unwillkürlich in das Hier und Jetzt zurück. Rasch erhob er sich und setzte seine übliche spöttisch-charmante Mine auf. Es sollte schließlich niemand ahnen, dass sein unbeschwertes Leben vielleicht ein Ende haben würde, wenn ihm nicht bald eine kluge Strategie einfiel.

Mit raschen Schritten eilte er Simon voraus. Nachdem sie ihre Mäntel abgelegt hatten, traten sie in den großzügigen, hell erleuchteten Salon, in dem bereits etwa 30 Leute in kleinen Grüppchen zusammenstanden und sich angeregt unterhielten. In diesem Augenblick kam Lady Susanna Sullivan auf sie zugeeilt. Sie trug ein auffälliges grünes Kleid, welches ihre Augen betonte und sie zum Strahlen brachte. Susanna war eine imposante Erscheinung, was nicht zuletzt daran lag, dass sie für eine Frau sehr groß gewachsen war. Sie überragte die meisten Männer im Raum um mehrere Zentimeter. Tom vermutete, dass ihr ehemaliger Gatte nicht zuletzt auch aufgrund seiner Minderwertigkeitskomplexe ständig Affären mit anderen Frauen begonnen hatte. Er gehörte zu der Sorte Männer, die ständig Bestätigung brauchte und es nicht ertragen konnte, wenn Frauen eine eigene Meinung vertraten. Nun, Tom musste zugeben, dass diese Haltung nach wie vor die Vorherrschende war. Und das, obwohl England von einer ziemlich energischen Frau regiert wurde.

Susanna hatte sich inzwischen bei ihm und Simon eingehakt und führte sie fröhlich plappernd durch den Salon.

„Ich freue mich so, dass ihr gekommen seid. Heute hat sich eine besonders interessante Mischung an Leuten hier eingefunden, wie ich finde. Ich möchte auch gerne Sarah Moore vorstellen. Sie ist Journalistin und hat mir einen Bericht über die Londoner Frauenbewegung zugesagt."

Tom reichte der jungen Frau die Hand. Sie trug ein schlichtes, hochgeschlossenes Kleid und wirkte etwas bieder, obwohl ihre Erscheinung durchaus hübsch zu nennen war.

„Schön, Sie kennenzulernen, Mrs. Moore, Susanna hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Mein Name ist Thomas of Lancaster und der attraktive Herr in meiner Begleitung heißt Simon Westville."

Gespannt wartete Tom auf Sarahs Reaktion. Er war sicher, dass Susanna ihr erklärt hatte, wie er und Simon zueinander standen und die Art und Weise, wie er Simon vorstellte, ließen selbst für Außenstehende keinen Zweifel mehr an ihrer Beziehung zu. Die Frage war nun, ob Sarah wirklich so tolerant war, wie Susanna ihm versichert hatte. Doch Sarah zeigte keinerlei Anzeichen von Schockiertheit. Sie blickte Tom direkt an, als sie freundlich, aber in energischen Ton antworte:

„Ich bin nicht verheiratet, Sir. Nennen Sie mich einfach Sarah."

Es folgte eine interessante Unterhaltung und Tom stellte erstaunt fest, dass Susannas mit ihrem Lob für diese Frau nicht übertrieb. Sarah war eine angenehme Gesprächspartnerin, die sich gewählt, aber treffend ausdrücken konnte. Zudem beherrschte sie die Kunst des Zuhörens und war in der Lage, sich auch einmal zurückzunehmen. Tom konnte Frauen, die ohne Punkt und Komma plapperten, auf den Tod nicht ausstehen.

Tom erfuhr, dass Sarah eine höhere Schule besucht hatte und davon träumte, sich als Journalistin bei einer etablierten Zeitung einen Namen zu machen. Als unverheiratete Frau wohnte sie noch in ihrem Elternhaus. Obwohl sie es nicht explizit erwähnte, konnte Tom ihren Worten entnehmen, dass die Familie Geldsorgen hatte.

Während des Dinners war Tom ungewohnt schweigsam. Simon stieß in an und flüsterte:

„Was ist los mit dir? Fühlst du dich nicht gut?"

Anstatt zu antworten, flüsterte Tom zurück:

„Wie gefällt sie dir?"

