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Sex Apostels 16. Dezember 1966

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Robert Eliot war nicht nur ein begabter Saxophonist, sondern auch voller Ideen und ein brillianter Organisator, der im Vorort Belleville aufgewachsen war und an der UCT (University of Cape Town) sein Studium als Maschienenbau-Ingenieur erfolgreich abgeschlossen hatte. Seine Bewerbung bei der South African Navy hatte den erhofften Erfolg und bescherte ihm den gut honorierten Job als Ingenieur in Simonstown, einem Vorort von Kapstadt am Indischen Ozean. Schon als Schüler hatte Bobby sich einer Band angeschlossen und bei späteren Jam Sessions die Leitung der Southern Cross Jazz Band. übernommen. Vor einigen Jahren wurde er als junger Musiker von einem Freund zu einer unvergesslichen privaten Filmshow eingeladen, nach deren Besuch seine Sinne revoltierten, die prägende Musik immer wieder auftauchte und die Erinnerung an diesen Streifen ihn zeitlebens mental belastete.

In düsterer kaltblauer Atmosphäre eines fernen Planeten lag ein toter Astronaut an einem felsigen Hang. Diese Szenerie wurde von einem vernebelten eisigen Jazz mit orientalischen Elementen erst leise und dann immer lauter untermalt. Ein aus dem Nebel erschienener Greis mit dem Gesicht einer Echse prophezeite mit vibrierender Stimme im Sprechgesang das Ende der Welt. Zu den von einzelnen gehämmerten Tönen des Keyboards begleiteten Sequenzen singender Frauen war von deren Sündhaftigkeit und Verderbnis die Rede. In den starren abgestumpften Augen der alten Frau spiegelten sich die Exekution eines jammernden Kindes und die schemenhafte Schändung eines jungen nackten Mädchens. Über dem immer noch krächzenden Mund des von roten Bandagen umwickelten, sich langsam wendeten Schädels starrten aus tiefen Höhlen zwei schwarze Knöpfe, während im Hintergrund zwei sich umklammernde nackte Paare zu den nervenden Lauten von Saxophon und Klarinette mit grotesken Zuckungen versuchten, sich im dumpfen Rhythmus eines scheinbar wahnsinnigen Drummers zu vereinigen. Je heftiger die Zuckungen, desto brünstiger die Laute des Greises und die Klänge der Klarinette. Aus grünem Nebelschwaden stieg eine weiß gekleidete Frau mit offenen grauen Haaren und weißem Gesicht zu dem toten Astronauten herab und öffnete den Helm. Die Kamera folgte dem Blick ihrer blutenden roten Augen und erschreckte das Publikum mit einem edelsteinbesetzten Totenkopf, der mit Mimik und Gestik den unerträglich lauten Sprechgesang des Greises übernahm, stiller wurde, leise sang, flüsterte, verstummte.

Das starre Gesicht des Sängers erschien ohne rote Bandagen. Nur die Lippen formten die Worte, während sich die Kamera entfernte und ein Buch fokussierte, das der Sänger beschwörend in die Höhe gehoben hatte. Auf dem Cover erkannte man einen Drudenfuß. einen fünfeckigen goldenen Stern, das Pentagramm der bösen Mächte. Von allen Seiten huschten zombiartige Wesen vorbei. Von einem Baumstamm hingen Vogelscheuchen vor flackernder Feuersbrunst und erinnerten bei sakraler Jazzmusik an die Kreuzigung Christi. Weißgewandete Frauen sangen wippend ein abgewandeltes Halleluja. Für Bruchteile von Sekunden erschien ein schwarzes brennendes Kreuz. Die Frauen verfielen zu den Klängen von Klarinette und Saxophon wie Derwische in eine drehende Trance bis sie umkippten und im Kreis mit ausgestreckten Armen bäuchlings ihre Finger nach einem Baby ausstreckten das geopfert werden sollte.

