Читать книгу Ein verhängnisvolles Vermächtnis - Geraldine Haas - Страница 5

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Eine Woche war seit dem Tag vergangen. Nicht ein Wort hatte Marcel darüber verloren. Doch war er die Tage danach am Abend immer sehr früh nach Hause gekommen. So auch an diesem Abend.

Er warf seinen Mantel über den Sessel in der Garderobe, was eigentlich nicht seine Gewohnheit war, und eilte hinauf in den ersten Stock.

„Sofia! Wo steckst du nur!“, rief er noch auf der Treppe.

Sie saß wie so oft in ihrem Dachzimmer. Nachdenklich schaute sie in das helle Licht der Kerze auf dem Tisch. Ihr Schein fiel auf die Seiten des Tagebuches vor ihr.

„Warum gibst du keine Antwort?“, fragte Marcel.

Sofia schien mit ihren Gedanken weit entfernt zu sein, denn sie reagierte nicht auf seine Frage.

„Ich habe mit dir zu reden“, sagte er. Und er kam näher.

Sie blickte zu ihm auf und fragte überrascht: „Du bist schon Zuhause?“

Er zeigte auf den Tisch. „Schon wieder liegt dieses Buch vor dir.“

„Aber Marcel, ich bitte dich, es ist doch ein Stück meines Lebens“, erwiderte Sofia, und sie legte ihre Hände auf die Seiten.

„Ach was!“, entfuhr es ihm gereizt.

Sie schaute ihn an, wie er so dastand, mit verschränkten Armen und dem Ausdruck von Mitleid in seinem Gesicht.

„Ja, ja - ich weiß, es bedeutet dir so viel, dass du darüber alles andere vergisst“, sagte er vorwurfsvoll.

„Mein Gott, für zwei Personen gibt es doch wirklich nicht so viel zu tun? Es kommt ja

nicht einmal mehr Besuch zu uns hier herauf.“

Ihr Blick bohrte sich durch ihn hindurch. Sie dachte an früher, als Sara noch ein Kind gewesen war. Das Lachen der Kinder, die aus dem Dorf herauf kamen, um mit Sara zu spielen, lag ihr heute noch, wie eine vertraute Melodie, in den Ohren. Mit ihnen war sie im Frühjahr über die blühenden Bergwiesen gelaufen. Sie hatten bunte Sträuße mit nach Hause gebracht. Seither hatte sich so vieles verändert. Sie wusste es ganz genau. Er hatte ihre Tochter hinausgeekelt. Immerzu hatte er etwas auszusetzen an ihr. Nichts war ihm gut genug, und so kam ihr das Studium gerade recht. Dabei hätte er dankbar über eine solche Tochter sein müssen. Aber wusste er denn, was Dankbarkeit überhaupt ist, wo er doch nur auf seine Vorteile bedacht war?

„Meinst du nicht, dass du es mit diesem Tagebuch übertreibst?“, fragte er scheinbar beschwichtigend.

Sofia schaute zu ihm auf. Traurigkeit lag in ihrem Blick.

„Stattdessen könntest du dich etwas mehr um das Haus kümmern.“ Er ging zum Fenster und öffnete es. Mit dem Zeigefinger fuhr er quer über die Fensterscheibe. „Schmutz, überall ist Schmutz“, sagte er. Mit einem strafenden Blick wandte er sich dabei zu ihr um.

„Was ist nur los mit dir?“, fragte sie. „Und wann hörst du endlich mit dieser Stichelei auf?“ Ihre Verärgerung darüber stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Ohne darauf zu erwidern, wandte er seinen Blick wieder aus dem Fenster. Wie Sofia ihn so vor sich sah, fragte sie sich unwillkürlich nach dem Sinn des Lebens. Wird nicht eine Ehe aus Liebe geschlossen? Und nun möchte ich am liebsten alleine sein. Er lässt mich ja nicht einmal mehr hier oben in Ruhe. Wie so oft glaubte sie, es fehlte ihr die Luft zum atmen. Ob er wusste, dass er sie viel zu sehr einengte?

