Читать книгу Etwas Russland - Gerd Heinecke - Страница 7

PETROWKA

Оглавление

Hatte ich doch selbst die Ursache in diesem Fall gesetzt, so konnte ich es bei anderen Unannehmlichkeiten weder beeinflussen, noch voraussehen. Am 8. März 1994, dem immer noch Heiligen Feiertag in Russland und in der Ukraine (Frauentag), trat ich meine Heimfahrt an. Ich wollte möglichst innerhalb der ersten Etappe noch über die polnische Grenze bis Przemysl kommen, um dort zu übernachten. Dass ich das an diesem Tag noch schaffen würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Diese Fahrt war mit genau 1.642 km die weiteste Etappe, die ich während meines Einsatzes in Russland an einem Tag je gefahren war. Ich kam von der Krim (Petrowka). Aufgrund des Feiertages zu dieser Tageszeit waren die Straßen autoleer. Es ging zügig voran. Nachdem ich 6 Uhr früh losfuhr, die Sonne zwischenzeitlich über den Horizont stieg und lange Schatten warf, kam mir ein Krankenwagen mit aufgesteckter Rotkreuzfahne und Alarmsignalen entgegen. Etwa gegen 7 Uhr fuhr ich am GAI von der Stadt Armiansk (genannt Inselwache, hier endet die Halbinsel) ohne kontrolliert zu werden vorbei. Ungefähr 6 km später standen am Straßenrand zwei Milizionäre, die offensichtlich einen herrenlosen PKW bewachten, der umgekippt auf der linken Seite ca. 20 Meter vom Straßenrand entfernt im Steppensand lag. Unerklärbar war mir, wie auf schnurgerader Straße so ein Unfall passieren konnte, zumal kein anderes beteiligtes Fahrzeug zu sehen war. Diesem Gedanken nachhängend, riss mich ein Polizeijeep, der sich urplötzlich quer vor mich auf die Fahrbahn stellte, aus meiner monotonen Fahrerei. Zwei Insassen sprangen aus den Beifahrertüren, von denen einer sich etwa 6 m vor meiner Frontscheibe aufstellte und der andere sich von links meinem inzwischen halb geöffneten Fahrerfenster näherte. Spätestens als beide ihre im Anschlag gehaltenen und auf mich gerichteten Kalaschnikows durchzogen und ich ihre schusssicheren Westen und Stahlhelme bemerkte, wusste ich, es ist Ernst. Meine beiden Hände legte ich auf den oberen Rand des Lenkrades. Während der eine von vorn mich anvisierte, murmelte der andere am Fenster ein knappes Dobri Den (Guten Tag). Nachdem dieser durch die Scheiben das Innere meines Kleinbusses inspizierte, wobei er an der Längsseite entlang ging und die Mündung seiner Kalaschnikow ständig auf das Businnere zeigte, stiegen sie beide in ihren Jeep und fuhren weiter in die Richtung, aus der ich gekommen war, davon. Nun fingen meine Überlegungen erst richtig an. Um zu erfahren, was das alles sollte, welche Zusammenhänge es gab zwischen Krankenwagen, Autounfall und diesem makabren Stopp, sollte ich noch etwa zwei Stunden warten müssen. Grübelnd fuhr ich weiter und musste nach fast 50 km nochmals fast die gleiche Kontrolle erleben. Ein Mann liegend im Straßengraben und ein zweiter kontrollierte. Gleiche Kleidung, gleiche Bewaffnung, gleicher Ernst. Wiederum 80 km weiter musste ich mich nochmals einer routinemäßigen GAI-Kontrolle unterziehen, zu der mich ein Milizionär bat, diese zwei neben ihm stehenden Soldaten doch etwa 60 km mitzunehmen. Da ich einwilligte, konnte ich nun erfahren, was im Raum Armiansk, also auf der Halbinsel Krim, passiert war. Zu dieser Aufklärung verhalf mir wiederum eine Milizkontrolle am GAI. Ich wurde gestoppt und nach meinen Dokumenten befragt. Doch bevor der Milizionär meine ihm hingereichten Papiere entgegennahm, fiel sein Blick auf die beiden mitfahrenden Soldaten in meinem Auto. Er ließ sofort ab von meiner Person und kontrollierte Ausgangsscheine und sonstige Papiere der beiden Soldaten. Nach dem dort alles in Ordnung war und wir weiter fuhren, fragte ich zielgerichtet die beiden, warum gerade sie so interessant sind für die Polizei. Sie gaben mir zu verstehen, dass heute früh gegen 7 Uhr in Armiansk zwei bewaffnete Soldaten mit Waffen und scharfer Munition desertiert seien. Und hatten, um an Geld, Zivilkleidung und möglichst zu einem Fahrzeug zu gelangen, das erstbeste Auto auf der Landstraße abschossen. Der Vorgang spielte sich exakt zehn Minuten vor meiner Durchfahrt an diesem Punkt ab. Mir fiel ein, dass ich früh zehn Minuten später als geplant erst gestartet war. Ein halbes Jahr später bei meiner erneuten Hinreise zur Baustelle erfuhr ich, dass die beiden Soldaten dann in Jalta, also im Süden der Krim, gestellt worden waren. Meine Richtung damals war zum Glück nicht die ihrige.

