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Teufelssaat
ОглавлениеKolvar streckte die Hände von sich, konzentrierte seine letzten Energien und heftete den Blick auf Marwaks schmächtige Gestalt. Marwaks ehemals prächtiges Zaubergewand war schmutzig und der edle Stoff an vielen Stellen aufgerissen. Die sich sonst auf dem dunklen samtenen Stoff bewegenden Sterne waren ihrer Leuchtkraft beraubt und gaben lediglich ein trübes Glimmen von sich. Marwak hatte seine Kräfte längst aufgebraucht und Kolvar musste ihm nur noch den Todesstoß versetzen. Einem Wirbelsturm gleich, kreisten Wolken über Marwak und das tosende Brausen eines mächtigen Orkans überdeckte alle anderen Geräusche. Der Zauberer schien nichts davon wahrzunehmen. Er versuchte vielmehr, davonzulaufen. Lächerlich! Erbärmlich!
Kolvar hob die Hände, als wolle er einen unsichtbaren Gegner abwehren, der über ihm schwebte. Er formulierte in kurz und hart hervorgestoßenen Worten einen Zauberspruch und entfesselte damit die angesammelten magischen Energien. Eine weiße, von Blitzen umrankte Lichtsäule zuckte wie ein gleißender Hammer des Himmels auf den flüchtenden Magier nieder und stanzte ein breites und tiefes Loch in den Boden. Verflüssigtes Gestein spritzte empor und stürzte qualmend auf die umliegende Erde hinab.
Dichter Rauch und Schwefelgestank breiteten sich aus.
Brütende Hitze schlug Kolvar entgegen. Er näherte sich langsam dem kraterähnlichen Loch. An den Rändern tanzten fluoreszierende Lichter. Schmale Rauchfahnen schlängelten sich wie Geisterscheinungen zum Himmel. Die Szenerie erinnerte an alte Gemälde, auf denen die Künstler ihren Visionen einer Vorhölle Form gegeben hatten. Über ihn zogen dunkle Wolkenfetzen hinweg, zwischen denen hin und wieder eine altersschwache und fleckengesprenkelte Sonne hervorlugte, welche die zerrissene Landschaft in großflächigen Abschnitten in blutrotes Licht tauchte. Rechts erhob sich als schwarzer Schattenriss Marwaks prächtiges Anwesen. Ein düsteres Bauwerk, mit vielen hoch aufragenden Türmen. Welche Verschwendung! Marwak bewohnte nur einen winzigen Teil des schon Jahrtausende existierenden Schlosses und hatte den Rest verkommen lassen.
Kolvar näherte sich dem Krater so weit, dass er in dessen Mitte blicken konnte. Eine leuchtende, halbtransparente Kugel schwebte dort. In ihrem Zentrum bewegten sich beunruhigende Formen. Es handelte sich um Marwaks eingekapselte Seele! Kolvar war vor ein paar Wochen mehr durch Zufall auf diesen mächtigen Zauberspruch gestoßen, mit dem man die Seelen soeben Verstorbener in der materiellen Welt binden konnte. Er begann vorsichtig in den Krater hinabzusteigen, um die gebundene Seele in sich aufzunehmen und damit Marwaks Fähigkeiten den seinen beizufügen.
Der Boden erzitterte plötzlich. Grollen, Brüllen und Schmerzensgeschrei drang aus den Tiefen der Erde, sodass er entsetzt zurückwich. Etwas schien sich unter ihm durch den Boden zu graben. Genau im Zentrum des Kraters riss die Erde auf und eine gewaltige klauenbewehrte Hand schnappte nach Marwaks Seele. Die Hand gehörte zu einem schwarzen Ungeheuer, das sich laut brüllend aus dem Loch zwängte und dann mit seinem schuppigen Schwanz nach Kolvar schlug. Der Angriff traf ihn hart und schleuderte ihn quer durch die Luft. Er landete wie eine weggeworfene Puppe am Rand des Kraters. Die riesige Hand des Monsters umfasste die blau schimmernde Seele. Tastete sie prüfend ab. Dann schloss sich die Hand um die Kugel und die Kreatur grub sich wieder im Boden ein.
Kolvar lag zusammengekrümmt auf der ausgedörrten Erde. Lange gelang es ihm nicht, das heftige Zittern seines geschwächten Körpers zu unterdrücken.
Den Zugang zum Geheimgang aufzuspüren, erwies sich schwieriger als gedacht. Kolvar hatte von dessen Existenz nur durch Zufall erfahren. Er hatte genau am Tag der Sommersonnenwende einen Dieb auf seinem Anwesen gestellt. Die Dreistigkeit des Ganoven imponierte ihm, sodass er dem Dieb gestattete, sich durch die Preisgabe einiger Geheimnisse freizukaufen. Eine kleine Strafe musste dennoch sein, weshalb sich der Halsabschneider jetzt nur noch in einer alten, seit Jahrhunderten vergessenen Sprache artikulieren konnte. Kolvar war jedoch sicher, dass der Bursche gerissen genug war, um auch dies zu seinem Vorteil zu nutzen.