„Wer?"

„Sarah Moore natürlich."

Jetzt verstand Simon.

„Du denkst, sie könnte die richtige Kandidatin für eine Vorzeige-Ehefrau sein?"

Tom nickte.

„Sie ist clever, gebildet und braucht Geld. Mit Kleidern, die ein bisschen was her machen, und ein wenig Farbe im Gesicht wird sie aussehen wie eine Lady."

Tom lächelte. Vielleicht hatten sich seine Probleme gerade in Luft aufgelöst. Er würde noch einige Erkundigungen über Sarah einholen und ihr dann ein Angebot unterbreiten, welches sie nicht ausschlagen konnte.

Die ganze nächste Woche lang war Sarah gut gelaunt. Angesichts der Tatsache, dass sie sich heftig mit Francis gestritten hatte, war das eigentlich erstaunlich. Die Einladung bei Susanna war für sie sehr nützlich gewesen, weil sie einige interessante Kontakte knüpfen konnte. Susanna hatte ihr als Tischnachbarn den Herausgeber einer großen Londoner Zeitung zugeteilt und dieser versprach, sich einige ihrer Artikel anzusehen und dann zu entscheiden, ob er sie als freie Mitarbeiterin würde einstellen können.

Euphorisch, wie sie war, hatte sie gleich am nächsten Tag Francis einen Besuch abgestattet, um ihm die guten Neuigkeiten zu erzählen. Der war jedoch schlecht gelaunt, weil er den Auftrag für ein Bild in letzter Sekunde doch nicht erhalten hatte. Anstatt sich für Sarah über ihren beruflichen Erfolg zu freuen, schimpfte er ununterbrochen über die Dumpingpreise anderer Künstler und hörte Sarah gar nicht zu. Irgendwann wurde sie wütend.

„Verdammt, Francis, das ist meine Chance! Wenn der "London Inside" mich nimmt, kann ich richtig gutes Geld verdienen."

„Du weißt, was ich davon halte, Sarah. Frauen sollten nicht arbeiten und schon gar nicht für eine Zeitung."

„Ach ja? Und wie soll ich meine Mutter und meine beiden Schwestern unterstützen? Oder hast du seit Neuestem vor mich zu deiner ehrbaren Ehefrau zu machen?"

„Du weißt, dass das nicht geht. Du hast keine Mitgift und ..."

„ ... Und ich bin dir nicht folgsam genug, richtig?"

„Ach Kätzchen, jetzt sei doch nicht so kratzbürstig."

Francis griff nach Sarah und wollte sie an sich ziehen, doch Sarah wehrte ihn ab. Verblüfft starrte er sie an: Er war es nicht gewohnt, dass sie sich ihm verweigerte. Seine Augen verengten sich zu einem Spalt und funkelten sie wütend an. Einen Augenblick lang glaubte sie, er würde sie schlagen. Doch dann wandte er sich ab und knurrte:

„Verschwinde doch! Das, was ich von dir brauche, kann ich mit auch bei jeder anderen holen."

Und als sie schon fast das Haus verlassen hatte, rief Francis ihr wütend hinterher:

„Du bist eine alte, verkniffene Jungfer!"

Draußen auf der Straße straffte Sarah ihre Schultern und wischte sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht. Falls er ihr aus dem Fenster hinterher sah, sollte er nicht bemerken, wie sehr seine Worte sie verletzt hatten. Entschlossen machte Sarah sich auf dem Heimweg und versuchte, sich wieder zu beruhigen. Nach und nach legte sich ihre Wut, und als sie zu Hause ankam, war es ihr gelungen, ihre gute Laune wieder zu finden. Sie war eine gute Journalistin und hatte es nicht nötig, um die Gunst eines Mannes zu betteln. Jake Cleever von "London Inside" musste sie einfach einstellen!

Zuversichtlich betrat Sarah das kleine, windschiefe Häuschen, welches sie mit ihrer Mutter und ihren Schwestern teilte.

„Sarah?"

„Ja, Mutter? Geht es dir nicht gut?"

Sie betrat das Wohnzimmer und fand ihre Mutter in einem der zerschlissenen Sessel sitzen.

