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Unabhängige Justiz?

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Die Judikative wird im Allgemeinen als unabhängig wahrgenommen. Die Justiz lässt sich von Regierung und Parlament nicht reinreden – oder doch? Was die Staatsanwälte betrifft, lässt sich die Frage leicht beantworten. Sie haben sich gefälligst an Weisungen von oben zu halten. Ihr oberster Dienstherr ist der jeweilige Justizminister, auf Bundes- ebenso wie auf Länderebene. Die Staatsanwaltschaften müssen sich Weisungen der Exekutive nicht nur gefallen lassen, sie gehören selbst zur Exekutive. Das mutet seltsam an, denn: Strafverfahren werden von Staatsanwälten vorbereitet. Ob Anklage erhoben wird, ob also ein Gerichtsverfahren überhaupt stattfindet, entscheiden Staatsanwälte. Sie gehören zur Exekutive, aber sie handeln als Judikative.

Anwälte vertreten Mandanten, agieren also parteiisch. Staatsanwälte vertreten den Staat als Partei; und der Staat heißt in diesem Fall „Regierung“. Kann es denn mit rechten Dingen zugehen, dass die Regierung in einem Strafverfahren Partei ergreift? Und, wenn ein Staatsdiener unter Anklage steht, in wessen Interesse ermittelt dann der Staatsanwalt?

Die Richter, die eindeutigen Mitglieder der Judikative, haben in puncto Unabhängigkeit die besseren Karten. Nach Artikel 97 des Grundgesetzes sind sie nur dem Gesetz unterworfen. Und Artikel 92 legt klipp und klar fest: „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut“. Da ist mit keinem Wort die Rede etwa von Mitbestimmung oder Einflussnahme durch andere Staatsorgane. Dennoch sehen viele Richter sich nicht wirklich unabhängig von der Exekutive. Seit vielen Jahren wird gefordert, die tatsächliche Unabhängigkeit herzustellen. Schon 1953 befasste sich der 40. Deutsche Juristentag mit der Frage, ob die grundgesetzlichen Regelungen in diesem Sinne besser auszuschöpfen seien. Die Vertreterversammlung des Deutschen Richterbunds forderte 2007, der Justiz eine Stellung zu verschaffen, die die Unabhängigkeit nicht einschränke. 2009 forderte der Europarat die Bundesrepublik auf, ein System der Selbstverwaltung der Justiz einzuführen. Die Neue Richtervereinigung hält Reformen der Justizstruktur in Deutschland für überfällig. Die Struktur stamme aus der Kaiserzeit und sei nicht mehr zeitgemäß.

Und darum geht es, um die Struktur. Die Richter stehen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis mit Bund oder Land. Verwaltungstechnisch sind sie ebenfalls in die Exekutive eingebunden und unterliegen der Dienstaufsicht. Durch Studium einschließlich Praktikum und Referendariat erlangt man die Befähigung zum Richteramt. Wer tatsächlich Richter wird, entscheidet ein Justizminister, denn die Anstellung, zunächst als Richter auf Probe, bleibt ebenso wie spätere Beförderungen der Exekutive vorbehalten. Das gleiche gilt für das Recht regelmäßiger Beurteilungen. Den Finanzministern obliegt es, den Gerichten das notwendige Personal und die Sachmittel zuzuweisen.

Wer die Karriereleiter bis zum Amt eines Bundesrichters hochklettern will, ist nicht allein auf die Entscheidung eines Ministers angewiesen. An einen obersten Gerichtshof – dazu gehören der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht – wird man berufen, und zwar durch den für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Bundesminister zusammen mit einem Richterwahlausschuss. Der Ausschuss besteht aus den entsprechenden Ministern der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die der Bundestag wählt. Für das Bundesverfassungsgericht, das je zur Hälfte aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern besteht, gilt eine Sonderregelung. Dieses Gremium wird fifty-fifty von Bundestag und Bundesrat gewählt.

Bieten diese Bestimmungen nicht optimalen Schutz vor Einflussnahmen? Offenbar ist nicht alles zur vollen Zufriedenheit der Beteiligten geregelt. Das lässt sich aus einer gemeinsamen Entschließung der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe der Länder aus dem Jahr 2010 ablesen. Im Interesse der Leistungsfähigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Bundes und der Länder wird darin an die zuständigen Ministerinnen und Minister appelliert, „ihre Auswahl der Kandidaten für das Bundesverwaltungsgericht strikt und ausschließlich am Prinzip der Bestenauslese auszurichten“.

Ja, ist das denn nicht selbstverständlich? Werden für höhere Ämter nicht immer die Besten ausgewählt? Aus Sicht der Präsidentenkonferenz ist das offenbar nicht so, denn die Entschließung entstand „aus gegebenem Anlass“. Zumindest scheint die Kompetenz der MinisterInnen, die besten KandidatInnen zu präsentieren, die PräsidentInnen nicht zu überzeugen. Sie wollen gefragt werden. Die Auswahl soll mit ihnen abgestimmt werden. Und vom Richterwahlausschuss fordern sie einen Anhörungstermin.

Nun mag die eine oder der andere vielleicht einen Hauch von Hybris bei Richtern erkennen. Wenn das Grundgesetz sie doch als rechtsprechende Gewalt und damit gewissermaßen als eine besondere Menschen-Spezies hervorhebt, könnte das vielleicht hier und da zu Selbstüberschätzungen führen. Bei der Urteilsfindung ausschließlich den Gesetzen unterworfen zu sein, könnte vielleicht ein allgemeines Überlegenheits-Gefühl auslösen. Das wäre nicht sehr verwunderlich, denn auch in anderen Lebensbereichen lässt sich gelegentlich beobachten, dass – beispielsweise im Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen – die fachlich höhere Kompetenz zu der Selbsteinschätzung verführt, auch außerhalb des eigenen Fachgebiets besser Bescheid zu wissen. Tatsächlich sprechen Richter zwar Recht, aber sie haben nicht immer Recht. Nicht selten vorkommende Fehlurteile verdeutlichen, wie Richter irren können. Andererseits legen Fälle wie Gustl Mollath oder Uli Hoeneß den Verdacht nahe, gerade Einflüsse von außerhalb der Judikative trügen zu unverständlichen Urteilen bei.

Entrüstung reicht nicht

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