Aus der Tiefe stiegen zwei Hände empor, die das Baby in die Höhe hoben, immer höher, immer weiter entfernt von den ausgestreckten Fingern der sich wendenden und auf dem Rücken liegenden nackten Frauen aus deren Brüsten kleine Flammen züngelten.

Damit endete das Psycho-Horror-Spektakel und hinterließ bei dem betreten schweigendem Publikum den bitteren Geschmack des Abgeschmackten. Dieses Spektakel verbannte in Bobbys Psyche den Rock ‚n‘ Roll in eine Anbetungsmusik für den Satan. In wechselnden Intervallen zog der Film mit seiner krassen musikalischen Untermalung unerträglich oft durch sein Gehirn und ließ ihn mit den Gedanken spielen, von hier fortzuziehen.

Seit zwei Jahren lebte Bobby mit seiner kleinen Familie recht und schlecht in der Nähe zu seinem Arbeitsplatz in Simonstown und träumte von der großen Freiheit, vom großen Geld, großer Yacht und vom großen Haus in Green Point mit Panoramablick über City, Hafen und Tabel Bay. Das alles würde immer nur ein Wunschtraum bleiben solange er weiter als Ingenieur bei der SA-Navy ein Gehalt bezog. Schnelle Aufstiegsmöglichkeiten gab es ohne Beziehung nicht, ein Erbe war auch nicht in Sicht. In finanzieller Hinsicht sah die Zukunft trübe aus. Während er sich vom Balkon auf seinem Saxofon den Frust von der Seele blies, dachte er daran, seinen Job als Ingenieur an den Nagel zu hängen.

Seit Monaten liebäugelte er im Geheimen mit der lukrativen Branche der Immobilienhändler. Allerdings kannte er sich in dem Metier nicht aus und ließ sich von einem befreundeten Agenten in die Zunftgeheimnisse einweihen. Neben seiner Ingenieurtätigkeit versuchte er mit Zehavas begeisterter und tatkräftiger Unterstützung, sein Glück als Vermittler von Apartments, Grundstücken, Häusern und Eigentumswohnungen an der Ostküste. Mit Erspartem finanzierten sie teure Annoncen in den beiden Tageszeitungen ‚Argus‘ und ‚Cape Times‘. Jedes Mal, wenn das Telefon läutete sprang Zehava hoffnungsvoll in die Höhe und meldete sich mit fröhlicher Stimme: „Bobby Eliot Agencies. Good Morning. Can I help you?“

Freunde, seine alten Klassenkameraden, Bekannte und Zehavas Freundeskreis sagten ihre Unterstützung zu. Aber das Glück hatte einen langen Atem, forderte Geduld und Eigeninitiative in Hinblick auf neue Kontakte und Wiederbelebung alter Freundschaften.

„Rain speaking. Can I help you?“

„Robin Rain?“

„Yes, what can I do for you?“

„Bobby Eliot speaking, old fellow. How-do-you-do?“

„Bobby Eliot! Das gibt es nicht! Wie geht es dir altem Hasen? Immer noch auf Freiersfüßen? Lang ist’s her.“

„Nein, ich bin glücklich verheiratet und nenne ein Mädchen und einen Jungen mein Eigen und Du?“

„Erinnerst du dich noch an Gesine?“

„Aber Hallo! Wer Gesine kennenlernen durfte, hat sie nie vergessen. Sie war damals eine Ikone und ich bin sicher, dass sie heute noch die kleine Göttin ist, die sie damals war. Wenn immer eine schlanke blonde Frau vor mir schreitet, überhole ich sie und schau ihr voll ins Gesicht, um sie anzusprechen. Stets ein lautes ‚Hallo Gesine‘ auf der Zunge, konnte ich die beiden Worte nie aussprechen.“

„Seit neun Jahren ist sie meine Frau und Mutter unseres Pärchens. Wir wohnen in Rondebosch in der Nähe vom Baxter Theater. Komm uns mal besuchen. Sie wird sich freuen. Bring deine Frau und eure Kinder mit.“

