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Tag der Erleuchtung 25. Juni 1966
ОглавлениеBevor Robert Eliot das Immobiliengeschäft für sich entdeckte, wohnte er mit seiner jungen Frau, Zehava, den Kindern Martina und Rupert, mit zwei Meerschweinchen, Hund und Katze in einem dreistöckigem Hanghaus in der Ricketts Close im östlich von Kapstadt gelegenen Simonstown. Seine Kumpels auf der Marinebasis nannten ihn Bobby und beneideten ihn um seine hübsche Frau und die niedlichen Kinder, die der Grund für seine robuste Gelassenheit zu sein schienen, mit der er jeden Morgen im Ingenieurbüro erschien und in der Lage war, für fast alle Probleme, gleich welcher Art eine Lösung zu finden, oder wenigstens einen Weg vorzuschlagen, wie man an eine verfahrene Sache rangehen sollte. Und davon gab es bei der südafrikanischen Navy eine ganze Menge. Bobby behielt stets den Überblick, was daran liegen konnte, dass er jeden Morgen auf seinem Balkon stand und auf die unter ihm liegenden Dächer, die Hafenanlagen mit den Tanks, der Werft und den Kriegsschiffen schaute, die wegen der relative ruhigen Zeit nur ganz selten in die False Bay hinaus fuhren und hinter der östlichen Kim des Indischen Ozeans verschwanden. Nach südlichem Kurs änderten die Schiffe nach wenigen Meilen den Kurs nach Steuerbord und umrundeten das Kap der Guten Hoffnung in westliche Richtung, um dann unter Volldampf auf Kapstadt im Norden zuzuhalten und die ehenmalige Lebrainsel Robbeneiland und er Tabel Bay zweimal zu umrunden. Dieses letzte Manöver war eigentlich eine unnötige Demonstration der militärischen Macht, weil von Robbeneiland noch nie ein Inhaftierter das Festland erreicht hatte. Diese absolute Sicherheit hatte die flache, kaum erkennbare Insel im Westen des Tafelberges mit dem Felsen von Alkazar in der Bucht von San Francisco gemeinsam. Ein Entkommen war wegen der starken Strömungen nicht möglich und erstickte die Hoffnung auf Freiheit im Keim. Einmal auf Robbeneiland, immer auf Robbeneiland. Und weil die nicht hingerichteten Guerillas schwarzer Hautfarbe auf der Insel Steine kopften, schlugen die Herzen der weißen Minderheit Tag und Nacht im gleichmäßigen Takt. Nichtsdestotrotz musste militärischen Stärke in der Tabel Bay demonstriert werden, um die Gemüter weißer Frauen und Mädchen zu beruhigen. Ob Bobby sich jeden Morgen darüber Gedanken machte, ist nicht überliefert, wohl aber, dass er von seinem Balkon auf die vielen Segel- und Motoryachten schaute und davon träumte, eines schönen Tages die Planken einer Yacht als Schiffseigner betreten zu können.
Bevor Bobby in den Hafen fuhr, um als bei der SAN (South African Navy) sein Geld zu verdienen, stellte er sich hin und wieder die Frage, was er tun könnte, um weg vom kargen Gehalt hin zum Reibach zu kommen. Er war jung genug, und unternehmungslustig genug, um auch ein Risiko einzugehen, das mit jedem Neuanfang verbunden war und erkannte, dass er in dem kleinen von den Briten gegründeten Städtchen mit mediteranem Touch an der Simonsbaai keine Chancen hatte, an des große Geld zu kommen. Ein Erbe stand nicht in Aussicht und die Besuche der Rennbahn in Kenilworth brachten auch mehr Verluste als Gewinne. Die Idee, wieder eine Jazzband zu gründen und als Saxophonist zusätzlich einen Mammon nach Hause tragen zu können, verwarf er anbetracht der Tatsache, dass seine alten Kumpels ebenfalls Väter geworden waren, Haus und Garten pflegten und keine Gedanken an eine Jazzband verschwendeten.