Da drehte er sich plötzlich um. „Ich habe da eine Empfehlung bekommen. So ein Hausmädchen könnte dir doch viel von deiner Arbeit abnehmen.“

„Ist es das, worüber du mit mir reden wolltest?“ Sie hatte ihre Stirn in Falten gelegt und schaute ihn nachdenklich an. Er antwortete nicht. „Du meinst, nur eine Hilfe? Für ein paar Stunden am Tag?“, fragte sie. Es lag Unsicherheit in ihrer Stimme.

Er stand nun dicht neben ihr. „Ich dachte, sie könnte hier bei uns wohnen.“

„Bei uns?“, entfuhr es Sofia entsetzt.

„Aber ja! Wir haben doch das Dachappartement, mit dem kleinen Balkon.“ Er nickte dabei mit dem Kopf, als wollte er sie bei ihrer Antwort beeinflussen.

Sofia brachte kein Wort über ihre Lippen. Das Appartement gehört Sara, dachte sie. Er konnte doch nicht diese fremde Person darin wohnen lassen.

„Es gehört Sara“, sagte sie leise.

„Ach was, Sara“, erwiderte er abwertend. Und er unterstrich das Gesagte mit einer abfälligen Handbewegung. „Wann kommt sie denn schon?“ Er schaute seine Frau an, als erwarte er eine Antwort darauf. Dann fügte er noch hinzu: „Für sie haben wir immer noch genügend Platz.“

Er lief im Zimmer auf und ab. Dabei steckten seine Hände in den Hosentaschen. Das tat er immer, wenn er sie einschüchtern und unbedingt seinen Willen durchsetzen wollte. Sofia kannte das. Sie wusste auch, wenn sie nicht nachgab, würde er auch ohne ihre Zustimmung handeln.

„Meinst du das wirklich? Ich meine mit dem Hausmädchen?“, fragte sie, als wollte sie sich noch einmal vergewissern. Sie fühlte schon diese fremde Person im Haus, und wie sie plötzlich unter Beobachtung stand.

„Aber ja! Schau’ her, du wärest dann nie wieder alleine.“

„Also eine Aufpasserin“, erwiderte sie.

„Du missverstehst mich, Sofia, ich spreche von einem Mädchen, dass dir die Hausarbeit abnehmen wird.“

„Was kann ich da noch erwidern? Du machst doch ohnehin, was du willst.“ Sie hatte das Tagebuch zugeschlagen und in die oberste Schublade ihres Schreibtisches gelegt. Ja, sie sah das junge Ding vor sich. Er hatte schließlich von einem Mädchen gesprochen.

„Sie wird dich doch entlasten, und du hast Zeit für andere Dinge“, fuhr er fort.

„Ach, ich will das alles nicht hören.“ Sie blickte aus dem Fenster und dachte an eine einsame Berghütte. Überall wäre es schöner, als hier, wo sie den ständigen Angriffen Marcels ausgesetzt war. „Lass mich doch alleine“, sagte sie.

„Du, ich meine es gut mit dir. Ja, ich will dir nur helfen.“ Beruhigend legte er seine Hand auf ihre Schulter. Sofia drückte ihren Kopf auf die Schreibtischplatte und sagte abermals: „Lass mich doch endlich alleine!“

Er musste begriffen haben, denn er schloss die Türe von außen. Erleichtert atmete Sofia auf. Ein Gedanke jagte den Anderen. Sie fühlte Hass auf ihn. Doch sie glaubte, diesen Hass verdrängen zu müssen, war sie doch seine Frau und es hatte einmal glücklichere Tage zwischen ihnen gegeben.

Ich bin ihm gleichgültig, dachte Sofia. Er will nur von sich ablenken. So war es doch. Natürlich! Es war alles ganz klar. Hinter alledem steckte eine Geliebte, genau wie bei Tante Bertha.

