Читать книгу Das letzte Sextett - Gerd Johann Teebken - Страница 5
Posträuber Dienstag, 10. Januar 1967
ОглавлениеMit bewundernswerter Überzeugungskraft und bestechender Phantasie versuchte Bobby nach einigen Auftritten der SEX APOSTELS im Alhambra und einigen Jam Sessions seine fünf Kumpels am runden Tisch in Ritchies Appartement davon zu überzeugen, dass mit dem Musizieren nicht das große Geld zu machen sei. Schon in den vergangenen Monaten hatte er in Einzelgesprächen seine Pläne dargelegt, und erörtert, wie sie gemeinsam eine Finanzierungsgesellschaft gründen und Farmer in der Nähe von Küstenorten dazu bewegen könnten, der Gesellschaft beizutreten und den an der Küste liegenden Teil ihrer Farmen parzellieren zu lassen. Alle seine Bemühungen scheiterten an der Finanzierung der Verlegungung von Versorgungsleitungen, Straßen und der Ausführung der notwendigen Infrastuktur, ohne die die Parzellen einer Feriensiedlung weder angeboten noch bebaut werden können.
„Ich habe lange nachgedacht“, sagte Bobby nachdem er um Ruhe gebeten hatte, um ihnen was Wichtges mitzuteilen. „Ich habe eine Idee entwickelt, wie wir an die notwendigen finanziellen Mittel kommen können, bevor wir die Planung der von mir anvisierten Feriensiedlung am Indischen Ozean in Auftrag geben. Den alten Buren, Oliver Auret und seinen Sohn Jakobus, die beide eine große Farm an der Küste in der Nähe von Kleinmund bewirtschaften konnte ich in drei Gesprächen davon überzeugen, dass Parzellen gleich hinter den Dünen Gold wert sind. Beide sind bereit, einen breiten Küstenstreifen zu verkaufen, den ich parzellieren lassen könnte. Wir haben uns zwar noch nicht über den Kaufpreis verständigt, aber im Prinzip sind wir uns einig geworden.“
„Bei welcher Bank bist du denn vorstellig geworden?“ fragte Robin. „Hast du überhaupt ein Geldhaus gefunden, dass das Risiko eingeht und dir deine teuren Hirngespinste vorfinanziert?“
„Es geht doch um Millionen“, murmelte Ben. „Bevor du einen Cent kassierst, vergehen Monate, wenn nicht Jahre. Das ist eine Durststrecke, die kein Banker mit etwas Verstand riskiert.“
„Wir müssten nur ein wenig Mut aufbringen“, sagte Bpbby. „Wir müssen beweisen, dass wir starke Nerven haben. Nur für ein paar Minuten müssen wir uns von unseren Moralvorstellungen verabschieden, keine Skrupel haben und blitzschnell aggieren.“
„Du hörst dich an wie der letzte Gangster in dem Streifen ‚Das Kabinett des Doktor Caligari“, warf Ritchie dazwischen. „Oder willst du einen auf Ladykillers mit Livemusik machen?“
„Weder noch. Ich meine es ernst. Das ist kein Spaß“, sagte Bobby und verzog keine Miene. „Das von mir anvisierte Unternehmen erfordert präzise Planung, genaue Ortskenntnis und Vorbereitung bis ins kleinste Detail. Nur dann haben wir Erfolg und können in wenigen Minuten zu superreichen Männern werden.“
„Wie soll das denn gehen?“, wollte Ben wissen.
„Wenn wir mit einer Portion Skrupellosigkeit vorgehen, machen wir in weniger als fünf Minuten eine Million Rand, die wir in unsere Projekte an der Küste investieren können und unser Vermögen in den kommenden fünf Jahren mehr als verzehnfachen.“
„Das ist doch bescheuert“, sagte Mendel Grosmann, der die Vericherungsagentur seines Vaters übernommen hatte und als einziger neben Ben Kaminski stets einen kühlen Kopf behielt und seinen Kumpels beim Skat die letzten Randscheine aus den Taschen zog. „Du solltest dir vorher überlegen, welche Ammenmärchen du uns erzählen willst. Selbst ein Finanzhai verzehnfacht in fünf Jahren nicht sein Kapital. Trotzdem lass mal hören, was dir dein kleines Männlien in deine Gehörgänge geflüstert hat.“
„Wir überfallen das Hauptpostamt in Stellenbosch.“
„Du hast sie doch nicht mehr alle!“, sagte Pit.
„Lasst mich doch erst mal ausreden.“
Bobby hatte bereits vorab seinen fünf Kumpels in mehrmals wiederholten Einzelgesprächen zu erläutern versucht, wie sie ohne große Inverstitionen das große Geld machen könnten, aber es fehlte ihnen einfach an Mut, ein Risiko zu wagen. Phantasievoll hatte er immer wieder geschilderte, wie auf nutzlosem Weideland in der Nähe der jetzt unzugänglichen Dünen und Strände in wenigen Jahren begehrte Feriensiedlungen entstehen können, in denen nicht nur die Schicki-Micki-Mäuse der Kapstädter Hautevolee flachgelegt werden, sondern Familien aus Kapstadt mit Kindern und Enkelkindern ihren zweiten Wohnsitz haben und die reichen Buren aus dem Norden Südafrikas und aus Rhodesien und Botswana ihren Lebensabend verbringen werden.
Mendi, Robin, Ritchie, Pit und Ben runzelten die Stirn und sahen Bobby fragend an. Bevor er die Katze aus dem Sack ließ, erinnerte er sie zum wiederholten Mal an seine häufigen Besuche bei Farmern und Gemeinderäten in den Küstenorten, in ehemaligen Fischerdörfern und in bereits bestehenden Feriensiedlungen am Indischen Ozean.
„Wenn wir eine Gesellschaft gründen und jeder von uns nach seinen Möglichkeiten einige tausend Rand investiert, könnten wir in Allianz mit den Farmern die Planung vergeben und einen Landvermesser beauftragen. Ich könnte mit Zehava mit der Vermarktung der Parzellen beginnen, Annoncen in die Zeitungen setzen und besonders im Norden die Werbetrommel rühren.“
„Wenn deine Strategie nicht aufgeht, ist unser Geld futsch und wir schauen durchs Ofenrohr auf die zwölf Apostels. Was hast du wirklich vor?“, fragte Ben.
„Warum redest du um den heißen Brei, wenn du genau weißt, was du uns verhökern willst?“, fragte Pit. „Lass doch endlich mal die Katze aus dem Sack.“
„Das erzähl ich euch gleich“, sagte Bobby. „Wir haben früher schon darüber debattiert, aber ich wiederhole es noch einmal. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Buren in Bloemfontein, Joburg, Pretoria und Salisbury von einem Lebensabend an der Küste träumen und von einem Ferienhaus, in dem sie ihren Lebensabend mit Blick auf den Ozean genießen können, ist größer, als wir vermuten.“
„Jetzt geht das schon wieder los mit dem Wenn und Aber, mit dem Vielleicht und dem Wirkönntendoch.“
„Wir können davon ausgehen, dass die Buren, die ihre Farmen an die nächste Generation vererben, bereit sind, mit ihrem Geld eine Parzelle zu kaufen, auf der sie ihr Ferienhaus oder Alterswohnsitz ohne Probleme errichten können. Wir müssen ihnen nur eine Parzelle verkaufen, an der alle Anschlüsse liegen, die ein Haus braucht. Diese Anschlüsse müssen wir vorfinanzieren und lassen sie uns später teuer bezahlen.“
„Woher nehmen wir das Geld?“, wollte Robin wissen.
„Von der Bank“, antwortete Bobby und kam ohne lange Umschweife gleich zur Sache. Er wiederholte, dass eine Portion Mut und eine gewisse Skrupellosigkeit notwendig seien, um in wenigen Minuten an das große Geld zu kommen. Dank seines Charismas entwarf er vor ihren staunenden Augen und Ohren eine sorglose Zukunft und verstand es, in die Hirne seiner alten Freunde den Wunsch nach einem Leben in einzigartiger Pracht und Schönheit zu pflanzen. Am Ende seiner Monologe erinnerte er sie an den berühmten Coup der Posträuber von Glasgow.
„Vor vier Jahren, am 8. August 1963 hatten zwölf kühne Männer dank präziser Vorbereitungen und ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, der Welt gezeigt, wie Millionen britischer Pfunde den Besitzer wechseln können. Die gewitzten Räuber hatten einen Postzug auf freier Strecke angehalten, hatten die mit Geldscheinen vollgestopften Säcke aus einem Wagon in zwei unter der Brücke wartenden Lastautos geworfen. Ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwanden sie im Dunkel der Nacht.“
„Das war ein tolles Ding“, erinnerte sich Pit. „Die Gangster hatten an alles gedacht. Nachdem sie das von ihnen genau platzierte Signal auf Rot gestellt hatten, hielt der Wagon mit den gefüllten Postsäcken exakt über der Brücke, unter der ihre Lastwagen warteten. In wenigen Minuten war alles umgeladen und ehe jemand einschreiten konnte waren sie auf und davon. Das war echt super.“
„Das war nicht nur super, das war irre“, sagte Ritchie. „Mit gelben Umleitungsschildern und rot-weiß lackierten Brettern hatten sie den Verkehr umgeleitet und verhindert, dass ihre Aktion gestört wurde. Einfach genial.“
„Das Witzige daran war“, sagte Robin, der ebenfalls den Postraub erinnerte, „dass der Coup so lautlos über die Bühne ging, dass die Wachmänner im letzten Wagen den Coup erst nach zwanzig Minuten bemerkten.“
„Aber, meine lieben Freunde“, sagte Mendel, „das hat den schlauen Dieben nichts genutzt. Nach wenigen Tagen hatte die Kripo alle Gangster am Arsch.“
„Nicht nicht lange“, ergänzte Ben. „Der Anführer der Gang, dieser Biggs und sein Komplize, Miller, sind in einer Nacht- und Nebelaktion über die Mauer entkommen.