Obwohl er von dem Geheimgang hinter dem mittleren Bücherregal des Arbeitszimmers wusste, benötigte er länger als erwartet, um den winzigen, in einer der Zierleisten versteckten Schalter zu finden.
Mit einem trockenen Ächzen des Holzes öffnete sich das Bücherregal wie eine Tür von ihm weg und gab den Blick auf eine dunkle, nach unten führende Treppe frei. Kolvar würde die Bücher nachher genauer in Augenschein nehmen. Da verbarg sich sicher manch wertvoller Schatz.
Die massiven Steinstufen der alten Treppe waren mit einer dicken Schicht Staub bedeckt. Er lief langsam hinab, darauf bedacht, dabei nicht zu viel Staub aufzuwirbeln. Der gläserne Löwenkopf seines Zauberstabes spendete genügend Licht, um die nähere Umgebung zu erhellen. Marwak schien den Gang nicht allzu oft benutzt zu haben.
Kolvar konnte es noch immer nicht begreifen. Wie hatte es Marwak nur wagen können, ihm eine so offensichtliche Falle zu stellen. Eine derartige Arroganz und Selbstüberschätzung sah ihm gar nicht ähnlich.
Kolvar runzelte die Stirn. Vielleicht hatte Marwak unter einem mächtigen Bann gestanden und war nicht mehr Herr seiner selbst gewesen. Dies würde immerhin auch das Auftauchen dieser entsetzlichen Bestie erklären. Kolvar wollte gar nicht darüber nachgrübeln, was die Kreatur mit der erbeuteten Seele alles anzustellen vermochte. Marwak würde mit Sicherheit keinen Spaß daran haben.
Am Ende der Treppe öffnete sich der Gang zu einem kuppelförmigen Raum. Im Raum selbst befanden sich zwei Tische, ein schmaler Schrank, der ihm bis zur Stirn reichte, ein Bücherregal und eine mit Edelsteinen verzierte Truhe, die genau in der Mitte des Zimmers auf einem runden Podest stand. Der Tisch war mit einer Vielzahl an Phiolen, verschieden großen Glasbehältern und Reagenzien zugestellt, der andere diente als Sekretär. Auf dem Sekretär befand sich ein unverschlossenes Tintenfass neben einem zur Hälfte beschriebenen Pergament. In der Ablage lehnte eine Schreibfeder, an deren Spitze Reste von Tinte getrocknet waren. Kolvar hob das Blatt an. Unbekannte Schriftzeichen! Alles machte den Eindruck, als wäre Marwak bei etwas unterbrochen wurden und hätte den Raum in großer Eile verlassen.
Kolvar schaute sich das Bücherregal genauer an. Darin befanden sich hauptsächlich Folianten, die sich mit Alchemie, Giften, magischen Tränken und Ähnlichem beschäftigten. Nichts wirklich Außergewöhnliches. An der Wand zwischen den beiden Tischen hing ein schwerer blauer Gobelin. Ein wertvolles, mit aufwendigen Stickereien versehenes Stück. Kolvar befühlte den Stoff. Der Gobelin war weich und ohne sichtbare Alterserscheinungen, als hätte man ihn erst vor Kurzem angefertigt. Diesen Schatz würde er sich nicht entgehen lassen.
Das wertvollste Objekt schien sich jedoch innerhalb der Truhe zu befinden. Überraschenderweise war sie unverschlossen. Kolvar hob die Abdeckung. Innen war die Truhe mit rotem Samt bespannt. In zwei separaten Aussparungen befanden sich ein kleines Buch und eine silberne Kapsel. Kolvar verstaute beides in seinem Gewand.
Eine seltsame Unruhe erfasste ihn plötzlich. Sein Körper erspürte instinktiv, dass eine Veränderung eingetreten war. Nicht sofort fassbar, berührte sie dennoch die Ebenen des Unbewussten. Er besaß ein untrügliches Gespür für Gefahr und hatte jetzt das drängende Bedürfnis, so schnell wie möglich von hier wegzukommen.
Er hatte sich kaum umgewandt, als der Boden erzitterte. Staub und kleine Steine rieselten von der Decke. Kolvar tippte auf die grauenhafte Kreatur, die sich Marwaks Seele bemächtigt hatte und in ihm wohl neue Beute witterte. Er lief, so schnell es ihm möglich war, wieder die Treppe hinauf. Mit wem oder was hatte sich der alte Zauberer da nur eingelassen?