Sie musste in ihrem Zimmer auf- und abgehen, so sehr bewegten sie ihre Gedanken und machten sie ruhelos. Vor dem Fenster blieb sie kurz stehen und warf einen Blick hinaus auf die sich am Abendhimmel abzeichnende Silhouette der Berge. Doch sie konnte dieses grandiose Schauspiel nicht genießen. Sie musste immer wieder an Marcels Worte denken. Er hatte sie vor die vollendete Tatsache gestellt. Und woher kannte er diese Person? Er sprach von einer Empfehlung. Da musste er das doch schon lange hinter ihrem Rücken geplant haben. Sofia aber wollte nicht mit dieser Person gemeinsam unter einem Dach leben. Eine andere Frau würde ihn schon längst verlassen, dessen war sie sich gewiss. Warum war sie denn unfähig, das bisschen Haushalt zu erledigen? Weil ihr einfach das Interesse daran abhanden gekommen war, und das war alleine Marcels Schuld. Er aber wird tun was er nicht lassen kann, das ahnte Sofia.

Aber die nächsten Tage geschah nichts, und sie glaubte schon, Marcel habe sie mit dem Hausmädchen nur in Aufregung versetzten wollen. Eines Montagmorgens jedoch, in aller Frühe, läutete es an der Haustüre. Marcel sprang vom Frühstückstisch auf und eilte hinab. Sofia wunderte sich noch darüber, weil er ihr doch sonst das Öffnen der Türe überließ. Da hörte sie ihn schon freudig rufen: „Marie! Aber bitte, kommen Sie doch herein.“

In diesem Augenblick wusste Sofia, das Hausmädchen hieß Marie. Marcel hatte den Termin für die Vorstellung festgelegt, ohne mit ihr darüber zu reden.

„Sofia, Marie ist da!“, rief er, als wäre alles besprochen gewesen.

Nicht einen Schritt werde ich dieser Person entgegengehen, dachte Sofia. Und was war mit seinen so oft gebrauchten Ratschlägen? „Zum Personal muss man eine gewisse Distanz bewahren.“

Sie blieb also oben am Treppenabsatz stehen und blickte hinab, wie er, gefolgt von Marie heraufkam. Ihr langer, schwarzer Mantel war leicht geöffnet. Darunter trug sie ein mausgraues, schmales Wollkleid. Die Farbe ihrer Lippen war so feuerrot wie der Wollschal, den sie um ihren Hals geschlungen trug. Und dieser auffallende, breitkrempige Hut, unter dem kurze, blonde Locken hervorschauten. Sofia schätzte Maries Alter auf Mitte zwanzig. Während Marie die letzten beiden Stufen nahm, streckte sie Sofia ihre schmale Hand entgegen. „Ich bin Marie“, sagte sie, mit ihrer hellen Stimme. Sofia musterte die junge Frau. Marcel hatte diese aufgeputzte Person nie und nimmer wegen des Haushaltes eingestellt, dachte Sofia.

„Kommen Sie Marie, ich werde Ihnen das Haus zeigen“, forderte er sie auf.

„Aber klar!“, rief sie vergnügt.

Sie hat nur Augen für ihn, dachte Sofia, und sie schaute ihnen nach, wie sie hinauf zu Saras Appartement gingen.

„Dieses Haus, im Appenzeller Baustil, geht über mehrere Etagen. Die kleinen, aneinandergereihten Fenster gehören ebenso dazu, wie die niederen Holzdecken. In diesem stattlichen Haus wurde ich geboren. Es liegt mir sehr viel daran, es in gepflegtem Zustand zu wissen“, erklärte Marcel in einem dozierenden Ton.

„Diese Arbeit könnte mir Spaß machen“, erwiderte Marie eifrig. Und sie lehnte sich ganz leger an den Türrahmen von Saras Zimmer.

„Hervorragend! Ganz hervorragend“, erwiderte Marcel. „Was sagst du, meine Liebe?“ Er drehte sich zu Sofia um, die nun auch langsam die Treppe heraufkam. „Wollen wir uns für Marie entscheiden? Sie bringt die besten Voraussetzungen mit.“

Für was? dachte Sofia, und ihr Blick haftete auf Marie.

„Na, was sagst du?“, fragte er abermals.

„Ach, es geschieht doch ohnehin immer alles nach deinem Willen.“ Sofia musste plötzlich lachen. „Warum nur erwartest du ausgerechnet von mir eine Antwort?“

Marcels Gesicht lief rot an. Normalerweise fürchtete Sofia sich vor seinen Zornausbrüchen. Doch vor Marie musste er sich von seiner besten Seite zeigen.

