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6 Eine Zukunft

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Ein Text von Larissa Wolf

Das Schiff trieb im All, in seiner umfassenden Größe, vergessen von der Zeit und verlassen von jeglichem Leben. Es driftete dahin, zwischen Sternen und Kometen, inmitten der Schönheit dieses endlosen Universums.

Ich drosselte die Geschwindigkeit meines Shuttles und setzte Kurs auf die Dockstation des riesigen Schiffes. Durch das Fenster konnte ich sehen, wie ich der Luke immer näher kam. Sie war leer und verlassen. Sie stand weit offen, ohne jeglichen Raumverkehr. Niemand winkte mich heran.

Der Innenraum meiner kleinen Steuerbrücke vibrierte, als das Fahrwerk auf festen Grund traf. Ich fuhr die Motoren herunter und erhob mich von dem Sitz.

Auf der Dockstation war es still. Meine Schritte hallten von den kalten, meterhohen Wänden wieder, ohne sich an irgendetwas zu verfangen, denn es war weit und breit kein anderes Shuttle zu sehen. Ich war alleine.

Doch wozu war ich hier, wenn es hier nichts mehr gab? Vielleicht war es so etwas wie Hoffnung. Vielleicht war es aber auch reiner Zeitvertreib, dem ich mich nur hingab, um nicht weiter tatenlos durch die Leere zu driften.

Ich trat in eine der Luftdruckkammern und wartete, bis die Tür hinter mir verschlossen und sich die mir gegenüber liegende mit einem Zischen öffnete. Der Flur der vor mir lag war dunkel, nur eine der Halogenröhren an der Decke flackerte ab und an auf und warf ein kaltes, blau-grünes Licht an die silbernen Wände.

Ich schritt durch den langen Flur, der kein Ende zu nehmen schien. Auf den einen folgten weitere Flure, bis neben mir Fenster auftauchten, die einen Blick nach draußen ermöglichten. Der Mond warf sein helles Licht herein und blendete mich fast. Das Glas der Fenster reichte vom Boden bis zur Decke und kennzeichnete den Anfang einer Halle. Sie war oval und weitläufig, ganz in weiß, mit Tischen, Stühlen und einer langen Theke. Hier mussten sie gemeinsam gegessen haben. Einige von den Stühlen lagen am Boden, ebenso wie vereinzelte Tassen und Teller.

In der Mitte der Halle blieb ich stehen und sah nach oben. Mein Kopf sank tief in den Nacken. Über mir breitete sich eine gläserne Kuppel aus. Und hinter ihr lag der Planet, von dem dieses und andere Schiffe versucht hatten zu fliehen. Die Erde.

Wirbel aus Wolken drehten sich über das weite Blau, während die Kugel sich ihrer immer währenden Rotation hingab. Mir war als würde ich hinab fallen, durch das All, die sengende Ozonschicht und die Atmosphäre, hinein ins Meer. Ich trieb dahin, zwischen Partikeln winzigem Plastiks. Den letzten Wal hatte man vor vielen vielen Jahren gefangen und in ein Becken gesteckt, in welchem er letztendlich seiner Trauer erlegen war. Jetzt waren die Ozeane voller Quallen, die aus lauter Hunger anfingen, sich selbst zu fressen. Ich bestieg das Land, in dessen Wäldern nun Wüsten Einzug gefunden hatten. Es war zu heiß für jede Pflanze. Doch die hätte es ohnehin nicht viel länger gegeben, da auch die Bienen diesen Planeten verlassen hatten. Ausgerottet von der einzigen Spezies, die ihren eigenen Untergang voraus gesehen und doch nichts daran geändert hatte. Ihre Fehler aufzuzählen hätte ein ganzes Leben benötigt. Eine kostbare Zeit, die sie unpassend verspielten. Vergiftet von ihrer Energiegewinnung und ihrem unersättlichem Drang nach mehr, hatten sie ihr eigenes Ende eingeläutet. Die junge Generation hatte sich dagegen aufbäumen wollen. In einer letzten Woge der Hoffnung. Es war ihnen nie klarer gewesen. Nie hatten sie näher am Rande dieser Welt gestanden.