Ein Termin wurde für nächsten Sonntag vereinbart. Bobby lehnte sich zurück, schloss die Augen, sah Gesine in ihrer jugendlichen Schönheit vor sich und machte sich Gedanken, wie sie wohl nach zehnjähriger Ehe und zwei Kindern aussehen wird. Er war gespannt und dachte an die Zeit, als sie im Schülerorchester musizierten und ihre eigene Band gründeten. Robin war ein Drummer par excellence, saß am Keyboard und stand hin und wieder auch als Vokalist vor dem Mikro. Aufgrund vieler Zigaretten, Joints und harten Drings klang seine unausgebildete Stimme rostig und rau. Aber sie hatte ein Tembre, das die Audienz gegeisterte. Das war Rap, dieser, rhythmische Sprechgesang in der Popmusik, wie ihn das junge Publikum hören wollte.

Gesine hielt unverrückbar an ihren von ihren Eltern übernommenen festgefügten Prinzipien nach wie vor fest. Sie verachtete Heroin und solche Menschen, die Cannabis verkauften, konsumierten, sich in fataler Abhängigkeit an das Kraut ruinierten und elendlich zugrunde richteten. Ihr war es zu verdanken, dass Robin nicht wieder in die Anhängigkeit geriet und zum Haschischsklaven wurde, wie Ritche Rickloff, der vor vielen Jahren aus London in Kapstadt auftauchte und kurzzeitig als Keyboarder und Vokalist die „Southern Cross‘ auffrischte. Ritchie war ein arroganter Angeber, der den Cockney in Kapstadt heraus hängen ließ und damit protzte, dass er nie verheiratet war, zwei Söhne von zwei Frauen in London zurückgelassen hatte und eine reiche Witwe in Kapstadt vögeln würde. Andererseits war er ein talentierter Musiker und witziger Unterhalter, der seine reiche Witwe mit Jungvolk nach Strich und Faden betrog, ihr das Geld aus der Tasche zog und erreichte, dass sie ihm mitten in der City in der Burg Street Ecke Shortmarket Street einen Laden mietete, in dem er mit wachsendem Erfolg europäische Sportwagen und japanische Limousinen verkaufte und binnen kurzer Zeit einen schwunghaften Handel mit den elegantesten Modellen betrieb. In der Main Road in Mowbray leitete er eine Werkstatt mit acht Mechanikern, die die in Zahlung genommenen alten Autos auf Vordermann brachten und für beträchtlichen Gewinn sorgten.

„Du willst raus auf die Bühne“, hatte Ritchie unter Drogen mit glasigen Augen stets wiederholt. „Du willst spielen. Du willst Applaus, Applaus und nochmal Applaus. Du willst Zugabe hören. Du willst die Weiber vögeln und dich besaufen. Dafür tust du alles, wenn du am Kaybord sitzt und dir die Stimme aus dem Hasl brüllst. Du bist geil auf die Anerkennung der Mädchen. Das ist es, worum es bei einer Band geht. Weiber, Weiber und nichts als geile Weiber, die nicht genug kriegen können, wenn sie unter Drogen stehen. Das ist das was du jeden Abend willst.“

Ritchie legte flach, was er flachlegen konnte, scherte sich einen Dreck um Moral und Anstand und meinte in seinem Rausch von Drogen und Alkohol, dass man den Schnepfen nur schnell genug zwischen die Beine und an die Muschi greifen müsse, um sie rumzukriegen.

„Selbst, wenn sie dir nach der ersten Schrecksekunde eine schmieren, wollen auch sie immer nur das eine: Flachgelegt werden.“

Er war eine Negatikoryphäe die traditionell jegliche unmoralische Lebensart: Sex, Drugs, Rock ‚n‘ Roll und Alkohol in dunklen Spelunken pflegte und andererseits ein vollblütiger Musiker und erfolgreicher Geschäftsmann, der in den feinsten Kreisen der Kapstädter Hautevolee verkehrte und nach Geld stank. Aber, wenn er am Konzertflügel oder am Keyboard saß, war er unschlagbar, einfach bravourös. Tosender Applaus war ihm sicher, die Audienz verlangte mindestens zwei Zugaben. Das war seine große Zeit und die Zeitspanne seines Gastspiels am Kayboard von Bobbys kleiner Jazzband.