„Was mich wundert“, stellte Mendi in den Raum, „dass seitens der Mehrheit der Bevölkerung Sympathie und Anerkennung für die Räuber bekundet wurden. Der Raub war dreist, aber bis auf den Lokomotivführer wurde niemand verletzt. Das hat man den Gangstern hoch angerechnet und das Strafmaß gemildert.“
„Stimmt“, murmelte Robin. „Sie waren bewaffnet, aber keiner hatte einen Schuss abgegeben. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Alles, jeder Schritt war präzise geplant und ausgeführt worden. Ohne Kenntnisse der örtlichen Situation wäre der Coup in die Hose gegangen.“
„Die Kerle bewundere ich heute noch für ihren Mut und ihre starken Nerven“, meinte Bobby und blies den Rauch seiner Zigarre in Richtung offenes Fenster. „Nur der in allen Details geplante, oft geprobte und blitzschnell ausgeführte Coup ist der Schlüssel zum Erfolg.“
„Keine Sau hat die geflüchteten Obergangster bis heute entdeckt. Niemand weiß, wo sie stecken“, sagte Mendi.
„Vielleicht hatten sie ihre Flucht aus London bereits im Vorfeld geplant und saßen im Flieger, bevor die Kripo Wind von der Aktion bekam“, meinte Ben. „Vielleicht leben sie sorglos und glücklich irgendwo mit ihren Frauen und Kindern in Südafrika? Vielleicht leben sie in Amerika oder in Kanada. Vielleicht ist Biggs unser Nachbar.“
„Lass gut sein Ben“, flüsterte Ritchie. „Auf jeden Fall sind sie nicht dumm und hüten sich davor, in Saus und Braus zu leben, wie einst König Krösus in Lydien.“
„Bescheidenheit ist nicht jedermanns Sache“, sagte Robin. „Wenn die Taschen voller Geld sind und lang gehegte Träume nicht in Erfüllung gehen dürfen, ist das nicht lustig. Wenn du plötzlich reich wie Krösus bist und keiner an der Rechtmäßigkeit deines Vermögens zweifeln darf, kann dir viel Geld die Lust auf Luxus vermiesen.“
„Lust auf Luxus ist ein unabdingbares Motiv für jeden Raub“, sagte Mendi. „Ich mache nicht mit, wenn nicht jeder von euch dieses Motiv vor Augen hat und sich vornimmt, entsprechend skrupellos zu sein. Wir müssen es wollen, sonst klappt es nicht.“
„Es wird schon klappen“, sagte Bobby. „Ich habe auch schon eine Idee. Nur weiß ich noch nicht wann wir das Ding durchziehen. Meine Fühler habe ich bereits ausgestreckt und mich schlau gemacht. In wenigen Tagen bekomme weitere Planunterlagen von dem Objekt meiner Begierde. Dass es sich lohnt, weiß ich allerdings heute schon. Trotzdem dürfen wir nicht unvorbereitet an die Sache rangehen. Wenn wir so schlau wie die Posträuber von Glasgow aggieren, kann nichts in die Hose gehen.“
„Willst du damit sagen, dass du dir bereits konkrete Gedanken über einen Raubüberfall gemacht hast?“ Ben lehnte sich zurück, um hinter Robins Rücken, Bobby zu fixieren. „Willst du mit uns einen Postzug überfallen, oder einen Geldtransporter entführen?“
„Mehr oder weniger“, antwortete Bobby. „Ich bin mir nur noch nicht ganz sicher, aber ich bin mir sicher wo und wie wir die erbeuteten Randscheine investieren.“
„Du mit deinen Ferienorten gehst mir langsam auf den Sack. Vor den Toren Kapstadts gibt es Grundstücke mit Seeblick in Hülle und Fülle. Da wird keine Sau in die Wildnis ziehen, wo kein Schwein wohnt und keine Sau mit sagen kann, wo der nächste Bäcker seinen Laden hat und ein Schlachter Würstchen und Steaks verkauft. Der nächste Supermarkt ist fünf Meilen entfernt, wenn es in der Bundu überhaupt eine Geschäft oder einen kleinen Schnapsladen gibt. Das alles ist eine Schnapsidee.“
„Der Meinung bin ich auch“, sagte Ritchie. „Außerdem bin ich bin mir sicher, dass du nicht mehr alle Tassen im Schrank hast. Wir sind durch die Bank erfolgreiche Geschäftsleute und haben es nicht nötig Posträuber von Glasgow zu spielen. Schuster bleib bei deinen Leisten.“
„Wie gesagt, ich bin mir noch nicht sicher“, sagte Bobby. „Was haltet ihr davon, wenn wir uns Dienstag die Post in Stellenbosch von außen und innen anschauen?“
„Die Postbank in Stellenbosch?“ Mendi schaute Bobby ungläubig an. „Ich glaub, du tickst nicht mehr richtig. Ein Banküberfall egal auf welche Bank ist zu groß für uns. Wir haben null Erfahrungen, null Ortskenntnisse, Nichts.“
„Deswegen will ich mich am Dienstag mit euch in dem verschlafenen Städtchen umschauen und die Post noch einmal etwas genauer in Augenschein nehmen. Wir gehen anschließend ins Lanzerat und lassen es uns bei einem saftigen Steak und einem edlen Tropfen schmecken.“
Mit diesen Worten stand Bobby auf und kam mit einer Aktentasche an den Tisch zurück. Aus ihr zog der zwei Pläne heraus und legte sie auf den Tisch.
„Das sind zwei alte Grundrisse, die ich im Bauamt von Stellenbosch entdeckt hatte“, sagte er und erzählte, wie er zufällig die alten Zeichnungen gefunden hatte. Er gab zu bedenken, dass diese alten Pläne möglicherweise nicht dem letzten Stand entsprächen und deswegen die tatsächliche Situation vor Ort überprüft werden müsste. Von einem alten Postler hätte er Informationen über den Tagesablauf erhalten, sei sich aber auch dieses Mal nicht sicher, ob der Ablauf heute noch eingehalten wird. Auch das müsste am Dienstag überprüft werden. Danach sollten sie in aller Ruhe im Lanzerat entschieden, ob und wann der Coup über die Bühne gehen soll.“
Seine Kumpels erklärten sich trotz einiger Vorbehalte damit einverstanden, das morgendlich Treiben in der Stadt unter die Lupe zu nehmen. Am Nikolaustag fuhren sie im Konvoi nach Stellenbosch, stiegen auf dem der Post gegenüberliegenden Parkplatz aus ihren Autos und schauten sich in der Nachbarschft der Post um. Pit hatte eine Kleinbildkamera und einen Straßenplan dabei. Er schoss einige Aufnahmen von der Post, der City Hall und den Häusern an der Bird- und Plein Street und Bobby nummerierte die Standorte auf dem Straßenplan. Im Lanzerat besprachen sie während des Essens in groben Zügen ihre Vorgehensweise und kehrten noch einmal zum Objekt ihrer Begiede zurück. Viele Geschäfte waren während der Mittagspause geschlossen, einige Autos fuhren vorbei und nur wenige Passanten waren unterwegs und nahmen von ihnen keine Notiz.
Sie vereinbarten, am Dienstag nach Sylvester noch einmal zur gleichen Zeit hierher zu kommen, um das Treiben in und um die Post unter die Lupe zu nehmen. An den weiteren drei Dienstagen verschafften sie sich Klarheit und verinnerlichten die Situation vor Ort.
„Wir müssen entscheiden, wer wann und wo agiert“, sagte Bobby. „Ich habe mich während der letzten Besuche schlau gemacht und gedanklich durchexerziert, wie wir nach Beginn unseres Coups in weniger als fünf Minuten mit einer Beute von über einer Million Rand aus dieser Gasse neben der Post entkommen. Alles Weitere besprechen wir am Dienstag noch einmal vor Ort.“
„Warum ausgerechnet am Dienstag?“, fragte Ben.
„Weil am Montag, den 9. Januar nagelneue, sozusagen druckfrische Randscheine aus Pretoria mit dem Zug angeliefert und gebündelt im Tresor gelagert werden.“
„Dann könnten wir doch gleich den Zug überfallen.“
„Ich glaube, dass das keine gute Idee ist.“
Parabellum, Si vis parem para bellum’. dachte Peter, als er am zweiten Dienstag im Januar 1967 zu früher Stunde seinen Audi in Richtung City steuerte. Mit ‘Quo vadis’ und ‘in dubio pro reo’ mit denen er gerne und oft den humanistisch gebildeten Gymnasiasten herauskehrte, beschränkte sich an diesem warmen Morgen sein Kleines Latinum. Nur selten gab er es hinterm Tresen zum Besten und hatte sich angewöhnt, flüsternd die Übersetzung zu vermitteln, wenn er erkannte, dass sein Gegenüber ihn nicht verstand.
“Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor”.
Peter wollte keinen Krieg provozieren, sondern weiter wie bisher mit Birgit in Frieden leben. Aber Bobby hatte es verstanden, auch ihn und den alten Ben dazu zu überreden, ihrem Glück ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Seine schallgedämpfte Parabellum vom Typ P5 sollte ihm im Notfall dazu verhelfen, ein beachtliches finanzielles Fundament für die Altersversorgung zu legen.
“Deinen Winzling von Neun-Millimeter-Parabellum lässt du besser in der Schublade”, hatte Ritchie gestern hönisch mit seinem mitleidigen Grinsen gemurmelt. “Ich habe eine zweite Kalaschnikow im Schrank. Die Dinger machen den Postlern in den frühen Morgenstunden mehr Angst als dein kleiner Ballermann.“
“Aber ungeladen. Ich will auf keinen Fall zum Mörder werden.Wir drücken nicht ab. Wir jagen den Postlern nur Angst und Schrecken ein. Ich hoffe, das ist mit dir okay.“
Der von einkalkulierte Neumond bescherte ihnen vor der Dämmerung die erwünschte Finsterniss, als sie sich auf dem Werksgelände des Mercedes-Benz-Services im Vorort Mowbray begrüßten. Das Timing war perfekt. Nach einem knappen Hallo durchschritten sie die Werkstatt und stiegen mit mulmigen Erwartungen über die Treppe ins Büro von Ritchie Rickloff im rückwärtigen Obergeschoss der Halle. Von hier oben hatten sie einen freien Blick auf Hebebühnen, Werkbänke, Maschinen, Schränke und Utensilien. Die Stille zu dieser Unzeit wurde nur durch die scheppernden Schritte der sechs Gentlemen für Sekunden gestört. Kein Mechaniker stand zu dieser gottlosen Zeit an seinem Arbeitsplatz und machte sich Gedanken, warum der Chef und fünf Herren, mit vollen Taschen im Büro verschwanden und hinter den Fenstern aktiv wurden. Ohne Hektik öffneten sie ihre Taschen, schlüpften in Blaumänner, schmutzige Jeans und dreckige Schuhe, abgewetzte Tweetjacken und Perücken. Ihre hellen Physiognomien tönten sie mit braunem Make-up, klebten Schnauzer unter ihre Nasen und lange Koteletten vor ihre Ohren, zwei zierten ihre Gesichter mit Vollbärten.
Amüsiert musterten sie durch Hornbrillen ihre Outfits im Spiegel, klopften sich auf die Schulter und zeigten trotz der beängstigenden Maskerade und einem erhöhten Puls ein gedämpft unsicheres, wenn nicht sogar ein schüchternes Grienen. Jeder wusste, was heute auf dem Spiel stand. Trotz präziser Planung und wiederholt gelungener Proben konnte der Coup in Stellenbosch zum Desaster werde. Eiserne Nerven und Skrupellosigkeit waren angesagt. Niemand durfte einen Fehler machen.
Ritchie Rickloff und Bobby waren die einzigen, die gute Laune zu haben schienen. Sie offerierten Kaffee und Sandwiches auf einem Tablett, während Mendel die Uhren kontrollierte, um sicher zu gehen, dass Minuten- und Sekundenzeiger auf die gleichen Ziffern zeigten. Gestärkt stiegen sie wieder mit vollen Taschen die Treppe hinab und setzten sich in ihre Autos. Im Konvoi unterfuhren sie auf dem Settlers Way den Black River Parkway und erreichten den Parkplatz des östlich gelegenen D.F.Malan Airports kurz vor sechs. Den Datson Pickup 620 beluden sie mit Leiter, Farbtöpfen, Gipssäcken, Eimern, Schabern und Pinseln.
„Good luck to you“, flüsterte Bobby, bevor Pit und Ritchie in den Pickup stiegen und Bobby sich ans Steuer des umlackierten VW 412 Variant 1600 setzte. Mendi saß bereits auf dem Fahrersitz des gestohlenen Fort Escort, in dem Ben und Robin auf der Rückbank warteten. Auf dem Voortrekker Highway sollten die drei Limousinen in etwas mehr als dreißig Minuten Stellenbosch erreichen. Die Freunde wollten sich auf der Adam Tass Street trennen, einzeln vom Parkplatz zum Tator gehen und ihre Positionen einnehmen.
Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ben war nicht wohl in seiner Haut. Das Schweigen seiner beiden Kumpels ging ihm auf den Keks und zwang ihn, sich zu Robin umzudrehen und irgendetwas zu sagen. Ihm fiel nichts Besseres ein, als daran zu erinnern, was in dieser Gegend in grauer Vorzeit passiert war.
“Wenn ich mir so überlege, dass Governor Simon van der Stel vor knapp 290 Jahren das sich 50 Kilometer östlich von Kapstadt auftürmende Bergmassiv mit seinen Männern das erste Mal besuchte, mussten sie zwei Tage durch absolute Wildnis reiten und immer gewärtig sein, dass ihnen ein Rudel Löwen, eine Herde von Elefanten oder sonst irgendein Großwild in die Quere oder vor die Flinte kamen. Ich kann mir vorstellen, dass er nicht nur von den steilen Felswänden beeindruckt war, sondern auch von den sanften Hügeln mit dieser atemberaubenden Flora und Fauna.”
“An seiner Stelle hätte ich auch mein Camp auf dem Gelände der heutigen Universitätsstadt aufgeschlagen und Großwild abgeknallt”, schloss sich Mendi den Gedanken an. “Hier war nichts weiter als ungerührte Natur und wilde Tiere und jetzt behaupten die Nigger, der weiße Mann hätte sie von Haus und Hof und ihrem Ackerland gejagd.”
“Naja, ein bisschen was ist dran, wenn man bedenkt, dass die Eingeborenen, die Buschmänner und sesshaften Hottentotten durch eingeschleppte Seuchen so gut wie ausgerottet wurden”, meinte Robin. “Trotzdem kann sich niemand die damalige absolute Einsamkeit vorstellen. Den aus Frankreich vertriebenen und am Kap Zuflucht suchenden Hugenotten müssen die Herzen höher geschlagen haben, als sie entdeckten, dass sich die Hügel für den Anbau französicher Rebstöcke eigneten.”
“Mit ihnen zogen die Enkel der ersten Siedler, in diese Wildnis und gründten zwischen den Hügeln ihre Farmen, Franschhoek, Paarl und Stellenbosch”, sagte Mendi. “Kein Nigger weit und breit. Sklaven mussten die jungen Siedler und Hugenotten aus Batavia importieren. Jetzt kommen die Nigger daher und sagen, das war immer unser Land. Der weiße Mann hat unsere Kultur zerstört. Dabei haben diese Kanacken nie eine eigene Kultur entwickkelt.”
“Bis heute nicht”, sagte Ben. “Mit den europäischen Farmern gingen Baumeister, Zimmerleute, Maurer, Tischler, Drexler, Dachdecker und wer weiß was für Handwerker von jedem Schiff an Land, um hier in dieser Wildnis ihr Glück zu versuchen. Ihnen ist zu verdanken, dass in Stellenbosch und Umgebung die schönsten Häuser im Cape-Dutch-Stil errichtet wurden.”
“Der ehemalige Frontposten war damals die Urzelle der europäischen Besiedlung und ist mit den von alten Eichen gesäumten breiten Straßen die stilvollste, besterhaltene Stadtgründung Südafrikas”, sagte Mendi. “Und jetzt kommen die Nigger daher und sagen, dass die europäische Architektur nichts mit ihren strohgedecken afrikanischen Rondavels gemein hat und nicht in diese Landschaft passt. Einige schwarze Großmäuler wollen sogar die alten Eichen fällen, weil ihre Samen aus Europa importiert wurden und nicht zur afrikanischen Landschaft gehören. Diese Idioten wollen stattdessen Palmen pflanzen. Das muss man sich mal vorstellen. Die Nigger sind doch alle so was von bekloppt, dass mir graust, wenn ich daran denke, dass die Kaffern mal das Sagen haben.
“Seit 1688, also vor 280 Jahren, als katholisch verborte Vandalen die Hugenotten aus Frankreich vertrieben, kreierten die Refugees mitten in dieser unglaublich schönen Landschaft das größte Weinbaugebiet Afrikas”, sagte Mendi. “Jetzt schreien die Schwarzen. ‘Afrika den Afrikaner’, als wenn wir Weißen keine Afrikaner wären.”
“Das Schlimme daran ist, dass bornierte westliche Politiker in Europa und Amerika die gleiche Meinung vertreten”, sagte Ben und schaute wieder zum Fenter hinaus. “Sie fordern, dass Pretoria den Niggern gleiche Bürgerrechte zugesteht. Das ist doch hanebüchen. Die Amis sollten erst Mal für Bürgerrechte im eigenen Land sorgen, bevor sie Pretoria bevormunden. Die Amis wissen nicht, dass in Südafrika 28 Stämme in 28 Stammesgebieten leben und bei uns 28 Sprachen gesprochen werden.”
“Noch sind wir die Herren im Lande. Daran wird sich auch nichts ändern, solange Mandela und seine korrupten Mordgesellen auf Robbeneiland Steine klopfen.”