Kolvar sondierte mit schnellen Blicken die Umgebung. Er konnte es sich nicht leisten, in dem riesigen Schloss die Orientierung zu verlieren.
Ohrenbetäubendes Krachen hinter ihm. Steine polterten zu Boden. Der Gang, durch den er gerade lief, schien kein Ende zu nehmen: eine von Marwaks lächerlichen Fallen, die ihm im Augenblick jedoch zum Verhängnis zu werden drohte. Silbern fächerte Mondlicht durch die schmalen Fenster links von ihm. Kolvar schüttelte verwirrt den Kopf, schließlich war es mitten am Tag. Endlich erreichte er die schwere massive Tür am Ende des Ganges. Er stieß sie auf und betrat die mit prachtvollen Gemälden und Wandverzierungen geschmückte Eingangshalle. Rechts und links von ihm führten breite Treppenfluchten zur nächsten Etage.
Die Präsenz eines mächtigen Wesens erstickte jegliche magische Energie im Raum. Die Kreatur suchte ihn, während ihm nur noch ein Ausweg blieb. Kolvar lief auf das massive Eingangsportal zu. Die Türen waren mit eindrucksvollen Schnitzereien versehen. Teufelsköpfe, in deren Augenhöhlen rote Edelsteine blitzten. Höhnisch starrten sie ihm entgegen. Kaum näherte er sich den beiden Türhälften, wanden sich schmale Äste aus dem alten Holz. Sie wuchsen in rasender Geschwindigkeit und schlangen sich dabei so dicht umeinander, dass sich die Tür nicht mehr öffnen ließ.
Kolvar hob den Stab. Seine Hände zitterten, während er den Zauber des Einfachen Verkümmerns sprach. Seine magischen Kräfte waren jedoch noch vom Kampf gegen Marwak geschwächt. Kurzzeitig schrumpften die Äste um eine Winzigkeit, nur um sich daraufhin umso machtvoller zu entfalten. Kolvar war gefangen. Obwohl er nicht genau wusste, was da auf ihn lauerte, war er sicher, dass es sein Ende bedeuten würde.
Der Boden bebte. Dumpfe, machtvolle Schläge. Die Erschütterungen waren so stark, dass Kolvar den Halt verlor und schmerzhaft gegen das Treppengeländer torkelte. Ihm blieb keine Wahl. Er zog eine winzige blaue Perle aus seinem Umhang und schleuderte sie so heftig auf den Boden, dass diese zerplatzte. Ein greller Lichtblitz erhellte die Eingangshalle und ein schimmerndes Portal entfaltete sich direkt vor ihm. Kolvar besaß nur diese eine Perle und es ärgerte ihn furchtbar, dass er das seltene Artefakt einer Portalmagie bei so einer unergiebigen Gelegenheit verschwenden musste.
Das wabernde Oval zeigte einen Ausschnitt sonnenbeschienen Waldes, auf den Kolvar mit wehendem Mantel zulief. Als hinter ihm der Boden aufbrach und wütendes Brüllen alle anderen Geräusche hinweg fegte, trat er schon in das weiche Gras einer weit entfernten Lichtung.
Die Aussicht aus dem Kristallglasfenster seines Arbeitszimmers erlaubte Kolvar einen umfassenden Blick auf den weitläufigen Garten seines Anwesens. Die altersschwache Sonne spendete mehr Licht und Wärme als üblich und hüllte die kunstvoll beschnittenen Bäume in sanftes rötliches Licht. Der Gärtner, den Kolvar seit einiger Zeit beschäftigte, vollbrachte wahre Wunder. Die aus aller Welt stammende Flora gedieh prächtig. Der wolkenlose Himmel überspannte die Landschaft mit der Illusion von Frieden und Unschuld.
Kolvar ging mit gemächlichen Schritten zurück an seinen Arbeitstisch. Dort lag, in der Mitte aufgeschlagen, Marwaks Buch. Daneben ruhte die silbern glänzende Kapsel. Es war ein grausiges Mitbringsel, das ihm da in die Hände gefallen war. Kein Wunder, dass Marwak es in diesem unterirdischen Versteck verborgen hatte. Kolvar musste das Buch erst mühsam übersetzen, da wichtige Teile in der geheimen Sprache der Schwarzmagier verfasst waren. Durch das Buch erfuhr er, dass sich im Innern der Kapsel ein Samen befand, der als »die Saat des Bösen« bezeichnet wurde.
