Читать книгу Der OGG - Gerhard Freitag - Страница 6
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ОглавлениеDer Oberpriester schritt durch die zurückweichende Menge. Er hatte die blaue Haut aller Alorer und war mit einem kunstvoll bestickten bodenlangen Mantel aus einem Material bekleidet, das die Bloxer noch nie gesehen hatten. Würdevoll blickte er nach links und rechts und erklomm dann die Bühne aus roh gezimmerten Holzplanken, die zur Ehre seines Erscheinens aufgestellt worden war. Dann wandte er sich der wartenden Menge zu, hob beide Arme und wartete, bis sich Stille über den Marktplatz senkte.
„Bloxer von Surun!“, rief er über die Menge, und ein fast unsichtbares Kehlkopfmikrophon übertrug seine Worte zu einer Verstärkerstufe in seinem Mantel, von wo die Impulse an die Lautsprecher gefunkt wurden, die unauffällig an der Hauswand hinter der Bühne angebracht waren. Seine Worte wurden vielfach verstärkt und dröhnten über den Marktplatz, wo die Gläubigen sofort auf die Knie sanken. Einige wagten vor Furcht kaum zu atmen. Viele hatten den Kopf gesenkt.
Auch Lugar Tongateris war mit seiner Frau und seiner Tochter auf den Marktplatz gegangen, um dem Oberpriester die Ehre zu erweisen. Mit gesenktem Haupt wartete er auf irgendein schreckliches Ereignis. Links und rechts von ihm knieten seine Lieben, deren Hände er fest umschlungen hielt. Die Bloxer waren ein hominides Volk, das den Aloreren ähnlich war. Die ausgesprochen hübschen Gesichtszüge und die zierliche Statur ließ die Liebhaber der Bloxer ganz leicht über die Tatsache hinwegsehen, dass sie zwei Daumen und keine blaue, sondern eine lindgrüne Haut hatten.
Die unheimliche Stimme, die so laut war, dass sie sogar ein Gewitter hätte übertönen können, setzte fort:
„Bloxer von Serun! In zweimal 66-san wird ARUN wieder unter euch sein! Freut euch auf die Wiederkehr ARUNS, des einzigen Gottes der Bloxer! Er wird auch dieses Mal einige Jugendliche auswählen, die stolz auf diese Wahl sein können.“
Sidder Tongateris drückte die Hand ihres Vaters besonders fest. Sie war seit heuer in dem Alter, in dem man von ARUN ausgewählt werden konnte und ihr Herz hüpfte bei dem Gedanken, dass sie vielleicht zu den Auserwählten gehören könnte. Natürlich war ihr klar, dass ihre Mutter bei diesem Gedanken erschreckt wäre und dass ihr Vater es nur ungern zulassen würde, dass der Gott ARUN sie mit sich nähme. Doch konnte es etwas Aufregenderes geben als zusammen mit dem Gott ARUN das Himmelsschiff zu besteigen und wegzufliegen?
Inzwischen war der Priester ARUNS in ein unheimliches Rezitativ ausgebrochen, welches von der Menge in der Art eines Kanons wiederholt wurde. Die lautsprecherverstärkte Stimme des Priesters war dabei fast ebenso laut wie die vielen Stimmen der Gläubigen. Unterpriester, die ähnlich, aber nicht so wertvoll gekleidet waren wie der Oberpriester, kamen von allen Seiten auf den Marktplatz und hielten Schalen in den Händen, die aus einem unzerbrechlichen und für die Bloxer daher besonders wertvollen Material waren. Die Schalen wurden an die Männer ausgeteilt, die daraus einen Schluck der feurigen Flüssigkeit tranken, bevor sie die Schalen an die Frauen weitergaben. Manche gaben auch den Kindern davon. Der Priester wurde nun leiser. Die Menge wiegte sich im Rhythmus des Gesanges hin und her. Die Plastikschalen wanderten von Hand zu Hand, und der darin befindliche – früher auf Blox unbekannte – billige und mit Drogen versetzte Alkohol tat seine Wirkung. Zufrieden blickte der Oberpriester auf die Bloxer herunter, und so manch junger Bursche unter den Gläubigen ließ sein Herz höher schlagen. Zweimal 66-san – diese verrückte Recheneinheit der Bloxer – waren einfach zwölf Grünsonnen- und sechs Rotsonnenaufgänge. Nachdem ein einfacher Tag – 6-san bei den Bloxern – den Auf- und Untergang der Grünsonne bezeichnete und die Rotsonne in 66-san – der Woche der Bloxer – dreimal auf- und unterging, musste man auf bloxisch den Ausdruck für Woche einfach verdoppeln, wenn man zwei Wochen ausdrücken wollte. Na ja. Irgendwann würden auch die primitiven Bloxer etwas Mathematik lernen, und dann würden sie wohl zu einer anderen Zählweise finden. Andererseits war er aber sehr froh, dass sie so primitiv waren. Immerhin konnte man ihnen durch so einfache Dinge, wie Plastikschalen, Obstbrand, Lautsprecher und das mit billigen Glasperlen bestickte Priestergewand, die Göttlichkeit des ARUN einreden. Woher sollten sie denn wissen, dass sich unter der Maske des Gottes nur sein Geschäftspartner Joseph Stoneman verbarg, der mit den männlichen und weiblichen Sexsklaven, die bei der alljährlichen „Ernte“ der Bloxer gewonnen wurden, ein ausgezeichnetes Geschäft machte…?