Starker Drogenkonsum machten Ritchie unzuverlässig, unerträglich launisch und führte letztendlich zur Trennung von der Band. Ritchie zog zu seiner reichen Witwe, der er, wie er pralte, es mindestens zweimal wöchentlich besorgt hatte. Von ihr wurde er in regelmäßigen Abständen in eine Reha geschickt, aus der er nach kurzer Zeit trocken ins normale Leben zurückkehrte, um bald wieder der alten Sucht zu verfallen.

Ritchie, seine Witwe und seine Weibergeschichten waren die Themen, über die Bobby, Robin und Gesine immer wieder in lautes Gelächter ausbrachen. Zehava war Bobbys ehemaliger Freund und dessen Frau, Gesine, unbekannt. Sie interessierte der Klatsch über Menschen nicht, die sie nicht kannte. Stattdessen kümmerte sie sich im Garten liebevoll um die vier Kinder. Als Robin mit den Steaks auf dem Grill beschäftigt war, nahm Gesine Bobby zur Seite und erzählte ihm mit knappen Worten, was sie mit ihrem Mann vor der Ehe durchgemacht hatte.

„Ich sage dir, Bobby, es war absolute Scheiße. Es war so viel Scheiße, dass ich dabei war, ihn zu verlassen. Nach der lange zurückliegenden Auflösung unserer Band saß er Freitag und Samstag am Flügel im Foyer des Baxter Theaters, hämmerte und jammerte Jazz und Soul ins Mikro, um ein paar Kröten mit nach Hause zu bringen.“

„Ich rinnere mich“, sagte Bobby. „Damals war Cool Jazz in Amerika en vogue und Robin mühte sich. den neuen Stil mehr schlecht als recht zu kopieren und hatte nach Rap und tosendem Beifall stets noch einnmal in die Tasten gegriffen. Applaus war wichtig für ihn.“

„Leider brach seine Blutkrankheit Sichelzellenanämie wieder aus“, sagte Gesine. „Eine lange Zeit konnte er kaum laufen, litt an Magengeschwüren und Depressionen. Er kämpfte wie ein Löwe, nahm seine Pillen und saß jeden Tag tapfer im Hörsaal der Uni. Nach drei Jahren bestand er die Examen, die ein Betriebswirt bestehen muss, um im Berufsleben Erfolg zu haben.“

„Ich hörte von alten Freunden, dass du eine schwierige Zeit hattest, in der Robin der Sucht zu verfallen drohte.“

„Das stimmt“, sagte Gesine. „Ich war wirklich drauf und dran, ihn zu verlassen, halte mir aber zugute, dass ich ihn aus diesem Sumpf, in dem er bis zum Hasl drinsteckte, herausgeholt habe. Er ist jetzt absolut trocken und sehr erfolgreich mit dem Verkauf von Annoncen für die Yellow Pages. Wenn er in der Provinz unterwegs ist, sehe ich ihn oft eine ganze Woche nicht. Der Erfolg ist für ihn zu einer neuen Sucht geworden, die ich unterstütze, wo immer ich kann. Er ist einfach Spitze. Er spielt erfolgreiche Konkurrenten der gleichen Branche gegeneinander aus, indem er ihnen suggeriert, dass eine größere Annonce zwar mehr Geld kostet, aber auch mehr Aufmerksamkeit erregt und zum Erfolg führt. Seitdem rollte der Rubel und ermöglichte uns den Kauf unseres Hauses. Schade, dass du erst spät in der Branche tätig wurde, sonst hättest du das Geschäft gemacht. Mir scheint, dass es bei euch nicht so gut läuft, aber das ist ja in jedem Beruf nicht so einfach.“