„Ich kann schon zum ersten des neuen Jahres beginnen“, unterbrach Marie die gespannte Situation.

Marcels Gesichtsausdruck hellte sich auf. Er ging auf Marie zu, fasste sie an beiden Schultern und schaute sie an. „Ach Marie, wie ich mich darüber freue.“

Es fehlte gerade noch, dass er sie küsste, dachte Sofia. Es lag klar auf der Hand, Marcel hatte mit dieser frechen, aufgeputzten Person ein Verhältnis. Ihr konnten sie nichts vormachen.

Marcel war inzwischen weiter gegangen und öffnete die Türe zu Sofias Zimmer.

„Da kommt sie mir nicht hinein! Dafür bin ich ganz alleine zuständig!“, rief Sofia. Sie war an ihnen vorbei geeilt und versperrte ihnen so den Zutritt. „Es gehört mir!“, rief sie.

Marie stand nun dicht neben Marcel. Sie ließ ihren neugierigen Blick durch das Zimmer schweifen.

„Aber Marie“, wollte Marcel beginnen, doch Sofia fiel ihm ins Wort. „Es ist mein Zimmer, mit meinen ganz privaten Dingen, die ich von ihr nicht angerührt haben möchte.“

„Nun ja“, sagte er, die Situation überspielend, „da hat meine Frau so ihre Eigenheiten.“ Er warf Marie einen kurzen Blick zu. „Kommen Sie mit hinunter, ich zeige Ihnen den zweiten Stock, mit der Küche, dem Wohn- und Esszimmer und auch mein Arbeitszimmer befindet sich dort.“

Marie folgte ihm, nicht ohne sich noch einmal mit einem lächelnden Blick zu Sofia umzudrehen. Sofia aber schlug zornig die Türe ihres Zimmers hinter sich zu. „Mein Gott!“, rief sie, dabei setzte sie sich völlig entnervt auf einen Stuhl. Blind vor Wut ergriff sie ihren Füllfederhalter und warf ihn gegen die Wand. „Ich mach’ das alles nicht mehr länger mit, Marcel!“, schrie sie. Da musste sie plötzlich laut lachen, als sie die blaue Tinte an der weißen Wand herunterlaufen sah. Und sie lachte immer lauter, bis Marcel die Türe aufriss und sie hinter sich wieder ins Schloss warf. „Bist du wahnsinnig geworden? Was wird Marie von uns denken?“ Er schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte.

„Du kannst mich nicht einschüchtern, nicht mit ihr!“, erwiderte Sofia. Sie stand auf und stieß ihren Mann zur Seite. „Das ist mein Zimmer. Von Anfang an war es das. So war es abgemacht. Und jetzt verschwinde.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ Marcel den Raum und schlug die Türe so fest hinter sich zu, dass der Schlüssel zu Boden fiel. Sofia hob ihn auf und steckte ihn zurück ins Schloss. Sie lauschte. Da hörte sie ihren Mann sagen: „Entschuldigen Sie Marie! Aber meiner Frau geht es heute wieder einmal nicht gut. Wissen Sie, auch das ist ein Grund...“

„Ihr geht es bestens!“, rief Sofia von oben herab. „Ihr ging es noch nie so gut wie heute!“

Als nach kurzer Zeit die Haustüre geschlossen wurde, hastete Sofia in die Küche hinunter und ans Fenster, von dem aus sie auf die Einfahrt sehen konnte. Marcel stand dicht vor Marie. Sie unterhielten sich. Er musste ihr angeboten haben, sie mit in die Stadt zu nehmen, denn er begleitete sie um den Wagen herum zum Beifahrersitz. Mit einer galanten Geste öffnete er ihr die Türe. Dabei nahm er ihren Arm, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein. Und Marie nahm, wahrscheinlich dankbar, diese Hilfe an und setzte sich in den Wagen. Sofia wandte sich vom Fenster ab und sie fühlte dabei, wie sich die Einsamkeit in dem Haus ausbreitete. Aber sie brauchte doch dieses Alleine sein und dennoch machte es ihr Angst. Sie sah Marcel noch immer vor sich, und wie er diesem jungen Ding beim Einsteigen half. Was dachte er sich eigentlich dabei, fragte sich Sofia. Er musste doch wissen, dass sie ihn beobachtete.