Nach seinem Studium Ende der 50ger Jahre schloss er mit Pit (Peter Bogner aus München) und Birgit, die als Heilgymnastin am Vincent-Pallotti-Hospital in Pinelands ihre Sporen verdiente, als gleichgesinnter Musikus Freundschaft. Eine Dreizimmerwohnung im Stadtteil Green Point im Westen der City war deren gemütliches Zuhause. Pit arbeitete nach seiner Einwanderung Mitte der 50ger Jahre als Elektroingenieur auch bei der SAN in Simonstown, bevor er auf die Idee kam, sein Salär als Barkeeper in der Sky Bar des Hotels Ritz in Sea Point mehr als zu verdoppeln. Wenn immer Bobby damals noch als unverheirateter Jungingenieur in der City weilte, besuchte er Pit, der ihm umsonst ein frisches Pils vom Fass zapfte und stets etwas Lustiges zu erzählen wusste. Hin und wieder griff er Bobby finanziell unter die Arme und half ihm aus größter Not. Das hatte Bobby nie vergessen und dafür war er ihm so dankbar, dass er Pit streng gehütete Geheimnisse anvertraute und mit ihm laut über seine und Pits Zukunft sinnierte.
An einem heißen Februarabend 1960 saß er wieder bei Pit im 20. Stock des Hotels Ritz an der Theke in der Sky Bar und schaute gelangweilt über sein Bierglas hinweg auf die im kitschigen Abendrot leuchtenden Wolken über der einsamen Insel mitten in der Tabel Bay. Seinen Freund hatte er bereits vor vielen Wochen gefragt, was er davon halte, wieder ihre alte Band zu neuem Leben zu erwecken. Aber Pit, dieser talentierte Klarinettist, hatte nur mitleidig gegrient und mit Hinweis auf seinen Job den Kopf geschüttelt. Wie so oft unter den Wirkungen des Alkohols, suchte Bobby damals als junger Ingenieur nach Wegen, sich aus ewiger Geldnot zu befreien, musste aber einsehen, dass er mit seiner gut bezahlten Tätigkeit als Maschinenbauingenieur zufrieden sein musste und sich die Flausen einer leidigen Jagd nach zusätzlichem Geld als marterielle Voraussetzung zur Erfüllung seiner luxuriösen Bedürfnisse aus dem Kopf schlagen musste. Dass Handel mehr Geld bringt, als Arbeit, war ihm damals schon klar, aber ihm fehlte die Phantasie, womit er als Ingenieur schwunghaften Handel treiben könnte.
Mehr aus Mitleid als aus Neugier wandte Bobby sich an diesem Freitagabende einem alten Mann am Ende der Theke zu, dem er schon einige Male am Tresen in der Sky Bar eher flüchtig begegnet war. Der Mann saß introvertiert auf seinem Hocker und blickte wie Bobby auf das Meer und die Insel in der Tabel Bay. Er schien an einem Gespräch nicht interssiert zu sein, deswegen hatte Bobby nie ein Wort mit ihm gesprochen. Heute schien er besonders traurig und mit seinen Gedanken allein zu sein und Bobby fragte sich unwillkürlich, ob auch er einmal traurig und einsam am Ende seiner Zeit an dieser Theke seine Zeit verbringen würde.
“Da sitz wieder der alte Ben Kaminski”, hatte Pit vor langer Zeit einmal geflüstert und dabei die gespreizten Finger vor sein Gesicht gehalten, um anzudeuten, dass der alte Knacker nicht ganz bei Trost zu sein scheint.
“Nach zwei Pils und zwei Schnaps glotzt er jedes Mal völlig bescheuert ins Abendrot, hebt die Gläser, als säße ein Freund vor ihm, kippt beides hinunter, zahlt und geht.”
“Armer Kerl, sitz immer auf dem gleichen Hocker.”
“Pole, spricht aber fließend Deutsch und Englisch.”
Bobby, der eher den Eindruck machte, als wäre er einer von den rebusteren Typen, die am Tresen palabernd den ersten Teil ihres Feieabends verbringen, spürte nach zweimaligem Hinblicken irgendwie Mitleid mit dem alten traurigen Einwanderer, den er des Öfteren allein am äußeren Ende der Theke sitzen sah und der offensichtlich in seiner Einsamkeit nicht gestört werden wollte. Wenn er mit dem Glas in der Hand nach Nordwesten glotzte und nichts von sie gab, gewann Bobby den Eindruck, dass er sich nach seiner Heimat zu sehnen schien oder sich an eine Begebenheit erinnerte, die nur schwer zu verarbeiten war. Auf jeden Fall machte er keinen lustigen Eindruck und Bobby nahm sich vor, das zu ändern. Er stellte sich nonchalant mit dem Glas in der Hand neben ihn und quatschte ihn unverbinndlich auf seine burschikose Art an.
“Na, überkommt dem Gentleman heute Abend ein bisschen Heimweh nach dem alten Europa?”