Bobby wurde notgedrungen gezwungen, neue Kontakte zu knüpfen und wurde nicht müde, alte Freundschaften aufleben zu lassen und erkaltete Kontakte wieder aufzufrischen. Mit großem Hallo wurde er von Ritchie Rickloff in seinem Autosalon in der Burg Street willkommen geheißen. Sein alter Freund wollte ihm gleich einen Neuwagen verkaufen, registrierte aber instinktiv, dass die Agentur nicht so lief, wie Bobby es sich als Makler wünschte. Nichtsdestotrotz versprach er, mit ihm in Kontakt zu bleiben, seine Fühler auszustrecken und ihn zu benachrichtigen, wenn einer seiner Freunde sein Haus oder seine Wohnung veräußern will. Bevor sie sich verabschiedeten, führte Ritchie seinen alten Freund in sein elegant möbliertes Apartment über dem Autosalon und machte den Vorschlag, die alten Mitglieder der damaligen Band zum Kaffee einzuladen. Bobby war sofort Feuer und Flamme, dachte laut darüber nach, ob sie nicht wieder zusammen jazzen sollten. Er erzählte von seinem Besuch bei Robin Rain und Gesine und versprach, den von ihm organisierten und voraussichtlich wieder lustig werdenden Nachmittag in Ritchies Apartment so bald wie möglich über die Bühne gehen zu lassen. Auch er brauchte wieder Abwechslung für die Augen und Musik in den Ohren.

Jeden Morgen grübelte Bobby über Möglichkeiten, wie er seine in den Kinderschuhen steckende Agentur populär machen konnte, wie er Kontakte zu Eigentümern von Grundstücken, Häusern und Wohnungen knüpfen konnte, die planten, ihre Immobilie in naher Zukunft zu Bargeld zu machen, oder zum Tausch für eine größere wertvollere anzubieten. Er hatte Vermittlungsprovisionen in beiden Tageszeitungen, im Argus und in der Cape Times in teuren Annoncen angeboten, aber niemand schien davon Gebrauch machen zu wollen, kein Besitzer meldete sich. Es vergingen Wochen und Monate, bis endlich der Eigentümer eines alten Hauses im östlich der City gelegenen Vorort Wynberg anrief und mit Zehava einen Termin an einem Samstag vereinbarte, den Bobby wahrnehmen konnte und es mit groß aufgemachten Annocen schaffte, mit drei interessierten jungen Ehepaaren einen Besichtigungstermin zu vereinbaren. Erst nach weiteren vier langen Wochen meldete sich wieder ein Hausbesitzer und ermöglichte es Bobby, in seinem anvisierten Beruf wieder tätig zu werden. Er war frustriert und wollte sich von seinem Maklerdasein verabschieden. Die Provisionen deckten nicht einmal die Werbungskosten und zwangen ihn, seine Kündigung bei der SA-Navy zurückzuhalten. Letztendlich waren er und Zehava froh, dass er einen festen Job in Simonstown hatte und seiner kleinen Familie ein adequates Zuhause bieten konnte. Er verdiente kein übermäßges, aber regelmäßiges Gehalt, mit dem Zehava ihren Haushalt führen und eine kleine Summe beiseite legen konnte.

Bereits nach Rupperts Geburt überkam sie der Wunsch, nicht nur etwas Geld dazu zuverdienen, oder einen Job auszufülllen, sondern mehr aus sich zu machen. Sie wollte nicht nur Ehefrau, Mutter, Gärtnerin und Telefonistin ihres Mannes zu sein. Dr. med. Thomas Baker, Chefarzt am Vincent-Pallotti-Hospital in Pinelands und langjährige Freund ihres Vaters brachte sie auf die Idee, sich zur Krankengymnastin ausbilden zu lassen und Abendkurse zu besuchen, in denen sie als Masseuse ausgebildet wurden. Das sei ein Job, den sie nach Abschluss der Ausbildung in freier Entscheidung zu jeder Zeit auch zu Hause ausführen könnte, während die weiter Telefondienst für Bobby machen konnte. In eigener Praxis würde sie später nebenbei, oder sogar hauptsächlich nicht üppig, aber immerhin für den eigenen Bedarf gutes Geld zu verdienen.