Der aufdringliche Geruch von Maries Parfum lag noch in der Luft, als Sofia wieder in ihr Zimmer hinauf ging. Diesmal jedoch fehlte ihr die Konzentration um in dem Tagebuch zu lesen. Immer wieder musste sie an Marie denken. Sie lehnte sich zurück und schloss ihre Augen. Das Ticken der Uhr war das einzige Geräusch. Keine Menschenseele weit und breit, der sie hätte ihr Herz ausschütten können.

Vielleicht hatte es ja auch etwas Gutes, wenn Marie ins Haus kam, sagte sich Sofia plötzlich. Ob sie es jedoch ertragen konnte? Marcels schmachtender Blick, wenn er mit Marie redete.

Sofia hatte sich Tee gebrüht. Das würde also in Zukunft auch diese Person übernehmen. Überhaupt, alles würde anders werden mit ihr. Mit einem Seufzer ließ Sofia sich auf den Küchenhocker nieder. Tatenlos würde sie zusehen müssen, wie man sie immer mehr beschnitt und obendrein noch hinterging. Und das in ihrem eigenen Hause. Doch nicht in ihrem Zimmer. Da hatte sie sofort durchgegriffen. Nicht mit mir, hatte sie sich dabei gedacht. Ja, wenn Marcel sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann gab es kein Zurück. Dieser Scheinheilige! Er hatte Sofia nach ihrer Meinung gefragt. Er wird diese Person auch ohne meine Zustimmung einstellen, sagte sie sich.

Der Tag war trüb gewesen. Eigentlich hatte es nicht so richtig hell werden wollen. Dichte Nebelschwaden zogen durch das Tal und hatten gegen Mittag kurz etwas aufgelockert. Nun verdichteten sie sich wieder. Nur wenige Meter konnte man aus dem Fenster hinaussehen. Hier und da wirbelten einige Schneeflocken durch die Luft.

Die Pendule in der Stube schlug acht Uhr. Marcel war noch nicht wieder gekommen. Vielleicht hatte er ja noch im Büro zu tun? „Ach was! Wahrscheinlich macht er sich mit Marie einen vergnüglichen Abend“, sagte Sofia mit lauter Stimme. Vielleicht essen die beiden in einem Restaurant, während ich das Abendessen für ihn zubereite.

Doch da hörte sie seinen Wagen vorfahren, und kurz darauf fiel auch schon die Haustüre ins Schloss.

„Ich habe mich verspätet, Liebling!“, rief er.

Das ist nicht das erste Mal, dachte Sofia, während sie mit dem Essen aus der Küche kam.

„Du isst nichts?“, fragte er verwundert, als er nur ein Gedeck auf dem Tisch sah.

„Nein!“, erwiderte sie knapp.

„Was hast du? Geht es dir nicht gut?“ Nachdenklich schaute er sie an.

Sofia setzte sich ihrem Mann schweigend gegenüber und sie dachte, er glaubt wohl, ich bin so naiv und bemerke nicht, was gespielt wird. Wie er gemeinsam mit dieser Marie zu Abend gegessen hat.

„Jetzt, sag‘ schon“, er legte das Besteck weg. „Ist es wegen Marie?“

Sie wandte ihren Blick von ihm ab.

„Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“, fragte er. Und er beantwortete seine Frage auch gleich selbst: „Das ist doch lächerlich.“

Lächerlich? dachte sie, und sie musste plötzlich lachen.

„So sag doch was!“

„Kennst du sie schon lange?“, brach es endlich aus ihr heraus.

„Also doch!“, erwiderte er. In einem Anflug von Zorn schnitt er das Steak auf seinem Teller in kleine Stücke und schob hastig eines nach dem anderen in den Mund. „Ich pack’ das nicht mehr mit dir. Meine Frau ist eifersüchtig auf ein Hausmädchen. Als ob ich mit so einer.... Du bist doch tatsächlich“....

„Was bin ich, Marcel?“

„Ach nichts!“ Er schob den Teller in die Mitte des Tisches und schenkte sich ein Glas Wein ein. „Möchtest du auch ein Glas?“, fragte er.