Der Samen besaß tatsächlich teuflische Eigenschaften. Benetzte man ihn mit dem Blut eines Menschen und vergrub ihn, während man die in der Zeremonie vorgeschriebenen Beschwörungsformeln sprach, entwickelte sich der Samen innerhalb weniger Tage zu einer riesigen Frucht. Innerhalb der Frucht wuchs jedoch eine groteske Kreatur heran: Es war ein Doppelgänger jenes Menschen, von dem das Blutopfer stammte. Der Doppelgänger würde sich – sobald der Reifeprozess abgeschlossen war – aus der Frucht befreien, sein Ebenbild aufsuchen, es erschlagen und dessen Platz einnehmen. Dabei war der Doppelgänger jedoch jener Person untertan, welche die Zeremonie durchgeführt hatte. Kolvar war hier ein Schatz in die Hände gefallen, der den Verlust seiner Fluchtportalperle mehr als ausglich.
Kolvar setzte sich auf seinen hochlehnigen Arbeitsstuhl und blätterte nachdenklich in der Anleitung, die die Aussaat des Samens beschrieb. Er hatte lange auf eine Gelegenheit wie diese gewartet. Wie oft hatte ihn Ikondrar verspottet und ihn in der Akademie der Magier vor aller Augen gedemütigt. Eines musste sich Kolvar jedoch zähneknirschend eingestehen: Ikondrar war ein begabterer Magier als er. Doch das gab ihm nicht das Recht, ihn derart herablassend zu behandeln.
Kolvars ernstes Gesicht entspannte sich langsam, bis sich schließlich sein Mund zu einem dünnen Lächeln verzog. Seine Zeit würde kommen und Ikondrar würde für seine Anmaßungen büßen.
Die alles in Dunkelheit hüllenden schweren Regenwolken zogen davon und entblößten die blasse Silberscheibe des zerborstenen Mondes, dessen schroffe Buchkante im Moment im Schattenbereich lag. Dahinter leuchteten Tausende abgesprengter Gesteinsbrocken im Sonnenlicht. Ein dunkler und abgründiger Himmel, in dem nur wenige Sterne funkelten. Wenn man zu lange in die unendliche Leere blickte, konnte man den Verstand verlieren.
Kolvar wartete seit Einbruch der Nacht neben einem kleinen Gasthaus, aus dessen Schornstein eine klägliche Rauchfahne sickerte. Das kurze Unwetter hatte so heftig gewütet, dass selbst die Bettler an trockeneren Orten Unterschlupf gesucht hatten.
Es drang nur wenig Licht aus den schmutzverkrusteten Fenstern der Gastwirtschaft. Die strohgedeckte Hütte lag am Rande der Stadt, direkt neben einem eingefallenen Rest der ehemaligen Stadtmauer. Schäbige und ungepflegte Häuser, wohin er auch blickte. Die Armut war allgegenwärtig.
Kolvar fand es befremdlich, dass ein vermögender Arzt wie Baldrug in einem solchem – seinem Stand eigentlich unangemessenen – Gasthof einkehrte.
Es sollte noch einige Zeit dauern, bevor sich die Tür öffnete und der Arzt hinaustrat. Leicht angetrunken torkelte er über die Straße. Trotz der Kälte trug er seinen Mantel offen. Für Diebe und Totschläger wäre er so ein leichtes Opfer gewesen.
Kolvar trat aus dem Schatten.
»Einen schönen Abend, Herr Baldrug«, rief er ihn an. »So spät noch unterwegs? Plagt Euch der Kummer oder betrauert Ihr noch immer den tragischen Tod Eures Weibes?«
Baldrug hielt inne. Ein volles, jedoch von Traurigkeit gezeichnetes Gesicht, aus dem er Kolvar mit kleinen feuchten Augen anblickte. Kolvar konnte keine besondere Regung darin ausmachen. Er starrte Baldrug mit unverhohlener Abscheu in die Augen.
»Was … wollt Ihr … und woher wisst Ihr über den Tod meiner … Frau?«, fragte Baldrug mit schwerer Stimme, während er leicht vor und zurück schwankte.
»Ich weiß inzwischen Vieles über Euch«, flüsterte Kolvar. »Und das trotz der Tatsache, dass sich mein Interesse nur indirekt auf Eure Person bezieht.« Er umfasste Baldrugs Arm und zog ihn vom Eingang fort. »Machen wir einen kleinen Spaziergang, dann verrate ich Euch mehr.«
Baldrug verharrte unschlüssig, folgte ihm dann aber doch die mit groben Steinen gepflasterte Straße entlang. An deren Rändern häuften sich Küchenabfälle und Fäkalien, die selbst der starke Regen nicht mehr wegzuwaschen in der Lage war. Sie passierten einen Wachmann, der zusammengesunken und mit ausgestreckten Beinen schnarchend auf dem nassen Boden saß. Der Geruch von billigem Wein und Erbrochenem stach Kolvar in die Nase.