„Alles in Ordnung, Kind. Du hast eine Einladung erhalten, von einem Thomas of Lancaster. Ich wusste gar nicht, dass du neuerdings in Adelskreisen verkehrst."

„Das ist mir auch neu, Mutter."

Neugierig griff sie nach dem Briefumschlag, der auf dem Küchentisch lag. Was konnte Lancaster nur von ihr wollen? Sie hatten sich bei Susanna gut unterhalten, aber der junge Adelige war offensichtlich nicht an Frauen interessiert. Sarah hatte schon vorher davon gehört, dass es Männer gab, die sich zu ihren Geschlechtsgenossen hingezogen fühlten, sich aber keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Sie fand es zwar seltsam und ihre Fantasie reichte nicht aus um sich vorzustellen, was genau zwei Männer taten, wenn sie miteinander ins Bett gingen, aber besonders schockiert war sie nicht.

Die Einladung war schlicht gehalten und Sarah konnte sich nicht wirklich einen Reim darauf machen.

Liebe Miss Moore,

ich würde mich freuen, Sie am Samstag, den 20. Juli zu einem Abendessen in kleinem Kreis in meinem Haus auf der Oxford Street 20 begrüßen zu dürfen. Selbstverständlich werde ich dafür Sorge tragen, dass eine Kutsche Sie zu Hause abholt und auch wieder sicher dort absetzt.

Halten Sie sich bitte um 19 Uhr bereit.

Hochachtungsvoll,

Thomas of Lancaster

Sarah hatte zwar keine Idee, wie ausgerechnet sie zu der Ehre eines privaten Abendessens bei einem Lord kam, doch sie war viel zu neugierig, um diese Einladung auszuschlagen. Zudem würde sie in dem prächtigen Stadthaus von Thomas of Lancaster vielleicht zu einem Artikel inspiriert werden, den sie dem Herausgeber des "London Inside" anbieten konnte, wenn sie dort genommen würde.

Alles in allem konnte sie mit den Ereignissen der letzten Tage zufrieden sein. Wenn es ihr nun noch gelang, diese Anstellung zu bekommen, konnte sie ihre Familie unterstützen, ohne auf die Mildtätigkeit eines Ehemannes angewiesen zu sein, der ihren beruflichen Pläne vielleicht ebenso ablehnend gegenüberstand wie Francis. Überhaupt würde sie ihre Beziehung zu Francis überdenken müssen. Wenn herauskam, dass sie eine Affäre mit einem Maler unterhielt, konnte sie sich auf dem gesellschaftlichen Parkett, zu dem sie sich dank Susannas Hilfe gerade erst Zugang verschafft hatte, nicht mehr blicken lassen.

Londons High Society bestand aus einem elitären Kreis, dem Adelige und reiche Unternehmer angehörten. Die gelangweilten Ehefrauen der wichtigen Herren vertrieben sich die Zeit mit dem Lesen von Klatschzeitschriften und damit, sich gegenseitig über die neueste Kleidermode aus Paris auf dem Laufenden zu halten. Dass viele Adelige Affären mit ihren Dienstmädchen hatten oder gewisse Etablissements aufsuchten, von deren Existenz offiziell natürlich niemand wusste, war ein offenes Geheimnis. Wurde eine Frau jedoch eines ähnlichen Fehltrittes überführt, so begann eine Hexenjagd, an deren Ende die gesellschaftliche Ächtung stand.

Sarah wusste von Susanna was es bedeutete, sich als Frau gegen diese Ungerechtigkeit zu wehren. Dabei war es nicht einmal Susanna gewesen, die ihren Ehemann betrogen hatte. Den einzigen Fehler, den sie in den Augen der guten Gesellschaft begangen hatte, war ihr Entschluss, ihrem untreuen Gatten die Stirn zu bieten.

Sarah nahm sich vor, in den nächsten Tagen mit Francis zu sprechen und ihre Beziehung zu beenden. Sie musste sich eingestehen, dass sie ihre heimlichen Treffen vermissen würde, aber der gute Ruf ihrer Familie und ihre Karriere waren ihr wichtiger als die Freuden der körperlichen Liebe. Sarah konnte sich nicht vorstellen, das Francis sehr unter ihrer Trennung leiden würde. Sie vermutete ohnehin, dass er seine Gunst nicht nur ihr, sondern noch einigen anderen Damen schenkte.