„Nein danke!“

„Wenn du alleine bist, dann bist du aber nicht so abgeneigt.“

Sofia hatte es doch gewusst, dass er den Tag, an dem sie sich betrunken hatte, nicht so einfach wegstecken konnte.

„Sei ehrlich, was hältst du von Marie?“ Marcel schaute sie an.

Sofia war überrascht über diese Frage.

„Sie ist jung und kräftig, wird also zupacken können“, fuhr er fort.

„Das ich nicht lache“, entfuhr es Sofia. „Jung ist sie. Ja, das kann man wohl sagen.“ Eine Haushaltskraft aber stellte sie sich anders vor, eben wie eine Person, die tatsächlich zupacken konnte. Aber diese Marie, war eine hochaufgeschossene, magere und zerbrechliche Person.

„Ich bitte dich Sofia. Du kennst sie doch überhaupt nicht.“

„Ha! Aber du. Natürlich!“ Sie wartete seine Antwort erst gar nicht ab, sondern fuhr fort: „Und das lange Kleid erst, das sie trug. Damit wird sie besonders gut im Haushalt arbeiten können.“

„Sofia!“, rief Marcel. „Jetzt hör’ endlich auf.“

„Aber so ist es doch.“ Sofia vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

Er kam um den Tisch herum. „Manchmal bist du schon unmöglich“, sagte er. Er beugte sich zu ihr herab und gab ihr einen flüchtigen Kuss. Das tat gut, und sie hätte ihn allzu gerne gefragt, warum er das nicht öfter machte. Vielleicht waren es ja tatsächlich nur ihre Nerven und die Sache mit Tante Bertha, die sie fertig machten. Und vielleicht war es nicht einmal zu ihrem Nachteil, wenn sie nicht mehr so alleine war. Es würde ihr genügend Zeit verbleiben, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Darin musste sie Marcel schon recht geben. Natürlich wollte sie darüber mit ihm nicht reden. Er würde sich etwas einbilden darauf, dass er recht hatte. Hausarbeit war wirklich noch nie ihre Stärke gewesen.

Die nächsten Tage sah Sofia ihre Zukunft in einem besseren Licht. Diese Zuversicht legte sich wieder, als das Weihnachtsfest unmittelbar bevorstand und der Postbote das Telegramm mit der Nachricht vom Tod Tante Berthas brachte. Sofia hatte damit rechnen müssen. Und trotzdem überraschte sie diese Nachricht. Sie hatte ganz einfach den Gedanken daran verdrängt, in den letzten so zuversichtlichen Tagen.

„Sie war eine alte Frau“, wollte Marcel sie trösten.

„Ich will mich mit dir nicht darüber unterhalten“, erwiderte Sofia kurz und sie hastete in ihr Zimmer hinauf. Niedergeschlagen stützte sie ihren Kopf in beide Hände und schloss ihre Augen. Sie sah Tante Bertha genau vor sich. „Nun bist du deiner Schwester gefolgt“, murmelte Sofia. Sie tastete nach dem Tagebuch und drückte es liebevoll an sich. „Danke für alles, was du an mir getan hast.“ Ein paar Tränen tropften auf das Buch. „Ich fühle es, uns verbindet ein ähnliches Schicksal.“

Sofia hatte nicht bemerkt, wie Marcel ins Zimmer gekommen war. Als sie aufschaute und sein Spiegelbild im Fenster erblickte, sprang sie von ihrem Stuhl auf.

„Mit wem sprichst du?“, fragte er.

Sie drehte sich zu ihm um und schaute ihn an. „Tante Bertha ist tot. Mein Gott, begreifst du das denn nicht? Sie ist tot! Sie hatte doch recht mit ihrer Vorahnung, als sie mir sagte, sie müsse bald sterben.“

Er schaute sie schweigend an, wandte sich dann ab und verließ den Raum.

„Oh mein Gott, Tante Bertha!“, rief Sofia. Es beruhigte sie, dass Bertha ihr das Tagebuch bei ihrem Besuch mitgegeben hatte.

Ein verhängnisvolles Vermächtnis

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