“Es ist nicht das Heimweh, das mich belastet”, sagte der Alte und richtete seine extrem hellbauen Augen mit einer Pfiffigkeit auf Bobby, dass ihm im ersten Moment eine Unsicherheit in Hinblick auf seine ursprüngliche übereilte Taxierung des Alten überfiel und ihn skeptisch als durchaus normal betrachtete. “Worüber ich mir Sorgen mache, ist die Zukunft dieses Staates, dessen zukünftige Regierung auf der fernen kleinen Insel zusammengefrecht darauf wartet, befreit zu werden, um dem Land die Freiheit zu garantieren, die es seit zwanzig Jahren verlangt.”
“Solange die ANC-Führung auf der Insel Steine klopft, solange können wir auf dem Festland in Frieden leben.”
“Und jeder Weiße weiß, dass es die Ruhe vor dem Sturm ist, jeder Weiße weiß, dass es so nicht weiter gehen kann, dass die Kathastrophe darauf lauert, zuzuschlagen.”
“Noch ist es nicht so weit. Und so lange uns Pretoria Frieden garantiert und die Macht nicht aus den Händen gibt, so lange wird Südafrika prosperieren und stolz darauf sein, eine der härtesten Währungen der Welt zu prägen.”
“Aber auch nur so lange, so lange die USA die weiße Diktatur unterstützt und das wird sie sich nicht mehr lange ohne die Zustimmung der westlichen Verbündten können. Es gibt nur eine Gattung Mensch auf der Welt.”
“Eine, die die Oberhand behält und die andere, die sich beugen muss, ob sie will oder nicht. In unserem Staat gilt das Gesetz des Stärkeren und der ist weiß. Und so lange der weiße Mann die Macht in Händen hält, wird sich daran nichts ändern. So einfach ist das in Südafrika.”
Der alte Mann runzelte die Stirn, schaute abwesend Bobby an, zuckte ob der Ignoranz mit den Schultern und glotzte weiter ins Abendrot. Bobby entschloss sich, kehrt zu machen, als der Alte sich umdrehte, sich räusperte und ihm wieder mit seinen mit ungewöhnlich blauen Augen ins Gesicht schaute.
“Amerika und die europäischen Verbündteten sind weit weg. Auch in meinen Erinnerungen rückt der Krieg, die Verfolgungen, Vertreibungen und das Wettrüsten in Europa immer weiter weg. Ich denke gerade nicht an das vom Kalten Krieg beherrschte Europa, sondern an das, was uns hier vor unserer eigenen Haustür abspielt. Ich denke an die Ungerechtigkeiten, die in vielen Staaten, die von einer weißen Minderheit mit eisender Hand regiert werden, von einer dunkelhäutigen Mehrheit oder von einer religiös differenten Glaubensgemeinschaft erduldet werden müssen.”
“Das werden Sie auch nichts ändern können, das war schon so, als die Menschen weder schreiben noch lesen konnten und das wird so bleiben bis ans Ende der Welt.”
“Und was denken Sie über die dunkelhäutigen Männer, über die promovierten Häftlinge auf der kleinen Insel unter uns in der Tabel Bay? Denken Sie vielleicht auch mal an die schwarze Elite, die unter Aufsicht weißer ungebildeter Wachmänner auf Robbeneiland Steine klopfen muss. Den ganzen Tag müssen diese Schwarzen, die Hochschulreife erlangt haben, im Ausland studierten, promoviert wurden, mehrsprachig sind, als Ärzte und Rechtanwälte ihre Familien in ihren stattlichen Häusern ernährten und eine rosige Zukunft vor Augen hatten, wie die Juden in Deutschland, bevor die Nazis an die Macht kamen, Frondienste übelster Art auf der Insel verrichten. Jetzt müssen sie stundenlang in brütender Hitze ausharren und die primitivste Sklavenarbeit ausführen, die man sich auf dieser Welt überhaupt vorstellen kann.”
“Die Elitenigger haben es nicht anders verdient.”
“Aus Ihrer ignoranten Ansicht spricht eine den Weißen eigene und nicht nachvollziehbare Aversion gegen alle dunklen, schwarzen und nicht weißen Menschen. Das ist Rassismus, den ich nicht teilen kann und will. Ich wurde selbst diskriminiert, verfolgt und außer Landes getrieben. Ich weiß, was es heißt, wenn man sich gegen eine Diktatur nicht wehren kann, die Rassenhass auf ihre Fahnen geschrieben hat und sich und ihresgleichen als arische Herrenmenschen über alle anderen Menschen stellte.”