Mit diesen Erfahrungen über das tolerante Verhalten gegenüber fremden Eigentums, fuhr ich einige Monate später zum bereits fertigstellten Fleischkombinat wieder auf die Krim. Jeder der eigene Erfahrungen in Russland oder der Ukraine hat weiß, dass es nicht ausreicht, irgendein Hotel für die Übernachtungen zu finden, um sich für die bevorstehende Fahrt am nächsten Tag zu regenerieren. Es ist genauso wichtig, dass das Fahrzeug über Nacht auf einem eingezäunten, beleuchteten und bewachten Parkplatz steht. So kommt es nicht selten vor, dass nach Erreichen seines Hotelzimmers man nach 22 oder 23 Uhr zwei bis drei Kilometer fahren musste, um sein Auto von der Straße weg in Sicherheit zu bringen. Die Einstellgebühren dort betragen zwischen 5 und 10 DM. Man muss angeben, wann das Auto am nächsten Morgen abgeholt wird. Nach dieser Reihenfolge werden diese geschichtet. Das abgeschlossene Fahrzeug wird in eine Parklücke geschoben und früh wieder herausgezogen, da die seitlichen Abstände zu den Nachbarfahrzeugen meist nur maximal 20 cm betragen. Nun braucht man ein Taxi, um zurück zum Hotel zu gelangen. Am nächsten Morgen die gleiche Prozedur in umgekehrter Richtung. Die Auswahl des Taxifahrers ist die Schwachstelle in der Sicherheit und ist genau zu prüfen. Es ist wichtig zu wissen mit wem man fährt. Sind mehrere Taxifahrer am Taxistand untereinander im Gespräch, übermittelt das ein gewisses Vertrauen. Nach einiger Zeit der Beobachtung kann man sich dann entscheiden. Gibt es keinen sicheren Verwahrungsort für das Auto, dann schläft man entsprechend unruhig, weil man stündlich aus dem Hotelfenster schaut, um sein geparktes Fahrzeug im Straßenlicht sehen und auf Unversehrtheit kontrollieren zu können.