Nein, sie musste jetzt an ihre Zukunft denken. Es gab keine andere Möglichkeit, als die Zeit mit Francis hinter sich zu lassen.

Am Samstag Nachmittag stand Sarah fluchend vor dem schmalen Kleiderschrank in ihrer winzigen Kammer. Auf ein Dinner bei einem Lord war sie nicht eingerichtet, ihre zweckmäßigen und eher hochgeschlossenen Kleider wären für diesen Anlass wohl kaum angemessen.

Schließlich entschied sie sich für ein grünes Festtagskleid, welches sie schon seit Jahren besaß und eigentlich immer nur an Weihnachten trug. Es war ein wenig aus der Mode, wie sie feststellen musste, dafür aber in einem guten Zustand. Da das Kleid außerdem gut zu ihren braunen Locken passte, stellte es die beste Wahl für diesen Abend dar.

Nachdem es Sarah nach einem fast halbstündigen Kampf gelungen war, in das ungewohnte Kleidungsstück zu schlüpfen und die zahlreichen Knöpfe zu schließen, betrachtete sie sich kritisch im Spiegel. Sie zeigte sonst nie Dekolleté, war jedoch recht zufrieden mit ihrem Erscheinungsbild. Bei der Frisur ließ Sarah sich vorsichtshalber von ihrer Schwester Betty helfen, alleine würde es ihr nie gelingen, die widerspenstigen Locken elegant zu zähmen.

Alles in allem, so beschloss Sarah, konnte sie sich sehen lassen. Zudem war jemand wie Thomas of Lancaster ganz sicher nicht mit einem üppigen Dekolleté und einer zentimeterdicken Schicht Puder zu beeindrucken.

Als sie um 19 Uhr auf die Straße trat, wartete die Kutsche bereits auf sie. Die Fahrt dauerte lediglich 10 Minuten, dann hielt das luxuriöse Gefährt vor Thomas of Lancasters repräsentativen Stadthaus. Das gesamte Grundstück war eingezäunt, Sarah trat durch das schwere Eisentor und bewunderte den penibel gepflegten Vorgarten, der alleine schon größer war als die meisten Grundstücke in ihrer Wohngegend.

Suchen schaute Sarah sich um, aber keine andere Kutsche war zu sehen. Entweder war sie zu früh oder die anderen geladenen Gäste hatten sich bereits eingefunden. Der Kutscher begleitete sie bis zur Eingangstür und stellte ihr dann den Butler vor, der sie höflich begrüßte und sie in einen prachtvoll ausgestatteten Salon führte.

Dieser war jedoch leer, und als sie den Butler über den Verbleib der anderen Gäste fragen wollte, musste sie feststellen, dass dieser sich bereits diskret zurückgezogen hatte.

Sarah musste schlucken. Sie gehörte ganz bestimmt nicht zu jenen Frauen, die zu Hysterie neigten, aber so ganz allein in diesem riesigen, fremden Haus, welches von zwei ihr so gut wie unbekannten Männern bewohnt wurde, kam sie sich doch ein wenig verloren vor. Warum hatte sie nicht daran gedacht, eine ihrer Schwestern als "Anstandsdame" mitzunehmen?

Doch nun war es zu spät, sie würde einfach darauf hoffen müssen, dass Thomas Lancaster oder sein Liebhaber keine unehrenhaften Absichten hegten. Um sich von ihren unangenehmen Gedanken abzulenken, schaute Sarah sich in dem großen, gemütlich ausgestatteten Raum um. Der Salon schien gleichzeitig als eine Art Bibliothek zu dienen, denn in den dunklen Holzregalen waren sicher mehrere Hundert Bücher untergebracht.

Auf einem Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch. Sarah griff danach und warf einen Blick auf den Titel.

