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II. Die neuen Geltungsansprüche Gregors VII. und ihre biblische Begründung 1. Ausgangsfrage und methodisches Vorgehen

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Es ist zweifellos sinnvoll, die konkreten Untersuchungen mit Papst Gregor VII. zu beginnen, auch wenn er, wie sich zeigen wird, nicht der Allererste war, der neue Geltungsansprüche in der und für die Kirche erhob. Nach herrschender und unbestrittener Lehre sind in seiner Amtszeit und aufgrund seiner Aktivitäten jedoch die massivsten Veränderungen auf dem Felde päpstlicher und kirchlicher Geltungsansprüche zu beobachten, die daher an den Anfang der Untersuchungen gestellt seien.1

Diese Änderungen betrafen auch das kirchliche Verhältnis zur Gewalt, allerdings war die Frage legitimer Gewaltanwendung durch die Kirche eher eine zwingende, aber unbeabsichtigte Konsequenz aus anderen Neuerungen. Erst die erhöhten Geltungsansprüche des Papsttums auf Herrschaftsbefugnisse in der Welt warfen nämlich das Problem auf, wie man sie durchsetzen sollte – und wiesen damit auf den Weg der Gewalt.

Zentral und neu war nämlich im Denken und in der Ekklesiologie Gregors VII. vor allem die Vorstellung, dass der Papst von allen Menschen Gehorsam fordern und erwarten dürfe – seine Mitbischöfe und die Könige und Kaiser eingeschlossen. Diese Forderung erhob Gregor nicht nur theoretisch, sondern verlieh ihr mit konkreten Maßnahmen Nachdruck, die bis zur Einbestellung von Bischöfen und Königen zur Rechtfertigung nach Rom, Suspendierung vom Amt und Exkommunikation reichten. An der Gehorsamsforderung schieden sich dann auch in der Tat die Geister. Die Begründung der Forderung, dass der Gehorsam gegenüber päpstlichen Geboten die wichtigste Pflicht aller Christen sei, ist daher als Erstes zu klären, weil sich an ihr die grundsätzlichen Konflikte entzündeten, die auch die Frage der Legitimität von physischem Zwang zur Durchsetzung der neuen Ansprüche auf die Tagesordnung brachten.

Die angesprochene Gehorsamsforderung der Päpste namentlich gegenüber Bischöfen und Königen war einer aristokratisch ausgerichteten Kirche und Welt in dieser Zeit fremd. Man war nämlich gewohnt, Willensbildung und Entscheidungsfindung in den Führungsschichten als Prozess der Konsensherstellung durch Beratung zu praktizieren.2 Und dies tat man bewusst in Formen, die Befehlsgewalt, Druck oder gar Zwang auf der einen und Gehorsam auf der anderen Seite so weit wie möglich in den Hintergrund drängten oder zumindest bemäntelten. Solche Verfahren der Beratung, die Partizipation der höheren Ränge an der Entscheidungsfindung vorsahen, waren in Kirche und Welt als Gewohnheiten fest verankert.3 Sie fanden in den Beratungen der Herrschaftsverbände auf den Hoftagen ebenso ihren Ausdruck wie in den Beratungen auf den Synoden und Konzilien. Für die Verfahren waren feste Gewohnheiten ausgebildet. Was die Päpste forderten, musste notwendig in Gegensatz zu diesen Gewohnheiten treten. Nicht zufällig hat denn auch Gregor VII. darauf hingewiesen, Christus habe gesagt: „Ich bin die Wahrheit“, und nicht: „Ich bin die Gewohnheit“. Gewohnheiten konnten nämlich nach der Auffassung Gregors VII. verderbt und schlecht sein, zahlreiche Belege aus Gregors Briefen weisen diese Überzeugung des Papstes aus.4

Die Brisanz der päpstlichen Neuerungen wird aber erst dann richtig fassbar, wenn man bemerkt, dass Gregor in aller Regel mit der Gehorsamsforderung eine zweite, nicht minder aufregende Festlegung verband: die Auffassung nämlich, dass Ungehorsam gegen päpstliche Gebote mit Götzendienst und Häresie gleichzusetzen sei – und es der Kirche erlaubt sei, gegen Ungehorsame wie gegen Häretiker Gewalt und Zwang anzuwenden. Daher scheint es geboten, sich im Folgenden darauf zu konzentrieren, wie die Reformer diese neuartige Auffassung begründeten, die Päpste dürften Gehorsam von allen fordern und – was der Forderung den entscheidenden Nachdruck verlieh – gegen Ungehorsame Gewalt anwenden.

Dieser Kern des neuen päpstlichen Selbstverständnisses war nicht zuletzt Ergebnis einer gewaltigen geistigen Anstrengung auf dem höchsten theologischen Niveau der Zeit. Er resultierte aus einer intensiven Lektüre der christlichen Autoritäten, das heißt der Bibel, der Kirchenväter, der Konzils- und Synodalakten sowie der Historiographie, verbunden mit einer ausgeprägten Bereitschaft, Belegstellen in einer Weise auszudeuten, wie man dies zuvor nicht getan hatte. Man hat in diesem Zusammenhang von einer ausgeprägten Bereitschaft zur „verschärfenden Umbiegung“ bei der Nutzung der Autoritäten gesprochen.5 Wie diese „Umbiegung“ aussah, wird uns im Folgenden beschäftigen.