Sie verließen die trügerische Sicherheit der Stadt und erreichten einige Zeit später einen Landstrich, dem die Menschen der Gegend die Bezeichnung Nebeltal gegeben hatten. Das Licht des Mondes erhellte dürftig die Umgebung. Den schmaler werdenden Pfad säumten kahle Bäume, deren feuchte, glatte Rinde das Mondlicht reflektierte. Sie erreichten schließlich eine Lichtung, von der weitere Wege abgingen.
Baldrug hielt inne: »Nun sagt schon. Was wisst Ihr … und vor allem: Was wollt Ihr von mir?«
Kolvar zog seinen löwenkopfgeschmückten Zauberstab aus dem Umhang und schlug ihn hart auf den Boden. Leise murmelte er einen Zauberspruch. Direkt vor ihm fauchte plötzlich eine große, hell leuchtende Kugel silbern flackernde Funken aus der Dunkelheit. Innerhalb der Erscheinung zeichneten sich dunkle Schatten ab. Lichter, Farben und Formen wogten hin und her, flossen zusammen und lösten sich wieder voneinander. Schließlich bildeten sich deutlichere Konturen. Die schlanke Silhouette einer Frau wurde sichtbar. Baldrug wich einen Schritt zurück, als er erkannte, was sich dort abzeichnete.
»Meine Tochter!«, stöhnte er. »Was habt Ihr meinem Kind angetan?«
Kolvar bemerkte die Anspannung, die Baldrug erfasste. Er sah aus, als würde er ihn jeden Augenblick anspringen wollen. Doch der Quacksalber beherrschte sich.
»Eurem Kind geht es gut! Sie ist unversehrt und sie wird es auch bleiben, soweit Ihr bereit seid, mir einen kleinen Gefallen zu gewähren.«
Kolvar trat näher an Baldrug heran, der noch immer wie in Trance auf das von hellen Lichtern umtanzte Antlitz seiner Tochter starrte. »Solltet Ihr Euch jedoch widersetzen, wird sie verloren sein. Ihr habt zehn Tage Zeit, um mir meinen Wunsch zu erfüllen. Schafft Ihr es nicht, bin ich gezwungen, Eure Tochter für Euer Versagen büßen zu lassen.«
Baldrug schwieg, während er mit unerwartetem Aufbegehren Kolvars Blick erwiderte. Er schien jetzt völlig nüchtern zu sein.
»Sagt schon«, stieß er hervor. »Was soll ich für Euch tun?«
Kolvar griff in eine Tasche seines Umhangs und zog ein kleines Glasfläschchen hervor. »Bringt mir etwas von Ikondrars Blut. Ihr seid sein Leibarzt und dürftet keine Schwierigkeiten haben, an das Gewünschte zu gelangen.«
Baldrugs wankte einen Schritt zurück, als hätte ihn ein harter Schlag getroffen. »Wisst Ihr, was Ihr da von mir verlangt?« Sein Gesicht schimmerte blass. »Ikondrar ist höchst misstrauisch. Man munkelt sogar, er könne Gedanken lesen.«
»Weibergeschwätz!«, unterbrach ihn Kolvar barsch. »Denkt an Eure Tochter. Es ist Eure Entscheidung!«
Kolvar erwachte in seinem riesigen Bett, dass, von uralter Magie gehalten, etwas mehr als eine Handbreit über dem Boden schwebte. Ein quälender Schmerz pochte hinter seiner Stirn. Langsam richtete er sich auf, während sein Blick auf den makellosen Körper einer wunderschönen Frau fiel. Mit dem Rücken zu ihm und leicht in sich gekrümmt, ruhte sie völlig entspannt auf dem weißen Laken. Noch während er sie betrachtete, kehrten die Ereignisse des gestrigen Tages in sein Gedächtnis zurück.
Es war später Nachmittag gewesen. Die ersten aus Silberhof angereisten Händler hatten schon begonnen, ihre Waren zurück in die Wagen zu laden. Wie immer hatte Kolvar auf dem Markt mehr Geld als geplant ausgegeben und war schließlich in einer Gastwirtschaft eingekehrt. Kaum war er nach üppigem Mal und etwas zu viel Wein wieder ins Freie getreten, sprang ihn jemand von der Seite an.
Übler Mundgeruch stieß ihm entgegen, und er blickte auf ein hageres ungepflegtes Gesicht unter der löchrigen Kapuze. Der Angreifer war ihm schon in der Gastwirtschaft aufgefallen. Kolvar hatte sich während des Essens beobachtet gefühlt. Eine mit dunkler Kutte bekleidete Gestalt hatte ständig in seine Richtung geblickt, aber den Gasthof schließlich verlassen. Kolvar vermutete, dass er draußen, versteckt hinter der Pferdetränke, auf ihn gewartet hatte.
