Читать книгу Die Demokratische Volksrepublik KOREA - Gerd W. Wähner - Страница 10

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Kleine Kritik der Juche

Übersetzen lässt sich der Begriff Juche in etwa mit „Herr über den eigenen Körper“. Von diesem Begriff leitete Kim Il-Sung seine Ideologie ab, die in der Aussage gipfelt: „Der Mensch steht im Mittelpunkt!“

Das hört sich doch zunächst schon einmal gut an.

Weiter wird in Juche-Ideologie (Doktrin) die Selbstständigkeit des Menschen betont, allerdings mit der kleinen Einschränkung, dass der sich nicht als unabhängiges Individuum zu begreifen habe, sondern als Teil der Gemeinschaft. Das kommt dem Bürger aus der DDR bekannt vor. Im „entwickelten Sozialismus“ lautet die Forderung ganz ähnlich: „Der Einzelne musss seine persönlichen Interessen mit denen der Gesellschaft in Übereinstimmung bringen!“ Gut, aber wenn die Interessen des Einzelnen im Ausnahmefall nicht mit denen der Gesellschaft übereinstimmen? Dann hat dieser Mensch zwei Möglichkeiten:

Die erste: Er gibt sich den Anschein, als ob…Das nennt man Opportunismus.

Die zweite: Er steht zu seinen persönlichen Ansichten und Interessen; besteht ausdrücklich darauf „Herr über den eigenen Körper“ zu sein und ist auch nicht übermäßig glücklich darüber, immer im Mittelpunkt stehen zu müssen. Er kann insistieren. Aber dann ist er über kurz oder lang seine Freiheit los. Besser nicht…

Und der Bürger aus meinem Lande wird weitere Gemeinsamkeiten zwischen den Doktrinen finden: Beide bekennen sich zum Marxismus-Leninismus. Aber Nordkorea nimmt für sich in Anspruch, ihn weiterentwickelt und an nationale Gegebenheiten angepasst zu haben. Das sieht dann so aus:

Es gibt keinen gemeinsamen Weg zum Sozialismus; jede Nation ist ihres Glückes eigener Schmied.

Die Interessen der eigenen Nation stehen über denen der internationalen kommunistischen Bewegung.

Jede Nation ist für sich selbst verantwortlich, muss die Revolution im eigenen Land vollziehen.

Und: Die Juche-Ideologie ist keine endliche, zeitlich begrenzte und nur für Nordkorea gültige Doktrin. Sie ist das strahlende Vorbild für die Welt und gleichzeitig deren Mittelpunkt.

(Da besteht in der DDR offensichtlich noch Nachholbedarf!)

Auch die aus der Ideologie abgeleiteten Prämissen für die Politik des Landes sind anders, im Vergleich zu den unseren. Sie lauten:

1. Politische Souveränität

2. Wirtschaftliche Selbstversorgung

3. Militärische Eigenständigkeit

Das kann man wie folgt interpretieren:

„Politische Souveränität“ bedeutet politische Unabhängigkeit von anderen Ländern. Haben wir nicht, haben aber - genau genommen - auch die Nordkoreaner nicht.

„Wirtschaftliche Selbstversorgung“ ist eine Not und keine Tugend! Die resultiert aus dem Anspruch auf politischer Souveränität. Was hat sie Nordkorea gebracht? Mangelwirtschaft, Versorgungsengpässe, Hungersnöte.

„Militärische Eigenständigkeit“ ist ebenfalls nur eine Nebenbedingung politischer Souveränität. Wer glaubt, auf militärische Hilfe von dritter Seite verzichten zu können und keine Militärbündnisse eingehen zu müssen, ist bei der Landesverteidigung allein auf sich selbst angewiesen. Können wir uns nicht leisten. Und das kleine Nordkorea, noch dazu in einer derart problematischen geopolitischen Lage eigentlich auch nicht.

Nein, diese Ideologie scheint widersprüchlich in sich zu sein und die daraus abgeleiteten Prämissen führen in eine Sackgasse. Aber das Ganze hat bei oberflächlicher Betrachtung seinen Charme: Würde Juche sonst auf eine ganze Reihe von Entwicklungsländern eine solche Anziehungskraft ausüben?

Wie auch immer - der Chefideologe scheint ein großer Mann zu sein. Leider werde ich wohl keine Gelegenheit bekommen, ihn persönlich kennen und schätzen zu lernen. Deshalb erlaube ich mir zur Charakteristik von Kim Il-sung, dem „Großen Führers“, eine Anleihe bei Luise Rinser aufnehmen:

„Das ist ein Bauer, eine Vaterfigur mit einer starken und warmen Ausstrahlung, ganz in sich ruhend, heiter und freundlich, ohne Falschheit, mit gelassenen Bewegungen und ruhigem Blick, ganz einfach, ohne jedes Imponiergehabe, witzig und humorvoll auch, wie sich nach einiger Zeit herausstellt. Mir fällt ein, daß Goethe über Napoleon sagte ,Voilà, un homme.‘ Das kann man über Kim Il Sung auch sagen: ein Mann, ein Mensch.2

Voilà, diesen Ausruf werde ich beachten.

2 Luise Rinser: Nordkoreanisches Reisetagebuch, Fischer Taschenbuch Verlag, 1984, S. 134

Die Demokratische Volksrepublik KOREA

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