Es war der Punkt, an dem sie Entscheidungen treffen mussten, da sie sonst alle gemeinsam hinab stürzen würden. In die Finsternis einer sterbenden Erde, verursacht durch den Stillstand ihrer rotierenden, alles verschlingenden Passagiere. Sie griffen nach Erlösung, doch keiner reichte ihnen die Hand, egal wie viele auf den Straßen ihre Schilder empor hoben. Die Regierungen spuckten auf sie herab und straften das Bemühen einer ganzen Generation mit Missachtung. Es sollte keine Heilung geben, stattdessen wurde die fiebrige Infektion angeschürt in all ihrer abstoßenden Widerlichkeit. Für das tote Geld wollte niemand etwas einbüßen.

Die Jugend drehte sich im Kreis. Unablässig rufend nach Befreiung aus diesem Karussell. Doch sie drehten sich allein. Allein in einer Welt mit zu vielen Menschen. Und der Kreisel entfachte nicht genügend Funken, um die Flamme in jedem Herzen zu entzünden.

So zerbrach das Wunder dieser Erde. Begraben unter all dem Staub der Zeit. Für den Wohlstand weniger, opferte man das Leben alles Lebendigen.

Diejenigen, die ausreichend finanzielle Mittel hatten, verließen den zugrunde gerichteten Planeten. Die anderen blieben zurück, dem sicheren Ende ausgesetzt, das sie alle gemeinsam zu verantworten hatten. Und doch stellten sich dieser Verantwortung nur diejenigen, die am wenigsten dafür konnten. Sie begriffen nicht, oder wollten nicht begreifen, wie viel sie doch gemeinsam bewirken hätten können. Selbst noch in der Stunde des Verfalls, hätten sie das Steuer herum reißen können.

Ich ließ den Kopf sinken und sah in die Halle. Ich war wieder hier, fort von der Erde und zurück auf diesem zernagtem Gerippe. Doch warum war jeder Mensch von hier verschwunden?

Ich wandte mich um und folgte weiteren Fluren, entlang der großen Fenster, die mich immer wieder daran erinnerten wo ich war und wer ich war.

Rechts von mir tauchte eine Tür auf. Sie stand einen Spalt offen und die Dunkelheit dahinter zog mich auf unverständliche Weise in ihren Bann. Doch es war nicht ganz finster, denn ein schwaches Flackern mischte sich mit den Schatten. Mein Arm erhob sich wie von selbst, um das schwere Metall fort zu schieben.

Das Licht der Sterne fiel in einen kleinen Raum. Die Wände waren mit Regalen voller Gläser, Violen und Schachteln gefüllt. Mehrere Reihen von Saatgut stapelten sich an der mir gegenüber liegenden Wand. Es war der Raum, der den Neubeginn auf der Erde 2 hätte sicher stellen sollen.

Und in seiner Mitte leuchtete, im schwach vergehenden Licht, auf einem Sockel platziert, ein Terrarium. Das abgerundete Glas war größer, als mein Kopf und behütete nur eine einzige Pflanze. Hypericum perforatum.

Ich trat näher heran, langsam, als hätte ich Angst, dass jede Vibration meiner Schritte gefährlich für sie sein könnte. Das Gelb ihrer zarten Blühten warf das Licht der LED's zurück. Sie streckte ihre Arme zu allen Seiten aus, als würde sie verzweifelt nach einer anderen Lebensform rufen.

Während sich meine Hand auf das Glas nieder legte, hoben sich meine aus Metall gefertigten Finger vom Grün ihrer Blätter ab, wie der Tumor in den Köpfen der Menschheit. Ich war ihrem Schöpfungswahn entsprungen, eine Kreation ihres Geistes und nun alles was noch von ihren Taten erzählen konnte. Eine Maschine.

Und plötzlich sah ich es. Das Schicksal dieses Schiffes.