Der Überfall geschah innerhalb weniger Augenblicke. Der Bandit zwängte sich wie ein bösartiges Raubtier hinter ihn und zog mit erstaunlicher Kraft seine Arme nach hinten. Als er gerade dabei war, sein Messer über Kolvars Kehle zu ziehen, trat eine Frau aus dem Schatten. In ihren Händen ruhte eine scharfgemachte Armbrust. Der Bandit verharrte in seiner Bewegung und Kolvar spürte, wie das scharfe Messer leicht seinen Hals ritzte.
»Lasst ihn frei!«, rief sie. »Oder ich jage Euch einen Bolzen in den Kopf.«
Der Dieb lockerte seinen Griff ein wenig, sodass Kolvar wagte, wieder ein wenig Luft zu holen.
»Törichtes Weib«, erwiderte der Dieb fassungslos. »Warum stört Ihr mein Tun? Ist Euch das Opfer bekannt?«
»Ich bin nur nicht gewillt, mit anzusehen, wie rechtschaffene Bürger auf offener Straße von Euresgleichen aufgeschlitzt und ausgeraubt werden.«
Der Dieb lachte dumpf. »Rechtschaffene Bürger. Der feine Herr hier hat sicher mehr Blut an seinen Händen, als ich es jemals haben werde.«
»Geht!«, rief die Frau. »Bevor mir die Hand zu sehr zu zittern anfängt, und behaltet das Geschwätz für Euch!«
Der Dieb stieß Kolvar auf den durchweichten, matschigen Boden und wurde Teil der Dunkelheit.
Kolvar durchströmte eisige Kälte, als er begriff, wie knapp er am gestrigen Abend dem Tode entronnen war. Purer Zynismus: Da konnte er mächtige magische Energien entfesseln, um selbst gewaltige Ungeheuer zu Fall zu bringen, doch gegen das scharfe Messer eines Diebes, der sich in der Finsternis der Nacht anschlich, war er machtlos.
Die Schönheit in seinem Bett rekelte sich, drehte sich zu ihm und schaute ihn aus blau leuchtenden Augen an.
»Habt Ihr gut geschlafen?«, fragte Kolvar und legte sein strahlendstes Lächeln auf.
»Ausgezeichnet«, antwortete sie, zog die Beine an und lächelte zurück.
»Ich weiß immer noch nicht genau, wie ich Euch in ausreichendem Maße danken kann?«, schmeichelte er ihr. »Ihr habt völlig ohne Eigennutz Mut bewiesen und dabei Euer Leben riskiert. Das ist außergewöhnlich!«
»Ihr habt mich schon dadurch beschenkt, mir Einlass in Euer Anwesen gewährt zu haben«, erwiderte sie. »Das ist ein großer Vertrauensbeweis!«
»Gebt Euch nicht so bescheiden«, sagte Kolvar. »Ihr habt Euch Anerkennung und eine angemessene Entlohnung verdient. Ich hoffe, Ihr habt einen gesunden Appetit. Ich habe uns ein Frühstück anrichten lassen.«
Kolvar saß schon weit über die vereinbarte Zeit an einem Tisch der Gastwirtschaft »Zur gelben Kröte« und leerte das dritte Glas Wein. Er gab der Wirtin ein Zeichen, dass er seine Zeche zu begleichen wünsche, als Baldrug doch noch im Eingang der Schenke erschien. Seine Bewegungen waren schwerfällig und sein blasses, dickliches Gesicht wirkte wie die Haut eines Toten. Baldrug sah aus, als wäre er dem Teufel persönlich begegnet.
»Wo wart Ihr so lange?«, rief Kolvar verärgert. »Ist Euch das Leben Eurer Tochter nichts wert? Ihr enttäuscht mich …«
»Beruhigt Euch!«, flüsterte Baldrug erschöpft. »Ich habe das von Euch Gewünschte bei mir. Das Vorhaben erwies sich jedoch schwieriger als …«
»Erspart mir die Einzelheiten!«, unterbrach ihn Kolvar. »Gebt mir die Phiole!«
Baldrug griff in die Innentasche seines Mantels, dessen teurer Stoff matt schimmerte, und reichte Kolvar das in blaues Tuch eingeschlagene Fläschchen.
