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4 Heiliges Plastik

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Ein Text von Giorgi Ghambashidze:

Ich sitze vor meinem Flachbildfernseher und schaue mir eine Dokumentation an, die zeigt, was wir Menschen unserer Umwelt antun und in welche missliche Lage alle andere Bewohner unseres Planeten unseretwegen geraten sind. Meine fettigen, orangverfärbten Finger greifen nach knusprigen Kartoffelchips – eines meiner unzähligen Laster, gegen die ich ankämpfe. In meinen weit geöffneten Augen stehen Tränen, denn es wird gerade gezeigt, wie ein ausgehungerter Polarbär auf einer kleinen treibenden Eisscholle ratlos sitzt und verzweifelt um sich schaut. Er versteht die Welt nicht mehr.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich mir so etwas nicht angeschaut, denn ich sah nicht ein, dass ich damit unvermittelt zu tun hatte, aber langsam erlange ich das Bewusstsein, dass ich ein Teil vom Ganzen bin und wenn mit dem Ganzen etwas nicht stimmt, betrifft mich das auch, teilweise liegt es sogar an mir, an meinem Verhalten als stolzer, eingebildeter, über andere Lebewesen erhabener Homo sapiens mit Chips in der einen und mit Fernbedienung in der anderen Hand.

Jetzt wird gezeigt, wie Meerestiere wegen unseres Plastikabfalls leiden. Eine Erfindung, über die die Menschheit sehr erfreut war, denn sie hat viele unserer alltäglichen Probleme gelöst. Aber was scheinbar gut für uns ist, ist fatal für alles andere. Unsere Erde wäre ohne uns viel besser dran, sie würde mit all ihren Tieren noch Tausende, wenn nicht Millionen Jahre gesund bestehen. Wir haben sie wie Krebszellen befallen und vermehren uns so schnell, bis es so dicht wird, dass Frauen im Stehen gebären müssen, auf einer Müllsammelstelle, die allgegenwärtig geworden ist. Homo plastikus erstickt in seiner eigenen Kreation, eine witzige Vorstellung, wenn davon nicht all die anderen, die keine Schuld daran tragen, betroffen wären.

Mir ist ätzend klar geworden, dass ich für meine ganze Gattung verantwortlich bin. Meine Mitmenschen, Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und so weiter und tiefer bis zum Sündenfall. Man wird in eine heikle Geschichte hineingeboren, herauspresst auf ein Fließband, und schon ist man dabei, die Fehler der leichtsinnigen Väter zu übernehmen. Für mich ist es eindeutig ein Vergehen, als Mensch zu erscheinen. Ich hoffe, dass ich keine Wahl hatte, aber wenn ich sie gehabt hätte, hätte ich mich dafür entschieden, ein Vogel zu sein. Nicht weil sie fliegen können. Oh nein! Ich bin kein Träumer. Ich wäre bloß in der Lage, auf Menschen gezielt zu scheißen. Ich bin zuversichtlich, dass ich ganz gut in dieser Sache wäre. Kein eleganter Hut, gut gestyltes Haar, schöner Dutt und keine zum Himmel gerichteten Augen wären vor meinen Fäkalbomben sicher. Aber ich bin nun mal ein Menschenkind und ich muss mich damit abfinden, einfach das Beste daraus machen. Ich habe endlich angefangen, vor meiner Tür zu fegen. Ich werfe zerkautes Kaugummi nicht mehr auf die Straße, denn Vögel verwechseln es manchmal mit etwas Essbarem und sterben daran.

Ich kaufe keine Deospray und Raumlufterfrischer mehr, denn die tragen dazu bei, ein Loch in die Ozonschicht zu fressen. Stattdessen benutze ich einen Deo Roller und Duftstäbchen. Und überhaupt, wenn ich einkaufen gehe, entscheide ich mich bewusster, was in meinen Einkaufskorb landet. Die Einkaufstüten aus Plastik habe ich auch boykottiert. Ich habe mir eine Baumwolltasche gekauft, auf der unser Planet in Form eines Herzens aufgedruckt ist. Ich muss voller Scham zugeben, dass ich am Anfang mit meiner, zumindest zum kleinen Teil, neuen Lebensweise brüstete. Wenn ich meinen Einkauf in meine umweltschonende Tasche gelegt hatte, sah ich auf die anderen von oben herab. Diese Phase liegt schon hinter mir.

Ich bin kein Freund von Kunst, aber eine Skulptur hat sich in mein Gedächtnis tief eingeprägt. Sie stellt die Politiker dar, die über die globale Erwärmung rege diskutieren. Etwas zu spät, denn sie stehen bereits bis zum Kinn im Wasser, abgesehen von ihren körperlich zierlicheren Kollegen, die schon mit Fischen reden.

Wenn ich unsere Gesellschaft betrachte, sehe ich uns in verschiedene Gruppierungen aufgeteilt. Während manche nur rumstehen und nichts tun, handeln die anderen absolut rücksichtslos aus Profitgier und sabotieren die Heilung der Natur. Aber es gibt noch eine wesentlich kleinere Gruppe der Menschen, die alles Erdenkliche tut, um unsere Mutter Erde, unsere einzige Heimat zu retten. Es ist höchste Zeit zu handeln, es ist schon kurz vor Zwölf.

Egal wie fortgeschritten die Erkrankung zu sein scheint, jeder kann etwas Positives bewirken und zur Genesung beitragen. Welcher Gruppe gehörst du an? (2019, E-Mail: g.ghambashidze@web.de

Kurzvita:

Geboren 1990 in Tiflis, Georgien. Nach dem Schulabschluss studierte er vier Jahre an der staatlichen Shota Rustaveli Universität für Theater und Film von Georgien. Während des Studiums drehte er sechs Kurzfilme. Zwei seiner Filme wurden mit einem Preis am Filmfestival „Amirani“ ausgezeichnet. Mit dem sechsten Film namens „I’m With You“ bekam er sein Diplom als Filmregisseur.

Seit 2011 wohnhaft in Deutschland. 2014 drehte er unter dem Pseudonym „Georg Klein“ einen Kurzfilm namens „Day by Day“. Seit 2015 schreibt er auf Deutsch.

Veröffentlichungen: „etcetera“ #73, verdichtet.at, textem.de

SOS - Save Our Ship! eine Anthologie zur Klimakatastrophe

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