“Das ist Geschichte. Die Deutschen mussten bitter für ihren Hochmut bezahlen, die einst fanatisch jubelnden Kriegerwitwen ihre Halbwaisen ernähren und ohne väterliche Unterstützung erziehen. Arroganz kam vor dem Fall der buckelnden Trümmerweiber, die ihren geliebten Führer an die Macht gejubelt hatten, sich im Beginn Ihres tausendjährigen Reichs sonnten und mit ausgestreckltem rechten Arm Heil Hitler und Sieg heil brüllten. Sie alle haben bitter für ihren Hochmut bezahlt.”
“Ich habe meine Familie vor der Diktatur verloren.”
“In Südafrika leben wir nicht unter einem Diktator, wir leben in einer Demokratie, halten freie Wahlen ab und wehren uns mit Recht gegen die Übermacht der Nigger. Mittels strenger Apartheidgesetze halten wir sie in Schach. Wenn wir die Apartheid nicht durchsetzen würden, hätten diese studierten Nigger da unten auf der Insel bereits die Macht übernommen und Südafrika ins Chaos gestürzt.”
“Die da unten sind keine Nigger, sondern Schwarze.”
“Für euch Europäer vielleicht, aber für uns Buren sind diese mordenden Guerillas da unten Nigger, nichts anderes als dreckige Nigger, die von den Russen mit Waffen versorgt werden, um unsere weiße Regierung zu stürzen und uns Europäer außer Landes zu treiben.”
“Waren Sie schon mal in Europa?”
“Nein. Meine Vorfahren und meine Cousins gehören zum Clan der Eliots und leben seit Generationen in der Nähe von Edinburg in Schottland. Ich bin mit Herz und Seele immer noch ein stolzer Schotte und lasse mich von den primitiven Niggern nicht aus der von meinem Großvater gewählten neuen Heimat vertreiben.”
“Davor habe ich keine Angst, wobei ich gestehen muss, dass ich erst vor zwölf Jahren, also 1948 nach Südafrika immigriert bin. Zehn Jahre habe ich in Manchester gelebt und ein zweites Mal geheiratet. Als zum christkichen Glauben konvertierter Urenkel polnischer Händler wurde ich in Kiel geboren, bin dort zur Schule gegangen und sollte in dritter Generation das Familienunternehmen in Kiel übernehmen. Daraus wurde nichts. Hier hatte ich keine Chance, bin aber ein glücklicher Familienvater.”
“In so kurzer Zeit, kann niemand ein Heimatgefühl entwickeln. Mein Vater, meine beiden Brüder und ich wurden hier geboren und verteidigen unser Heimatrecht mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Kein Nigger hat das Recht, mich aus diesem Land zu verteiben.”
“Da liegen Sie falsch, junger Mann. In absehbarer Zeit werden die Schwazen das Sagen haben und die politische Verantwortung übernehmen. Dagegen können Sie sich nicht wehren. Wenn Ihnen die Politik nicht passt, steht es Ihnen frei, zum Clan nach Edinburg zurückzukehren.”
“Ich bin Südafrikaner und den Buren sehr verbunden.”
“Das bin ich mittlerweile auch. Mich zieht es nicht nach Deutschnd zurück. Ich fühle mich in Kapstadt sehr wohl und zu Hause, habe meine Kinder hier großgezogen und genieße meine alten Tage in diesem schönen Land.”
“Darauf hoffe ich auch und ich wünsche Ihnen vom ganzen Herzen, dass sie das auch weiter können.”
“Wenn Sie die ausländische Presse lessen würden, hätten Sie erfahren, dass es mit dem Lecker Leve bald zu Ende sein wird und wir unruhigen Zeiten entgegen sehen.”
“Sie scheinen einen bemerkenswert pessimistischen Standpunkt zu vertreten. Das tue ich nicht. Ich bin da lieber Optimist und freue mich über jeden neuen Tag.”
“Ich bin Realist und betrachte die derzeitige Situation in Südafrika eher mit Skeptis. Für mich als Pessimist sieht die Zukunft nicht besonders rosig aus. Es brodelt überall, das Ausland will in Südafrika mitreden, will Bürgerrechte für alle Rassen von der Regierung garantiert wissen.”
“Das ist unmöglich. Das führt nicht nur zu chaotischen Aufständen, sondern zu Mord und Totschlag und letztlich zu einem Bürgerkrieg, der mit allen Mitteln verhindert warden muss.”