Dr. Baker eröffnete ihr die Möglichkeit, halbtags, wenn die Kinder im Kindergarten beaufsichtigt wurden, im Pallotti für ein geringes Gehalt zu arbeiten und sich von der deutschen Masseuse, Birgit Bogner ausbilden zu lassen. Bobby glaubte seinen Ohren nicht, als er hörte, dass Zehava von seiner alten Freundin, Birgit Bogner im Pallotti ausgebildet werden sollte und schlug vor, Pit und Birgit zum Abendessen einzuladen, um die alten Kontakte wieder aufleben zu lassen. Vielleicht könnte er Pit dazu überreden, doch wieder seine Klarinette aus dem Kasten zu holen und sich der Jazzband anzuschließen. Auf jeden Fall unterstützte er Zehava Ambitionen, einen Beruf zu erlernen, der die Haushaltskasse etwas auffrischten würde. Ein Anrufbeantworter wurde angeschafft, der potentielle Eigentümer von Immobilien auf nachmittags vertröstete.

Aber Bobby war mit sich selbst unzufrieden. Er machte seinen Ingenieur-Job im Büro, aber er liebte ihn nicht. Obwohl er Maschinenbau studiert hatte, gerne am Zeichenbrett stand oder saß und als Konstrukteur sein erstes Berufsziel vor einigen Jahren erreicht hatte, war er mit sich und der Welt nicht im Reinen. In seinen Augen war der stets mit neuer Hoffnung anvisierte Versuch, in die Tätigkeit eines Immobilienmaklers einzusteigen, mehr als frustrierend gewesen. Es klappte einfach hinten und vorne nicht. Die Annoncen in den Zeitungen waren teuer und brachten nichts. Er grübelte Tag und Nacht und wartete auf den Tag der Erleuchtung.

„Das ist die Lösung!“, dachte er eines Morgens, als die Sonne blutrot über dem Indischen Ozean ihre Laufbahn begann und die weichende Dämmerung ihn zwang, sich aufrecht im Bett hinzusetzen. Trotz der frühen Stunde stieß er Zehava an, beugte sich über sie und flüsterte:

„Ich hab’s.“

„Doch nicht mitten in der Nacht. Lass mich zufrieden.“

„Die Sonne geht auf und ich habe eine Idee.“

„Warum hat das nicht bis Morgen Zeit?“

„Es ist Morgen. Ich hab die Lösung.“

„Welche Lösung?“

„Wie wir an das große Geld kommen.“

„Aber doch nicht um diese Zeit. Lass mich in Ruhe.“

„Am Samstag klappern wir die Ostküste ab und machen Besuche bei den Farmern, die neben den Küstenorten Land besitzen, das an den Indischen Ozean grenzt.“

„Was soll so ein Quatsch? Willst du Farmen kaufen?“

„Parzellieren, Grundstücke verkaufen.“

„Du hast sie doch nicht mehr alle. Mit welchem Geld?“

„Kredit von der Bank.“

„Keine Bank gibt dir Geld ohne Sicherheit.“

„Das Risiko ist gleich null. Der Wert einer Immobilie steigt. Die ersten Monate arbeite ich umsonst, organisiere alles von der ersten Unterhaltung mit den Farmern und den Bürgermeistern bis hin zu der Beauftragung eines Landvermessers, eines Planungsbüros und den für die Genehmigung zuständigen Behörden.“

„Also wirklich, du solltest lieber die Augen wieder schließen und dir alles in Ruhe überlegen. Beim Frühstück können wir über alles reden, aber jetzt will ich endlich wieder schlafen, verdammt noch mal. Lass mich mit deinem Schmarrn am Samstagmorgen in Ruhe.“

Vor dem Frühstück grübelte Bobby wie ein Verrückter, überlegte, was zu tun sei und ersann Alternativen, wie und wo er beginnen sollte. Bei Tisch fragte er Zehava, was sie davon halten würde, wenn sie beide die Farmer und Bürgermeister in den kleinen Gemeinden am Indischen Ozean an zwei, drei Samstagen besuchen würden, um ihnen die Umwandlung ihrer Salzwiesen in Bauland schmackhaft zu machen. Er wollte sowohl den Farmern als auch den Gemeindevorständen vorschlagen, durch Umwidmung ihres Weidelandes in Bauland Raum für eine Ortserweiterung zu schaffen.