Kolvar nahm die Phiole mit der kostbaren Flüssigkeit an sich und verstaute diese in seinem Gewand. Dann ließ er einen kleinen Lederbeutel mit Silbermünzen auf den Tisch fallen. »Das ist für Euch, schließlich bin ich kein Geizhals. Eure Tochter darf jedoch noch so lange meine Gastfreundschaft genießen, bis ich Gewissheit habe, dass Ihr mir nicht das Blut eines Taugenichts oder gar eines Hundes vermacht habt.«
Baldrug erhob sich wutentbrannt und stieß dabei den schweren Tisch zurück. »Ihr habt mich betrogen! Ich will meine Tochter zurück.«
Kolvar blieb ungerührt sitzen: »Habt Ihr mir das Gewünschte gebracht, ist Eure Tochter in wenigen Tagen wieder bei Euch, ohne dass ihr ein Leid geschieht. Habt Ihr mich dagegen betrogen, geht sie in meinen Besitz über und Euch werde ich töten.«
Baldrug erwiderte Kolvars herausfordernden Blick und stieß den Beutel mit den Münzen von sich. »Gebt mir meine Tochter unversehrt zurück, mehr verlange ich nicht.«
Der Tag zog sich warm und sonnig dahin. Die greise Sonne übergoss die sanft geschwungene Landschaft mit mildem, rötlichem Licht. Die Luft war so klar wie schon lange nicht mehr, sodass Kolvar bis zu den weißen schmalen Türmen der Stadt blicken konnte.
Kolvar spazierte durch seinen geliebten Garten, in den er sich gern zurückzog, wenn er schweren Gedanken nachhing, oder einfach nur Entspannung suchte. Diesmal war er jedoch nicht hier, um Zerstreuung zu finden. Zielgerichtet lief er auf die kleine Anhöhe am Rand eines kleinen Kräuterbeetes zu. Der Gärtner hatte dort ein Loch ausgehoben und die Erde reichlich mit Wasser getränkt. Kolvar schien es so, dass außer dem Geruch von feuchter Erde auch noch ein Hauch Verwesung in der Luft lag.
Er entnahm den Samen der Kapsel und hielt ihn über das Loch. Das Samenkorn schien sich zwischen seinen Fingern zu winden. Angewidert ließ er es fallen. Kolvar zog hastig das Fläschchen mit Ikondrars Blut aus seinem Umhang, entfernte den Pfropfen und träufelte es über den unscheinbaren Keimling. Seine Lippen murmelten unterdessen die auswendig gelernten Beschwörungen. Nach Abschluss der Prozedur bedeckte er den Samen mit der ausgehobenen Erde. Mit einem kleinen Spaten drückte er schließlich den aufgelockerten Boden wieder fest. Kaum hatte er dies erledigt, durchströmte ihn ein Gefühl intensiver Erleichterung. Schnell kehrte er in sein Anwesen zurück.
Die magischen Energien, die in dem Samen gebunden waren, spürte er selbst dann noch, als er im Schaukelstuhl seiner Bibliothek seinen Nachmittagstee zu sich nahm.
Kolvar saß in seinem kleinen Arbeitszimmer im Nordturm und untersuchte ein archäologisches Artefakt, das ihm ein reisender Händler vor ein paar Wochen auf dem Markt angeboten hatte. Den Angaben des Händlers zufolge stammte das seltene Stück aus den Blutwüsten weit im Süden des Landes. Ein rundes bronzenes Objekt, ähnlich einem Amulett. Es war an einer langen dünnen Kette befestigt, die man sich um den Hals hängen konnte. Auf seiner Oberfläche befand sich eine Vielzahl unterschiedlich großer Erhebungen, die – sobald man sie mit dem Finger berührte – schwach zu leuchten begannen. Dabei gab das Artefakt ein tiefes Brummen von sich. Kolvar schätzte den Wert des Objektes recht hoch, kam bei seinen Untersuchungen jedoch kaum einen Schritt weiter.
Völlig außer Atem, stürzte plötzlich Kolvars Gärtner ins Arbeitszimmer. Mit ernstem und starrem Gesicht hatte er Kolvar in den letzten Tagen detailliert darüber Bericht erstattet, dass sämtliche Vegetation in der Nähe des neu gepflanzten Samens verkümmert war. Sogar das widerstandsfähige Trompetengras verdorrte zu unansehnlichen schwarzen Strünken. Dafür gedieh die Frucht des Samens prächtig und blähte sich wie ein riesiges Kürbisgewächs auf.
»Entschuldigt mein Eindringen, Herr, aber in der Frucht regt sich etwas ganz und gar Unheimliches. Als mich dieses Etwas aus dem Inneren der Pflanze heraus anknurrte, packte mich die Angst. Verzeiht mir, Herr … ich konnte nur noch davonlaufen …«
Kolvars Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Es geschieht alles so, wie es vorgesehen ist. Keine Furcht, du bist geschützt und in Sicherheit.«
Er erhob sich langsam von seinem Stuhl: »Vielleicht ist es ja schon so weit. Ich sollte selbst einmal nachsehen.«
Vielfarbige Schmetterlinge tanzten in der Luft, als Kolvar aus der schmalen Tür trat, die eigentlich für die Dienstboten vorgesehen war. Diese besonderen Schmetterlinge gehörten nicht zur Gattung der Insekten, sondern waren Teil einer Pflanze, die sich auf diese Art fortpflanzte. Die falschen Schmetterlinge konnten deshalb auch nur in unmittelbarer Nähe der Pflanze überleben. Kolvar lief dicht begrünte Wege entlang. Prächtige Blüten hatten sich der Sonne geöffnet und wiegten sich im sanften Wind.