“Wie wollen Sie das verhindern?”
“Dadurch, dass die Führer der schwarzen Guerillas verhaftet und weggesperrt bleiben. Auf Robbeneiland sollen sie Steine klopfen, bis sie verrecken. Diese Insel ist der sicherste Ort in Südafrika, um schwarze Verbrecher von weißen Bürgern fernzuhalten bis sie unter den Steinen liegen und für uns keine Gefahr mehr bedeuten.”
“Obrigkeit ohne Recht, nur mit Gewalt wird nicht alt.”
“Früher sind die Lebrakranken auf der Insel verreckt.”
“Wo hätte man die armen Schweine sonst verstecken sollen. Damals war die Ohnmacht zur Mutter der Gewalt.”
“Das ist lange her”, sagte Bobby und schaute auch versonnen auf die Insel, die in weiter Ferne als schwarzer Strich in der Bucht zu erkennen war. “Einsame Inseln sind oft dazu verdammt, traurige Zeiten hinter sich zu lassen. Dennoch hing damals das verlängerte Überleben der armen Erkrankten von der Macht der Gesunden ab. Das ist in sich ein Widerspruch.”
“Noch länger ist es her, dass nur Robben auf der Insel lebten und Jäger an Land gingen, um die Brut zu töten.”
“Robbeneiland ist zwar ein von den Briten erfundenes Konzentrationslager ohne Zaun aber keines mit großen Gaskammern und Krematorien, in denen deutsche und polnischen Wachmannschaften Millionen von Juden ins Jenseits beförderten, aber die Insel ist und bleibt der sicherste Ort für die Führer des ANC und schützt uns davor, dass sie mit Hilfe der Russen auf das Festland übersetzen, um die weiße Minderheit zu massakrieren.”
“Kein Volk kann fünf Millionen massakrieren.”
“Die Nazis haben’s innerhalb von drei Jahren geschafft und die Welt hat zugeschaut. Wenn die Alliierten und die Russen Deutschland nicht von den Nazis befreit hätten, hätten sie in den Konzentrationslagern ungehindert weiter Juden vergast und verbrannt. Wenn die Nigger in Südafrika über die Weißen herfallen und Blutrache üben, wird die Welt ebenso untätig zuschauen wie sie während des tausendjährigen Reichs den Nazis zugeschaut hat.”
“Da bin ich mir nicht so sicher. Die Welt hat sich verändert. Heute sind NATO, UNO, Westliche Allianzen und Demokratien alerte Wächter, dass solche Genozide auch von fanatischen Diktatoren auf der ganzen Welt nicht ungestraft wiederholt werden können.”
“Solange Mandela und seine Banausen auf der Insel Steine klopfen und rund um die Uhr bewacht werden, sind wir, unsere Frauen und Kinder vor den Niggern sicher und können ruhig in unseren Häusern schlafen.”
“Furcht sieht überall Gespenster. Ihr Buren leidet unter euren Befürchtungen nicht weniger als unter der nicht abzuwendenden und selbst verschuldeten Katsstrophe. Ich fürchte mich nicht vor der Zukunft.”
“Sie können zur Not nach Deutschland abhauen.”
“Ich werde mich mit den Schwarzen arrangieren. Der Grad der Furchtsamkeit ist der Gradmesser der Intelligenz hat Friedrich Nitsche behauptet und ich gebe ihm recht”, sagte der alte Mann und erzählte Bobby, dass er polnischer Abstammung sei, sich 1938 vor der Gestapo in Sicherheit gebracht hatte und in Kiel seine Familie zurücklasssen musste. Er hatte seine Frau im Auschwitz verloren. Die Hoffnung, seine beiden im Osten Europas vermissten Töchter jemals wiederzusehen, hatte er bereits vor Jahren aufgegeben. Nach zehnjährigem Aufenthalt in Manchester lebte er seit 1948 mit seiner britischen Familie im nördlich gelegenen Vorort Pinelands. In der Textilbranche hatte er mit seinem Sohn, Benny, vergeblich sein Glück versucht, arbeitete als Manager in Epping und wartete auf die Rente, während Benny als Barkeeper auf der Europa zwischen Beira und Venedig hin und her pendelte und ihn ab und zu besuchte.
“Übrigens, mein Name ist Kaminski”, hatte er nach seinem langen Monolog und einer Kunstpause gesagt. “Benedikt Kaminski. Meine Freunde nennen mich Ben.”