Zehava meinte, dass sie sich den Vorschlag in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen müsse, aber im Prinzip einverstanden sei, wenn die Kinder bei den Großeltern untergebracht werden können. Beim Abendessen wurde Bobby mit der von ihm entwickelten Strategie konkreter. Zwei Wochen später saßen sie im Auto und klapperten die Farmer und Bürgermeister der Küstenorte Kleinmond, Hermanus, Bettys Bay und Gaansbaai ab, Frustriert mussten sie feststellen, dass der Wille zur Erweiterung der kleinen Küstenorte zwar vorhanden war und die Idee einer Ortsvergrößerung besonders bei den Farmern Euphorie hervor rief, für die umgehende Umsetzung jedoch die finanziellen Mittel fehlten. Bobby gab die Hoffnung nicht auf und vereinbarte Termine mit Bankern in der City, um sie von seiner Idee einer Küstenbebauung zu überzeugen.

Planung, Vermessung, Straßenbau, die kompletten Verlegungen von unterirdischen Wasser-, Elektro-, Telefon- und Entwässerungsleitungen kosteten viele viele Rand und konnten nur von einer risikobereiten Bank vorfinanziert werden. Die Vermarktung der einzelnen Parzellen könnte zwar parallel laufen, aber das Risiko, alle Grundstücke mit Gewinn verkaufen zu können, war auch für eine Bank ein viel zu großes Risiko. Bobbys Vorschläge, potentielle Käufer zum Erwerb von Parzellen zu animieren, indem man ihnen vertraglich vereinbarte Ratenzahlungen von geringer Höhe über einen Zeitraum von zehn Jahren und mehr anbietet, waren Überlegungen wert, waren aber nicht zur Lösung der Vorfinanzierung geeignet. Bobby ließ nicht locker, vereinbarte Termine mit versierten Notaren in der City und ließ sich beraten. Er musste finanzkräftige Investoren finden und mit ihnen eine kleine Aktiengesellschaft gründen, die die Planung und Verlegung aller notwendigen Versorgungsleitungen vorfinanzieren müsste. Die Vermarktung wollte Bobby übernehmen und es den Käufern ermöglichen, ihre Parzellen mit monatlichen Ratenzahlungen zu erwerben. Bis zur völligen Bezahlung sollten die Grundstücke zwar von den zukünftigen Eigentümern bebaut werden können, aber bis zur Begleichung des Restbetrages im Besitz der Gesellschaft bleiben.

Die ehemaligen Bandmitglieder, wie Robin Rain, Mendel Grosmann, Peter Bogner und er selbst waren mittlerweile verheiratet hatten zum Teil Häuser erworben oder gebaut, um ihre Kinder in solider Umgebung zu erziehen. Einige hatten sich selbständig gemacht, Firmen gegründet und standen als gemachte Männer mitten im Leben. Es ging ihnen gut und die boomende Wirtschaft versprach, dass es ihnen in naher Zukunft noch besser gehen würde. Alle nahmen Bobbys Einladung zu einem zwanglosen Treffen in Ritchies Apartment ohne zu zögern an. Wie zu erwarten, war die Wiedersehensfreude so groß, dass man sich spontan zu monatlichen Treffen entschloss, bei denen wieder in bewehrter Besetzung gemeinsam musiziert werden sollte. Jazz, Swing, Rap, Rock and Roll, Boogie Woogie und im Trend liegende Tanzmusik sollte zum Repertoir gehören. Pit und der inzwischen von ihnen gewonnene Ben Kaminski sollten als Klarinettist und Trompeter hinzugezogen werden. Robin war der erste Gastgeber, auf dessen Terrasse sie am nächsten Samstag zeigen wollte, was sie noch drauf hatten. Es dauerte auch nicht lange bis die sechs Gentlemen in neuer und wechselnder Besetzung wie in alten Zeiten jazzten, sangen und versuchten, Cool Jazz ins Programm zu nehmen. Tatsächlich überlegten sie, ob sie als Grufties in die Szene zurückkehren sollten, um dem Nachwuchs zu zeigen, wie echter Jazz klingen muss. Egal wie, alle hatten wieder ihren Spaß und jeder gab bei den nächsten Trefffen auf unterschiedlichen Terrassen sein Bestes. Bevorzugt wurde von allen die Proben auf der Dachterrasse über der Sky Bar vom Ritz, bei denen ein paar Zuhörer applaudierten. Bei schlechtem Wetter übten sie in den Wohnzimmern oder in Ritchies Apartment.