"Das Bildnis des Dorian Gray" von Oscar Wilde. Sie hatte von diesem skandalumwitterten Buch gehört. Es war bereits vor einigen Jahren erschienen und deshalb so umstritten, weil dem Autor hinter vorgehaltener Hand Unzucht und Sodomie vorgeworfen wurde und einige Kritiker und viktorianische Sittenwächter bis heute versuchten, diese Vermutung anhand von Motiven aus dem Roman zu belegen. Es war gut möglich, dass Lancaster sich in den gleichen Kreisen bewegte wie dieser Oscar Wilde, vielleicht kannten sie sich sogar persönlich.

Sarah kam nicht umhin sich einzugestehen, dass sie durchaus nichts dagegen hatte, einen skandalösen Autor kennenzulernen. Kontakte dieser Art konnten sich für jeden Journalisten als nützlich erweisen.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Thomas of Lancaster betrat zusammen mit Simon Westville den Raum. Beide Männer waren elegant und modern, für den Anlass jedoch eine Spur zu bunt und auffällig gekleidet. Sarah musste unwillkürlich an den etwas despektierlichen Ausdruck für Männer mit einer Attitüde dieser Art denken, den sie vor Kurzem in einer konservativen Zeitung gelesen hatte: Dandy.

Simon kam strahlend auf sie zugeeilt und reichte ihr die Hand.

„Miss Moore, wie schön, dass Sie es einrichten konnten uns zu besuchen. Bitte, nehmen Sie doch Platz. Bis zum Dinner haben wir noch Zeit."

Nachdem auch Thomas sie freundlich, wenn auch etwas zurückhaltender begrüßt hatte, wurde Tee gereicht und alle drei setzten sich auf die gemütlichen Sessel in der Nähe des Kamins. Etwas verlegen schaute Sarah von einem zum anderen. Warum sagte niemand etwas? Die Stille wurde langsam unangenehm. Zudem hätte sie gerne gewusst, was sie nun eigentlich hier sollte. Alles deutete darauf hin, dass der Abend deutlich anders verlaufen würde, als sie sich vorgestellt hatte. Anstatt Konversation zu betreiben und sich über den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen, hatte sie das Gefühl, vor einem Inquisitionstribunal zu sitzen. Oder bildete sie sich Thomas bohrende Blicke etwa nur ein?

Schließlich war sie es satt und beschloss, die Flucht nach vorne anzutreten. Sie räusperte sich.

„Ich freue mich wirklich sehr über Ihre Einladung, Sir Thomas, aber so recht einen Reim darauf machen kann ich mir nicht. Wie komme ich zu dieser Ehre?"

Thomas wirkte ertappt und antwortete in einem verbindlichen Ton:

„Bitte verzeihen Sie, Miss Moore, das muss Ihnen verständlicherweise alles sehr verdächtig vorkommen."

Er seufzte.

„Leider ist das Angebot, welches wir Ihnen zu machen haben äußerst ungewöhnlich und sehr heikel. Es könnte sein, dass sie gleich wütend und zutiefst schockiert mein Haus verlassen und ich könnte es Ihnen nicht einmal verübeln."

Sarah schaute irritiert von einem der Männer zum anderen, versuchte jedoch ruhig zu bleiben und sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Ihre Stimme klang fest, als sie erwiderte:

„Sie müssen ein sehr wichtiges Anliegen haben, Sir Thomas, wenn Sie mich deswegen herbestellen. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die zu hysterischen Ausbrüchen neigen oder sich in eine Ohmnacht flüchten, wenn sie sich überfordert fühlen. Sie können also ganz beruhigt sprechen und haben meine volle Aufmerksamkeit. Anschließend werde ich dann entscheiden, ob ich zum Dinner bleibe oder nicht."

Sarah lächelte, um ihren letzten Worten die Schärfe zu nehmen. Innerlich glaubte sie fast zu platzen vor Spannung und Neugier.

„Besonders zart besaitet schätze ich Sie auch nicht ein, Miss Moore, deswegen habe ich mich ja dazu entschlossen, gerade Ihnen mein Angebot zu unterbreiten."

Thomas erhob sich und begann, vor dem Sessel auf und ab zu laufen. Die Arme verschränkte er auf dem Rücken und hielt sich so gerade, als würde er an einer Militärparade teilnehmen.