“Freut mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Eliot, Robert Eliot, Immobilienmakler. Meine Freunde nennen mich Bobby.”
Nach dem Motto, wenn man einander nicht überzeugen kann, soll man auf jeden Fall versuchen, einander zu verstehen, besiegelten sie trotz differnter Standpunkte, konträrer Meinungen und nicht überzeugender Argumente und Ansichten über die politische Situation in Südafrika ihre lebhafte Disskussion in 90 Meter über dem Meersspiegel mit einem Händedruck, doppeltem Schnaps und Pils vom Fass. Das Gleiche traken sie ein zweites Mal, um nicht den Eindruck eines Schnorrers zu hinterlassen. Aber all das nützte nichts, um den alten Ben Kaminski in Stimmung zu bringen. Den Schmerz über den Verlust seines Handelshauses in der Long Street am Rande der City und, dass sein deutscher Sohn auf der MS Europa den Barkeeper machte, hatte er immer noch nicht verwunden. Das war in Bobbys Augen der Grund, warum er in der Sky Bar am Tresen saß und verträumt auf die im Atlantik versinkende Sonne starrte. Er hatte nicht nur den Traum von einer Niederlassung für feine englische Tücher aus Manchester ausgeträumt, sondern auch den Glauben an sich selbst verloren.
“Die Ignoranz der südafrikanischen Gesellschaft”, sagte Ben, “die sich weder mit Luxus, noch mit Eleganz umgeben will, habe ich vor Eröffnung meiner Filiale schlicht ignoriert. Groß und Klein rennen bei diesen Temperaturen in luftiger Kleidung herum und legen auf feine englische Tücher keinen Wert. Das war leider mein Untergang, den ich nur schwer verkrafte.”
Lange nachdem die sinkende Sonne die unter ihnen liegenden Gebäude in Orange erglühen ließ und dann als Schattenrisse in ein Konglomerat unförmig Bauklötze verwandelte, saßen sie immer noch am Tresen. Bobby hatte geduldig zugehört und während dieser unendlich langen Monologe eigentlich alles aus dem gescheiterten Leben des unglücklichen Mannes erfahren.
Einige Wochen später trafen sie sich zufällig erneut am Tresen, ließen sich von Pit ein Pils vom Fass zapfen und setzten ihre Gespräche fort. Benny, des alten Bens deutscher Sohn, so erfuhr Bobby, war mit ihm nach Kapstadt ausgewandert, hatte nach der Insolvenz in der Sky Bar zwei Jahre hinterm Tresen gestanden, Peter Bogner als Nachfolger eingewiesen und anschließend auf der Europa als Barkeeper angeheuert.
“Wenn Benny in Kapstadt von Bord geht”, flüsterte Pit, als Ben das Örtchen aufsuchen musste, “bucht er ein Zimmer im Obergeschoss gleich unterhalb der Bar und kommt auf ein Pils vorbei. Seine farbige Freundin kommt zur vereinbarten Zeit als Putze verkleidet aufs Zimmer und dann geht es so richtig zur Sache. Ich sage dir, diese Annette ist ein Rasseweib mit allen Attributen, die sich ein Mann nur wünschen kann. Benny meinte, dass sie unersättlich sei, Eskapaden liebt und ein unvorstellbares Temperament personifiziert. Nach Pils und Schnaps fährt er anschließend zum alten Ben nach Peinlands und verpennt seinen halben Urlaub. Bisher hatte er Glück, dass er mit der Mulattin nicht in flagranti erwischt wurde. Zehn Peitschenhiebe auf den nackten Arsch muss er kassieren, wenn er erwischt wird.”
Peter Bogner, wie Pits voller Name lautete, wuchs im Münchner Norden auf und nannte sich selbst einen echten Hasenbergler. Mitte der 50ger Jahre war er mit seinen Eltern aus einer dunklen Hinterhofwohnung in Harthof in eines der ersten Reihenhäuser im neuen Stadtteil Hasenbergl umgezogen. Sozusagen aus dem Slum in der Finsternis in das sonnendurchflutete Obergeschoss eines freistehenden Mehrfamilienhauses mit Blick auf Rasen und aus der Baumschule importierten Bäumen vor Neubauten gleichen Ausmaßes. Als Maschinenschlosser bei der Bundesbahn und als halbtägig beschäftigte Putze schafften es die Eltern nur mit äußerster Sparsamkeit, mit drei Kindern über die Runden zu kommen.