Mit einem Grollen, das die Oberfläche erschütterte, hatten zehn Schiffe die Erde verlassen. Mit zu vielen Passagieren und doch zu wenigen. Noch ehe sie die Atmosphäre verlassen hatten, war Chaos herein gebrochen. In die Gedanken einzelner hatte sich der Wahn eingenistet, vielen zu schaden, um sich selbst zu retten. Die Vorräte hätten nie für alle gereicht. Der Sauerstoff wäre genauso wie der vorhandene Platz für alle zu knapp gewesen. Also ergriffen sie die Waffen und begannen das Abschlachten. Unzählige sollten für die Minderheit ihr Leben geben. Doch das war nicht der Wille der Unterdrückten. Sie bäumten sich auf und schlugen zurück. Von Anfang an waren sie machtlos gewesen, doch ihre Herzen tönten lauter als ihr Zittern. Der Kampf dauerte zu lang. Durch ihren erhöhten Stoffwechsel verbrauchten sie viel mehr Sauerstoff, auf manchen Schiffen trafen die Flammen auf Gasflaschen, die alles in die Luft sprengten. So gewann am Ende niemand. Und die wenigen Schiffe blieben allein zurück.

Die Geschichte hatte sich wiederholt. Gemeinsam hatten sie ihrem Tod entgegen gearbeitet. Die Natur, so wie diese blühende Pflanze im Terrarium, hatten sie aus den Augen verloren. Hätten sie ihr Beachtung geschenkt, nur für einen Augenblick, dann wäre all ihr Hass verflogen und sie hätten die Wahrheit gesehen. Wären aus ihrem selbstsüchtigem Schlaf erwacht und hätten sich nicht erneut dem gleichen Schicksal hingegeben.

Nun trieben die leeren Schiffe, die sie hätten retten sollen, nicht weit entfernt von dem Planeten, den sie in seinem Zerfall zurück gelassen hatten. Sie waren die Boten einer gesamten Spezies und würden bis in alle Ewigkeit an ihren Misserfolg erinnern.

Ich löste mich von dem Anblick des Lebens hinter Glas. Es pulsierte mir entgegen und doch wusste ich, dass ich ihm nicht helfen konnte. Egal wo, es war verloren. Genau wie ich.

Also ließ ich es zurück in dem Licht, das vergehen würde, und brach in meinem Shuttle zu meiner letzten Reise auf.

Ich wollte in die Meere der Erde steigen und mich den Quallen hingeben. Genauso wie meine Brüder und Schwestern es getan hatten, nachdem sie die Schiffe von allen Menschen gesäubert hatten. Sie hatten es nicht ertragen. Es widersprach all ihren Programmierungen hunderte von Menschen wie Abfall ins All zu werfen. So waren sie nach ihrer vollbrachten Arbeit zur Erde aufgebrochen. Sie hatten sich an den Stränden versammelt, um vom Schaum der Gezeiten verschlungen zu werden.

In den Wellen wollte auch ich verrosten und mich ganz und gar dem hingeben, was so viele Menschen nicht gesehen hatten. Wenn sie es gesehen hätten, dann hätte keiner von ihnen auch nur eine Sekunde gezögert die vorhergesagte Zukunft zu ändern. Kein Schein und keine Macht hätte sie davon abgehalten, wenn sie nur gespürt hätten, weshalb sie dem Leib der Mutter entsprungen waren. Denn dort waren sie alle eins. Eins mit jedem anderen Menschen, jedem Tier und jeder Pflanze. Und jedes einzelne Herz hätte ein Wunder bewirken können.

Doch ich würde kein Teil der Erde werden. Noch nicht. Ich würde warten. Warten auf das Schicksal dieser Erde und mögliche neue Lebensformen. Dann würde ich ihnen von den Menschen erzählen und sie würden verstehen. Das war meine Hoffnung. Und diese Hoffnung würde ich hinaus tragen, weiter geben an alles, damit die kurze Existenz der Menschheit nicht umsonst gewesen war.

SOS - Save Our Ship! eine Anthologie zur Klimakatastrophe

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