“Wenn wir nur hundert Jahre zurück denken, als der Wilde Westen in Amerika und der wilde Süden in Afrika vom weißen Mann erobert und besiedelt wurde, dann war Stellenbosch für die Abenteurer das, was Sankt Louis für die Glücksritter Nordamerikas war. Es war das Ende der damaligen Zivilisation, Dahinter lag absolute Wildnis.”
“Erzähl das mal einem Nigger. Der sagt, du lügst.”
“Aber das sind Fakten und keine Fiktionen des weißen Mannes. Niemand kann die Geschichte neu erfinden und Tatsachen weglassen, oder nach seinem Gusto verändern. Stellebosch war damals die letzte weiße Bastion am Kap. Es war das Tor zu einer von wilden Tieren belebten weiten Savanne, in der vereinzelt Buschmänner auf die Jagd gingen. Mutige oder frustrierte Abenteurer, Jäger und Farmer verabschiedeten sich hier von der Zivilisation.”
“Aber auch nur, weil sie von der Gängelei arroganter Briten die Schnauze voll hatten.”
“Das war aber bereits zweihundert Jahre nach der Landung der ersten Siedler unter der Führung von Jan van Riebeeck am 5. April 1652.”
“Vor knapp hundert Jahren zogen die Voortrekker mit Ochsengespannen, Rindern und ihrem Hab und Gut von Stellenbosch nach Osten und betraten unbekanntes und unbewohntes Land. Vom äußersten Nordosten kamen ihnen viele Jahre später die blutrünstigen Zulus entgegen.”
“Naja”, sagte der alte Ben. “Lassen wir die Geschichte ruhen. Heute haben wir etwas vor, was hoffentlich nicht in die Geschichte eingeht.”
“Oder doch, wenn unserer Coup ohne Blutvergießen über die Bühne geht und niemand zu Schaden kommt.”
Nach dieser kurzen Plauderei äußerten sich die Kumpels nicht weiter zu den Unbillen längs vergangener Zeiten. Am Horizont tauchten die Straßenlaternen von Stellenbosch auf. Sie schwiegen und hofften unversehrt mit reicher Beute nach Kapstadt zurückzukehren.
Wegen seiner Besonnenheit und körperlichen Größe sollte Pit neben Ritchie den riskanten Part des Coups übernehmen. Vier Mal hatten sie die alte Post an der Ecke Plein- und Bird Street von allen Seiten allein und zu zweit inspiziert, hatten diskutiert, geprobt und das Szenario verinnerlicht. Eigentlich durfte heute nichts schiefgehen.
Ritchies Skrupellosigkeit und sein Mut zum Risiko machten Pit bereits vor der Fahrt nervös. Geldgier und Ehrgeiz waren neben einer geschäftstüchtigen, leider vor zwei Jahren verstorbenen Witwe ursächlich für den Erfolg seines Autosalons in der Burg Street und für den Zuspruch seiner Werkstatt in der Main Road in Mowbray. Pit hatte allen Grund zu der Befürchtung, dass Ritchies Eifer unter dem Einfluss von Drogen in nervöse Überreaktion münden könnte. Wenn nicht alles nach Plan lief und der Coup zu misslingen drohte, könnte Ritchie die Nerven verlieren, zumal er beiläufig geäußert hatte, dass seine Kalaschnikow geladen sei. Pit flüsterte nur: “Scheiße! Um Himmels Willen, Ritchie drück nicht ab! Du bringst uns alle an den Galgen.”
“Keine Angst, Pit. Ich drück nur im Notfall ab.”
“Schieß gegen die Decke, aber nicht auf die Postler.”
“Keine Angst, Pit. Ich will nicht am Galgen hängen.”
“Warum hast du sie denn überhaupt geladen?”
“Weißt du, was uns erwartet?”
“Wir haben vereinbart, dass nicht geballert wird.”
“Das hab ich auch nicht vor.”
“Egal was passiert, es darf kein Schuss fallen.”
“Ich werde mich hüten, abzudrücken.”
“Das darfst du auf keinen Fall. Denk dran, dass wir uns bei Mord alle auf die Falltür stellen müssen und unser letztes Gebet flüstern.. Dazu habe ich absolut keine Lust.”
Das darauf folgende lange Schweigen im Pickup wurde kurz vor Stellenbosch von Ritchie am Steuer beendet. Er räusperte sich und wütete gegen den Vietnamkieg, gegen Präsident Johnson und gegen den Abwurf von Napalm-Bomben, durch die riesige Wälder entlaubt wurden.
„Was hältst du davon”, fragte er, ohne den Kopf zu wenden, “dass der Widerstand gegen den Vietnamkrieg in Amerika seit Tagen eskaliert und Truppentransporte von aufgebrachten Bürgern blockiert werden?”
„Fuck Amerika“, sagte Pit „Wir haben unsere eigenen Probleme mit Baltasar Vorster in Pretoria. Sollte er weiter seinen perfiden Kurs gegen die Bantus fahren, haben wir bald Negeraufstände in ganz Südafrika. Die Mau-Mau-Aufstände Anfang der 50ger Jahre in Kenia habe ich noch nicht vergessen. Sie werden sich bei uns mit aller Stärke und früher wiederholen, als wir befürchten müssen.”
„Du hast recht”, sagte Ritchie. “Es bedarf nur eines Funkens und Südafrika steht in Flammen. Dann geht es uns wie den Chinesen während ihrer Kulturrevolution. Wie dieser mordlustige Mao schickt auch Mandela den schwarzen Pöbel plündernd und mordend auf die Straßen, damit er an die Macht kommt. Das Chaos könnte Nigger ermutigen, nicht nur in ihren Stammesgebieten den Aufstand zu proben, sondern brandschatzend durch Johannesburg, Durban, Port Elizabeth, East London und Cape Town zu ziehen, zu plündern und zu morden.”
„Das haben zwanzigtausend Nigger unter Robert Mangaliso Sobukwe bereits vor sieben Jahren in Sharpeville bei Johannesburg versucht. Im März 1960 tanzten sie besoffen mit Stöcken und Drohgebärden durch die Hauptstraße von Sharpeville. Mit Geschrei und Pappschildern forderten sie Bürgerrechte, die ihnen immer noch verwehrt werden. Freie Wahlen im ganzen Land hatten sie gefordert. Die weißen Bullen knallten siebzig Nigger von hinter ab und ließen zweihundert Verletzte im Staub liegen. Damals ging ein Aufschrei um die Welt.”
“Erschreckend für die aufschreiende Welt war nicht nur dieses Massaker”, meinte Pit, “sondern die Ehrungen der Bullen für ihr mutiges Einschreiten gegen die wehrlosen Kinder und Frauen mit Babys auf den Armen.”
„Dass drei Wochen später der arrogante Premier Verwoerd angeschossen, aber leider nicht getötet wurde, war eine erste Warnung. Tatsächlich regierte er sechs weitere Jahre, bis er endlich im September im Parliament von einem Griechen wie eine Sau abgestochen wurde.”
„Der seit langem überfällige Mord wurde allgemein begrüßt. Dem arroganten Diktator haben die Bantus ihre Homelands und die Verbannungen aus den Citys von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang zu verdanken.”
“Weil Pretoria allen Nichtweißen die Bürgerrechte verweigert, wurde Südafrika aus dem Commonwealth gefeuert. Wir sind ohne Bündnispartner. Wenn die Russen Südafrika überrollen, muss Pretoria kapitulieren.”
“Mit Indira Gandhi haben Millionen Inder eine Frau an die Spitze ihrer Demokratie gewählt und keinen arroganten Diktator, wie desen verhassten Verwoerd. Sie fahren gut mit ihr in eine sichere Zukunft.”
“Die ignoranten Buren werden sich nie von einer Frau bevormunden lassen, die noch dazu in Oxford studiert und promoviert hat. Sie halten es mit Typen wie mit dem alten Ohm Krüger, der bis zu seinem Tod davon überzeugt war, dass die Erde eine flache Scheibe ist. Dümmer geht es wirklich nicht. Aber so sind die Buren, dumm und arrogant und überzeugt, ein von Gott auserwähltes Volk zu sein, weil sie vor 130 Jahren die Zulus besiegt haben.”
„In Pretoria haben unsere Politiker die alten perfiden Apartheidgesetze von den Briten kopiert, verbannen die Bantus in ihre am Rande der Republik von Buren gegründeten Bantustans und gestatten ihnen den Aufenthalt im Kernland nur unter strikten Auflagen und nur befristet, damit sie nicht unter den Einfluss weißer Kulturen geraten. Jeder der 28 Stämme soll seine eigene Regierung in den Homelands wählen und sich unter Pretorias Kontrolle nach seinen Möglichkeiten entwickeln. Millionen geknechteter Nigger dürfen ihre Townships am Rande der Großstädte nur mit Pässen verlassen und nur bei Tage die Cities betreten. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Irgendwann erreicht die Zündschnur das Pulverfass und dann gnade uns Gott.”
Die Zeiger des Zifferblatts über dem neugotischen Fenster des mächtigen mit spitzem Helm bedachten Kirchturms des Stellenboscher Gotteshauses, der Dutch Reformed Moeder Church standen nicht mehr exakt übereinander, als ein Malermeister mit Hut und Brille seinen VW 412 Variant 1600 verließ und auf den Datson Pickup vor der Zufahrt zum Innenhof des Postgebäudes zuging. Er schüttelte dem im bekleckstem Blaumann wartenden Vorarbeiter die Hand.
