Читать книгу Entrüstung reicht nicht - Gerd Kallweit - Страница 7
Trennung pur ist nicht gewollt
ОглавлениеLaut Grundgesetz geht alle Gewalt vom Volk aus (Art. 20,2), und das gilt ausdrücklich auch für die Rechtsprechung. Die Urteile werden denn auch im Namen des Volkes gefällt, obwohl das Volk weder die Richter wählt noch an der Urteilsfindung beteiligt ist. Das Prinzip der demokratischen Legitimation überbrückt die scheinbare Lücke zwischen Volk und Richtern. Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit dieser Verbindung festgeschrieben: „Alle Organe und Vertretungen, die Staatsgewalt ausüben, bedürfen hierfür einer Legitimation, die sich auf die Gesamtheit der Bürger als Staatsvolk zurückführen läßt. Das demokratische Prinzip erstreckt sich nicht nur auf bestimmte, sondern auf alle Arten der Ausübung von Staatsgewalt. Die verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern.“ (BVerfGE 77,1)
Der Wille des Volkes soll also auch gegenüber der Justiz durch seine gewählten Vertreter zum Ausdruck kommen. Das gehört zum System, das die US-Amerikaner „checks and balances“ nennen, eine Ausgewogenheit durch gegenseitige Kontrolle der drei Staatsgewalten. Das Konstrukt der Gewaltenteilung sieht keine absolute Trennung vor, Querverbindungen sind gewollt, damit der Staat insgesamt funktioniert.
In einem Urteil vom 1953 hat das Bundesverfassungsgericht das so ausgedrückt: „ Freilich ist Gewaltenteilung ein tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes. Seine Bedeutung liegt in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsherrschaft. Dieses Prinzip ist jedoch nirgends rein verwirklicht. Auch in den Staatsordnungen, die das Prinzip anerkennen, sind gewisse Überschneidungen der Funktionen und Einflußnahmen der einen Gewalt auf die andere gebräuchlich.“ (BVerfGE 3,225)
Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Verbindungslinien nicht nur zwischen den Staatsgewalten, sondern auch innerhalb von Parteien verlaufen. Ministerinnen und Minister sind in aller Regel Mitglieder einer regierungstragenden Partei. Sie steuern ihre Ministerien keineswegs politisch neutral, sondern nach den von der jeweiligen Regierungsspitze vorgegebenen „Richtlinien der Politik“, und die sind vor allem durch die Partei geprägt. Während fast alle Beschäftigten der Ministerien im Dienst zu politischer Neutralität verpflichtet sind, trifft das für einige Führungskräfte nicht zu. Als politische Beamte sollen sie die Richtung ihrer Vorgesetzten vertreten und werden nach diesem Kriterium ausgesucht. Damit das funktioniert, können sie jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, wenn die/der Minister/in das Vertrauensverhältnis zu ihnen als gestört ansieht. Das Vertrauen basiert auf gemeinsamen politischen Überzeugungen, was sich nicht zuletzt in der Zugehörigkeit zur selben Partei äußert. Richter behalten ihren Status auf Lebenszeit, die lassen sich nicht einfach mal in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Ist da nicht anzunehmen, dass sie noch sorgfältiger danach selektiert werden, ob sie in etwa auf Linie liegen?
Nun kommt ein/e Minister/in sicher nicht umhin, die eine oder den anderen Richter/in einzusetzen, die/der seiner eigenen Partei eher ablehnend gegenübersteht. Abgesehen davon, dass sich die politische Einstellung der KandidatInnen kaum zweifelsfrei feststellen lässt und selbst Parteimitgliedschaften keine sicheren Grundlagen dafür bieten, wäre es absolut unvertretbar, nur den MinisterInnen genehme KandidatInnen mit einem Richteramt zu betrauen. Der Mechanismus, der die richterliche Unabhängigkeit einschränkt, setzt denn auch etwas später ein. RichterInnen wollen befördert werden, sie wollen Karriere machen, und dazu benötigen sie das Wohlwollen der Entscheider in der Exekutive. Selbst wenn MinisterInnen nicht nach Seilschaft-Manier handeln, sondern fachliche Kompetenz gelten lassen, können RichterInnen nicht sicher sein, ob nicht doch persönliche/politische Einschätzungen eine Rolle spielen. Das führt leicht zu Anpassungen, wenn nicht gar zu vorauseilendem Gehorsam.