„Nun gut. Wie Sie vielleicht wissen, Miss Moore, pflege ich einen Lebensstil, der nicht gerade bescheiden zu nennen ist. Ich lege Wert auf schöne Dinge, mit denen ich mich ausstatten und umgeben kann. Das allein wäre kein Grund für meinen Vater gewesen, mir damit zu drohen, seine finanziellen Zuwendungen einzustellen. Das Problem ist etwas anders gelagert. Meine größte Schwäche sind, sie ahnen es vermutlich bereits, meine eigenen Geschlechtsgenossen."

Thomas warf Sarah einen fragenden Blick zu, doch sie schaffte es, ihre Mine ausdruckslos erscheinen zu lassen. Also holte er tief Luft und fuhr fort:

„Ich habe mit Frauen in sexueller Hinsicht nie etwas anfangen können. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich schätze intelligente Frauen vermutlich mehr als andere Männer und bin ein erklärter Bewunderer weiblicher Schönheit. Dennoch reizen Frauen mich nicht auf die traditionelle Art und Weise. Glauben Sie mir, ich habe durchaus versucht, mich Frauen zuzuwenden und mein Laster, denn als solches wird meine Neigung im besten Fall angesehen, zu bekämpfen. Meine guten Vorsätze blieben jedoch zwecklos."

Thomas seufzte.

„Ich habe mich längst mit meinen Vorlieben arrangiert und kann gut damit leben. In London und wahrscheinlich überall auf der Welt gibt es Tausende Männer, die sich ebenfalls nicht zu Frauen hingezogen fühlen. Das Problem ist jedoch, dass der äußere Schein gewahrt bleiben muss. Ein Mann mit einer gesellschaftlichen Stellung, wie ich sie inne habe, muss bestimmten Ansprüchen genügen, zumindest nach außen hin. Das bedeutet, er muss heiraten und Kinder zeugen."

Thomas nahm nun wieder in seinem Sessel Platz und schaute Sarah direkt in die Augen.

„Mein Vater hat mir nun die Pistole auf die Brust gesetzt. Ich muss innerhalb von zwei Jahren heiraten, ein Kind zeugen und ein solides, standesgemäßes Leben führen, sonst entzieht er mir alle finanziellen Mittel. Er ahnt vermutlich, dass ich trotzdem der bleibe, der ich bin, also ein verschwenderischer Dandy, der der Sodomie frönt, aber zumindest bliebe der Schein gewahrt."

Thomas seufzte erneut und Sarah fühlte Mitleid in sich aufsteigen. Den Zwängen der Gesellschaft konnte niemand entfliehen, egal ob arm oder reich, ob einflussreich oder machtlos.

„Da sie immer noch recht ruhig hier in meinem Salon sitzen, meinen Worten lauschen und keinerlei Fluchtreflex zeigen, Miss Moore, werde ich einfach fortfahren. Mein Vater hat mir also ein Ultimatum gesetzt. Man könnte auch von Erpressung sprechen, wollte man ganz deutlich werden. Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, was ich tun soll. Ich sehe mich gezwungen, zum Schein auf seine Forderungen einzugehen und eine Frau zu finden, die bereit ist, mich zu heiraten und die Mutter meines Kindes und Erben zu werden. Finanziell wird diese Dame für immer ausgesorgt haben, denn ich werde einmal den Titel und alle Güter meines Vaters erben. Nach dem Ableben meines Vaters kann die Ehe entweder einvernehmlich geschieden werden oder aber, wenn kein gesellschaftlicher Skandal provoziert werden soll, aufrecht erhalten bleiben. In letzterem Fall ist natürlich eine eventuelle erneute Heirat, aus Liebe oder aus welchen Gründen auch immer, ausgeschlossen. Alle Details können selbstverständlich noch diskutiert werden und ich sorge dafür, dass ein entsprechender rechtsgültiger Vertrag aufgesetzt wird. Was das Kind angeht, welches hoffentlich aus dieser Verbindung entsteht, so hat die Mutter selbstverständlich das Recht, es aufwachsen zu sehen und sich auch, wenn gewünscht, an seiner Erziehung zu beteiligen. Die einzige Bedingung, die ich stelle, ist die, dass die entsprechende Frau meine Neigungen akzeptieren und Simon als meinen Liebhaber anerkennen muss."