„Wagwoord: Moskito“, flüsterte der Meister.
Einen mit Brille, vollgekleckster Schiebermütze und Blaumann gekleideten Gesellen grüßte er nur mit Nicken.
„Hallo Boss“, sagte der Geselle und fuhr mit dem Zeigefinger über den Schirm seiner Mütze.
„Ihr wascht heute die Wände fertig ab“, befahl der Meister so laut und vernehmlich, dass der Pförtner in der Loge es hören musste. „Dann macht ihr euch sofort ans Verspachteln, Schleifen und den Voranstrich! Mittags komme ich wieder, um zu kontrollieren, wie weit ihr seid. Macht eure Arbeit ordentlich! Verstanden?”
“Okay Boss”, nuschelte der Vorarbeiter durch seinen Vollbart, beugte sich über die Ladefläche, lud einen Farbkübel und einen Gipssack ab und schulterte seine Tasche. Sein Geselle folgte ihm mit einem scheinbar sehr schweren weißen Gipssack durch das Tor zum Hintereingang. Der Pförtner hatte mit einem der Morgenstunde entsprechend lustlosen “Gode More” das Gittertor zum Innenhof geöffnet.
“Hallo Boys”, sagte er. “was malt ihr denn heute?”
“Die Flure im Obergeschoss”, antwortete der Geselle.
“Nur ihr beide ganz alleine ohne Nigger?”
“Wir arbeiten nicht mit faulen Kanacken.”
Die Beschreibungen des inneren Postbereichs, der Zufahrt und des Innenhofs stimmten mit den örtlichen Gegebenheiten überein. In der vergangenen Woche hatten sie sich anhand der Grundrisspläne mit dem Gebäude und der Situation vertraut gemacht und mit den Grundrissen zum wiederholten Mal verglichen. Nach der Pförtnerloge kamen sie in den kleinen von dreigeschossigen Gebäuden umstanden Hof. Im hinteren Bereich erkannten sie die in der Beschreibung erwähnte Holztür mit der Klappe.
Pit zog die Mütze, drückte auf die Klingel und trat einen Schritt zurück. Die Klappe wurde geöffnet und das verschlafene Auge eines Wachmanns glotzte ihn an.
“Wagwood?”, krächzte er.
“Moskito.”
“Rangskikking.”
Schlüssel rasselten, Riegel quieschten, die Tür bewegte sich. Beide Maler traten ein, fuhren mit dem Zeigefinger über ihre Mützenschirme und luden Säcke, Eimer und Tasche im Aufzug ab. Ritchie schob das Gitter zusammen und wollte auf den Knopf drücken als eine junge Frau mit blonden Haaren angerannt kam.”Hallo! Bitte warten Sie!”
Ritchie starrte Pit an. Der nickte und Ritchie drückte mit beiden Händen das Gitter wieder auseinander.
“Baie dankie myne meester”, keuchte Blondi und stellte sich mit roter Bluse und blauem Rock an die Wand. Ritchie drückte auf den Knopf, bückte sich, durchschnitt den Sackverschluss und kramte mit beiden Händen und verkniffenem Gesicht zwei schwarze Plastiktüten aus dem Gipssack heraus.
Blondi hustete und wollte wegen der weißen Wolke laut protestieren, schwieg aber, als beide Handwerker plötzlich eine Kalaschnikow im Anschlag hielten.
“Halts Maul. Dann tun wir dir nichts”, zischte Pit und drückte den Lauf gegen ihren Bauchnabel.
Der Aufzug hielt. Blondi setzte zum Schreien an, aber verstummte, als der Gewehrlauf schmerzte. “Mir wird schlecht”, stöhnte sie mit aufgerissenen Augen, holte mit offenen roten Lippen in einem weißen Gesicht tief Luft und macht Anstalten, laut zu schreien.
“Ein Mux und ich knall dich ab”, zischte Pit.
Ritchie schob das Gitter auseinander, spähte hinaus und gab das Zeichen, ihm zu folgen. Pit drückte der ängstlich zitternden Blondi, den Lauf gegen ihr Kreuz.
Die zweiflügelige graue Stahltür zum Tresorraum lag gegenüber, wenige Schritte nach rechts. Pit hörte Stimmen und blickte auf die Uhr. Es war 7,22 Uhr. In acht Minuten würde Bobby mit dem VW in der engen Gasse zwischen Bird- und Andringa Street abfahrtbereit sein. Mit einer Kopfbewegung wies er zur Stahltür, klopfte dreimal lang und dreimal kurz und lausche neben der gepuderten Blondi. Die Stimmen verstummten. Augenblicke, die wie Ewigkeiten schienen, ließen sie ihren Atem einhalten.
„Wagwoor?”
„Moskito.”
„In Rangskikking.”
Schlüssel rasselten. Eisenstangen quietschten.
Um einen Spalt wurde ein Flügel der schweren Stahltür vorsichtig öffnete. Der Postler starrte entsetzt auf die Clowns als nach kräftigem Aufstoßen des Flügels Blondi gepudert in den Vorraum stolperte, der Länge nach zu Boden fiel und hektisch versuchte, ihre entblößten Beine zu bedecken. Zwei Männer mit weißen Clownsgesichtern stürmten rein, schlossen und verriegelten die Tür, hielten Kalaschnikows im Anschlag und zielten auf ihn und die drei Postler vor dem offenen hinteren Tresorraum.
„Schnauze halten oder es knallt!”
Mehr als die Schnellfeuerwaffen erschreckten die Postler der wilde Glanz, in den Augen der Gangster.
„Wer eine falsche Bewegung macht, wird abgeknallt.”
Die drei Postler, verharrten in ihren grauen Schürzen und rührten sich nicht. Hinter ihnen lagen auf sechs Regalen viele sauber gestapelte Bündel neuer Randnoten.
“Hände gefaltet hinter den Kopf, Stirn gegen die Wand”, befahl Pit. “Blondi, beweg deinen Arsch und pack die Bündel in den Sack und zwar rucki zucki.”
Außer sich vor Angst gehorchte sie mit hastigen ungeschickten Bewegungen. Trotz ihrer Hektik ging es Pit nicht schnell genug. Die Zeit drängte. In sechs Minuten würden weitere Postler an die Stahltür klopfen, um Bündel in Empfang zu nehmen, die für die Postämter in Paarl, Wellington, und Strand bestimmt waren.
„Sag dem Dicken, er soll dir helfen“, fauchte Pit.
„Jakob, staan my by, help met vinnig!“ keuchte Blondi und warf einen kurzen Blick auf die Clowns mit ihren Maschinenpistolen. Als Kind hatte sie immer Angst vor Clowns gehabt. Obwohl sie albernd mit Leichtigkeit lautes Lachen entfachen konnten, Fröhlichkeit auf Gesichter zauberten und zu immer neuen Späßen aufgelegt waren, fürchtete sie sich vor ihnen. Nur dem dummen August, der alle für kurze Zeit Leid und Kummer vergessen ließ, traute sie als Kind über den Weg. Diese Clowns waren keine dummen Auguste und schon gar nicht lustig.
„Hast du gehört, Fettsack! Du sollst deinen Arsch bewegen und dir ein paar Pfunde abarbeiten!”
Der dicke Jakob zuckte zusammen, hastete zu den Regalen und warf Bündel für Bündel in den zweiten Sack. Nur das Plumpsen und Keuchen von Jakob und Blondi unterbrachen die Stille im Raum. Beide hatten zu einer Art mechanischer Rivalität angesetzt und arbeiteten mit methodischem Akkordarbeiterfleiß. Pit sah auf die Uhr.
Nur noch drei Minuten.
„Genug! Los, los an die Wand!“
Bisher klappte alles wie am Schnürchen.
Pit, ging auf die Säcke zu und verschnürte sie mit dem durchgezogenen Strick. Blondi heulte vor Angst und Jakob pisste sich in die Hose als er mit dem Gesicht zur Wand neben seinen Kumpels stand. Pit schulterte den ersten Sack, öffnete das einzige Fenster, vor dem keine Gitterstäbe befestigt waren und beugte sich hinunter. Bobby schaute neben dem VW zum Fenster hinauf und gab das Signal. Mühelos warf Pit den Sack in die Gasse, kehrte um, packte den zweiten Sack auf die Schulter, und ließ ihn hinunter fallen. Mit ihren Waffen im Anschlag wichen sie rücklings zur Tür, Ritchie verschob die Riegel, öffnete die Stahltür und spähte auf den leeren Flur.
Pit folgte, Gesicht und Kalaschnikow auf die Postler richtend, verschloss er die Tür, drehte den Schlüssel zweimal um und steckte ihn in die Tasche. Anhand des Grundrisses, wussten sie, dass sie nur zehn Schritte nach links entlanglaufen mussten, durch die rechts liegende Tür zur Treppe verschwinden und im Erdgeschoss den Post-Sortierraum durchqueren mussten. Der linke Notausgang führte auf die Gasse, in der Bobby mit laufendendem Motor auf sie wartete.
Sie flüchteten den Flur entlang, polterten die Treppe hinunter, stießen die Glastür auf und stürzten in den Sortierraum. Die Postler, die vor ihren Kästen Biefe einordneten, blickten verblüfft auf die Clowns. Einer kappierte sofort, dass es sich um einen Überfall handelte und stellte sich den Clowns in den Weg. Ritchie drückte durch und rannte geduckt zum Notausgang. Der mutige Mann taumelte, schlug mit seinen Armen ziellos nach allen Seiten und torkelte zwischen den Tischen zu Boden.