Mögen parteipolitische Einflüsse bei der Einsetzung und Beförderung von RichterInnen vielleicht dem Bereich der Spekulation zugeordnet werden, spätestens ab der Stufe „Bundesrichter“ sind sie offensichtlich. Im Richterwahlausschuss gilt es, bei jeder Wahl einer Richterin oder eines Richters für ein oberstes Bundesgericht eine Mehrheit herzustellen. Da bieten sich drei Möglichkeiten an: 1) Die Mehrheit der Vertreter aller Bundesländer und der vom Bundestag in gleicher Anzahl in den Ausschuss entsandten Mitglieder sind von der außerordentlichen fachlichen Kompetenz derselben Kandidatin oder desselben Kandidaten überzeugt. 2) Die im Bundestag am stärksten vertretene Partei stellt auch mehrheitlich die Landesregierungen und kann so durchregieren. 3) Die Mitglieder des Ausschusses müssen sich verständigen. Für die erste Möglichkeit spricht keine große Wahrscheinlichkeit, denn an KandidatInnen, die aus unterschiedlichen Perspektiven als kompetent gelten, dürfte es kaum mangeln. Die Ausgangslage für ein Durchregieren bietet sich nicht oft, und sie auszunutzen birgt die Gefahr, es könnte beim nächsten Mal genau anders herum laufen. Daher ist die dritte Variante die wahrscheinlichste. Eine Verständigung innerhalb des Ausschusses wird wohl einem Handel nach dem Motto „wählst du meinen Kandidaten, wähl ich deinen Kandidaten“ sehr ähnlich sehen. Sowohl in der zweiten als auch in der dritten Möglichkeit fällt die Entscheidung auf parteipolitischer Grundlage, und zwar nicht im Ausschuss direkt, sondern bereits im Vorfeld durch führende VertreterInnen der Parteien bzw. Fraktionen. Selbst wenn die Ausschuss-Mitglieder ohne Vor-Absprachen wählen sollten, geben sie ihre Parteizugehörigkeit sicher nicht vorher an der Garderobe ab.
"Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt." So bestimmt es das Grundgesetz in Artikel 94. Wie das genau vor sich gehen soll, bleibt einem Bundesgesetz überlassen. Dafür wurde das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) geschaffen. Darin heißt es in § 6, für seinen Anteil habe der Bundestag einen 12-köpfigen Wahlausschuss zu bilden, der mit Zwei-Drittel-Mehrheit Wahlvorschläge beschließt. Ohne Aussprache stimmt dann der Bundestag über die Vorschläge des Ausschusses in geheimer Wahl ab. Dazu ist wiederum eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen oder die einfache Mehrheit aller Mitglieder des Bundestags notwendig.
Die Annahme, auch in diesem Fall gehe die Gewalt (sprich: die Wahl) vom Volk aus, mag juristischen Ableitungen möglich erscheinen, dürfte der/dem nicht juristisch Denkenden aber kaum einleuchten. Dem Wahlausschuss gehören knapp zwei Prozent der Mitglieder des Bundestags an. Diese zwei Prozent entscheiden, wer zum/zur BundesverfassungsrichterIn berufen wird. Den übrigen 98 Prozent der Volksvertreter bleibt nichts anderes als den Vorschlag des Wahlausschusses abzunicken. Natürlich können sie auch dagegen stimmen, aber selbst KandidatInnen ins Rennen zu schicken, bleibt ihnen verwehrt. Ausschließlich der Vorschlag des Ausschusses steht zur Abstimmung. Erst im Jahr 2015 wurde per Gesetzesänderung dem Bundestag das Recht eingeräumt, über den Vorschlag abzustimmen. Bis dahin galt die Entscheidung des Wahlausschusses unmittelbar. Alle Fraktionen hatten diese Änderung beantragt. Mehr Demokratie hat sie nicht gebracht. Und die Einschränkung geht noch weiter. Damit der Wahlausschuss die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht, bedarf es einer Absprache zwischen Parteien, die zusammen zwei Drittel der Abgeordneten des Bundestags stellen. Das waren bisher immer die beiden großen Fraktionen CDU/CSU und SPD, eventuell mit Beteiligung eines kleinen Koalitionspartners. Da setzen sich also zwei bis vier Parteien-VertreterInnen zusammen und verständigen sich darüber, was der Wahlausschuss entscheiden soll. Mit anderen Worten: Die Gewalt des Bundesverfassungsgerichts geht nicht vom Volk aus, nicht vom Bundestag und auch nicht vom Wahlausschuss, sondern von zwei bis vier Personen, die nichts anderes als ihre Parteifunktion dazu legitimiert.