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Auf dem Kastellberg

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Schwer hat sich die Nacht über den endlosen Wald gesenkt, zwischen den kahlen Baumkronen glänzen und funkeln die Sterne in reinstem Silber. Nur vereinzelt übertönt der Ruf eines Nachtvogels das Schnaufen der Zugtiere und das Poltern der Räder über Wurzeln und Gestein. Die Fackeln der Wagen malen Schatten, die flirrend zwischen den Stämmen auf und nieder tanzen.

Die Gespräche sind längst erstorben, mit angestrengtem Blick suchen die Fahrensleute die unheimliche Finsternis zu durchdringen. Milchige Nebel steigen von ihren Mündern auf und vereinzelt klingt der Ruf eines Fuhrmanns an seine Tiere, hie und da pfeift eine Peitsche durch die Luft.

Selbst Harras, der unaufhörlich auf den Kolonnenführer eingeschwatzt hat, schweigt nunmehr. Doch ist er keineswegs furchtsam in der Dunkelheit wie viele andere, sondern er genießt die Tageszeit. Als Melder und Bote des königlichen Heeres hat er schon so manche Nacht allein im Wald verbracht und so ist ihm das Dunkel vertraut und flößt ihm keine Angst mehr ein. Nicht, dass ihm die Nacht lieber wäre als der Tag, aber unheimlich ist sie ihm auch wieder nicht. Jedes Geräusch und jeden Schatten sucht er zu deuten, ohne böse Geister und Elfen zu bemühen, was ihm schon oft den Ruf einbrachte, wenn schon nicht leichtsinnig, so doch recht unerschrocken zu sein. Als er die Kolonne um eine nächste Erhebung führt, scheinen zwischen den Bäumen plötzlich Lichter zu flackern.

„Wir sind da, wir haben es geschafft!“, ertönt beschwingt der Jubelruf Mathildes und wird von den Reisenden erleichtert aufgenommen.

Tatsächlich eröffnet sich vor ihnen eine weite Lichtung, in deren Mitte sich eine Burg erhebt. In der Dunkelheit wirken die Palisaden wuchtig und respekteinflößend. Die Flügel des Tores sind indes weit geöffnet und auf beiden Seiten stecken in eisernen Ringen armlange Fackeln und erhellen die Gesichter der Krieger, die die Gäste freudig erwarten. Auf dem Burghof brennt ein Feuer und strahlt verlockende Wärme aus. Um das Tor hat sich ein Spalier gebildet, das die Ankömmlinge jubelnd begrüßt. Die johlenden Rufe und anerkennenden Pfiffe der rauen Burschen gelten jedoch weniger den wagemutigen Männern auf den Böcken als vielmehr den scheuen Mädchen und äugelnden Weibern, deren Anmut durch das flackernde Licht noch reizvoller scheint. Wagen auf Wagen schiebt sich in den Hof, bis alle unter den Wehrgängen ihren Platz gefunden haben. Die Krieger übernehmen die abgeschirrten Zugtiere und führen sie aus der Burg.

Nach kurzer Zeit finden sich alle am Feuer ein, das von langen Tischen umfasst ist. Hier endlich sollen die Angekommenen ihre feierliche Begrüßung im Sorbengau erfahren. Als sie an den Tischen Platz genommen haben, tritt aus dem zentralen Gebäude der Festung ein mittelgroßer Mann, dem der offensichtliche Respekt der Krieger nicht nur zukommt, sondern auch bewusst ist. Unter seinem Pelzumhang zeichnen sich breite Schultern ab, die geröteten Hände sind sehr viel breiter, als seine Körpergröße es vermuten lässt. Ein gewaltiger Bart umwuchert sein Gesicht, aus dem eine riesige Nase hervorsticht. Streng blicken seine Augen unter den buschigen Brauen seiner hohen Stirn hervor und schauen klar und aufrecht auf sein Gegenüber. Als er den Arm hebt, verstummen die Gespräche, selbst das aufgekratzte Geplapper der Jüngsten erstirbt. Seine helle Stimme klingt kraftvoll in das weite Rund:

„Willkommen auf Kastell Kamenitza, Freunde aus der Heimat. Auf Befehl unseres Königs Heinrich besetzen wir seit einigen Wochen diese altehrwürdigen Mauern, die nunmehr zu einer unverwüstlichen Feste ausgeweitet wird. Wenn auch unser König gegen die Sorben im Norden einen harten Kampf führte, finden wir doch hier in der Wildnis ein gutes Verhältnis zu ihnen. Sie wissen, dass wir ihnen bei einem ungarischen Angriff starke Verbündete sind und sie jederzeit zu uns flüchten können. Sie haben unsere bedingungslose Herrschaft anerkannt.“ Begeistert trommeln schwielige Fäuste auf die Tische, bis der Redner erneut den Arm hebt und fortfährt:

„Wir sind Kommandant dieser Burg mit zweihundert erfahrenen Soldaten. Wir sichern den Norden vor den Ungarn. Sollte ihr Heer im Frühjahr hier eindringen, werden wir sie am Fuße der Berge schlagen.“ Wieder unterbricht ihn das Trommeln, zustimmende Schreie aus rauen Männerkehlen künden vom Siegeswillen.

„Euch aber“, setzt der Kommandant fort, „brauchen wir als Bauern und für den Transport. Ihr sollt uns versorgen und den Ausbau der Verteidigungsanlagen unterstützen. Wenn die Ungarn einfallen, werden eure Männer an unserer Seite kämpfen, sie werden dem Heerbann folgen müssen.“ Den letzten Satz hat er eindringlich an die Frauen gerichtet, die darob ein wenig nachdenklich und auch bedrückt dreinschauen. Der Kommandant räuspert sich und beschließt seine Ansprache:

„Liebe Freunde, wir, Hauptmann Siegmund, stehen im Dienste unseres Königs. Morgen werdet ihr sehen, wo ihr eure Höfe errichten sollt. Heute wollen wir eure lang ersehnte Ankunft gebührend feiern. Da es schon spät ist, müsst ihr diese Nacht noch einmal auf euren Wagen schlafen.“ Wie auf ein Zeichen schleppen nun ein paar Männer schwere Kübel mit Suppe herbei, stellen Körbe voll Brot dazu und holen Wein und Wasser. Hauptmann Siegmund hebt seinen Becher und gibt mit einer Geste seinen Gästen Bescheid:

„Auf euer und unser Wohl, auf die neue Heimat und auf das Gelingen all dessen, was wir uns vorgenommen haben.“ Der Spruch findet lautstark Beifall und gleich darauf ist nur noch das genüssliche Schmatzen und Schlürfen der Hungrigen zu vernehmen.

Als die Schüsseln geleert sind, erhebt sich Hildebrand von der Bank.

„Habt Dank für die herzliche Begrüßung und das wunderbare Essen, Hauptmann Siegmund. Mich nennt man Hildebrand und meine Aufgabe war es, zwölf Familien hierher zu führen. Mein Dank gilt Gott dem Allmächtigen und auch den wackeren Männern und den braven Weibern, die mit mir waren, durch ihren Tatwillen konnten wir die Fahrt ohne Tücken meistern. Nun wollen wir Euch zur Seite stehen, aber – wir sind Bauern! Wenn es Not tut, werden wir in Euren Reihen kämpfen, doch sorgen wir uns lieber um Euer leibliches Wohl. Aber wie soll das vonstatten gehen? Wir müssen vorderhand Felder in dieser Wildnis anlegen, erst nach dem Winter können wir säen, um schließlich im Herbst des nächsten Jahres die Ernte einzuholen. Bis dahin müsst Ihr euch schon selbst beköstigen! Man hätte besser daran getan, an unserer statt Getreide zu schicken und Schlachtvieh. Wir haben nur Saatgut dabei, und unsere Ochsen, die wir zum Pflügen brauchen. Nur ein wenig Getreide ist dem Verzehr vorbehalten. So vertrauen wir auf Euren Beistand.“ Der Hauptmann nickt wissend und winkt dann ab.