Das Problem hatte ich auf der Krim eigentlich nicht. Von der Montagezeit her, die bereits mehr als ein Jahr zurücklag, wusste ich, dass dort eine eigene Wohnung mit Garage auf mich wartete. Die Entfernung beider betrug untereinander zwar auch 1, 5 km, aber das nahm man der Sicherheit wegen gern in Kauf. An diesem 6. Mai 1994 wurde ich von unserem Kunden wie immer herzlich empfangen. Die russische aber auch die ukrainische Gastfreundschaft dürfte hinreichend bekannt sein und braucht man hier nicht näher zu erläutern. Es wird viel erzählt, es gibt viele Trinksprüche und natürlich immer dazu das russische Nationalgetränk. Wenn es genug ist mit den Promillen, gibt es kaum Mittel der Sache Einhalt zu gebieten und sich auszuklinken. Dankende und ablehnende Worte helfen nichts. Als nächsten Schritt drehe ich mein Glas um und stelle es auf den Kopf. Doch der Respekt davor dauerte nicht lange an. Man wird beim Einschenken maximal zweimal ausgelassen, dann steht es wieder gefüllt vor einem. Erst nachdem ich mein Trinkglas in die eigene Hosentasche stecke, kann ich mich weiterer Trinkfreundlichkeit entziehen. So geschehen auch an diesem Tag, erreichte ich nach der Begrüßungsfeier gegen ein Uhr meine Wohnung. Wohlwissend um das Risiko, brachte ich meinen Kleinbus, er war vollgepackt mit Baustellenmaterial, persönlichen Sachen und obendrauf mein Rad liegend, nicht mehr zur Garage. Ausladen lohnte sich nicht, denn ich wollte am nächsten Morgen zu meiner eigentlichen 1.200 km entfernten Baustelle nach Jadrin weiterfahren. Den Bus genau unter der Straßenbeleuchtung stehend, schlief ich ein und erwachte bereits gegen 5 Uhr früh. Mein erster Gedanke war mein Auto. Müde und noch in Schlafsachen machte ich einen ersten Kontrollgang vor die Haustür, da vom Wohnungsfenster aus kein direkter Sichtkontakt bestand. Das Fahrzeug war zu meiner Zufriedenheit unversehrt. Genüsslich legte ich mich noch einmal ins Bett, als ich nach etwa zehn Minuten einen dumpfen Knall hörte. Es dauerte noch etwa zwei Minuten, bis das Geräusch in den Teil meines Gehirns vordrang, der mir bewusst machte, dass das wie das Bersten einer Autoscheibe klang. Also Jeans drüber und noch einmal runter an das Auto. Meine Befürchtung wurde Gewissheit. Somit konnte ich wenigstens verhindern, dass wichtige Ersatzteile für unsere Baustellen und mein persönliches Eigentum (einschließlich Lebensmittel, für Russland ganz wichtig) gestohlen werden konnten. Nun stand ich frierend an meinem Bus und inspizierte ihn. Nach mehreren Schnitten an verschiedenen Stellen der Fenstergummis, man kam mit dieser Methode offenbar nicht zum Ziel, hatte der oder die Täter mit einem halben Ziegelstein die Seitenscheibe der Fahrertür eingeschlagen. Aber mehr als etwa ein faustgroßes Loch war nicht zu sehen. Die zersplitterte Scheibe hatten sie noch nicht gänzlich herausgenommen. Nach dem verräterischen Knall harrten sie offensichtlich der Dinge die sich nun tun würden, um danach mit dem Ausräumen zu beginnen. Zur Bewachung des Fahrzeuges blieb ich nun frierend in meinen Schlafsachen im Hauseingang stehen, etwa 3 m vom Fahrzeug weg. Ungefähr 20 Minuten waren vergangen, als ein Mann jung und sportlich, von oben bis unten in schwarze Sachen gekleidet um die Hausecke auf mich zukam und um Feuer für seine Zigarette bat. Ein Zusammenhang war mir sofort klar. Er beobachtete zwar das Auto, konnte aber nicht sehen, dass ich noch im Hauseingang stand. Nun wollte er sich überzeugen, ob ich noch zugegen war, um eventuell doch noch zum Erfolg zu kommen. Obwohl ich bemerkte, dass er genauso roch wie das Fett, mit welchem er das Zeitungspapier vor dem Steinschlag an verschiedene Autoscheiben klebte, war ich doch alleine in dieser Situation recht machtlos, um ihn der Polizei zu übergeben. Mit aggressivem Ton gab ich ihm zu verstehen, er solle sich davon machen, was er auch tat. Obwohl ich wusste, dass das Gleiche meinem Sohn mit seinem Kleinbus in demselben Ort nur ein knappes Jahr früher passiert war, versuchte ich es dennoch wieder. Mir wurde das bestätigt, was ich bereits wusste. Die Übernachtung in meinem Kleinbus, unmittelbar an einem GAI parkend, war für mich seitdem ruhiger als im Hotel zu schlafen ohne einen bewachten Parkplatz für das Auto.