Thomas atmete nach dieser langen Rede erst einmal tief durch und Sarah spürte, wie die Anspannung langsam von ihm abfiel. Seine und auch Simon Westvilles Augen ruhten nun erwartungsvoll auf ihr. Tausend Gedanken rasten durch Sarahs Kopf und sie musste sich zwingen, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, als sie das Wort ergriff. War das gerade ein Heiratsantrag gewesen?

„Ich muss zugeben, dass Ihr Angebot mich verwirrt, Sir. Ich stamme aus gutem Hause, gehöre aber nicht dem Adel an. Wenn Sie mich heiraten, wird Sie das gesellschaftlich teuer zu stehen kommen."

Thomas schnaubte verächtlich.

"Glauben Sie mir, Miss Moore, niemand wird mir die Wandlung vom Lebemann, der Männer bevorzugt, zum treu sorgenden Ehemann und Gentleman abnehmen. Alle werden sich über mich das Maul zerreißen, darüber bin ich mir bewusst. Doch dies tun die Menschen jetzt auch schon. Es geht lediglich darum, meinen Kritikern keine offensichtliche Angriffsfläche zu bieten und meinen Vater zufriedenzustellen, solange er noch lebt."

Er schwieg einen Augenblick, dann blickte er Sarah fest in die Augen.

„Wenn ich schon heiraten muss, Miss Moore, dann wenigstens eine Frau mit gesundem Menschenverstand, mit der ich mich auch unterhalten kann. Die meisten wohlerzogenen Damen aus adeligem Hause sind nicht nur entsetzlich langweilig, sondern auch noch einfältig, naiv und dumm. Sie sind anders, das wusste ich sofort, nachdem wir uns kennengelernt hatten."

Das klang für Sarah einleuchtend, wenn auch nach wie vor abenteuerlich. Ausgerechnet sie sollte an der Seite eines Lords leben, ihm einen Erben schenken und im Gegenzug seine Beziehung zu einem Mann akzeptieren? Einen Moment lang dachte sie an ihre Mutter und an ihre Schwestern. Letztere würden sich vor reichen, heiratswilligen Ehemännern kaum noch retten können und sich nur noch in besten Kreisen bewegen. Ihre Mutter könnte Sarah von den besten Ärzten des Landes behandeln lassen und vielleicht bestand für sie sogar die Chance durch regelmäßige Kuren wieder ganz gesund werden.

Doch was würde aus ihrer eigenen beruflichen Karriere werden? Ihr größter Wunsch war es schließlich gewesen, als Journalistin zu arbeiten und eigenes Geld zu verdienen.

„Ich fühle mich sehr geschmeichelt, Sir, doch wird es mir auch nach einer Heirat mit Ihnen möglich sein, als Journalistin zu arbeiten?"

Thomas schüttelte betrübt den Kopf.

„Es tut mir leid, Miss Moore, aber das würde mein Vater kaum dulden. Ich selbst hätte nichts dagegen, aber in der Zeit, in der Sie die Frau an meiner Seite sind, müssten Sie sich eine standesgemäßere Beschäftigung suchen."

Sarah musste schlucken, doch bevor sie etwas erwidern konnte, kam Thomas ihr zuvor.

„Sie brauchen sich selbstverständlich nicht heute entscheiden. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam Essen und denken Sie in Ruhe über all das nach, was ich Ihnen gesagt habe. Heute in einer Woche erwarte ich Sie dann erneut zum Dinner und Sie können mir ihre Entscheidung mitteilen."

Mit diesen Worten erhoben sich die beiden Männer. Sarahs Blick wanderte zu Simon Westville, der während der letzten halben Stunde keinen Ton von sich gegeben hatte. Seine Mine war ausdruckslos, doch in seinen Augen konnte Sarah so etwas wie Schmerz erkennen. Er musste Thomas of Lancaster wirklich sehr große Zuneigung entgegen bringen, um sich dauerhaft mit der Rolle des unstandesgemäßen Geliebten an der Seite eines reichen Earls zufriedenzugeben. Sarah ahnte zudem, dass Thomas bei all seiner vorgeblichen Toleranz und Fortschrittlichkeit häufig in erster Linie an sein eigenes Wohlergehen dachte.

Ein unmoralischer Gentleman

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