Während er das Rezitativ beschleunigte und über die Lautsprecher nun ein rhythmisches Trommeln eingespielt wurde, überlegte er, wieviel Gewinn sie heuer wohl machen würden. Eine bloxische Jungfrau brachte auf dem Markt von Agarkon eine Menge Credits. Die Burschen brachten zwar ein bisschen weniger, aber einer würde vor dem Verkauf wohl für ihn abfallen. Abermals beschleunigte er seinen Gesang, während ihm schon beim Gedanken, was er mit dem Burschen alles anstellen würde, die Hose zu eng wurde.
Die Menge sang ebenfalls immer lauter und schneller. Einzelne Bloxer begannen zusätzlich in die Hände zu klatschen. Dann endete das Rezitativ des Oberpriesters abrupt und er hob wiederum die Arme. Seine für die Bloxer völlig ungewohnte blaue Haut, sein glitzerndes Gewand und vor allem die Drogen hatten den Bloxern nun genug eingeheizt.
„Von heute an bis in zweimal 66-san beten wir täglich zu ARUN!“, rief er über die erhitzten Köpfe der Menge. „Dann wird er kommen und wählen. Seid bereit!“
Zustimmende Rufe ertönten aus der Menge, und die ersten Reihen begannen sich zur Tribüne zu drängen, wo die Hilfspriester gleich beginnen würden, die Geschenke des Gottes zu verteilen.
Immer mehr Hände reckten sich nach den Verteilern, und während sich der Oberpriester relativ unauffällig daran machte, die Bühne zu verlassen, wurden die ersten Plastikschalen, Glasperlen, Puppen, billiges Handwerkzeug und Glitzerschmuck aus der halben Galaxis verschenkt.
Sidder Tongateris drängte sich ebenfalls bis zum Rand der Bühne nach vor und erhielt prompt eine Kette aus geschliffenen Glasperlen, wie man sie auf Blox noch niemals gesehen hatte. Mit stolz geschwellter Brust kämpfte sie sich gegen den Strom der Gläubigen zu ihren Eltern zurück.
„Mutter und Vater seht einmal!“, rief sie schon von weitem. „So einen göttlichen Schmuck könnte kein Bloxer jemals selbst herstellen. Ich werde ihn von heute an jeden Tag tragen, bis zur Ankunft von ARUN.“
„Er sieht an dir wirklich gut aus.“, musste die Mutter zugeben, und auch der besorgte Vater nickte zustimmend. Insgeheim war er natürlich stolz auf seine Tochter und ihr gutes Aussehen.
Langsam zerstreuten sich die Gläubigen und füllten die schmalen Gassen, die vom Marktplatz zu den Wohnhäusern und Geschäften führten. In der breitesten Gasse lag auch das Stadthaus des Bürgermeisters Edearis. Dieser hatte an der Zeremonie nicht teilgenommen, war er doch ein glühender Anhänger des traditionellen Gottes der Bloxer – VAN.
Aluru Edearis stand in einem Erker des ersten Stockwerks und beobachtete die nach Hause strebenden Gläubigen mit finsterer Miene. Bis vor 10 Jahren hatten alle an VAN geglaubt. VAN, der von der Doppelsonne beschienene Gott der Bloxer, war seit Hunderten von Jahren der Mittelpunkt der bloxischen Traditionen gewesen. Man betete zu ihm. Man erhoffte sich die Wunder, die in unregelmäßigen Abständen auch immer wieder eintraten. Aber man konnte doch nicht erwarten, dass dieser auf einmal durch blauhäutige Priester vertreten wurde, von denen man nicht wusste, woher sie kamen und gingen. Plötzlich brach dieser neue Gott ARUN mit allen bloxischen Traditionen. Er kam einmal im Jahr für einen Tag mit seinem Himmelsschiff. Es gab ein großes Fest, Geschenke wurden verteilt, es gab dieses feurige Wasser, von dem man ganz wirr wurde im Kopf. Und dann nahm ARUN eine Anzahl von Mädchen und Burschen mit sich in das geheimnisvolle Schiff und verschwand. VAN verlangte solche Opfer nicht. Immerhin musste er, Edearis, zugeben, dass man nicht genau wusste, ob das nun eigentlich ein Opfer war, oder nicht. Aber andererseits... warum nahm ARUN immer eine Anzahl junger Leute mit? Warum kam nie jemand davon zurück? Zu VAN konnte man nur beten. Gesehen hatte man diesen Gott noch nie. ARUN trat zwar persönlich in Erscheinung, aber fragen konnte man ihn das alles auch nicht…
Edearis öffnete das Erkerfenster und wandte sich an die zurückstrebende Menge:
„Bürger von Surun“, rief er. „Was ist das für ein Gott, der die besten aller jungen Bloxer als Opfer verlangt? Seid ihr wirklich so arm im Geiste, dass ihr nicht erkennen könnt, dass hier etwas vorgeht, was wir nicht zu durchschauen vermögen? Warum verdrängt ihr eure jahrhundertealten Traditionen? Warum habt ihr aufgehört, an VAN zu glauben? Ich fordere euch auf, das alles in aller Ruhe noch einmal zu überdenken! Wer Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses ARUNS hat, der möge sie mit mir diskutieren!“
Edearis war zwar ein sehr beliebter Bürgermeister. Doch seine schwache Stimme kam gegen die Wirkung der Lautsprecher der blauen Priester nicht an. Der ungewohnte Alkohol und die Drogen hatten den Bloxern die Sinne vernebelt, und mit gesenktem Haupt eilte die lindgrüne Schar am Stadthaus des Bürgermeisters vorbei.