Die Vorbereitung

Seit einigen Jahrzehnten war die Fa. Franz Kirchfeld und Co. KG auf dem Gebiet des Anlagenbaus tätig. Die Firma wurde 1955 in Düsseldorf gegründet vom gleichnamigen langjährigen Inhaber Dr. Franz Kirchfeld. Die etwa 40 bis 50 Mitarbeiter waren verantwortlich für Engineering, Beschaffung, Lieferung, Montage und Inbetriebnahme von schlüsselfertigen Anlagen auf dem Gebiet der Lebensmittelindustrie. So entstehen unter Leitung und Federführung von hochqualifizierten Fachleuten auf den Gebieten der Fleischbe- und -verarbeitung, der Milchwirtschaft, der Obst- und Gemüseverarbeitung und im Brauereiwesen die erforderlichen Projektierungsunterlagen für die weitere Realisierung der Projekte. Parallel dazu existierte noch eine Hauptabteilung zur Erstellung von Anlagen für die Herstellung von Speiseöl.

Die Medien für die erforderlichen Hilfsprozesse wurden ebenfalls projektiert und realisiert. Die technologischen Anlagen, ob für Fleisch, Milch oder die Obst- und Gemüseverarbeitung benötigten in der Regel Kalt- und Warmwasser, Dampf, Druckluft, Kühlung und Elektroanschlüsse. Oft wurden Wasseraufbereitungs- und Abwasserreinigungsanlagen mitgeliefert. Unsere Lieferungen beinhalteten meist auch die Baukörper selbst. Lediglich das Fundament mit der Grundplatte wurde durch den Kunden erstellt. Speziell nach Russland wurden zwischen 1990 und 1998 insgesamt 13 Anlagen geliefert für die Herstellung von Fleisch- und Wursterzeugnissen und Milch sowie Milchprodukte wie Butter, Sahne und Joghurt etc. Darüber hinaus lieferte F.K. zwei komplett eingerichtete Containeranlagen für Schlachtung und Fleischverarbeitung. Die größeren Anlagen bestanden aus den Produktionsgebäuden für Fleisch (teilweise auch für Milch) und aus den Gebäuden für die Hilfsprozesse mit den Kälteanlagen, die Wärme- und Drucklufterzeugung und die Abwasseraufbereitungsanlage.


Schulung am Wurstfüllautomat

Der Wertumfang für Projektierung, Lieferung, Montage (als Chefmontage) und Inbetriebnahme einschließlich Schulung betrug ca. 5 – 10 Mio. DM. Für diesen monetären Umfang muss man doch recht viel Frachtraum füllen. Die Fracht umfasste etwa 15 – 20 Stück 10-Fuß- bzw. 20-Fuß-Container. Dafür musste adäquat entsprechend viel Blatt Papier in der Projektdokumentation vollgeschrieben werden. Diese wurden vom Chefmonteur im Fahrzeug mitgenommen, damit sie für die Montage vor Ort zur Verfügung standen. Teilweise 2 Exemplare, da eine komplette Dokumentation nochmals dem Kunden ausgehändigt wurde. Diese aufgereihten 2,5 m Ordner erregten oft den Argwohn des Zolles bei Grenzübertritten, da man diese mehreren Kartons voller Unterlagen schlechthin als Privatsachen deklarieren konnte. Hinzu kamen zur Ladung als Nichtprivatsachen Ersatzteile, die von den bereits fertiggestellten Anlagen angefordert wurden. Da der Montageeinsatz meist über einen Zeitraum von mind. 3 Monaten ging, führte ich entsprechend umfangreiche Privatsachen mit. Nicht nur das Bier in 5-Liter-Fässern und Kästen, auch Küchenausrüstungen wie Messer, Gewürze, Verpflegung einschließlich Süßigkeiten für den Zeitraum gehörten zur Ladung. Selbst Gummistopfen für den Waschbeckenablauf waren in meiner Waschtasche zu finden. Um den Argwohn des Zolles an der Grenze nicht zu groß werden zu lassen, legte ich meine klar erkennbaren Privatsachen im Laderaum meines VW oben auf die Dokumentation und Ersatzteile drauf. Ganz oben, auf allem lag dann mein Rennrad, welches ich in Russland auf all meinen Baustellen gut gebrauchen konnte. Auch die mitgeführten 4-5 Ersatzreifen, davon 2 komplett mit Felge, fielen dem Zoll zuerst ins Auge beim Öffnen der Hecktür zwecks Kontrolle. Aber nicht immer kam ich ungeschoren davon. Manche Grenzkontrollen dauerten trotzdem bis zu 6 Stunden.


Baustellenfahrzeug

Etwas Russland

Подняться наверх