Die wenigen Jahre Sonnenschein wurden mit der Scheidung von Peters Eltern abrupt beendetet. Eine junge Frau aus einem der in die Höhe schießenden Blocks war in das Leben seines Vaters getreten und hatte seines zerstört. Im zarten Alter von nur zwölf Jahren wurde Peters sorglose Kindheit über Nacht beendet. Die folgenden kummervollen Jahre bestanden aus Schmerz, Krankheit, Depression und Einsamkeit, die ihn während der Pubertät zu Seinesgleichen auf die Straße trieben.
Der Zufall wollte es, dass er mit seiner Clique auf Mädchen vom städtischen Gymnasium in Moosach traf und ihm eine hübsche Blondine schöne Augen machte. Birgit Schuster war die Freundin von Jörg Hansen, der im Schülerorchester Saxophon spielte und ihn einlud, zu den Proben zu kommen. Nach seinem zweiten Besuch, entschloss sich Peter, Mitglied des Schülerorchesters zu werden und bekniete seine Patentante Resi. Er bekam, was er sich wünschte und wurde mit seiner Klarinette unter die Fittiche des jungen Dirigenten genommen.
Jörg Hansen und Peter Bogner verstanden sich auf Anhieb ausgezeichnet, übten gemeinsam und scheuten sich nicht, auf dem Chemnitzer Platz in Moosach ihr Talent unter Beweis zu stellen. Der Obolus im Pappbecher war nicht erhebend, machte ihnen aber Mut, ihre Fühler nach Talenten auszustrecken. Mit vier jungen Musikanten hatten sie in einer Garage geprobt und hoben nach acht Wochen ihre Swingband aus der Taufe. Sie wollten es den Beatels gleichtun, besorgten sich deren Notenblätter und Texte und traten als “Hot Hare Feet” (Heiße Hasenfüße) in den umliegenden Gaststätten an Wochenenden auf. Die Wirte verköstigten die Jungs in der Pause und schickten zeitgleich zwei Sektkübel auf die Reise. Damit sorgten sie für strahlende Gesichter und ermöglichten dem Drummer, Fritz, sein kleines Intrumentarium zu vervollständigen. Peters Mutter freute sich über jede Mark, die er am Sonntag auf den Tisch legte und sie damit zum Teil von finanziellen Sorgen befreite.
Eines Sonntags stellte Peter ihr und den Geschwistern Jörg Hansen und Birgit Schuster vor. Birgit lernte damals Heilpraktikerin im Schwabinger Krankenhaus und war die Vokalistin von Hot Hare Feet. Aufgrund ihrer Initiative waren die Riverboat-Shuffels auf dem Ammersee ausgebucht und brachten Geld in die von ihr verwaltete Kasse. Im Juni 1957 verließ Peter das Politechnikum als Elektroingenieur und wurde im August eingezogen. Während des Wehrdienstes erfuhr er, dass Jörg das 2. Staatsexamen der Rechtswissenschaften nicht bestanden hatte und sich aus Gram, die Kanzlei seines Vaters niemals übrnehmmen und leiten zu können, erschossen hatte.
Der Schock saß tief und führte zur Auflösung der Band. Noch mit dem Verlust seines besten Freundes beschäftigt, überraschte seine Mutter ihn mit der Botschaft, dass seine Patentante, Resi, sich in ihrem Haus in Allach erhängt hatte. Ihrer Schwester, ihrer Nichte und ihren beiden Neffen hatte Tante Resi ihr Haus in Allach vermacht. Mit seinem Anteil, hätte Peter die erste Rate einer Anzahlung für ein kleines Apartment in München bezahlen können, hatte aber andere Pläne. Nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst beriet er sich mit Birgit, die ebenfalls auf ein ansehnliches Sparkonto blicken konnte, was sie mit dem kleinen Vermögen machen sollten. Nach kurzem hin und her, sagte sie endlich “Ja” und saß nach vier Monaten als Frau Bogner neben ihm im Flieger nach Cape Town. Kurz vor Weihnachten 1957 zogen sie in ihre Wohnung in der Scholz Road in Green Point und erkundeten in den ersten Ehejahren die neue Umgebung, die langen weißen Strände an beiden Ozeanen, die Wanderwege über den Tafelberg, über die zwölf Apostels und durch den Silver-Mines-Park.