„Daran ist gedacht. Unser König tut nichts unüberlegt! Dieser Wald ist reich an Wild und wird uns bis zur ersten Ernte ernähren, denn kein Treck wird bis zum nächsten Jahr zu uns gelangen. Sobald der Winter vorbei ist, werden die ersten Kundschafter der Ungarn kommen, vor denen wir uns verbergen werden. Erst wenn ihr Heer bis hierher vordringt, werden wir wie die wahren Erdgeister plötzlich auf sie einfallen und ihnen die Schädel spalten. Deshalb die missliche Jahreszeit für euren Neubeginn hier, nämlich sind bis zum Frühjahr die Spuren eurer Gefährte getilgt.“ Hildebrand lächelt bewundernd:

„Das habt Ihr Euch gut ausgedacht. – Doch wenn wir mit den Sorben aneinandergeraten? Der Alte, der uns als erster hier empfing, erwähnte König Karl als unseren Herrn. Wenn es den auch lange nicht mehr gibt, so hat er doch vor hundert Jahren die Sorben empfindlich getroffen. Es muss sehr grausam zugegangen sein, die Sorben berichten noch heute davon, und wenn sie es nicht vergessen, werden sie es auch nicht vergeben können und Grimm gegen uns hegen. Ob sie uns dulden, weil wir Bauern sind? Wo dies ihr angestammtes Land ist?“ Reinhold, der die ganze Zeit still gesessen und gelauscht hat, nimmt den Arm von der Schulter seiner Frau und wendet ein:

„Was heißt denn ‚angestammtes Land‘, Hildebrand? Für den Norden, wo der Wald endet, mag das stimmen. Aber hier in der Wildnis gibt es nur wenig Flecken, an denen Siedler sesshaft wurden. Sie liegen verstreut, womöglich haben die Unseren hier vor langer Zeit gelebt und es lassen sich ein paar noch finden.“ Der Hauptmann richtet seinen Blick erstaunt auf Reinhold.

„Er scheint sich auszukennen, Bauer. Es stimmt, die Sorben leiden uns, weil sie so wenig sind und wir sie im Kampf stärken. Der alte Janko ist ihr Priester, er ist bald hundert Jahre alt und ebenso weise. Doch ist er so gewandt auf seine alten Tage, dass er es noch mit manchem Jungen aufnehmen kann. Als Bursche muss er ein Recke ohnegleichen gewesen sein.“ Hildebrand drängt sich ein Vergleich mit Hildburga auf.

„Vielleicht hat er die Kämpfe damals nicht selbst erlebt. Auch bei uns gibt es Familien, in denen die Geschichte lebendig gehalten wird.“ Und leise an Reinhold gewandt: „Wo ist Mutter Hildburga, geht es ihr wieder besser?“ Bevor er antworten kann, ergreift Gunhild das Wort:

„Sie liegt auf dem Wagen und schläft. Wiprecht hat nach ihr gesehen, sie fiebert noch immer. Er hat die heißen Steine ausgetauscht und ihr Suppe gegeben. Morgen wird es ihr sicher besser gehen.“ Den Hauptmann interessiert der Grund der Besorgnis und Gunhild stellt ihm geschwind Hildburgas Rolle in der Gemeinschaft und ihre plötzliche Erkrankung dar. Er wiegt nachdenklich den Kopf und murmelt:

„Augenscheinlich eine Schwester Jankos im Geiste. Er wird sie sicher heilen. Wenn nicht Bruder Hieronymus dazwischenkommt, lasse ich morgen nach dem Priester schicken.“ Erstaunt hebt Hildebrand den Blick:

„Was denn, es gibt noch keinen christlichen Ort hier aber schon Priester unserer heiligen Mutter Kirche? Predigen sie den Bäumen und wilden Tieren im Walde, oder laufen sie den Sorben hinterher?“ Der Hauptmann schmunzelt.

„Jetzt ist es an der Zeit, sich zur Ruhe zu legen.“ Damit ist die Tafel aufgehoben und die müden Ankömmlinge klettern auf ihre Wagen, um sich von ihrer langen Reise zu erholen.

Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen

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