Dann hatte Bobby die Idee, in Ritchies Autosalon Werbung für die Cape Town Brass „Sex Apostels“ zu machen. Er vertrat die Meinung, dass sie mittlerweile Brass-Virtuosität vom Allerfeinsten machten und mit ihrer Kunst nicht nur Passanten mitten in der City begeistern sollten, sondern mit Swing und Jazz auf ihre Donnerstage auf der geräumigen Dachterrasse über der Sky Bar im Riz aufmerksam machen sollten. Es war ein Glücksfall, dass sie sich als Solobläser zusammengefunden hatten, und es verstanden, sowohl in dieser Formation als Sextett als auch mit Gästen einen mitreißenden Brass-Sound zwischen klassischen Meisterwerken und bestem Swing, Jazz oder Filmmusik hinzulegen. Sie wurden immer besser. Ob Bach, Wagner oder Evergreens von Frank Sinatra bis Ray Charles, als Ensemble hatten sie stets eigene raffinierte Arrangements im Repertoire. Voller Humor und Fantasie unternahmen sie spielfreudig immer wieder gewagte Klangexperimente, die sie auf Tonbändern abhörten und bis zur Perfektion korrigierten. Sie übernahmen neueste Soundtrack der in Kapstadt laufenden großartigsten Filme und lockten mit genialen Motiven und markanten Themen der größten Kino-Blockbaster ein begeistertes Publikum auf die Dachterrasse vom Ritz. Dort entführten sie die Audienz mit Musik von Ludovico Einaudi und Max Richter in eine ganz neue individuelle Tonsprache der klassischen Musik, in Klangwelte aus Träumen und Farben, die sie nicht mehr losließen. Für diese Abende im Ritz warben sie mit „Best of Classics.“

Oft erholten sich die talentierten Musiker nach ihren Konzerten bei vier oder sechs Runden Skat an zwei Tischen oder plauderten bis Mitternacht über Politik, Wirtschaft und geile Weiber. Donnerstag war ihr Männerabend, bei denen die Frauen keinen Zutritt hatten. Hin und wieder und immer häufiger trafen sie sich auch Samstag auf der Rennbahn in Kenilworth, setzten hohe Summen auf Außenseiter oder riskierten die Dreierwette. Kurzum, die sechs Freunde waren zwar ein paar Jahre älter geworden, wuchsen aber als junges Sechstett mit bewärtem Schwung als Jazzband unter dem etwas ominösen Namen „SEX APOSTELS“ wieder zusammen. Ritchie meinte, dass dieser Name sich in die Hirne der Fans einnistet und sie in die obere Liga Kapstädter Jazz-Bands katapultiert. Ob dieser für die alten Jazzer unpassende Name oder die mitreißende Musik, die sie stets neu erfanden und ihr Publikum zu Beifallstürmen hinrissen, ursächlich für den Erfolg war, sei dahingestellt. Die Band „Sex Apostels“ wurde in Kapstadt zum Inbegriff des guten Jazz, Swing und bester Classic.

Das letzte Sextett

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