Ritchie: “Verfluchte Scheiße!”
Pit: “Bis auf die Salve hatte alles geklappt.”
Ritchie: “Verdammter Mist!”
Pit: “Dieses Arschloch hat alles versaut!”
Ritchie: “Nichts wie raus, Gefahr ist im Verzug!”
Pit: ”Nichts wie weg, rein in den VW!”
Bobby fuhr mit erhöhtem Puls und jauchzendem Herzen ganz langsam aus der Gasse auf die Bird Street, lenkte den VW an der Kreuzung auf die Dorp Street, beschleunigte und bog nach 900 Metern links ab in die Adam Tas Street. Nach einem Blick in den Rückspiegel und in die aufgerissenen Augen der beiden Clowns konnte er sich ein Grienen nicht verkneifen und gab Gas. Niemand folgte ihnen. Er jubelte: “ Hurra, es hat geklapp!”
Pit: “Er hat Scheiße gebaut!”
Bobby: “Ich hab die Salve gehört. Wurde wer verletzt?”
Pit: “Sah so aus. Ritchie hatte die Nerven verloren.”
Bobby: “Vollidiot! Ich habe gesagt: Keine Ballerei!”
Ritchie: “Es war Notwehr. Es war die Automatik.”
Bobby: “Hast du Arschloch durchgezogen!”
Ritchie: “Nur eine kurze Salve.”
Pit: “Jetzt sitzen wir alle bis zum Hals in der Scheiße!”
Ritchie: “Es tut mir leid. Ich wollte es nicht!”
Bobby: “Ich wollte es nicht! Ich wollte es nicht! Hör auf mit dem Gezeter! Du bringst uns alle an den Galgen!”
Ritchie: “Ich habe niemanden erschossen!”
Bobby: “Bist du sicher?”
Ritchie: “Absolut.”
Bobby: “Ich wusste, dass es klappen würde.”
Pit: “Nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten.”
Mit Vollgas verließen sie die Stadt. Hinter den Clowns konnte Bobby kein sie verfolgendes Auto erkennen. Im Vorbeifahren hatten sie Mendi und Ben mit aufgerichteten Daumen an beiden Kreuzungen Erfolg signalisiert. Robin stand gegenüber der Gasse auf einer Haustreppe und war erleichtert, dass er nicht in Aktion treten musste. Mit Ben und Mendi schlenderte er unauffällig zum Ford auf dem Parkplatz und folgte dem Pickup zum Sir Lowry’s Pass.
Schweigend und frustriert fuhr Bobby seine ebenso wütenden Kumpels auf der Landstraße zwei Kilometer in Richtung Süden, dann bog er rechts ab, fuhr auf dem Schotterweg an Helderborg und Firgrove vorbei und über Strand nach Gordon’s Bay. Hier steuerte er den Wagen nach links, fuhr im zweiten Gang die steilen Serpentinen zum Sir Lowry‘s Pass hinauf und parkte den Wagen neben einem Müllcontainer, einem roten Ford Granada und einem schwarzen Crysler am Rand des Parkplatzes. Beide umlackierte Wagen hatten sie gestern Nacht mit falschen Nummerschildern hinter dem Container geparkt.
In diesen frühen Morgenstunden mussten die Kumpels nicht befürchten, dass aus Reisebussen Touristen quollen, die das Panorama über die Valsbaai, mit endlos weißen Ständen von dieser Aussichtsplattform ablichten wollten. Weit entfernt linker Hand neben dem Tafelberg und den zwölf Aposteln war das Kap der Guten Hoffnung im Dunst zu erkennen. Es sollte ein sonniger Tag werden.
Die ernst dreinschauenden Kumpel pinkelten gegen den Container und sprachen kein Wort. Auch als sie die Banknoten mit eiligen Griffen aus den beiden Säcken in sechs Alukoffer verstauten, traute sich niemand, ein Wort zu sagen, oder die Hauptakteure zu fragen, wie es ihnen ergangen war. Schweigend steckten sie die Kalaschnikows in zwei Segeltuchtaschen, säuberten Gesicht und Hände und ließen Blaumänner Mützen und Bärte in den Taschen verschwinden. Die Spannung legte sich auch nicht, als Ritchie schweigend und mit ernstem Gesicht Sandwishes reichte und heißen Kaffee in Pappbecher goss. Mendi, Ben und Robin saßen wie auf Kohlen und wollten wissen, wie der Coup über die Bühne gegangen war. An der Wortkargheit ihrer Freunde spürten sie, dass einer versagt hatte. Ritchie blickte zu Boden und flüsterte, dass ihm nichts anderes übrig geblieben war, als sich den Weg freizuschießen und er einen Postler wahrscheinlich verletzt hatte, der sich ihm in den Weg stellte. Es sei alles so schnell gegangen, dass er keine Zeit zum Überlegen gehabt hätte und kurz durchdrückte, um türmen zu können.
“Wir sind noch einmal mit einem blauem Auge davon gekommen”, sagte er ohne den Blick von seinen Füßen zu lassen. Er war wütend auf sich selbst und machte sich bittere Vorwürfe. “Ich habe einen Postler verletzt, aber nicht getötet. Das müsst ihr mir glauben.”
“Morgen können wir im Argus lesen, was sich heute in der Postbank ereignet hat”, flüsterte Pit, dem die erlebten Sekunden im Sortierraum mit den entsetzten Gesichtern der Postler immer noch im Gesicht geschrieben standen.
“Ich verstehe es nicht!” rief Bobby aufgeregt. “Ich verstehe es wirklich nicht! Wir hatten vereinbart, nicht zu ballern. Warum hattest du deine Kalaschnikow geladen, wenn du nicht schießen wolltest? Wenn der Postler stirbt, sind wir alle dran! Dann nützen und die Randscheine auch nichts! Alle unsere Träume sind geplatzt! Ab Morgen ist uns die Kordkommission Tag und Nacht auf den Fersen!”
Vom entladenen Fluchtauto, dem VW-Variant, wurden die Nummernschilder abmontiert und der Innenraum flüchtig gesäubert. Neben dem Container wurde er stehen gelassen. Vor dem Coup hatte Ritchie ihn und den Pickup in seiner Werkstatt umlackieren lassen. Sie stiegen in den roten Ford Granada und in den schwarzen Crysler Valiant und fuhren auf der Passstraße runter nach Somerset West.
Der britischen Gouverneur Sir Lowry Cole hatte den Pass vor achtzig Jahren eröffnet. Er folgte der Route, die Wild, Buschmänner und Hottettotten als Trampelpfad hinterlassen hatten. Der Pass liegt 400 Meter über dem Strand von Gorden’s Bay und gewährt atemberaubende Ausblicke auf die Valsbaai. Er ist der höchste Pass auf der von vielen Wagen in beide Richtungen befahrenen Straße, die Cape Town mit dem Osten der Kapprovinz verbindet.
Unten angekommen bogen beide Wagen hinter der Brücke über den Lourens River rechts ab. Auf der Victoria Street überquerten sie die Gleise, bogen links ab und parkten beide Wagen vor der Bahnstation Somerset West.
Mendi wartete schweigend mit Robin und Ben im Crysler Variant bis Bobby, Pit und Ritchie mit ihren Koffern einzeln und unauffällig in einem Neubau verschwunden waren. Im Abstand von zehn Minuten schlenderten auch sie getrennt und unbekümmert erst in den Bahnhof und verschwanden anschließend im Neubau an der St. James Street. Im frischen Grün des Rasens prangte ein weißes Schild mit roten Lettern:
For sale. Bobby Eliot Immobilien, Trust Bank Cape Town.
Bis auf zwei Wohneinheiten hatten sechs Apartments vor Kurzem einen Käufer gefunden. Noch standen alle Ferienwohnungen leer. Eines der bisher unverkauften Flats lag im ersten Obergeschoss. Auf der Küchenanrichte mit Blick auf die Straße errichteten die sechs höchst konzentriert wirkenden Kumpels schweigsam zählend sechs Haufen aus Banknoten im Wert von je dreihunderttausend Rand. Trotz des Malheurs, das Ritchie passiert war, hofften sie, dass der Postler nicht tödlich verletzt worden war. Anbetracht der unglaublich reichen Beute musste ihnen die Glücksfee wohlgesonnen sein. Ab heute würden sie unbeschwert in eine von Wohlstand gesegnete Zukunft blicken können. Trotz allem hatte alles wie am schnürchen geklappt. Bobby hatte recht gehabt. Die beiden skrupellosen Hauptakteure, Pit und Ritchie hatten Mut bewiesen. Ihnen allein war der Erfolg zu verdanken, aber sie saßen alle in einem Boot. Beruhigt konnten sie in der Küche feststellen, dass ihnen niemand auf den Fersen war. Alle - bis auf Ritchie - summten vor sich hin und hatten ein gutes Gefühl als sie die Bündel akurat in ihre Alukoffer verstauten. Der alte Ben und der junge Pit schienen nicht so glücklich zu sein, weil sie noch keine Ideen hatten, was sie mit dem vielen Geld machen sollten. Auch wussten sie nicht, wie sie ihren Reichtum ihren Frauen erklären sollten.