Vor ihrer Einwanderung hatte Peter sich bei der South African Navy in Simontown als Elekroingenieur beworben und Birgit am Pallotti-Hospital als Heilpraktikerin einen Job gefunden. Mittels ehrgeizigem Pauken hatten beide zu Hause ihre Englischsprachkenntnisse aufgefrischt und Romane in englischer Sprache gelesen. Sie waren für einen Neuanfang in Kapstadt gewapnet und stürzten sich in ihr jeweiliges Arbeitsfeld. Dank ihrer Arbeitsverträge und einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung stand ihrer sicheren Zukunft am Kap der Guten Hoffnung nichts im Wege. Nicht bedacht hatten sie allerdings, dass ihre hübsch gelegene Wohnung in Green Point sehr weit von Peters Arbeitsplatz in Simonstown entfernt lag. Für Birgit war es weniger beschwerlich, ihre Wirkungsstätte in Pinelands zu erreichen, aber Peter musste von der Westküste über eine Stunde durch Kapstadt und die östlichen Vororte an die Ostküsste nach Simonstown am Indischen Ozean fahren.
Nach einem halben Jahr hatte er die Schnauze voll und verdingte sich auf Probe als Barkeeper in der hoch über dem mondänen Vorport Sea Point gelegenen Sky Bar vom Hotel Ritz. Ein etwa gleichaltriger Immigrant aus Kiel, namens Benny Kaminski unterwies ihn in der Kunst des Mixens und machte ihn mit den Gepflogenheiten im Ritz vertraut, bevor er als Barkeeper auf der Europa anheuerte. Zu seiner eigenen Überraschung entwickelte Peter bezüglich exotischer Cocktails ein in ihm schlummerndes Talent und übernahm als Barkeeper Pit nach zwei Jahren mit deutscher Effizienz das Management in der Sky Bar.
Am Monatsende blickten sie mit strahlenden Augen auf einen Batzen Bargeld und dachten daran, ein bebaubares Grundstück oder ein altes Haus zu kaufen und eine Familie zu gründen. Sie waren glücklich verheiratet, hatten einen netten Freundeskreis und schrieben ihren Eltern, dass sie Ende der 50ger Jahre die richtige Entscheidung getroffen hatten. Obwohl beide ihren leidenschaftlichen Spaß im Bett hatten, wurde Birgit nicht schwanger. Große Sorgen machten sich beide deswegen nicht, sondern waren der Meinung, dass es irgendwann schon klappen würde.
Wenn Bobby allein mit Pit am Tresen der Sky Bar saß und ihr Gespräch mal wieder den alten traurigen Ben zum Thema hatte, geriet Pit rotz seiner glücklich zu nennenden Ehe ins Schwärmen. Besonders wenn der Alte sich mit seiner jungen und überaus hübschen Tochter, Zehava, an Pits Bar erfrischt hatte, pries er Zehavas Attraktivität, ihren Witz und ihre Schlagfertigkeit in höchsten Tönen und scheute sich nicht, zu verbergen, dass er liebend gerne das Kopfkissen mit der temperamentvollen Lady teilen würde. Flugs entschloss sich Bobby, sich auch ein Bild von Bens hübscher Tochter zu machen, lenkte die Kumpanei mit ihm in freundschaftliche Bahnen und erreichte, dass Ben ihn zu einem seiner Grillnachmittage an einem Samstag im Mai einlud. Es kam wie es kommen musste. Bobby war von Zehava Ausstrahlung derart fasziniert, dass er dem minderjährigen Mädchen auf seine burschikose Art den Hof machte und mit ihr in seinem alten Ford zu Eisessen nach Simonstown fuhr. Er musste auch als Saxophonist Eindruck und Sympathie bei ihr geweckt haben, wenn er auf der Terrasse sein Talent demonstrierte und nie vergaß, seiner Angebeteten heimlich ein kleines Geschenk zu überreichen. Nach einem Kinobesuch lud er sie in sein Apartment ein und war nach wenigen Wochenenden stolz darauf, die zarte Zehava geschwängert zu haben.
Mit wiederholter Unzucht hatte er verhinderte, dass seine zukünftigen Schwiegereltern nach Kniefall und mit Blumen begleiteter Aufwartung ihren Segen verweigerten. Ben wollte eigentlich verhindern, dass es seiner zarten Tochter ähnlich erging wie ihrer Mutter, die ebenfalls ihr erstes Kind zur Welt gebracht hatte, bevor ihre Ausbildung abgeschlossen war. Seine Hoffnung hatte sich leider nicht erfüllt. Sechs Monate nach der Hochzeit erblickte Martina das Licht der Welt und nach zwei weiteren Jahren wurde Rupert geboren.