Niedergeschlagen hat sich das Ergebnis dieser Anstrengung sowohl im Register Gregors VII., das seine reiche Korrespondenz enthält, als auch in mehreren Streitschriften, die enge Vertraute und Anhänger Gregors verfassten. Überdies entstanden in gleicher Zeit einige Kanones-Sammlungen, die Anhänger Gregors zusammenstellten, und Historiographen nahmen in vielfacher Weise Stellung zu den aktuellen Problemen und Positionen. Wir verfügen also über eine überaus differenzierte Quellenlandschaft zu unserer Fragestellung, die dadurch noch ergänzt wird, dass auch die Gegenpartei, gewöhnlich Heinricianer genannt, in ähnlicher Intensität bemüht war, ihre gegensätzlichen Standpunkte in schriftlichen Formen zu präsentieren und zu verbreiten.6 Die Stoßrichtung ihrer Äußerungen wird in Kapitel 5 an drei Beispielen präsentiert.

Meine Überlegungen gehen aus von einer Charakterisierung Papst Gregors VII., die schon zitiert worden ist. Der Papst habe sich als Nachfolger Petri im Besitz der Wahrheit Christi geglaubt, die Christus mit der Übertragung der Binde- und Lösegewalt zunächst an Petrus, damit aber auch an dessen Nachfolger und somit auch an ihn, Gregor, übertragen habe.7 Diese Wahrheit Christi, an der Gregor als vicarius Christi teilzuhaben glaubte, darf man in der Tat als geistigen Angelpunkt im Denken dieses Papstes betrachten. Mit dieser veritas bekämpfte er daher die Macht der Gewohnheiten seiner Zeit.

Die bis dahin befolgten Regeln und Gewohnheiten hatten nämlich nicht zur Ausprägung einer wirklichen päpstlichen Suprematie geführt; akzeptiert und praktiziert wurde lediglich ein Ehrenvorrang des römischen Bischofs vor seinen Amtskollegen, kein Verhältnis zu ihnen, das auf Befehl und Gehorsam basierte. Und dass die Könige und Kaiser in der Zeit der ottonisch-salischen Reichskirche sich ebenfalls nicht als Befehlsempfänger des Papstes verstanden, war gleichfalls ohne Zweifel. Schließlich beanspruchten sie unter anderem eine gewichtige Rolle bei der Entscheidung über die Besetzung des päpstlichen Stuhles und setzten diese nicht selten rigoros durch.

Man dürfte daher nicht fehlgehen in der Annahme, dass die Ereignisse des Jahres 1046 in Sutri, als Kaiser Heinrich III. drei streitende Päpste absetzte und einen vierten, einen deutschen Reichsbischof, auf dem Stuhl Petri installierte, sich tief und traumatisch ins Bewusstsein der Reformer und allen voran Gregors VII. eingruben. Diese Vorgänge dürften ihre Entschlossenheit begründet oder bestärkt haben, alles daranzusetzen, um die Freiheit der Kirche vom Einfluss der Laien zu erreichen. Hierzu musste man allerdings gegen die Macht der Gewohnheiten kämpfen, die die Wahrheit der christlichen Botschaft bisher verdunkelten.

Wie Gregor zu seiner Feststellung einer Opposition von Wahrheit und Gewohnheit kam und welche Konsequenzen er daraus zog, wird erst dann richtig deutlich, wenn man die biblischen Belegstellen mustert, die dieser Papst in seinen Briefen am häufigsten zur Begründung seiner Geltungsansprüche heranzog. Durch die Stellenregister der kritischen Edition seiner Briefe wird leicht erkennbar, dass nur relativ wenige Stellen sehr häufig zitiert wurden, was natürlich eine besondere Aufmerksamkeit auf diese Stellen lenkt.8

Das methodische Vorgehen im Folgenden besteht daher im Wesentlichen daraus, die Aussagen der Bibelstellen zu analysieren, die Gregor VII. in seinen Briefen am häufigsten zitierte, um seine neuen Ansprüche zu legitimieren. In Kapitel 4 wird dann an exemplarischen Zeugnissen ergänzend und bestätigend gezeigt, dass diese Bibelstellen in den Streitschriften der Autoren aus der Umgebung Gregors gleichfalls verwendet wurden. Gregors Positionen werden hier noch ausführlicher entwickelt, als er es selbst in seinen Briefen tat, die ja angesichts ihrer Funktion eher selten Raum für eine ausführliche und grundsätzliche Erörterung der Problematik ließen. So lassen sich die Grundpfeiler der Legitimation der neuen päpstlichen Geltungsansprüche und ihre biblische Basis auf einer breiten Überlieferung vorstellen.

»Selig sind, die Verfolgung ausüben«

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