Plötzlich zuckten die Kumpels gleichzeitig zusammen, schauten erst sich entsetzt an und dann zum Fenster hinaus. Martinshörner ertönten immer vernehmlicher und zwei Streifenwagen mit Blaulicht passierten den Bahnhof. Sie stoppten genau vor dem Neubau. Hektisch packten sie die letzten Bündel in die Koffer und klappten die Deckel zu. In der Küche wurde es muxmäuschen still. Keiner regte sich oder wagte es, ein Wort zu sagen.
„Verschwindet in die rechte obere Wohnung”, zischte Bobby vom Küchenfenster. “Mendi bleibt beit mir. Los los. Vier Bullen nähern sich mit gezogenen Mausern im Laufschritt der Haustür. Schließt die Tür ab und rührt euch nicht. Hier ist der Schlüssel. Die Koffer versteckt ihr in der Kammer und verschwindet einzeln und leise, sobald ich die Tür zugeknallt habe.”
Die Hausglocke schrillte. Das Haustelefon leuchtete.
“Hallo?”
“Polizei!“
“Sie wünschen?”
“Öffnen Sie die Tür! Wo befinden Sie sich?”
“Im ersten Obergeschoss rechts.”
“Warten Sie vor Ihrer Wohnungstür. Wir kommen!”
“Okay.”
Bobby erwartete die vier Bullen hinter der geöffneten Wohnungstür, schloss sie und stellte sich ihnen in der Diele als Makler Robert Eliot aus Kapsatdt vor. Er beantwortete wahrheitsgetreu auf Afrikaans die Frage des Colonels, dass er dem anwesenden Gentleman, Mister Vermeulen diese schön gelegene Wohnung zeigen würde. Drei weitere Termine hätte er anschließend mit weiteren Interessenten vereinbart. Seiner Bitte, die Wohnung zu besichtigen, kamen die vier Cops mit staunenden Augen nach und lobten die Aussicht auf die Valsbaai und das Bergmassiv des Tafelbergs. Bobby meinte, dass diese atemberaubende Aussicht einmalig sei und in der näheren Umgebung Seinesgleichen suchen müsse.
„Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?”
„Nein“, sagte Bobby, „wieso, warum? Wir haben die Wohnung vor einer Stunde betreten. Ist was passiert?”
Mit staunenden Mienen hörten sie zu, als ihnen der Colonel berichtete, dass zwei als Maler verkleidete Gangster das Postamt in Stellenbosch mit gezogenen Kalschnikows überfallen hätten. Ein Beamter sei getötet und ein zweiter verletzt worden. In einem in einer Gasse geparkten Auto seien drei Gangster mit über einer Million Rand in zwei Säcken entkommen. Ein Truckdriver, so erzählte er, hätte die Meldung im Radio gehört und den Kollegen in Caledon berichtet, dass mehrere Männer auf dem Sir-Lowry’s-Pass Pinkelpause gemacht hätten.
Daraufhin waren die vier Cops in zwei Wagen auf den Parkplatz gefahren und hatten zwei verlassene alte Autos vorgefunden. Der VW-Variant hatte sich als einer der Malerwagen entpuppt und ist wahrscheinlich das Fluchtauto. Der Pickup der Maler würde immer noch neben der Einfahrt zur Post stehen. Diese Radiomeldung hätte auch eine Frau gehört und umgehend die Polizei angerufen. Sie gab an, dass sie gesehen hatte, wie zwei Wagen vor dem Bahnhof von Somerset West geparkt wurden und die Männer erst nach langen Minuten mit Koffern ausgestiegen und im Bahnhof verschwunden seien. Sie vermutete, dass die ihr unbekannten Männer wenige Minuten später in den einfahrenden Zug nach Caledon eingestiegen sind.
„Wenn diese Männer sowohl im Bahnhof von Somerset West als auch auf dem Sir Lowry’s Pass gesehen wurden, dann sind sie logischerweise in Richtung Caledon unterwegs”, sagte Bobby. “Zurück zum Bahnhof sind sie bestimmt nicht gefahren, das wäre doch völliger Unsinn. Darf ich mal fragen, wieso Sie bei mir geläutet haben?”
„Ich habe alle acht Klingelknöpfe gedrückt und Sie waren der einzige, der geöffnet hat. Unsere Zentrale wurde nämlich vor einer halben Stunde informiert, dass zwei Männer in diesem Haus verschwunden sind.”
„Das ist durchaus richtig”, sagte Bobby und übergab dem Colonel seine Visitenkarte. “Bei diesen beiden Herren handelt es sich um den hier anwesenden Mister Vermeulen aus Kapstadt und um meine Wenigkeit. Wie bereits erwähnt, bin ich Immobilienmakler und habe für heute drei weitere Termine mit Interessenten vereinbart.”
Als sich die vier Cops verabschiedeten, sagte Bobby zum Colonel: „Ich glaube, dass sich die Gangster in östlicher Richtung aus dem Staub gemacht haben. Sie sollten veranlassen, dass alle Autos, die von Kapstadt kommen in Caledon kontrolliert werden. Außerdem sollten Ihre Kollegen die Passagiere im Zug kontrollieren.”
Beim Verlassen des Neubaus versprach Mendi den Streifenbeamten, dass er Augen und Ohren offen halten würde. Er wünschte ihnen viel Erfolg und gesellte sich zu seinen Kumpels in der kleinen Bahnhofshalle. Einige Passagiere warteten bereits auf den Zug nach Kapstadt.
Vorsicht war geboten.
Ritchie verabschiedete sich und verließ den Bahnhof mit dem Koffer in Richtung Parkplatz. Ben und Robin wünschten Pit und Mendi lautstark eine gute Fahrt und schlenderten gemeinsam die Straße herunter, bis auch sie sich trennten.. Ben verschwand in der Toilette und Robin ging langsam zum Neubau zurück. Im Fünfminutentakt betraten sie das Haus, verabschiedeten sich in der Haustür von Bobby und schlenderten unbekümmert mit ihren Koffern zu ihren beiden Autos und warteten. Zwanzig Minuten später, nachdem Bobby alle Spuren beseitigt hatte, rollte der Crysler vom Parkplatz und folgte dem Ford in Richtung D. C. Malan Airport. Pit verstaute seinen Geldkoffer und die Segeltuchtasche mit der Kalaschnikow im Audi und startete in Richtung City.
Jetzt war er endlich reich wie Krösus, durfte sich aber den Mammon nicht anmerken lassen, geschweige denn, darüber reden. Niemand, auch Birgit durfte niemals von diesem Coup erfahren. Absolutes Schweigen war angesagt. Ihren einfachen Lebensstiel mussten sie beibehalten und trotz fetter Beute mit dem Erwerb eines Grundstücks in Camps Bay oder dem Kauf eines Hauses in Green Point so lange warten, bis er glaubhaft machen konnte, dass er die notwenigen Rand ehrlich verdient und beiseite gelegt hatte. Den Alukoffer wollte er in der Garage verstecken.
Bobby, so sann Pit, hat die Möglichkeit gestiegene Haus- und Immobilienpreise für seinen plötzlichen Wohlstand anzuführen. Auch Robin hatte keine Probleme, Mehreinnahmen zu beweisen und könnte mit dem Verkauf teurer Annoncen in den Yellow Pages seinen Reichtum erklären. Mendi würde mit Versicherungsabschlüssen prahlen und Ritchie könnte behaupten, mehrere teure Sportwagen verkauft zu haben. Nur der alte Ben könnte mit den nagelneuen Bündeln nichts anfangen und musste sie im Bungalow verstecken. Das hatte er auf jeden Fall so laut von sich gegeben, dass alle es hören konnten. Er selbst würde nach und nach ein paar Randnoten aus dem Koffer nehmen und Birgit erzählen, dass wieder ein nobler Gast ein nobles Trinkgeld über den Tresen geschoben hatte. Langsam würde sich in seinem Geheimfach im Schlafzimmerschrank ein hübschen Sümmchen anhäufen und anschließend auf der Bank Zinsen bringen. Kommt Zeit, kommt Rat. Wie gewonnen, so zerronnen war nicht seine Devise, sondern: Wer wagt gewinnt.
Wie der alte Ben so hatte auch Pit keine Möglichkeit, seine erbeuteten Randscheine ohne Wissen seiner Frau in Bobbys anvisierte Küstenprojekte zu stecken und den reichen Investor zu spielen. Birgit würde ihm nicht abnehmen, dass großzügige Zecher ihren Bakschisch verdoppelt hätten und stutzig werden, wenn er aus heiterem Himmel mit Spendierhosen herum läuft.
Er durfte sie auf keinen Fall einweihen und musste sein Geheimnis vor jedermann hüten. Wenn er als Barkeeper im Ritz ins Auge fasste, ein Baugrundstück in Camps Bay zu kaufen, müsste er sich einigen unangenehmen Fragen stellen und sich etwas Glaubwürdiges einfallen lassen. Seine Miene erhellte sich, als er die Lösung seines Problems in Form eines Glücksritters vor sich sah und sich eingestand, dass Bobbys Idee, hohe Summen auf Außenseiter zu setzen und auf dem Kenilworth-Race Cours jeden Samstag Dreierwetten abzuschließen, gar nicht so abwegig war. Gewinne beim Pferderennen wären eine glaubwürdige Antwort auf Birgits berechtigte Fragen.