Je näher Kolvar dem gepflanzten Samen kam, umso weniger Blüten gab es zu bewundern. Viele Blätter waren verdorrt oder begannen gelb und braun zu werden. Manche Pflanzen dagegen waren dicht mit weißem Schimmel überzogen. Ein stärker werdender Geruch nach Verwesung drang ihm in die Nase. Schließlich erreichte er die Stelle, an der er den Samen gepflanzt hatte.
Die Größe der Frucht übertraf Kolvars Erwartungen. Ihre Hülle erinnerte ihn an dunkle ledrige Haut, unter deren grünlich schimmernder Oberfläche sich ein dicht verästeltes Adergeflecht ausbreitete. Die monströse Frucht schien wie im Rhythmus eines Herzschlages zu pulsieren.
Eine Stimme krächzte. Es klang, als versuchte ein Tier, sich in menschlicher Sprache zu artikulieren. Kolvar trat näher an den bizarren Fruchtkörper heran. Vorsichtig berührte er mit seinen Fingerspitzen dessen feucht glänzende Oberfläche. Diese fühlte sich wie sprödes Pergament an.
Kolvar zuckte zurück, als eine rötlich schimmernde Hand die Fruchthülle durchstieß. Stinkende, gelbliche Flüssigkeit quoll aus der Öffnung und ein grausiges Gebrüll, wie nur Irrsinnige es hervorzubringen vermochten, drückte sämtliche anderen Geräusche nieder. Eine zweite Hand drängte sich durch die entstandene Öffnung und beide Hände drückten die Bruchstelle auseinander. Ein Riss öffnete sich. Mehr und mehr Flüssigkeit sprudelte hervor und benetzte den Boden. Ein unangenehm reißendes Geräusch ertönte plötzlich. Die Öffnung vergrößerte sich schlagartig. Mit einem gewaltigen Schwall wurde die eingeschlossene Kreatur hinaus auf die Erde gespült. Die Frucht fiel mit feuchtem Schmatzen in sich zusammen.
Das schleimüberzogene Wesen lag einige Augenblicke völlig regungslos inmitten der dampfenden Brühe. Dann kam Leben in den bleichen Leib. Langsam erhob sich die unheimliche Gestalt. Kolvar wich zurück, als er in das Gesicht der Kreatur blickte. Schleimfäden hingen ihm von Nase, Lippen und Stirn. Es bestand kein Zweifel, es war sein eigenes Gesicht, in das er da blickte.
»Das kann nicht sein«, stammelte Kolvar.
Hinter ihm ertönte das Lachen des Gärtners: »Es geschieht alles so, wie es vorgesehen ist.«
Kolvar drehte sich um und sah gerade noch die Gestalt des Gärtners verschwimmen und sich seltsam verzerren. Das Gesicht gerann kurzzeitig zu einer grotesken Fratze und einen Augenblick später stand der spöttisch lächelnde und makellos gekleidete Ikondrar vor ihm. Ein simpler Verwandlungszauber …
»Baldrug hat mir alles gestanden«, sagte Ikondrar, dessen unbeschwerter Blick Kolvar schmerzhafte Stiche versetzte. »Ich habe daraufhin einen Überfall arrangiert, um Euch mit der bezaubernden Leena bekannt zu machen. Sie besorgte mir etwas von Eurem wertvollen Blut. Ihr habt nicht einmal bemerkt, dass sie Euch ein Schlafmittel in den Wein mischte. Ihr könnt Euch sicherlich denken, wofür ich das Blut benötigte …«
Kolvar traf ein harter Schlag auf den Hinterkopf, sodass er nach vorn taumelte und beinahe zu Boden stürzte.
»Verzeiht mir, dass ich nicht zusehen kann, wie Euch Euer Ebenbild von Eurer jämmerlichen Existenz befreit«, rief Ikondrar. »Ich muss noch Baldrugs Tochter aus Eurem simplen magischen Gefängnis befreien. Dafür habt Ihr doch sicher Verständnis.«
Kolvar traf ein weiterer heftiger Schlag auf den Rücken. Es gelang ihm, sich umzuwenden, bevor die nächste Attacke auf ihn niederprasselte.
In dem so vertrauten Gesicht seines Doppelgängers zeichnete sich nicht die geringste menschliche Regung ab.