Er könnte jeden zweiten Samstag, an dem er nachmittags frei hatte als Glücksritter nach Hause kommen und ihr genüsslich erzählen, den Reibach auf der Rennbahn gemacht zu haben. Mit den Gewinnen könnte er Aktien kaufen, an der Börse spekulieren und dicke Dividenden einstreichen und mit dem Gewinn ein Haus kaufen. Birgit verstand weder etwas vom Prerderennen noch von Dreierwetten, geschweige den von Finanzen und Dividenden. Sie würde sicherlich nicht nachforschen, wenn e vorsichtig war und es mit den Taschen voller Geld nicht übertrieb. Seine Lügengeschichten abnehmen könnte er jeweils am darauffolgenden Montag mit Hinweisen auf die Rennergebnisse auf Seite sechs im Argus untermauern. Trotz aller Euphorie über seinen plötzlichen Reichtum wurde für ihn die Beute zur Bürde.
In dem unter Denkmalschutz stehenden Haus der alteingesessenen Familie Goosen, unweit der Post an der Dorp Street von Stellenbosch übten normalerweise an jedem Dienstag Hellen Benedela (Piano), Erika Goosen (Cello), Elske Terblanche (Violine), Senta Snyder (Harfe), Karin Vosloo (Fagott) und Diana Geldenhuys (Violoncello). Die sechs jungen Damen hatten Anfang der 60ger Jahre das mittlerweile bekannte Sextett Kleine Klassieke Kunstenaar gegründet und probten in der hohen Wohnhalle wegen der hervorragenden Akustik und des Nachhalls an jedem Dienstag in unterschiedlicher Besetzung die Masurken, Preluden, Nocturnen und Serenaden, mit denen sie ihr nächstes Konzert gestalten wollten. Das Repertoire ihrer Kammermusik umfasste vom Klavierkonzert bis hin zum Sextett alle Varianten.
An diesem Dienstag probte nur das Trio, bestehend aus Hellen, Erika und Elske für ein Konzert, dass sie am Samstag auf dem Weingut Groot Constantia geben sollten. Je nach Vereinbarung trafen sie sich bei Erika Goosen und spielten unterschiedliche Kompositionen international bekannter Komponisten. Mal solo, mal zu zweit, dann wieder als Trio oder als Quintett. Am häufigsten traten sie als Sextett in den großen Hallen der Weingüter auf.
Die drei jungen Ladys probten an diesem Dienstag zum wiederholten Mal das Trio für Klavier, Violine und Violoncello von Johannes Brahms. Während der Pause besprachen sie noch einmal die Einsätze, die während des Trios in A-Moll für Klavier, Violine und Violoncello von Pjor Iljitsch Tschaikowsky zu bewältigen waren. Stets stellten sie ein Mikrofon und ein Tonbandgerät in nicht zu weiter Entfernung auf, um das Gespielte als Zuhörer kritisch beurteilen zu können.
Erika Goosen war in die Küche gegangen, hatte den Wasserkessel auf die Gasflamme gestellt und streckte die Arme aus, um an die blaue Dose mit frisch gemahlenen Kaffeebohnen zu gelangen, als die Hausglocke läutete. Vor der Tür stand Senta Snyder, die Tochter von Punt Snyder, und bat mit verweinten Augen eintreten zu dürfen. Schluchzend berichtete sie ihren Freundinnen, dass sie am Morgen von zwei als Maler verkleideten Gangstern im hinteren Aufzug der Post mit vorgehaltenen schwarzen Kalaschnikows überfallen wurde.
“Die Maler kannten sich aus, als wären sie schon einmal in dem hinteren Teil der Post gewesen”, sagte sie, wischte die Tränen aus ihrem Gesicht und begann mit steigernder Hysteriesie von ihrem traumatisierenden Abenteuer zu erzählen. “Sie wussten genau, wo der Tresorraum ist, klopften wie vereinbart dreimal lang und dreimal kurz. Als Jan das Losungswort verlangte, flüsterte der ältere von den beiden, der wahscheinlich der Vorarbeiter war, Moskito.”
“Glaubst du, dass er oder beide Gangster ehemalige Postler waren, oder sogar zwei von euren Angestellten?”, fragte Hellen Benedela.
“Ich habe keinen erkannt, weil ich keine Zeit hatte, mir ihnen zu reden. Der Vorarbeiter sprach Cockney-Englisch und der Geselle hörte sich an, als wäre er Deutscher, aber schon lange im Land.”
“Würdest du einen von ihnen an der Größe oder Sprache erkennen?”
“Sie sprachen nur ganz wenig. Einer flüsterte den Code. Niemand von uns kannte das heutige Losungswort, aber der Maler mit der Kalschnikow im Anschlag kannte es und stieß die Tür mit solcher Wucht auf, dass Jan rückwärts taumelte und fast hingefallen wäre. Mich schubste der junge Geselle mit seiner Kalaschnikow mit aller Wucht in den Vorraum, dass ist stolperte und der Länge nach auf den Boden gefallen bin. Ich glaube, alle haben meinen Schlüpfer gesehen.”
“Was passierte dann?”
“Der junge Geselle, also der Deutsche konnte auch Afrikaans und befahl mir, die Randbündel aus den Regalen in einen Postsack zu werfen. Als es ihm nicht schnell genug ging, befahl er dem dickenJakob, einen zweiten Postsack zu füllen. Ich sah nur noch die weißen Gipsgesichter von den Gangstern, die sahen aus, wie Clowns. Ich war auch genz weiß gepudert von der Staubwolke im Aufzug.”
“Wie ging es dann weiter?”, fragte Hellen.
“Dann mussten wir uns neben Jan und den beiden anderen mit dem Gesicht gegen die Wand stellen und hörten, wie der Geselle beide Säcke zum Fenster trug und hinunter warf. Unten in der Gasse muss ein dritter Gangster neben einem Auto gewartet haben, der die Säcke verstaute. Auf jeden Fall sind die beiden abgehauen und haben die Tür von außen abgeschlossen.”
“Sind die Fenster nicht vergittert?”
“Doch, nur die kleine Luke zur Gasse nicht.”
“Das müssen die Gangster gewusst haben.”
“So langsam glaube ich, dass sie zwei von uns waren.”
“Hat keiner etwas bemerkt?”
“Um diese Zeit sitzen die meisten im Sortierraum.”
Den weiteren Verlauf des Raubüberfalls gab Senta Snyder so wider, wie sie ihn wiederholt von den acht Augenzeugen vernommen hatte. Mit tränenerstickter Stimme schilderte sie unter Schluchzen, wie ihr Vater im Sortierraum erschossen und Justus angeschossen wurde.
“Weißt du, wer von beiden geschossen hat?”
“Nein.”
Nach Beantwortung weiterer Fragen, konnte sich Hellen Benedela ein Bild vom Hergang des Überfalls machen und ging ans Telefon. Sie bat ihren Mann, Colonel Bernd Botha, vom Department of Robbery and Drug Affairs in Kapstadt, umgehend nach Stellenbosch zu kommen, um die örtlichen Polizisten bei der Klärung des Raubmords zu unterstützen. Zwei Stunden später saß sie mit ihm und drei Cops von der Polizeistation in der Amtsstube des immer noch unter Schock stehenden Postdirektors. Bei laufendem Tonband befragten sie die Zeugen nach dem genauen Hergang des Raubüberfalls. Die Aussagen deckten sich im Großen und Ganzen mit denen von Senta Snyder und bestätigten, dass professionelle Einbrecher am Werk gewesen sein mussten, die Verbindungen zu einem der oberen Sicherheitsbeauftragten haben mussten. Nur Senta Snyder und beide Pförtner konnte die zwei Mörder vage beschreiben, wobei Hellen und Bernd äußerten, dass sich die drei Ganoven maskiert und verkleidet hatten.
Die vier Streifenbeamten von Somerset West hatten zwar den Pickup neben der Einfahrt und den VW-Variant auf dem Sir-Lowry’s-Pass am Morgen sichergestellt, konnten aber nichts zur Klärung des Überfalls beisteuern. Der Colonel übergab Hellen die Visitenkarte des ihr bereits bekannten Maklers, Robert Eliot, und berichtete, dass der Gentleman einwandfreies Afrikaans und sich auch mit seinem Kunden, dem er am Morgen die Wohnung gezeigt hätte, auf Afrikaans unterhalten hätte. Mister Eliot sei sehr hilfsbereit und äußerst zuvorkommend gewesen und hätte ihnen sogar die Ferienwohnung in dem Neubau gezeigt.
Am späten Abend besuchten Hellen und Bernd Hellens Eltern in der Sonneblom Street. Beide taten sich schwer, den Schock über die Ermordung des ihnen bekannten Punt Snyder zu verwinden. Bernd versprach, die Gangster so bald wie möglich vor den Kadi zu bringen. Erst müssten sie jedoch die Täterprofile erstellen und allen Hinweisen nachgehen. Alle waren sich nach der Diskussion einig, dass die bisherigen Vernehmungen wenig gebracht hatte, weil die Gangster wahrscheinlich Perücken trugen und ihre Gesichter unkenntlich gemacht hatten und wegen der Gipswolke keine genaue Beschreibung möglich war. Ein wichtiger Hinweis war jedoch, dass der Malermeister Afrikaans beherrschte, der Geselle mit deutschem Akzent und Afrikaans sprach und der Vorarbeiter seine wenigen Anweisungen in reinstem Cockney gegeben hatte.